Protokoll der Sitzung vom 24.08.2018

Im Kern ist das nicht mehr als eine Resteverwertung - eine Resteverwertung Ihrer Wahlkampfstrategie aus dem vergangenen Landtagswahlkampf.

(Beifall bei der SPD)

Es mag Ihnen im Kontext der vergangenen Landtagswahl richtig erschienen sein, die steile These in die Welt zu setzen, dass insbesondere die Polizei, die niedersächsischen Sicherheitsbehörden insgesamt schlecht aufgestellt und unzureichend vorbereitet seien, um diese Aufgaben wahrzunehmen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das hat der Untersuchungsausschuss ergeben!)

Richtig, Herr Dr. Birkner, ist das nicht. Ich will es gerne noch einmal werten: Man musste schon ausgeprägte interpretatorische Leistungen vollbringen, um die Aussagen, die dort getätigt wurden, in dieser Weise zu interpretieren. Deswegen noch einmal: Richtig ist das nicht.

Richtig ist das Gegenteil. Richtig ist, dass die Polizei in Niedersachsen beispielgebend gut aufgestellt ist. Richtig ist, dass die niedersächsische Polizei über hervorragend motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügt. Richtig ist, dass die Kriminalitätsbelastungszahlen seit Jahren zurückgehen, und zwar bei den registrierten Straftaten im vergangenen Jahr um 6,4%. Insbesondere ist das Risiko der Bürgerinnen und Bürger, Opfer einer Straftat zu werden, im vergangenen Jahr erneut gesunken.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Es geht um Extremismus und Terrorismus, nicht um Ladendiebstahl!)

Das zeigt, wie die Sicherheitsbehörden und die Polizei in Niedersachsen arbeiten und welche Erfolge sie vorzuweisen haben.

Die Kriminalitätsbelastungszahlen, also die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, sind im vergangenen Jahr auf 6 321 Fälle pro 100 000 Einwohner zurückgegangen. Das ist ein Wert, der seit 1981, also seit fast 40 Jahren, nicht mehr erreicht worden ist.

Herr Dr. Birkner, innerhalb des gesamten Spektrums polizeilicher Aufgabenwahrnehmung sollen die positiven Attribute, die ich gerade aufgeführt habe, jetzt ausgerechnet für den wichtigen Bereich terroristischer Bekämpfung durch die Polizei nicht gelten? Das ist zunächst mal eine ziemlich unwahrscheinliche These; das ist wenig überzeugend. Wenn Sie sich dabei auf Ihre Interpretation der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses beziehen, dann ist das eindeutig zu wenig.

Richtig ist, dass systematische und strukturelle Fehler aus den Untersuchungen und Zeugenbefragungen gerade nicht ersichtlich geworden sind; die haben nämlich etwas anderes gesagt. Richtig ist, dass der Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden und dem Verfassungsschutz in Niedersachsen gut funktioniert.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist doch lächerlich, Herr Kollege! Sie wis- sen genau, dass das nicht stimmt!)

Richtig ist vor allem, dass die niedersächsische Polizei eine erfolgreiche, lernende Organisation mit einer ausgeprägten Fehlerkultur ist.

Meine Damen und Herren von der FDP, wenn die Analyse schon nichts taugt, dann kann man auch mit den daraus abgeleiteten Vorschlägen nichts anfangen. Unter diesen Bewertungen ordnen wir

Ihre Forderung nach einer Regierungskommission ein. Die von Ihnen dargestellten Defizite, Herr Dr. Birkner, gibt es nicht. Die sehen wir nicht.

Herr Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Birkner?

Vielen Dank, Herr Kollege. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege, wie erklären Sie sich dann, dass die Frau Präsidentin des Verfassungsschutzes mindestens zu einem Punkt, den wir - übrigens von der Mehrheit in diesem Haus beschlossen - in dem Untersuchungsausschussbericht festgehalten haben, nämlich der Absicht, insbesondere im IT-Bereich und den damit zusammenhängenden Kompetenzen Verbesserungen herbeizuführen, nun erklärt, sie wolle den Verfassungsschutz neu aufstellen?

Ich habe gerade von einer lernenden Organisation gesprochen. Selbstverständlich sind die Polizei und der Verfassungsschutz heute weiter, als sie es vor zwei Jahren waren. Vor zwei Jahren waren sie schon weiter als noch zwei Jahre davor. Unsere Organisationen lernen, und sie lernen auch aus ihren Fehlern, die es natürlich gibt.

Die Frage ist jedoch, ob es strukturelle Mängel gegeben hat, ob es politische Vorgaben gegeben hat, die dazu geführt haben, dass es teilweise zu individuellen Fehlleistungen gekommen ist. Das ist nach unserer Bewertung eindeutig widerlegt worden. Ihre Klimmzüge, das Gegenteil zu belegen, sind abenteuerlich, um das mal deutlich auf den Punkt zu bringen!

(Beifall bei der SPD)

Wenn aber eine Regierungskommission Mängel beseitigen soll, die es nicht gibt, dann stellt sich schon die Frage, warum Sie so etwas überhaupt vorschlagen. Vielleicht, Herr Dr. Birkner, ist das ein bisschen die Angst vor der eigenen Courage - Angst, weil Sie hier eine Kampagne befeuern, die das Reformgesetz zum Gefahrenabwehrrecht als überflüssig darstellen soll.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Verfas- sungswidrig ist das!)

Sie sind auch - wenn ich das richtig im Hinterkopf habe - mit den Worten zitiert worden, die bisherigen rechtlichen Befugnisse der Polizei reichten aus. Das, Herr Dr. Birkner und meine Damen und Herren von der FDP, ist ein zweischneidiges Schwert. Damit verstellen Sie den Blick für das Wesentliche.

Wir brauchen dringend eine Novellierung unseres Gefahrenabwehrrechts, spätestens seitdem wir es mit völlig veränderten Erscheinungsformen des islamistisch motivierten Terrorismus zu tun haben. Wir haben im Vorfeld einer terroristischen Tat eben typischerweise keine Straftaten mehr, die ein Einschreiten oder ein Handeln der Polizei auf der Basis des Strafprozessrechts ermöglichen.

(Christian Grascha [FDP]: Ich frage mich, wie dann diese Anschläge passieren konnten!)

Da helfen dann auch Ihre Anscheinserweckungsversuche nichts, Herr Dr. Birkner.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Es ist ein- fach falsch, was Sie sagen!)

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie müssen der Polizei schon die Instrumente zur Verfügung stellen, die sie benötigt, um einer veränderten Phänomenologie zu begegnen. Bei Ihnen ist das so, als würden Sie einem Maurer die Kelle wegnehmen. Dann dürfen Sie sich nämlich nicht wundern, wenn er aufhört zu mauern und das Haus nicht fertig wird.

Herr Dr. Birkner, in diesem Haus gibt es eine breite Mehrheit, die die Sicherheitsherausforderungen wirksam angehen wird. Darum - das sage ich an dieser Stelle schon mal im Hinblick auf die Ausschussberatungen - wird Ihr Antrag auch keine Chance auf Annahme durch die Mehrheit haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Zu einer Kurzintervention hat sich Dr. Birkner gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Becker, es ist schon ziemlich abenteuerlich, was Sie hier sagen. Ich will das deutlich zurückweisen. Der Untersuchungsausschuss hat in weiten Teilen exakt das

Gegenteil von dem ergeben, was Sie hier dargestellt haben.

(Beifall bei der FDP)

Damit sind sicherlich auch Wertungsfragen verbunden. Klar ist jedoch, dass an vielen Punkten in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz Fehler gemacht worden sind. Für uns gab es Anhaltspunkte - das alles brauche ich nicht zu wiederholen; das haben wir vielfältig diskutiert -, dass dies politisch gewollt war und deshalb eine gewisse Zurückhaltung bestand.

Das Entscheidende ist im Grunde, dass gerade die Fälle, die wir im Untersuchungsausschuss untersucht haben, ergeben haben, dass das bestehende gesetzliche Instrumentarium vollumfänglich ausgereicht hätte. Deshalb sind wir weiterhin der Auffassung, dass man, bevor man nach schneidigen Gesetzesverschärfungen ruft und immer weiter in das Vorfeld verlagert, aus dem strengen Rahmen der Strafprozessordnung tritt und in Grundrechte eingreift, ohne den Bedarf dafür belegen zu können, bitte erst einmal den Nachweis führt, dass diese Instrumente wirklich nötig sind. Das können Sie jedoch nicht.

Sie argumentieren mit einer konkreten Gefahr terroristischer Anschläge, suggerieren aber, diese Gefahr wäre mit den Instrumenten, die Sie in den Raum stellen, in den Griff zu bekommen. Unter Ihrer Verantwortung sind Sie nicht mal in der Lage, die bestehenden Instrumente effektiv anzuwenden! Wie sollen Ihnen denn da, bitte schön, neue Instrumente helfen?

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Deshalb ist es wichtig, die Defizite zu identifizieren und dann zielgenau die gesetzlichen Änderungen vorzunehmen, bei denen wir dann bereit sind, mitzugehen, wenn ihr Bedarf tatsächlich nachgewiesen ist. Bisher können Sie diesen Nachweis aber nicht führen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Becker möchte antworten.

Herr Dr. Birkner, Sie werden nicht umhinkommen, zur Kenntnis zu nehmen, dass alle Polizeibehörden und der Verfassungsschutz in Niedersachsen - nach eigener Bewertung - neue Instrumentarien brauchen, um der neuen Phänomenologie, den

Herausforderungen des islamistisch motivierten Terrorismus begegnen zu können. Das können Sie leugnen und hier an dieser Stelle anders darstellen. Aber noch einmal: Wir interpretieren die Aussagen der Zeugen und die im Untersuchungsausschuss erhobenen Fakten anders, als Sie das tun. Das können Sie dem Minderheitenbericht so entnehmen.

Ich halte unsere Bewertung für absolut zutreffend. Wie ich Ihre Bewertung und die dahinterliegende Motivation einschätze, habe ich gerade ausgeführt. Wenn Sie auf der Basis ableiten, es seien keine Gesetzesänderungen erforderlich, dann ist das nach meiner Einschätzung eine grobe Fehlbeurteilung, die wir nicht mittragen werden, weil das die Handlungsfähigkeit der Polizei im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit in den nächsten Jahren deutlich einschränken würde. Das ist mit uns nicht zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Becker. - Für die CDU-Fraktion spricht nun Kollege Sebastian Lechner.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der FDP ehrlicherweise ganz dankbar, dass sie diesen Antrag eingebracht hat; denn das gibt Gelegenheit, noch einmal zu schildern, was wir als rot-schwarze Koalition alles Segensreiches in der Innenpolitik für Niedersachsen bewegen.

Es ist eben gerade nicht richtig, Herr Birkner, dass die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses keinen Einfluss auf unsere Koalitionsverhandlungen hatten. Ganz im Gegenteil: Wir haben auch diese Ergebnisse mitbewertet und abgewogen und sie mit den guten Ideen, die unser Koalitionspartner mit eingebracht hat, zusammengefasst. Und am Ende haben wir einen Koalitionsvertrag formuliert, der auf die im Untersuchungsausschuss entstandenen Fragen ganz wesentlich eine Antwort gegeben hat.