Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin 58 Jahre alt und seit meinem 16. Lebensjahr Mitglied der SPD. Ich bin leidenschaftlicher Niedersachse, Europäer und leidenschaftlicher Deutscher. Ich liebe mein Land, ich liebe die Menschen, die hier leben.

Und ich liebe noch etwas: das Grundgesetz. Wer sich mit dem Grundgesetz auseinandersetzt, der kommt nicht umhin festzustellen, dass seine Genese in den Erfahrungen aus Nazi-Deutschland, aus Krieg, Terror, Verfolgung und allem, was bis heute damit verbunden bleibt und auf ewig bleiben wird, liegt. Die Festschreibung von Menschen- und Grundrechten für jedermann in diesem Land - egal, woher er kommt! - ist einer der Grundpfeiler des friedlichen Zusammenlebens seit über 70 Jahren in diesem Land.

Jeder, der diese Verfassung infrage stellt, jeder, der infrage stellt, dass diese unveräußerlichen Rechte für jedermann und jede Frau gelten, ist ein

Feind dieser Verfassung, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

jeder, der leugnet, welche Rolle diese Verfassung spielt, welche Verantwortung sie uns auch gleichzeitig aufgibt, wer nicht versteht, was der eigentliche Auftrag dieses Grundgesetzes ist, nämlich gemeinsam darauf Acht zu geben, dass nie wieder passiert, was geschehen konnte, weil Menschen weggeschaut, zu lange geschwiegen und zu lange relativiert haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Das, was 1933 passiert ist - und ich hüte mich, Vergleiche zu ziehen, obwohl sich einige aufdrängen würden -, ist möglich geworden, weil man keine Erfahrung mit Faschismus hatte, weil die Demokratie jung und schwach und nicht erprobt und die wirtschaftliche Lage verheerend war. Wir haben heute die Chance und die Verpflichtung, Geschichte sich nicht wiederholen zu lassen und Faschismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass in diesem Land keinen Raum zu lassen. Wer sich anschaut, was 1933 möglich wurde, der weiß auch, dass unser Auftrag lautet, früh den Mund aufzumachen.

Und wenn ich in meiner Pressekonferenz - Herr Wichmann, Sie waren ja mit zwei Kollegen da; seltener Besuch in meinem Haus, den brauche ich auch nicht so oft - - -

(Klaus Wichmann [AfD]: Das gehört auch zur Demokratie!)

- Wir haben Sie ja auch bleiben lassen. Es ist doch schön, dass Sie da waren. Ich dachte nur, Sie hätten zugehört. Offenbar haben Sie aber wie immer nur das gehört, was Sie hören wollen. Deswegen wohl auch der merkwürdige Titel Ihres Antrages zur heutigen Aktuellen Stunde.

Ich habe in meiner Pressekonferenz vom „Point of no Return“ gesprochen, um davor zu warnen, diesen Punkt zu verpassen. Ich habe nicht darauf aufmerksam machen wollen, dass er kurz bevor steht.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Entwicklung der AfD seit 2013/2014 an: von der Professor-Lucke- und Anti-Euro-Partei hin zu einer Partei, die völkisch-nationalistisch argumentiert. In dieser Partei musste sich Frauke Petry zu Beginn

noch Kritik für die Wiedereinführung des Wortes „völkisch“ in die politische Debatte anhören. Heute ist dieser Begriff tagtäglich in den Accounts aller AfD-Landesverbände zu lesen.

(Stephan Bothe [AfD]: Das stimmt nicht!)

Wer von „deutschem Blut“ faselt, hat sich eben klar so positioniert, dass er dieses Grundgesetz mit seinen Menschen- und Bürgerrechten ablehnt - weil er am deutschen Blut festmacht, wer welches Recht in diesem Land genießt.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Und wer dann wie die AfD hingeht und dieses - das kann keiner beschönigen - schreckliche Verbrechen in Chemnitz auf übelste Art und Weise missbraucht und zusammen mit Pegida und anderen zu einem sogenannten Todesmarsch auffordert, der stellt sich jenseits dieser Verfassung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Stephan Bothe [AfD]: Trauermarsch!)

Die AfD demaskiert sich inzwischen täglich. Ich finde das gut, weil das klarmacht - auch jedem Menschen da draußen -, mit wem wir es wirklich zu tun haben. Und wenn dann auf solchen Todesmärschen und anderswo lautstark - - -

(Stephan Bothe [AfD]: Trauermarsch!)

- Trauermarsch - Todesmarsch! Allein, dass Sie das schon wieder einwerfen, zeigt, wohin Sie wollen! Ein Trauermarsch für einen Deutschkubaner, der mit Ihnen mit Sicherheit nichts am Hut hatte, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn bei solchen Veranstaltungen lautstark „Widerstand!“ skandiert wird, dann macht man deutlich, wie weit man längst von diesem Rechtsstaat weg ist. Und dass Sie das Widerstandsrecht gegen diesen Staat reklamieren, das demaskiert Sie endgültig.

Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, mit dieser Aktuellen Stunde irgendetwas bewegen oder beleuchten zu können, dann zeigt das ein weiteres Mal, wes Geistes Kind Sie sind.

Wenn hier von Herrn Wichmann gesagt wird, wir hätten die Verpflichtung, die Risse, die entstanden seien, zuzumachen,

(Klaus Wichmann [AfD]: Die haben Sie!)

dann haben Sie recht. Nur: Da, wo wir Risse zumachen, reißen Sie neue auf - weil es Ihnen nur darum geht, die Spaltung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten; denn das ist der Treibstoff Ihrer politischen Ideologie.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der französische Philosoph Voltaire hat einmal sinngemäß gesagt: Ich verabscheue das, was Sie sagen. Aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie es äußern können. - Das waren, wenn Sie so wollen, die Ursprünge der Aufklärung - eine Zeit, die Sie offenbar komplett verpasst haben. Anders sind viele Ihrer Äußerungen nicht zu verstehen.

Die Meinungsfreiheit ist einer der zentralen Werte einer rechtsstaatlichen Demokratie. Wer wie Ihre Partei auf vielen Seiten und Homepages, auf Facebook und anderswo die Pressefreiheit infrage stellt, wer Journalisten indirekt bedroht nach dem Motto: „Wartet nur, wenn wir in eure Redaktionsstuben kommen!“ - ja, das hatten wir schon einmal -, der erklärt unmissverständlich, was er von der Meinungsfreiheit für andere, die nicht Ihrer Meinung sind, hält - nämlich nichts, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Deswegen: „Endkampf um die Demokratie“ - das mag vielleicht Ihr Wunschdenken sein. Wahrscheinlich leben Sie auch in dem Irrglauben, dass Sie einen solchen Kampf gewinnen können. Aber dieses Land hat in den letzten Wochen gezeigt, wozu es imstande ist. Sicherlich, auch ich hätte mir die eine oder andere Äußerung von Innenministerkollegen oder vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht gewünscht. Aber eines ist klar: Die Demokratie in diesem Land ist stark. Die Menschen lieben ihre Demokratie, genauso wie ich diese Demokratie und dieses Grundgesetz liebe und lebe. Wir werden jeden Tag erneut auf die Straße gehen und den Mund aufmachen gegen diejenigen, die diese Verfassung infrage stellen und die Menschen in solche erster, zweiter und dritter Klasse einsortieren.

In diesem Fall kann ich Ihnen versichern: Stellen Sie sich darauf ein, wir werden kämpfen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Besprechung zu diesem Teil der Aktuellen Stunde beenden kann.

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wichmann noch einmal das Wort, nämlich zu einer persönlichen Bemerkung nach § 76 unserer Geschäftsordnung - mit dem Sie vertraut sind, Herr Wichmann, sodass ich ihn jetzt nicht noch einmal vorlesen muss.

Ich bitte noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit. - Bitte Herr Wichmann!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass man sich gegen persönliche Angriffe hier im Plenum unter Zuhilfenahme zusätzlicher Redezeit wehren kann. Das nehme ich in Anspruch.

Denn das, was Sie vorgetragen haben, zeigt im Kern, dass Sie uns nicht zugehört haben.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist keine persön- liche Bemerkung! - Weitere Zurufe)

Sie sind nicht auf das eingegangen, was Sie hier zu hören hatten.

(Unruhe)

Einen Moment, bitte, Herr Wichmann! - Herr Wichmann erhält jetzt die Gelegenheit, gemäß § 76 Anwürfe und Beschuldigungen, die gegen ihn gerichtet sind, zurückzuweisen. - Das werden Sie jetzt auch tun.

(Ulf Thiele [CDU]: Gegen ihn persön- lich!)

- Gegen ihn persönlich! Ich denke, dass Herr Wichmann das weiß und jetzt dazu kommt.

Nur wird die Zeit nicht ausreichen, um alles zurückzuweisen.

Die Demokratie wird im Kern abgelehnt - das ist ein Vorwurf auch an mich, Herr Limburg. Das weise ich zurück. Ich bin zutiefst davon überzeugt,

dass die Demokratie die einzig richtige Staatsform für uns und insgesamt ist. Ich glaube, dass sie nicht ersetzt werden darf.

Sie kennen - ich greife der Zurückweisung anderer Kritiken jetzt ein bisschen vor - das Grundgesetz nicht richtig. Herr Dr. Birkner, Sie sind doch Jurist!

(Dr. Stefan Birkner [FDP] lacht)