Protokoll der Sitzung vom 10.12.2018

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung: Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 18/2227

Will die Landesregierung den Gesetzentwurf einbringen? - Am Ende.

Mir liegt eine erste Wortmeldung von Claudia Schüßler, SPD-Fraktion, vor. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung hat uns den Entwurf eines Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der EU zur Beratung vorgelegt. Einige mögen nun denken, dass wir diesen Gesetzentwurf möglicherweise gar nicht werden beraten müssen, wenn am morgigen Tag das britische Unterhaus das Austrittsabkommen nicht billigt oder die Regierung es gar nicht zur Abstimmung stellt.

Den Berichten im Fernsehen, in der Presse und im Netz zufolge sieht es im Moment für den Fall einer Abstimmung eher nach einer Ablehnung aus. Den einen geht das Abkommen nicht weit genug; sie hatten sich mehr Rechte für Großbritannien erhofft. Die anderen hoffen für den Fall einer Ablehnung des Austrittsabkommen auf ein Referendum, das möglicherweise den Austritt doch noch verhindern kann.

Wir alle wissen, dass das Vereinigte Königreich am 29. März 2017 seine Absicht zum Austritt aus der EU erklärt hat. Seither läuft das sogenannte Austrittsverfahren. Als Rechtsfolge dieser Austrittserklärung ergibt sich der Austritt des Vereinigten Königreiches spätestens zwei Jahre nach der Anzeige oder, wenn es ein Austrittsabkommen gibt, nach dessen Inkrafttreten.

Dieses Austrittsabkommen - Sie haben das alle verfolgt - ist mehr als mühsam erarbeitet worden. Es war geboten und notwendig, viel Kraft und Zeit in diese Verhandlungen zu stecken. Es geht dabei ja nicht nur um Arbeitsverhältnisse und um ge

schäftliche Beziehungen. Es geht nicht nur um Reisefreiheit oder um Zollbestimmungen. Es geht auch um die Grenze zwischen Nordirland und Irland sowie um mögliche Konflikte, von denen ich gehofft hatte, dass sie eigentlich längst der Vergangenheit angehören würden.

Alle Beteiligten waren sicher, dass es gut und sinnvoll ist, den Austritt Großbritanniens unter bestimmten Spielregeln durchzuführen. Es liegt jetzt in der Hand der Briten, über ihren weiteren Weg zu entscheiden.

Politisch sind das, wenn man es positiv benennen will, spannende Zeiten. Aber was da gerade in Großbritannien geschieht, wirkt manchmal doch chaotisch oder hilflos. Genau diesen Eindruck darf und sollte Politik aber nicht hinterlassen. Es darf nicht chaotisch sein. Die Menschen auf beiden Seiten des Kanals erwarten eine Lösung. Die muss sinnvoll und gut sein, vielleicht auch pragmatisch, jedenfalls zum Nutzen der Menschen, zum Nutzen der Briten, die in Deutschland arbeiten, zum Nutzen der Deutschen, die in Großbritannien arbeiten, aber auch zum Nutzen von Unternehmen, die Handelsbeziehungen mit Großbritannien unterhalten.

Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir uns wünschen, dass sich die Briten - wenn es nun schon zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU kommen muss - entscheiden, dem Austrittsabkommen zuzustimmen und damit wenigstens einen geregelten Austritt zu gewährleisten.

Für den Fall, dass das geschieht, gibt es den vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bin sehr froh, dass die Landesregierung nicht die Abstimmung im britischen Unterhaus abgewartet hat, sondern uns schon jetzt den Entwurf für den Übergangszeitraum im Falle des geregelten Austritts zur Beratung vorgelegt hat. So können wir rechtzeitig dafür sorgen, dass es Spielregeln gibt.

Grundsätzlich sieht der Entwurf des Austrittsabkommens vor, dass alle Vorschriften unseres Landesrechts vom Austrittsabkommen umfasst sind. Es kann aber nicht sicher davon ausgegangen werden, dass dies der Fall sein wird. Dies wird auch auf der Bundesebene so betrachtet. Deshalb wird auch im Bundestag über Übergangsregeln nachgedacht und beraten. Für uns in Niedersachsen ist es notwendig, ein Übergangsregelwerk zu schaffen.

Wir sollten dafür Sorge tragen, den Übergangszeitraum bis zum Austritt des Vereinigten Königreiches

möglichst rechtssicher zu gestalten, damit es eben nicht chaotisch wird, sondern gut. Sollte sich das britische Unterhaus gegen das Austrittsabkommen entscheiden, ist es trotzdem notwendig, dass wir eine Lösung finden. Dann ist umsichtiges und professionelles Handeln gefordert. Es kann ja auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich in ein oder zwei Monaten in Großbritannien die Einsicht durchsetzen wird, dass doch eine Regelung erforderlich ist. Vielleicht wäre es dann zu spät, in ein Gesetzgebungsverfahren einzusteigen. Auch für diesen Fall ist es daher notwendig, den Gesetzentwurf zu beraten.

Es ist gut, zu wissen, dass das Ministerium alle möglichen Situationen durchdacht und die notwendigen Vorkehrungen getroffen hat. Der sogenannte ungeregelte Brexit würde uns vor eine Menge von Aufgaben stellen. Die unmittelbar Betroffenen bräuchten umso mehr Unterstützung.

Es gibt viel zu tun. Wir dürfen auf die weiteren Entwicklungen und auf die Beratungen im Ausschuss, die sich daraus ergeben werden, gespannt sein.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Unruhe)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schüßler. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zu unruhig im Plenum. Wir haben noch mehr als drei Tage vor uns. Disziplin muss gewahrt bleiben, auch schon am ersten Tag. - Herr Kollege Schönecke, Ihr Gesprächspartner möchte unbedingt der Sitzung folgen!

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, als nächster Redner spricht Kollege Dragos Pancescu, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte sehr!

(Christian Grascha [FDP]: Will die Landesregierung den Gesetzentwurf nicht einbringen? Das ist doch ein Gesetzentwurf der Landesregierung! - Gegenruf von Helge Limburg [GRÜ- NE]: Sie hat zu ihrem Gesetzentwurf noch keine Meinung!)

Ich bin aber sprechfähig. Kein Problem!

Herr Kollege Grascha, ich hatte eingangs gefragt, ob die Landesregierung den Gesetzentwurf einbringen will. Bis dahin lag keine Wortmeldung vor. Mittlerweile liegt etwas vor. - Sie sind dran, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die unendliche Geschichte“, „House of Chaos“, „Die Entmachtung von Theresa May“, „Take back control“, „Die Machtübernahme des Parlaments“ oder „Die finale Schlacht“ - diese Schlagzeilen liest man heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man auf Großbritannien schaut, wie dort über den Brexit geredet wird.

Vor dem Hintergrund dieser unüberschaubaren politischen Entwicklung in Großbritannien ist es wirklich sehr wichtig für uns in Europa und für uns in Niedersachsen, Klarheit und Rechtssicherheit zu haben. Wir brauchen Klarheit über die Folgen des Austritts Großbritanniens und Rechtssicherheit für die Übergangszeiten nach dem Brexit. Allerdings sprechen wir hier im Land, wie schon im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs vermerkt ist, und spricht auch der Bund von einem geregelten Brexit. Ob ein EuGH-Urteil London beeindruckt, werden wir sehen.

Leider ist die gesamte Entwicklung des Brexit wie eine Show im Privatfernsehen. Ich werde sehr stark an die Show „Deal or no Deal“ erinnert. Für diese SAT.1-Show wird damit geworben, dass in ihr Glück, Risikobereitschaft und Nervenstärke zählten und die Zockerherzen höher schlügen.

Solche Formate, liebe Kolleginnen und Kollegen, mögen im Privatfernsehen Quote bringen, sind allerdings für die Zukunft Europas verheerend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher ist es richtig, für einen geregelten Austritt Großbritanniens vorbereitet zu sein. Ein Übergangsgesetz, welches alle Belange Niedersachsens einbezieht, unterstützen wir. Das im Gesetzesvorschlag erwähnte Beteiligungsverfahren finden wir aber zumindest fragwürdig, da sich unter den 21 aufgeführten angeschriebenen Stellen keine Umweltverbände oder Verbraucherschutzstellen befinden,

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Schlimm!)

obwohl in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung und der Ministerien in § 31 Abs. 1 Satz 2 steht, dass anderen Stellen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden kann, soweit dies im öffentlichen Interesse geboten ist. Da hätte ich mir in Zeiten alternativer Wahrheiten und der Leugnung des Klimawandels von der Landesregierung mehr Fingerspitzengefühl im Beteiligungsverfahren gewünscht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Klimaschutz und Verbraucherschutz liegen im öffentlichen Interesse, liebe Landesregierung.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Allerdings!)

Sehr geehrte Damen und Herren, heutzutage gibt es sehr viel Ungewissheit in Europa. Lassen Sie uns aus Niedersachsen zusammen Zuversicht und Hoffnung verbreiten!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir danken auch, Herr Kollege Pancescu. - Jetzt spricht für die FDP der Abgeordnete Kortlang. Bitte!

Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen, meine Herren! „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ - das ist der Leitsatz der Optimisten. Aber auch ein Optimist muss sich auf das, was folgt und nach seinen Vorstellungen manchmal gar nicht wahr sein kann, vorbereiten. Das haben wir hiermit getan.

Der erste Lichtblick kam heute Morgen, als ich auf dem Weg zum Plenum war: Die Schotten waren mit ihrem Versuch, eine Brücke zu bauen, erfolgreich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!)

Der EuGH hat vor wenigen Stunden entschieden - das haben meine Vorredner auch schon gesagt -, dass Großbritannien die Reißleine ziehen kann. Der Antrag auf Austritt aus der EU kann zurückgezogen werden. Ich kann Ihnen sagen: Ich wäre begeistert, meine Freude wäre unendlich, wenn sich die Briten quasi in letzter Minute noch dazu entschließen könnten. Manchmal siegt ja die Vernunft.

Natürlich - das muss man sagen - waren die vergangenen zwei Jahre anstrengend, insbesondere für die Verhandlungsführer. Sie waren aber, im Nachhinein betrachtet, nicht völlig umsonst. Diese zwei Jahre haben auch dem Letzten sehr deutlich gemacht, welchen Schatz wir eigentlich mit diesem vereinten Europa haben. Bisher haben wir diesen Schatz versteckt oder ihn so sehr als selbstverständlich angesehen, dass er manchmal sogar uns selbst nicht gewärtig war.

Europa kann mit den beiden Rivalen China und USA durchaus mithalten. Mit Großbritannien liegen wir sogar vor diesen beiden Rivalen. Europa hat wenig Bodenschätze, das europäische Bruttoinlandsprodukt ist aber durchaus als stabiler zu betrachten. Leider wird nicht immer nach denselben Regeln gerechnet. Wenn man die Statistiken sieht, so klafft manchmal eine Lücke von 5 Billionen Dollar zwischen den USA und China, und dazwischen liegen wir, Deutschland, die EU.

Mir kommt es darauf an, zu zeigen, dass Europa in der Welt ein viel größeres Gewicht hat. Wir müssten uns eigentlich mehr zutrauen, um es noch mehr nach vorn zu bringen. Europa hat nämlich gezeigt, dass man gemeinsam viel bewegen kann und weiterkommt.

Das war mein allgemeines Statement. Nun komme ich zum Gesetzentwurf.

Natürlich brauchen wir einen Plan, wenn der Brexit dennoch kommt. Wenn Großbritannien tatsächlich den Antrag stellen und austreten sollte, kann man nur sagen: Herr vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.

Die Liste der zu Beteiligenden ist, wie wir gesehen haben, lang. Leicht ist gesagt, man tritt aus. In den letzten zwei Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass kaum jemandem klar war, was ein EU-Austritt bedeutet, dass er ganz und gar nicht mit dem Austritt aus einem Verein oder einer Partei zu vergleichen ist, wie sich das wohl einige vorgestellt haben. Deshalb gab es auch nach dem Referendum zunächst einmal gar keinen Plan. Von den entsprechenden Herren hat man gar nichts gehört. Sie haben wohl überhaupt nicht damit gerechnet, dass es so kommt.