Protokoll der Sitzung vom 28.02.2019

Natürlich brauchen wir für eine erfolgreiche Umsetzung der Inklusion auch kleinere Klassen und eine gute Unterrichtsversorgung.

Wir müssen eine Diskussion nicht nur über die Frage führen, wie wir mehr Sonderpädagogen gewinnen - es mutet schon schwierig an, dass es für Lehrkräfte, die sich zu Sonderpädagogen weiterbilden wollen, keine Fortbildungen mehr gibt, obwohl der Mangel an Sonderpädagogen eklatant ist -, sondern wir brauchen auch eine Diskussion darüber, wie wir diesen Mangel verwalten, wenn wir ihn schon nicht ad hoc beheben können.

Ist es nach wie vor der richtige Ansatz, die sonderpädagogische Grundversorgung in den Grundschulen dadurch herzustellen, dass jeder Klasse pauschal zwei Sonderpädagogenstunden zugewiesen werden? Es gibt doch Grundschulen mit einem höheren Bedarf und Grundschulen mit einem geringeren Bedarf. Zwischen diesen Schulen müssen wir einen Ausgleich schaffen, um das einzelne Kind besser fördern zu können.

Ist es richtig, dass das Kultusministerium den Schulen jetzt mit auf den Weg gegeben hat, dass die personenbezogene Zuweisung von Sonderpä

dagogen von bis zu einem Sechstel nicht mehr individuell für das Kind, sondern generell für die sonderpädagogische Versorgung, Begutachtung, Förderung in der Schule zu verwenden ist? - Ich finde, das ist nicht richtig.

(Glocke der Präsidentin)

Richtig wäre es gewesen, dies den Schulen zusätzlich zur Verfügung zu stellen, ohne die sonderpädagogische Versorgung bei den einzelnen Kindern zu kürzen.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Sie sehen, dass sehr viele Hausaufgaben noch nicht erledigt sind.

Mir ist noch einmal daran gelegen, deutlich zu machen, dass wir nicht die Inklusion infrage stellen, sondern dass wir die Inklusion in unseren Schulen besser machen wollen. Am Ende werden sich die Eltern für die Förderschule oder für die Inklusion zu entscheiden haben. Und da sage ich Ihnen: Wenn es uns gelingt, die Rahmenbedingungen zu verbessern, werden sich mehr Eltern für die Inklusion entscheiden,

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Julia Willie Hamburg [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Försterling. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Stefan Politze. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Försterling, ich bin Ihnen für Ihre Rede dankbar. Aber mir bauen sich auch Fragezeichen im Kopf auf. Sie haben auf der einen Seite den Kompromiss beschworen, aber auf der anderen Seite für Doppelstrukturen argumentiert. Das finde ich ein wenig schade; denn Doppelstrukturen bringen uns nicht weiter. Und Sie haben auch nicht aufgezeigt, was Ihre Alternative zu unserem derzeitigen System wäre.

In wenigen Tagen, am 26. März 2019, jährt sich die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention zum zehnten Mal. Zehn Jahre Menschenrecht auf Inklusion weltweit! Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen. Die politische Diskussion war

häufig zu sehr durch plakative oder voreilige Forderungen, leichtfertige Versprechungen und pauschale Vorurteile bestimmt, und das hat die konstruktive Weiterentwicklung „behindert“ - ich wähle diesen Begriff bewusst - bzw. die Inklusion zumindest deutlich erschwert. In der Diskussion fehlte oft die fachliche Expertise. Mit dem Ergebnis können und dürfen wir nicht zufrieden sein.

Insbesondere eignet sich die Inklusion nicht als Spielfeld für politische Auseinandersetzungen und Parteienstreit. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist einem Menschenrecht nicht würdig.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Seit dem 16. Januar 2018, also seit über einem Jahr, liegt uns ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Auf dieser Grundlage haben wir als Regierungsfraktionen versucht, gemeinsam mit der FDP und den Grünen einen Weg zu besseren Rahmenbedingungen zu beschreiten. Die Ergebnisse der letzten Monate waren leider ernüchternd, weil es keine Rückmeldungen mehr zu dem Antrag gab. Deswegen möchte ich hier noch einmal die Einladung aussprechen, die gemeinsamen Beratungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen fortzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir bekennen uns erneut dazu, dass wir zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einen breiten parlamentarischen Konsenses benötigen und auch herstellen wollen. Darin sehen wir eine wesentliche Voraussetzung für die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz und für die Bereitschaft, in die notwendige Ausgestaltung zu investieren.

Inklusion braucht einen bildungs- und schulpolitischen Konsens sowie ein entschiedenes und verantwortliches Eintreten für ein inklusives System. Dabei sind wir auf die fachliche Expertise angewiesen und sollten sie nicht leichtfertig beiseite wischen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir müssen weitere Irritationen im öffentlichen Diskussionsprozess verhindern und die geeigneten quantitativen, aber auch qualitativen Rahmenbedingungen schaffen bzw. das fortsetzen, was wir bereits begonnen haben. Im Jahr 2014 haben wir die Studienplatzkapazitäten verdoppelt. Im Jahr 2015 haben wir die Schulsozialarbeit als Landesaufgabe anerkannt. Im Jahr 2016 haben wir mit

der Schaffung von multiprofessionellen Teams, die Herr Försterling beschrieben hat, begonnen. Mit dem Haushalt 2019 haben wir dafür Sorge getragen, dass wir diesen Weg von Multiprofessionalität und Schulsozialarbeit weiter beschreiten.

Aber wir brauchen auch weiterhin differenzierte gesetzliche und untergesetzliche Regelungen, und zwar für folgende Themenbereiche: für ein wirksames Unterstützungssystem, für einen weiteren Ausbau der multiprofessionellen Teams, für einen weiteren Ausbau der Schulsozialarbeit, für die notwendige Ausstattung in den Schulen, für die Klärung der Schrittfolge beim weiteren Vorgehen und für eine effiziente Aufgaben- und Rollenverteilung.

Meine Damen und Herren, Inklusion ist, wie uns die Erfahrung lehrt, kein Nullsummenspiel, bei dem alle Förderschüler und deren Lehrkräfte nach und nach in die allgemeinen Schulen überführt werden. Nein, Inklusion ist eine Herausforderung und der Maßstab einer menschlichen Gesellschaft.

Ich will darauf hinweisen, dass uns im Rahmen des Haushalts bzw. der Mipla 1,9 Milliarden Euro für die Inklusion zur Verfügung stehen. Uns stehen pädagogische Mitarbeiter zur Unterrichtsbegleitung in Höhe von 1 100 Vollzeiteinheiten und pädagogische Mitarbeiter in therapeutischer Funktion in Höhe von 265 Vollzeiteinheiten zur Verfügung. Die Zahl der Lehrerstunden für Sonderpädagogik ist von 8 320 Stunden im Jahr 2011 auf über 56 000 Stunden angestiegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns die Chancen nutzen, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren und zu einer gelingenden Inklusion in Niedersachsen zu kommen. Uns als Regierungsfraktionen ist sehr daran gelegen, mit FDP und Grünen weiter darüber im Gespräch zu sein, um eine verlässliche Inklusion zum Wohle der Schülerinnen und Schüler auf den Weg zu bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Mareike Wulf, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn Folgendes festhalten: Die Inklusion ist ein viel

zu wichtiges Anliegen, als dass sie scheitern dürfte. Deshalb war es richtig, dass wir uns den Antrag der Grünen daraufhin angeschaut haben, welche Punkte wir daraus nehmen können, um auf der Basis des Inklusionskompromisses, den SPD und CDU jetzt gefunden haben, die gesetzlichen Rahmenbedingungen weiter zu gestalten.

Daran, dass Inklusion gelingt, arbeiten jeden Tag viele Menschen - in unseren Schulen, in der Kommunalverwaltung, aber auch in unserer Schulverwaltung. Daher lässt es uns natürlich aufhorchen - da gebe ich dem Kollegen Försterling recht -, dass die Integrierten Gesamtschulen in Hannover erklären, dass sie mit der Inklusion überfordert seien. Denn gerade die Integrierten Gesamtschulen waren die Schulen, bei denen man davon ausgegangen ist, dass sie aufgrund ihres besonderen pädagogischen Konzeptes dort ihre Stärke haben. Das zeigt uns erneut, dass wir einen sehr realitätsnahen Weg hin zur inklusiven Schule finden müssen - einer inklusiven Schule, bei der der Elternwille und das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen.

Inklusion kann nicht einfach per Gesetz verordnet werden. Darin sind wir uns sicherlich alle einig. Inklusion erfordert eine Haltung. Inklusion erfordert eine Gesellschaft, die Inklusion auch will. Und Inklusion erfordert vor allen Dingen Ressourcen. Deshalb ist sie eine kultuspolitische Mammutaufgabe - der sich das Kultusministerium aber auch stellt, indem im Zeitraum von 2018 bis 2022 insgesamt 1,9 Milliarden Euro für zusätzliche Lehrer, für pädagogische Mitarbeiter, für die Weiterbildung, aber auch für den Schulbau und die Umgestaltung von Schulgebäuden zur Verfügung gestellt werden.

Da wir wissen, dass derzeit nicht ausreichend Lehrkräfte auf dem Markt verfügbar sind, haben wir schon mit dem Nachtragshaushalt 2018 3 Millionen Euro für die Ausbildung vor allen Dingen von zusätzlichen Sonderpädagogen zur Verfügung gestellt. Außerdem haben wir mit der politischen Liste zum Haushalt 2019 50 Stellen für weitere multiprofessionelle Teams zur Verfügung gestellt. Das hatten wir im Koalitionsvertrag ebenso vereinbart wie die Schaffung einheitlicher Standards für Schulbegleiter, die Herr Försterling gerade erwähnt hat.

In der Vergangenheit war es durchaus möglich, in Sachen Inklusion fraktionsübergreifend zu arbeiten. Es war gut, dass wir 2012 mit einer breiten Mehrheit dieses Hauses eine Entscheidung zur inklusiven Schule getroffen haben. Ich finde es

sehr bedauerlich, dass dies in der letzten Legislaturperiode nicht aufrechterhalten werden konnte, wobei ich nicht verhehle, dass die CDU mit vielen Entscheidungen der vergangenen Legislaturperiode nicht einverstanden war.

Deshalb halte ich es für einen sehr wichtigen und richtigen Schritt, dass SPD und CDU nun einen Inklusionskompromiss erzielt haben: Wir haben die Förderschulen zeitlich verlängert und damit eine pragmatische Lösung gefunden. Wir haben vereinbart, dass keine weitere Förderschulform abgeschafft wird. Wir wollen den Schulträgern regionale Inklusionskonzepte ermöglichen, was insbesondere den Grundschulen helfen kann. Aus Sicht der Union kann so der freie Elternwille gewährleistet werden.

Wir tragen mit diesen Maßnahmen auch dazu bei, dass die Regelschulen nicht überfordert werden. Umso bedauerlicher finde ich es, dass gerade von der Möglichkeit, Lerngruppen zu bilden, z. B. an den sogenannten Brennpunktschulen in Hannover nicht Gebrauch gemacht wurde. Schließlich wäre das ein Weg gewesen, damit umzugehen.

Darüber hinaus dürfen wir natürlich nicht nachlassen, unsere Bemühungen um die Akzeptanz der Inklusion in der Gesellschaft zu stärken. Dabei müssen für uns das Kindeswohl und der Elternwille im Mittelpunkt stehen. Es geht vor allen Dingen darum, die Ausstattung der Schulen zu verbessern und die rechtlichen Rahmenbedingungen klar zu definieren. Daran werden SPD und CDU weiter arbeiten.

Ich möchte alle Fraktionen noch einmal einladen, sich an der Diskussion um den gemeinsamen Antrag zu beteiligen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Julia Willie Hamburg, bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst einmal herzlich dafür bedanken, dass wir hier weiterhin die Gestaltungsdebatte führen und nicht der Versuchung erliegen, zur Strukturdebatte zurückzukehren. Es ist unser aller Ziel, dass die Inklusion gelingt. Ich bin sehr dank

bar für die Ernsthaftigkeit dieser Debatte und für die gemeinsamen Bemühungen, eine Lösung zu finden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Die Umsetzung der inklusiven Schule stellt jeden Tag viele Menschen vor neue Herausforderungen. Es ist ein Systemwechsel, es ist ein Umdenken an Schule. Dieser Systemwechsel gelingt - das wissen wir alle - vor Ort sehr, sehr unterschiedlich.

Die ungleiche Verteilung der Kinder mit Förderbedarf auf die Schulen ist schon lange absehbar gewesen. Eigentlich hätten die Oberschulen und die Hauptschulen anhand der derzeitigen Zahlen Alarm schlagen müssen; denn sie sind deutlich belasteter als die IGSen. Aber auch die IGSen - gerade in Hannover und Göttingen - haben doppelt so viele Kinder mit Förderbedarf wie etwa der Durchschnitt aller anderen Schulen in Niedersachsen. Das muss tatsächlich zu denken geben.

Wir als Politik und Verwaltung müssen uns auch ankreiden lassen, dass wir es versäumt haben, hier frühzeitiger zu reagieren und angemessene Lösungen zu finden - die ja übrigens bereits im politischen Raum sind. Etwa die Verteilung von Ressourcen anhand eines Sozialindex, worüber wir gerade im Landtag diskutieren, wäre eine gute Möglichkeit, insbesondere Schulen mit besonderen Belastungen hier zu entlasten und ihnen Freiräume für pädagogische Möglichkeiten zu geben. Aber auch die von Herrn Försterling angesprochene Maßnahmen, wie etwa die Möglichkeit, Inklusionsassistenten zu poolen oder multiprofessionelle Teams auszubauen, müssen wir sicherlich dringend angehen.