Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

In unserem Vorschlag zur Basisrente, den die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag vorgelegt hat, schlagen wir einen eigenen Freibetrag vor, der Flexibilität schafft, sodass derjenige, der immer in Vollzeit gearbeitet hat, auch mehr von der gesetzlichen Rente erhält.

Es gibt aber noch eine weitere Gerechtigkeitsfrage in Deutschland, und zwar die Frage der Leistungsgerechtigkeit. Häufig setzt hierbei das Steuer- und Abgabensystem in Deutschland falsche, nämlich leistungsfeindliche Anreize. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor Kurzem eine Studie zum Thema Grenzbelastung veröffentlicht. Es ist ganz interessant, zu sehen, wie sich das auswirkt. Denn hiervon sind insbesondere Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen betroffen. Als Beispiel

wird die Grenzbelastung eines Mindestlohnempfängers genannt: Ein Arbeitnehmer bekommt den Mindestlohn und verdient brutto 1 600 Euro. Hat er es dann geschafft, sich aus dieser Situation herauszuarbeiten, hat er vielleicht einen Aufstieg geschafft und eine Lohnerhöhung erhalten - beispielsweise 100 Euro -, dann darf er von diesen 100 Euro aufgrund des Abgabensystems nur 53 Euro behalten. Das ist aus unserer Sicht leistungsfeindlich. Hier werden Menschen, die fleißig sind und etwas mehr verdienen, bestraft. Über diese Fragen müssen wir sprechen. An der Stelle geht es also auch um Leistungsgerechtigkeit.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Klaus Wichmann [AfD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht muss der Sozialstaat also zielgenauer werden. Leistung muss sich lohnen und belohnt werden.

Frau Guth, bei Ihrem Vortrag habe ich mich gefragt: Wo sind eigentlich Ihre Lösungen? - Das war relativ dünn bzw. Fehlanzeige.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Gar nichts!)

Aber es ist ja auch logisch, dass das dünn ist; denn Sie leben ja von diesen Problemen. Wir wollen diese Probleme lösen, und Sie leben davon. Deswegen ist von Ihnen auch keine Problemlösung zu erwarten.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von der CDU)

Einer Ihrer Kollegen, Frau Guth, hat in dieser Woche gesagt, dass die AfD die Partei ist, die patriotisch und sozial ist. Bei diesen Begriffen ist mir sehr schnell ein Zitat des Altbundespräsidenten Christian Wulff von diesem Dienstag eingefallen. Christian Wulff hat nämlich vor dem „Verschwimmen der Grenzen zwischen Patriotismus und Nationalismus“ gewarnt. „Dieser habe Deutschland immer ins Unglück geführt.“ Frau Guth, auf genau diesem Weg befinden Sie sich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Nun hat das Wort für die Landesregierung Frau Sozialministerin Dr. Reimann. Bitte, Frau Ministerin!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Auseinandersetzung in der Sozialpolitik verläuft nicht zwischen den vermeintlich gefüllten öffentlichen Kassen auf der eine Seite und privater Armut auf der anderen Seite. Diese Aussage ist viel zu einfach bzw. schlicht falsch.

Wir haben in Niedersachsen aktuell eine sehr hohe Zahl von Erwerbstätigen, nämlich 4,1 Millionen. Gleichzeitig sinkt die Armutsgefährdung. Das wissen wir aus unserer Handlungsorientierten Sozialberichterstattung Niedersachsen. Derzeit liegen wir mit 15,8 % im Bundesdurchschnitt. Besonders freut mich der leichte Rückgang der Armut bei den Alleinerziehenden und bei Menschen mit Migrationshintergrund. Der Grund dafür ist, dass sie Arbeit finden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dieser Armutsquote finden wir uns aber nicht ab. Deshalb waren wir in Niedersachsen auch Vorreiter mit unserem Förderprogramm für Langzeitarbeitslose. Der Bund knüpft seit Jahresbeginn mit dem Teilhabechancengesetz an unsere niedersächsischen Erfahrungen an. Vor allem ein Coaching ist ein wichtiger Schritt zur Nutzung der Verwirklichungschancen.

Wir haben auch die Kindergartengebühren abgeschafft. Dadurch haben nicht nur alle Kinder einen gebührenfreien Zugang zu frühkindlicher Bildung, sondern auch die Familien Monat für Monat mehr Geld für andere wichtige Ausgaben.

(Beifall bei der SPD)

Der Bund wird für 90 % der Menschen den Solidaritätszuschlag abschaffen. Das entlastet besonders die mittleren Einkommensgruppen und damit die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unserer Gesellschaft. Als Nächstes erwarte ich von der Bundesregierung einen Vorschlag zur Verbesserung der Renten - Stichworte „Grundrente“ -; der Abgeordnete Lottke hat dazu schon ausgeführt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit kümmern wir uns um alle Menschen, die unsere Aufmerksamkeit brauchen. Wir wollen nicht pauschal Geld weitergeben, sondern gezielt da fördern, wo es Bedarfe gibt. Wir fördern frühkindliche Bildung und Familien und verbessern damit die Chancengerechtigkeit für unsere Kinder. Aber wir helfen auch denjenigen, die trotz der guten wirt

schaftlichen Gesamtsituation auf dem Arbeitsmarkt nicht von allein Fuß fassen können.

Meine Haltung ist, mit konkreten Schritten zu deutlichen Verbesserungen zu kommen. Zurzeit erarbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung Niedersachsens Wege zu einer Kindergrundsicherung. Wir wollen die Leistungen vereinfachen und dafür sorgen, dass jedes Kind die Chance auf ein gutes Aufwachsen erhält.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Jörg Hillmer [CDU])

Wir helfen auch den Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen. Dafür geben wir 20 Millionen Euro in das Programm „Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum“. Darüber hinaus fördern wir Investitionen nach dem Landespflegegesetz mit jährlich 55 Millionen Euro.

Alleinerziehenden bieten wir Unterstützung durch unser Arbeitsmarktprogramm FIFA. Über die erfreulichen Ergebnisse habe ich ja schon berichtet. Wir unterstützen Familien und helfen Kindern, denen es nicht so gut geht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wirklich wichtige Frage in der Sozialpolitik ist, wie es gelingen kann, dass die vielen neuen Herausforderungen nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Denn manche betrachten die Digitalisierung als Gefahr für ihren Arbeitsplatz. Für andere sind die IT-Verfahren eine enorme Erleichterung ihrer Arbeit. Einige freuen sich auf das Alter, und andere fragen sich, ob ihre Rente für ein sicheres Alterseinkommen ausreicht. Viele schauen gerade auch mit Sorge auf den Klimawandel und fragen sich, was Umweltschutz für sie, aber auch für ihre Beschäftigung bedeutet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, wir dürfen es nicht zu einer Spaltung kommen lassen, sondern müssen Politik so gestalten, dass wir Ängste ernst nehmen, ohne neue Entwicklungen zu verteufeln. Bildung, Gesundheitsversorgung, materielle Sicherheit und soziale Sicherheit, eine Sozialpolitik, die für alle in der Gesellschaft gerechte Chancen für ein sicheres und gutes Leben gewährleistet - das sollte unsere gemeinsame Haltung sein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung von Anja Piel [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Bevor ich den Antrag der FDP-Fraktion für die Aktuelle Stunde aufrufe, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Unterrichtung zum Fall Walter Lübcke heute als erster Punkt unmittelbar nach der Mittagspause aufgerufen werden wird.

Ich rufe nun auf

b) Schuldenbremse ziehen statt lockern - GroKo-Streit zulasten der nächsten Generation - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/3972

Dazu erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Dr. Birkner, das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Höhe der Schulden, die wir unseren künftigen Generationen überlassen, ist für uns als Freie Demokraten von zentraler Bedeutung. Denn es geht hierbei um die Frage der Generationengerechtigkeit, es geht um die Frage, welche Chance eigentlich künftige Generationen noch haben, inwieweit sie in der Lage sein werden, Politik tatsächlich noch zu gestalten, und es geht eben um unsere Verantwortung diesen künftigen Generationen gegenüber.

(Beifall bei der FDP)

Das ist übrigens etwas, was wir in anderen Bereichen in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutieren. So wie es auf der einen Seite um ökologische Lasten geht, die wir überlassen und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, geht es auf der anderen Seite um finanzielle Lasten, mit denen wir uns befassen müssen.

Hier sehen wir, dass in der Haushaltspolitik des Landes Niedersachsen, wie aber eigentlich auch bundesweit dringend eine Kehrtwende nötig ist. Denn es ist bisher nicht gelungen, tatsächlich zu einem konsequenten Schuldenabbau zu kommen. Niedersachsen hat weiterhin über 60 Milliarden Euro Schulden - eine Last, die von künftigen Generationen schwer zu tragen sein wird.

Deshalb halten wir eine harte Schuldenbremse für absolut notwendig. Es wird also höchste Zeit, dass

wir auch in Niedersachsen zu einer entsprechenden Regelung kommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir als FDP-Fraktion haben dazu bereits im Februar 2018 einen Entwurf vorgelegt, nämlich die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung, verbunden mit einer verbindlichen Regelung für die Tilgung.

Die Landesregierung hat knapp eineinhalb Jahre gebraucht, Herr Hilbers, um endlich Ihren Ansprüchen, die Sie noch in der letzten Legislaturperiode formuliert haben, Taten folgen zu lassen und einen eigenen Entwurf vorzulegen, der allerdings unseren Anforderungen - das haben wir schon bei der Einbringung deutlich gemacht - bei Weitem nicht genügt. Aber immerhin hat er eine Zweidrittelmehrheit für den Fall vorgesehen, dass Abweichungen im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen erforderlich werden sollten. Das ist wenigstens etwas anspruchsvoller als das, was - zum Vergleich - etwa im Bund vorgesehen ist.

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu - ich zitiere -:

„Um eine exzessive Inanspruchnahme dieser Ausnahmevorschrift zu vermeiden, ist für die Entscheidung über ihre Nutzung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages erforderlich.“

(Christian Grascha [FDP]: Aha!)

Sehr richtig, Herr Minister und Herr Ministerpräsident, was Ihre Landesregierung in diesen Entwurf, in diese Initiative, die sie beschlossen hat, eingebracht hat. Dies ist ja von Ihnen, von der Landesregierung, vertreten und beschlossen worden.

Aber - das ist auch der Anlass für unseren Antrag zur Aktuellen Stunde - diese gemeinsame Linie wird jetzt offen von der SPD infrage gestellt, was einmal mehr zeigt, meine Damen und Herren, dass das Geld der Bürgerinnen und Bürger in den Händen der Sozialdemokraten nicht gut aufgehoben ist; denn ein verantwortungsvoller Umgang kann hier nicht erwartet werden.

(Beifall bei der FDP und bei der AfD)

Der Versuch, zu einer einfachen Mehrheit zu kommen, um diese Ausnahmeregelungen zu ziehen, bedeutet am Ende eine Aushöhlung der Schuldenbremse, wie wir sie für Niedersachsen vorgesehen haben und wie sie angesichts des

Schuldenstandes und der Lasten, die wir künftigen Generationen zu überlassen drohen, dringend nötig ist.

Deshalb ist es für uns nicht akzeptabel, dass es zu einer solchen Ausweitung kommt und dass dann genau das eintritt, was Sie ja selbst in Ihrer Begründung des Gesetzentwurfs als Kabinett ausgeschlossen haben, dass nämlich am Ende der Weg für eine exzessive Inanspruchnahme dieser Ausnahmevorschrift bereitet wird.