Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

Deshalb ist es für uns nicht akzeptabel, dass es zu einer solchen Ausweitung kommt und dass dann genau das eintritt, was Sie ja selbst in Ihrer Begründung des Gesetzentwurfs als Kabinett ausgeschlossen haben, dass nämlich am Ende der Weg für eine exzessive Inanspruchnahme dieser Ausnahmevorschrift bereitet wird.

(Christian Grascha [FDP]: So ist es!)

Das werden wir nicht hinnehmen!

Jetzt können Sie natürlich den Einwand bringen, dass dann, wenn sich eine Landesregierung einmal auf so etwas verständigt hat und es in das Parlament einbringt, das berühmte Struck‘sche Gesetz greift: Kein Gesetz kommt so aus dem Parlament heraus, wie es eingebracht wurde. - Dies gilt aber eigentlich nur, meine Damen und Herren, wenn man normale, funktionierende parlamentarische Verhältnisse hat. Die haben wir hier aber nicht. Frau Modder und Herr Toepffer sitzen ja am Kabinettstisch, was eine sehr ungewöhnliche und sehr weitgehende Verschränkung der parlamentarischen Tätigkeit mit der Regierungstätigkeit darstellt. Mit anderen Worten: Die Fraktionsvorsitzenden haben doch bei der Beschlussfassung über diesen Gesetzentwurf mitgewirkt und die Zweidrittelmehrheit für richtig befunden.

(Christian Grascha [FDP]: So ist es!)

Insofern kann dieser Einwand allenfalls eine Ausrede sein. Sie haben in den parlamentarischen Beratungen für sich längst schon hingenommen, dass dieser Entwurf genau so, wie er von der Regierung formuliert wurde, beschlossen werden wird. Sonst würden doch die Fraktionsvorsitzenden dort gar nicht mitwirken.

Meine Damen und Herren, dieser Vorgang - und das ist der politische Kern des Ganzen - ist bezeichnend für den Zustand dieser Koalition. Sie können sich offensichtlich nicht aufeinander verlassen. Das, was Sie vereinbart haben, hat offensichtlich keinen Bestand. Nicht einmal das, was innerhalb eines Kabinetts, innerhalb der Landesregierung unter Mitwirkung der Fraktionsvorsitzenden beschlossen und in den Landtag eingebracht wurde, hat offensichtlich Bestand, sondern wird infrage gestellt, um wieder in die alte Schuldenpolitik zurückzufallen.

Mit anderen Worten: Diese Landesregierung hat in einem wesentlichen Politikfeld keine gemeinsame Linie, und jeder versucht, für sich parteipolitischen Profit daraus zu ziehen. Deshalb kann ich, weil wir wissen, dass die haushaltspolitische Verantwortung bei ihnen wenigstens etwas mehr ausgeprägt ist als bei der SPD; insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der CDU nur bitten, standhaft zu bleiben und Herrn Minister Hilbers bei allen Problemen, die Sie auch miteinander haben, in seinem Bemühen zu unterstützen, eine etwas striktere Schuldenbremse umzusetzen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Als Nächster spricht nun Herr Kollege Lilienthal, AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Schuldenbremse. Dass wir das allerdings im Rahmen einer Aktuellen Stunde tun, ist nichts anderes als ein Armutszeugnis. Eigentlich wollten wir heute abschließend über den Gesetzentwurf der Landesregierung beraten.

Wie kam es dazu? Eigentlich war alles klar. Der Gesetzentwurf sollte ins Juni-Plenum getragen werden. Deshalb sollte übrigens auch die Anhörung besonders schnell durchgeführt werden. Es wurde unheimlich aufs Gas getreten. Das hat sogar dazu geführt, dass Anzuhörende gesagt haben, sie könnten es über die Osterfeiertage nicht schaffen, auch noch alle drei Änderungsanträge dazu zu lesen, sodass diese Änderungsanträge nicht in die Anhörung einbezogen werden konnten. Es ging also um Geschwindigkeit. Ein wichtiger Schritt sollte gemacht werden.

In der Anhörung hat sich dann ergeben, dass diese Zweidrittelmehrheit von fast allen Anzuhörenden als ausgesprochen positiv wahrgenommen wurde mit der Begründung, dass sie unter normalen Umständen - wenn also nicht gerade, wie im Moment, eine Große Koalition regiert - dazu führt, dass eine Diskussion über die Notwendigkeit der Aufweichung der Schuldenbremse ins Parlament getragen wird. Das haben wir ausdrücklich unterstützt und halten dies für richtig, im Übrigen auch unter der jetzigen Konstellation. Sie haben ja im Moment eine Zweidrittelmehrheit. Nichtsdestotrotz haben wir es für richtig gehalten, das genau so zu

lassen, und haben nicht, was ja auch möglich gewesen wäre, noch einen oben draufgesetzt.

Und dann kam vor 14 Tagen der Auftritt der haushaltspolitischen Sprecher der SPD, die, als sich alle schon darauf eingestellt hatten, abschließend zu beraten, damit um die Ecke kamen, dass sie hinsichtlich dieser Zweidrittelmehrheit noch Bratungsbedarf sehen. Da wäre ich - das sage ich ganz offen - fast vom Hocker gefallen. Denn eines ist völlig klar: Im Rahmen einer Anhörung oder Beratung ergibt sich immer irgendein Änderungsbedarf, und man kann auch durchaus dazu kommen, die eigene Position noch einmal zu hinterfragen, aber doch nicht in einem so wesentlichen Punkt wie dieser Zweidrittelmehrheit. Das ist doch im Prinzip das, was die Schuldenbremse zur niedersächsischen Schuldenbremse hätte machen können. Das war aus unserer Sicht im Prinzip der Kern dieser Schuldenbremse. Der steht jetzt zur Disposition. Das ist für mich alles andere als lustig.

Ich möchte mich dem Appell von Herrn Dr. Birkner an die CDU anschließen. Aus meiner Sicht sitzt die haushalterische Kompetenz dieser Großen Koalition in der CDU-Fraktion. Es ist jetzt Ihre Aufgabe, diese Zweidrittelmehrheit auf keinen Fall irgendwelchen parteipolitischen Ränkespielchen hinzugeben. Denn das nächste Mal sind Sie möglicherweise in einer Situation, in der wir ganz dringend auf diese Zweidrittelmehrheit angewiesen sind. Verlassen Sie sich bitte nicht mehr auf die SPD! Das ist eine Partei im Panikmodus. Das haben wir in den letzten Tagen - - -

(Zuruf von der SPD: Ach!)

- Das ist so. Ich kann Ihnen auch ganz einfach sagen, warum das so ist.

(Alptekin Kirci [SPD]: Da bin ich ge- spannt!)

Die Parteien und Fraktionen hier in diesem Parlament stehen für gewisse Inhalte. Die AfD z. B. steht für geschlossene Grenzen, Ablehnung des EEG usw. usf., die CDU für Kompetenz im Bereich Haushaltsführung und Landwirtschaft, die FDP für ein verändertes Verhältnis zwischen Staat und Markt sowie Digitalisierung, die Grünen im Kern für Umweltschutz, ob man das nun in der Ausführung für richtig oder falsch hält. Und Sie stehen einfach nur für gar nichts mehr.

(Heiterkeit und Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, das haben Sie gerade in diesem Plenarabschnitt und ganz besonders mit

dem hochnotpeinlichen Auftritt von Dr. Saipa gestern noch einmal sehr deutlich unterstrichen. Das ist keinem entgangen, liebe SPD. Da stehen Sie 2019.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Lilienthal. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Jetzt doch, und zwar zunächst von Frau Kollegin Heiligenstadt, SPDFraktion. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Zitat beginnen:

„Die Schuldenbremse wirkt nun wie ein Relikt: Sie bremst Investitionen und Steuersenkungen. Wir haben uns eingemauert.“

Das sagt kein Geringerer als der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Professor Dr. Michael Hüther, und er fügt hinzu:

„Die Verteufelung der Schulden ist nicht mehr zeitgemäß.“

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Also wollen Sie doch Schulden machen, oder was? - Christian Grascha [FDP]: Die Kehrtwende!)

Dieses Zitat stammt vom Februar dieses Jahres. Herr Professor Dr. Michael Hüther ist sicherlich nicht verdächtig, mit dem Institut der deutschen Wirtschaft zu nahe an der SPD zu stehen. Man könnte jetzt natürlich auch noch zahlreiche andere Zitate anführen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das will ich aus Zeitgründen aber nicht machen.

(Christian Grascha [FDP]: Er ist da in der Wissenschaft ziemlich einsam un- terwegs!)

Man kann aber sagen: Auch die letzten Befürworter der Schuldenbremse haben durchaus gemerkt, dass es sinnvoll ist, nicht nur über Kreditmarktschulden und Bürgschaften oder Gewährleistungen zu reden, sondern in der politischen Debatte auch das Thema „Lasten für die zukünftige Generation durch die implizite Staatsverschuldung“ zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Was meine ich damit? - Wir hinterlassen unseren Kindern nicht nur Schulden, wenn wir Kredite aufnehmen, sondern wir hinterlassen unseren Kindern auch marode Straßen und Gebäude, wenn wir nicht investieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und das ist eine mindestens genauso große Belastung wie Kreditmarktschulden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es zu kurz gesprungen - das wird mittlerweile auf der Bundesebene und zwischen jeder Menge Ökonomen diskutiert -, wenn man sich bei der Schuldenbremse ausschließlich auf Kredite fokussiert. Es ist wichtig, dass man auch die implizite Staatsverschuldung mit betrachtet. Das heißt, wir müssen betrachten, welche Schulden und welche implizite Verschuldung wir im Bereich der Schulen, im Bereich der Gebäude von Verwaltungen, im Bereich der Museen und im Bereich ähnlicher Infrastruktur unseren Kindern und Enkeln hinterlassen.

Meine Damen und Herren, unabhängig von dieser ökonomischen Diskussion, die längst stattfindet, gilt natürlich das Grundgesetz. Das Grundgesetz schreibt uns die Schuldenbremse vor. Dieses Grundgesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt uns aber - anders, als die FDP hier im Raum immer behauptet - auch die Möglichkeit, dass wir diese Schuldenbremse im Lande ausgestalten können, wenn wir eine eigene landesgesetzliche Regelung machen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Deshalb machen wir das doch alles!)

Von dieser Möglichkeit hat die Landesregierung mit der Vorlage des Gesetzentwurfes Gebrauch gemacht.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Ja, aber ei- ne Zweidrittelmehrheit!)

Die Regierung hat daher vorgeschlagen, die niedersächsische Schuldenbremse z. B. mit einer Konjunkturkomponente zu versehen. Diese Konjunkturkomponente wird in einigen anderen Bundesländern momentan ebenfalls diskutiert bzw. ist dort zum Teil auch schon verankert.

Das Grundgesetz hat im Rahmen der harten Regelung der Neuverschuldungsverbote auch für Notfälle, nämlich für Naturkatastrophen und besondere staatliche Notlagen, eine zusätzliche Öffnungsmöglichkeit für die Aufnahme von Krediten vorgesehen. Das ist auch sinnvoll; denn niemand kann ausschließen, dass der Staat in besonderen Not

fällen eventuell solche Öffnungsmöglichkeiten braucht. Diese Regelung haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes, als sie die Schuldenbremse im Gesetz verankert haben, aus gutem Grund aufgenommen. Sie haben aber auch aus gutem Grund im Grundgesetz kein Quorum dafür vorgeschrieben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn das notwendig gewesen wäre, hätte es auch schon im Grundgesetz stehen können.

(Beifall bei der SPD - Christian Grascha [FDP]: Warum hat die Lan- desregierung das nicht eingebracht?)

Im Rahmen der Anhörung hat es nun sehr unterschiedliche Positionen dazu gegeben. Die einen bezeichnen es als absolut notwendig; die anderen bezeichnen es als nicht sinnvoll. Wir haben diese Anhörung ausgewertet, haben innerhalb der SPD diskutiert und kommen zu dem Schluss, dass es von Vorteil wäre, sich hier mit einer Verfassungsänderung auf der Landesebene nicht stärker zu binden, als es uns das Grundgesetz vorschreibt, meine Damen und Herren.

(Christian Grascha [FDP]: Also doch Schulden machen!)

Das sehen im Übrigen bis auf die vier Bundesländer Hamburg, Sachsen, Hessen und SchleswigHolstein alle anderen Bundesländer ebenso wie die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag und verzichten auf ein zusätzliches Quorum. Die CDU sieht das anders.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das Kabi- nett sieht das anders! Die Landesre- gierung sieht das anders!)

Das ist in einer Demokratie auch überhaupt nichts Schlimmes, meine sehr verehrten Damen und Herren.