Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

(Christian Grascha [FDP]: Meinen Sie, dass der Landesrechnungshof inkom- petent ist?)

Danke. - Nun kommt die zweite Zwischenfrage. Herr Abgeordneter Lilienthal, bitte!

Vielen Dank, Herr Kollege Thiele, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie geht in eine ähnliche Richtung.

Ich habe die Bitte, ob Sie ganz deutlich machen können, ob die Anwendung der 0,5-%-Regelung nach Ihrer Lesart pro Schadensereignis oder pro Haushaltsjahr gilt.

Nicht nach meiner Lesart, sondern nach dem Gesetzestext gilt sie pro Schadensereignis. Das ist auch richtig so; denn wenn es zwei voneinander unabhängige Ereignisse gäbe, bräuchte der Haushaltsgesetzgeber auch zweimal die Möglichkeit, schnell zu handeln. Ein Deichbruch am Jahresanfang und ein Großereignis, etwa ein Megaflächenbrand, der das Land überfordern würde, am Jahresende sind natürlich zwei unabhängig voneinander zu betrachtende Ereignisse, die beide bewältigt werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall eintritt, geht - das zeigt ein Blick in die Geschichte des Landes Niedersachsen - gegen null.

Meine Damen und Herren, ich persönlich freue mich riesig über diese Verfassungsänderung, mit der wir den dauerhaften Schuldenstopp in der Landesverfassung verankern. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, und die CDU-Landtagsfraktion gratuliert ausdrücklich Finanzminister Hilbers zu diesem außerordentlichen Erfolg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiele. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frauke Heiligenstadt. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schuldenbremse gilt. Sie steht schon seit zehn Jahren im Grundgesetz. Der Bund kann auf Bundesebene 0,3 % des Bruttoinlandprodukts an Schulden aufnehmen; gleichzeitig ist geregelt, dass die Länder bis 2020 eine Übergangsfrist hatten und danach keinerlei neue Schulden mehr machen dürfen - so weit die Regelung des Grundgesetzes. Seitdem gibt es aber auch eine Diskussion um die Schuldenbremse. Es geht um die Frage, wie sinnvoll und notwendig sie sei, und neuestens auch darum, ob es z. B. sinnvoll ist, diese Regelung in Zeiten von Negativzinsen überhaupt beizubehalten.

Die Diskussion um Sinn und Notwendigkeit der Schuldenbremse dauert an und hat gerade vor dem Hintergrund beispielsweise der Investitionen in Klimaschutz neue Fahrt aufgenommen. Nichtsdestotrotz: Das Grundgesetz - und damit die Schuldenbremse - gilt.

Für die Länder ist die Umsetzung dieses Neuverschuldungsverbots allerdings eine sehr große Aufgabe. Aus diesem Grund wurde für sie auch eine Übergangsfrist geschaffen. Diese endet mit Ablauf dieses Jahres. Niedersachsen hat die Zeit zur Vorbereitung auf die neue Regelung sehr gut genutzt. Bereits seit 2016 nehmen wir keine neuen Schulden mehr auf; in diesem Jahr haben wir erstmals Schulden abgebaut. Die Koalition hat sich vorgenommen, innerhalb dieser Legislaturperiode zusätzlich zu den bereits abgebauten Schulden in einer Größenordnung von 786 Millionen Euro weitere Schulden abzubauen. Wir streben an, innerhalb dieser Legislaturperiode ca. 1 Milliarde Euro zu tilgen.

Meine Damen und Herren, die Regelung im Grundgesetz sieht aber nicht nur ein Neuverschuldungsverbot vor, sondern sie sieht auch zusätzliche Flexibilisierungsmöglichkeiten vor. So haben die Länder die Möglichkeit, in konjunkturell besonders schwierigen Zeiten Kredite aufzunehmen. Das Gleiche gilt für Notlagen: Dazu zählen z. B. Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, oder Naturkatastrophen. Es ist also möglich, Ausnahmen von diesem absoluten Neuverschuldungsverbot zu beschließen. Diese Ausnahmen kann man aber nur beschließen, wenn man auf Landesebene entsprechende Regeln verankert. Das ist für die SPD-Fraktion der wichtigste Grund, warum wir der heutigen Verfassungsänderung zustimmen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Chris- tian Grascha [FDP])

Uns ist wichtig, dass wir die Möglichkeiten des Grundgesetzes zur Aufnahme neuer Schulden nutzen und damit so flexibel wie unter den Bedingungen der Schuldenbremse, die ja in jedem Fall gilt, möglich tatsächlich gestalten können. Deshalb gibt es drei Ausnahmen von der Schuldenbremse, die wir heute in der Niedersächsischen Verfassung beschließen werden: Die Ausnahmen sind das sogenannte Konjunkturbereinigungsverfahren, die Aufnahme von Krediten in sogenannten Notsituationen des Staates und die Aufnahme von Krediten bei Naturkatastrophen. Uns war es wichtig, dass diese Ausnahmen so flexibel wie möglich gestaltet

werden können. Aus diesem Grunde haben wir auch bezüglich des Quorums noch einmal nachgearbeitet und intensiv miteinander gerungen.

Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Koalition ein sehr guter Kompromiss gelungen ist: Flexibel und in überschaubaren Größenordnungen können wir nun in Notsituationen handeln. Dafür danke ich auch den Kolleginnen und Kollegen der CDU, dem Finanzminister sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium.

(Christian Grascha [FDP]: Wofür braucht man so etwas überhaupt?)

Ich glaube, das war eine sehr konstruktive Zusammenarbeit. Und wenn Herr Grascha sagt, da habe sich nur die SPD durchgesetzt, und Herr Thiele sagt, da sei ganz viel CDU drin, dann scheint der Kompromiss wirklich sehr gut gelungen zu sein. Dann scheinen wir eine gute Mitte gefunden zu haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Gleichzeitig ist gewährleistet, dass Ausnahmen nicht beliebig ausgeweitet werden können.

Meine Damen und Herren, wir dürfen aber nicht nur über die Kreditseite sprechen. Ein weiterer wichtiger Grund, warum wir uns für eine Regelung starkmachen, ist, dass erkannt wird, dass eine Verschuldung des Staates auch ansteht, wenn wir nicht handeln und nicht investieren. Jeder hat Beispiele vor Augen: marode Straßen, nicht ausreichender Breitbandausbau, Probleme bei der kommunalen Infrastruktur - ich könnte einiges mehr ansprechen. Hier ist es der SPD-Landtagsfraktion besonders wichtig, dass wir im Rahmen der Verabredung mit unserem Koalitionspartner die Investitionen in den nächsten Jahren wie bisher auf sehr hohem Niveau belassen. Das ist ein weiterer Grund für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, der heutigen Regelung zuzustimmen. Wir werden weiter investieren:

(Beifall von Johanne Modder [SPD])

Wir werden weiterhin in Straßen investieren, sie sanieren und ausbauen, wir werden weiterhin für gute Digitalisierung in Niedersachsen sorgen und unser Land durch Breitbandausbau und Investitionen in die digitale Infrastruktur zukunftsfest aufstellen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Dass wir mit dieser Verfassungsänderung gleichzeitig eine verfassungsfeste Inanspruchnahme von Rücklagenentnahmen regeln, sei nur der Vollständigkeit halber noch erwähnt.

Ich fasse zusammen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der SPD-Fraktion ist wichtig, dass wir erstens die Gestaltungsmöglichkeiten der grundgesetzlichen Schuldenbremse durch Landesrecht in Anspruch nehmen können, dass wir zweitens investieren, und zwar in die Zukunft unseres Landes, und dass wir damit drittens eine verfassungsfeste, aber vor allen Dingen auch nachhaltige Finanzpolitik für Niedersachsen fortsetzen können. Ich freue mich, dass dies der Großen Koalition gelungen ist. Eine Große Koalition hat die Kraft, eine solche Verfassungsänderung in Niedersachsen umzusetzen. Ich bin sehr dankbar, dass wir das heute vornehmen können.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Heiligenstadt. - Zu einer Kurzintervention auf Ihren Wortbeitrag hat sich der Abgeordnete Grascha gemeldet. Bitte, Herr Grascha!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Heiligenstadt, ich möchte auf die Aufweichung zurückkommen, die wir jetzt bei der Schuldenbremse sehen werden, was die Möglichkeit von Ausnahmetatbeständen angeht, also beispielsweise Naturkatastrophen oder Notsituationen.

Sie begründen das immer damit, dass man nicht wisse, wie sich das Parlament in Zukunft zusammensetzt, das Parlament fragmentiere sich immer weiter, es kämen immer mehr Fraktionen hinzu, deswegen wisse man nicht genau, wie sich die Mehrheiten verändern. Ich folge dieser Argumentation nicht; denn ich glaube, dass der Haushaltsgesetzgeber hier ganz andere Möglichkeiten hätte, wie in der Vergangenheit mit überplanmäßigen Ausgaben zu arbeiten, was auch ohne neue Schulden möglich wäre.

Aber nehmen wir einmal an, wir würden dieser Argumentation folgen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie, wenn wir über die Frage der Parlamentsrechte diskutieren, immer wieder sa

gen: Das brauchen wir alles nicht, wir müssen die Verfassung nicht Wahlergebnissen anpassen. - Wenn wir Ihrer Argumentation folgen, machen Sie aber nun genau das bei der Schuldenbremse. Das ist aus unserer Sicht eine bemerkenswerte Auffassung. Denn damit unterstellen Sie, dass neue Schulden - Ihnen zumindest - wichtiger sind als die Parlamentsrechte in diesem Land. Das ist eine für uns sehr bemerkenswerte Erkenntnis.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Frau Abgeordnete Heiligenstadt möchte antworten. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Grascha, ich will gerne auf Ihre Frage oder Stellungnahme eingehen.

Ja, wir haben intensiv und hart über das Thema Zweidrittelmehrheit, über das Quorum für die Ausnahmeregelung diskutiert.

(Christian Grascha [FDP]: Das sollten Sie bei der Normenkontrollklage auch einmal machen!)

Das hatte aber auch die Ursache, dass in der Anhörung viele darauf eingegangen sind: Einige haben das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit unterstützt, andere haben es infrage gestellt.

Wir haben geschaut, wie die entsprechenden Regelungen in anderen Bundesländern aussehen. In den allermeisten Bundesländern gibt es dazu kein Quorum.

Das heißt: Das Grundgesetz sieht kein Quorum vor, und in den allermeisten Bundesländern gibt es kein Quorum, weil die Ausnahmen vor allen Dingen für Ausnahmefälle gelten sollen, in denen schnelles Handeln des Staates erforderlich ist.

Aus diesem Grunde haben wir die Frage des Zweidrittelquorums - es würde zugegebenermaßen zu einer deutlich längeren Beratungszeit führen, eine solche Mehrheit herstellen zu müssen - noch einmal thematisiert.

Ich denke, der Kompromiss, dass wir bis zu einer gewissen Größenordnung im Verhältnis zum Haushaltsvolumen auch ohne Zweidrittelmehrheit eine Neuverschuldung vornehmen können - die neuen Schulden müssen selbstverständlich zurückgezahlt werden -, ist ein sehr guter Kompromiss.

(Christian Grascha [FDP]: Ich hatte nach der Normenkontrollklage ge- fragt!)

Er ist ein innovativer Kompromiss, der in anderen Bundesländern noch nicht gefunden wurde. Er zeigt, dass beide Seiten aufeinander zugegangen sind. Wir haben uns ausgetauscht und sind auf Augenhöhe zu einer Lösung gekommen, die sicherlich dem Erfordernis Genüge leisten wird, das Land handlungsfähig zu halten.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Heiligenstadt.

(Christian Grascha [FDP]: Zu meinem eigentlichen Punkt haben Sie leider nichts gesagt, Frau Heiligenstadt! Schade!)

- Herr Grascha, es bleibt jedem selbst überlassen, welche Fragen er stellt und welche Antworten er gibt.