Protokoll der Sitzung vom 19.12.2019

Vielen Dank. - Die nächste Zusatzfrage stellt nun der Abgeordnete Rykena von der AfD-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vor dem Hintergrund, dass Herr Minister Tonne gerade eben davon sprach, dass er auf einer soliden Datenbasis agieren wolle, frage ich die Landesregierung: Welchen Anteil hat der massive Unterrichtsausfall am schlechten Abschneiden bei der PISA-Studie? Liegen der Landesregierung dazu Daten vor?

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister Tonne.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs dargelegt, dass es kein schlechtes Abschneiden gibt. Wenn es kein schlechtes Abschneiden gibt, kann auch der Unterrichtsausfall keinen Einfluss darauf haben. Im Übrigen haben wir die Debatte über den Unterrichtsausfall und unsere Bemühungen, Unterricht stattfinden zu lassen, vor zwei Tagen sehr ausführlich geführt.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Die zweite und damit letzte Zusatzfrage für die AfD-Fraktion stellt ebenfalls der Abgeordnete Rykena.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich frage die Landesregierung: Mit welchen konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Landesregierung, dem bei PISA nachgewiesenen Abfall der Leistungen im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer zu begegnen?

Vielen Dank. - Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch diese Frage setzte eine nicht korrekte Annahme voraus, nämlich dass es einen Leistungsabfall in den Naturwissenschaften gegeben habe. Der ist durch die PISA-Studie nicht belegt worden. Vielmehr ist das Ergebnis stabil.

Zu der Frage, wie wir die Kernkompetenzen - Lesen, Schreiben, Rechnen; ich will es einmal darauf verkürzen - stärken, verweise ich auf meine Antwort eben gerade, in der ich ausgeführt habe, was wir für den Bereich Lesen genauso wie für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich

vorhaben.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Tonne.

Weitere Wortmeldungen zu Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich eröffne die Aussprache.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Hamburg, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Herr Minister Tonne hat die Redezeit um eine Minute überschritten, sodass Sie diese zusätzlich erhalten. Fünf Minuten, bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Tonne, Sie haben ja prinzipiell nichts Falsches gesagt. Das ist das, was schon unter RotGrün gemacht wurde. Das ist das, was die Große Koalition jetzt fortsetzt. Aber die PISA-Studie zeigt uns doch, dass wir Antwort finden und weitergehen müssen, weil die bisherigen Bemühungen hier nicht reichen.

Und was fällt Ihnen dazu ein? - Ihnen fallen dazu Modellprojekte ein. Brennpunktschulen? - Modellprojekte! Schlechte Unterrichtsversorgung an

Sek-I-Schulen? - Modellprojekte! Ich sage Ihnen deutlich: Sie sind auf einem Holzweg. Was die Schulen brauchen, sind strukturelle Veränderungen.

Ihre Absage an einen Sozialindex ist ein gravierender Fehler. Denn wir erleben doch - das macht die PISA-Studie erneut deutlich -, dass es gerade die mit den größten Herausforderungen sind, die auch noch die schlechteste Unterrichtsversorgung

und den größten Anteil an Quereinsteigern haben. Das können wir uns in Niedersachsen nicht leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier müssen wir endlich steuern.

Was zeigt uns die PISA-Studie noch? - Die PISAStudie zeigt uns, dass es Zeit wird, landespolitische Scheuklappen abzulegen. Denn im Bereich der PISA-Erhebungen sehr erfolgreich sind doch gerade die Länder, die langes gemeinsames Lernen ermöglichen.

Das sehen wir auch in Begleitstudien zur Inklusion immer wieder: Gerade die schwächeren Schülerinnen und Schüler, die Schülerinnen und Schüler, die für Herausforderungen sorgen, erreichen einen besseren Bildungsabschluss und mehr Bildungserfolg, wenn sie sich an starken Schülerinnen und Schülern orientieren können.

Das heißt, ein richtiger Schritt zur Bildungsgerechtigkeit sind durchmischte Klassen, ist langes gemeinsames Lernen. Auf diesen Weg müssen wir uns in Niedersachsen alle gemeinsam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und am Ende wünsche ich mir auch einfach mehr Mut. Sie haben von „Bildung 2040“ geredet. Ich habe mich sehr über dieses Programm gefreut, Herr Tonne. Aber auch dort reden Sie vor allem über Klein-Klein und eben nicht über die großen Linien, darüber, wie Schule in Niedersachsen künftig aussehen soll. Das ist äußerst schade.

Denn Länder wie Finnland machen uns doch eines vor: Wenn Schulen Freiräume kriegen, dann können sie individuelles Lernen ermöglichen und jedem einzelnen Kind gerecht werden. Also brauchen wir das nicht nur in Modellschulen, bei „Schule [PLUS]“. Vielmehr brauchen wir strukturelle Freiräume für die Schulen. Denn die Pädagogen wissen am besten, was ihre Schulen und ihre Schülerinnen und Schüler brauchen. Sie können deswegen dort viel mehr erreichen.

Finnland geht sogar noch weiter. Dort hat man ein Unterrichten nach Fächern komplett überwunden. Ich würde mir wünschen, wenn auch wir in Niedersachsen einmal darüber reden würden, wie fächerübergreifendes Lernen aussehen kann, wie projektorientiertes Lernen aussehen kann und wie eine Vorbereitung auf die Zukunft aussehen kann, von der wir heute noch gar nicht wissen, wie sie in 20 bis 40 Jahren aussehen wird.

Wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler dafür fit machen wollen, dann tun wir das nicht mit zwei Stunden Physik und fünf Stunden Mathe in der 9. Klasse. Nein, dann tun wir das, indem sie lernen, lernen und lernen, sich auf die Zukunft vorzubereiten, flexibel zu bleiben, um sich zu öffnen und sich Wissen anzueignen. Das sind die großen Antworten. Diese Antworten können wir mit dem Bildungssystem, wie wir es derzeit haben, leider nicht finden. Ich würde mir mutige Qualitätsdebatten in diesem Landtag wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank. - Das Wort zur Aussprache erhält nun Herr Kollege Försterling, FDP-Fraktion. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antworten der Landesregierung haben deutlich gemacht: Das, was bisher geschieht, reicht bei Weitem nicht aus. Es hilft den Schulen im „Schule [PLUS]“-Programm eben nicht weiter, dass sie theoretisch zusätzliche Ressourcen haben, diese Stellen dann aber nicht besetzt werden. Hier muss man den Mut haben, konkret umzuverteilen, weil ein statistischer Anspruch auf Unterricht den Kindern aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen nicht weiterhilft.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Ebenso verwundert es, dass das Programm „Starke Sek I-Schulen“ nach fünf Monaten immer noch nicht so weit ist, dass man zumindest die Modellregionen bzw. die Auswahlkriterien benennen könnte. Ich stelle mir schon die Frage, wie das Ganze zum 1. Februar vernünftig an den Start gehen und Wirkung entfalten soll.

Die Herausforderung für Bildungspolitik ist eben nicht nur, darüber zu diskutieren, wie viel Prozent eines Jahrgangs Abitur machen. Die Herausforderung ist vielmehr die Antwort auf die Frage: Wie geben wir allen Kindern in Niedersachsen die Chance auf besten Bildungserfolg?

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Richtig!)

Es sind ganz einfache Maßnahmen, die man ergreifen könnte, um schon hier den Einfluss der sozioökonomischen Hintergründe zu minimieren.

Das betrifft beispielsweise - das steht auch im Koalitionsvertrag, liebe CDU - die Methode „Lesen durch Schreiben“, „Schreiben nach Gehör“. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob die Eltern nachmittags das an korrekter Rechtschreibung nacharbeiten, was in der Grundschule nicht gelernt wird und dort durchgeht, oder ob sie es nicht machen.

Das gilt auch im Fall von Unterrichtsausfall. Der Unterrichtsausfall führt genau dazu, dass sich diese Verhältnisse aus den Elternhäusern noch stärker bei den jungen Menschen potenzieren. Es ist nämlich eine Frage, ob sich die Eltern Nachhilfe leisten können oder ob die Eltern den Unterricht, der in der Schule ausfällt, nacharbeiten können.

Genauso stellen wir fest, dass auch die Lesekompetenz einen sozioökonomischen Hintergrund hat. Deswegen haben wir Sie eingeladen, eine Leseoffensive zu starten. So banal das vielleicht klingt, 1 000 Euro für jede Schulbücherei in den Grundschulen zur Verfügung zu stellen: Wenn Sie sich einmal mit offenen Augen anschauen, wie die Schulbüchereien in den Grundschulen ausgestattet sind, dann stellen Sie fest, dass der sozioökonomische Hintergrund des Quartiers eine Rolle spielt. Es spielt eine Rolle, ob ich Elternvereine habe, die viel investieren, die viele Spenden sammeln und viele Schulbücher kaufen, oder ob ich diesen Hintergrund nicht habe und sich die Kinder keine Bücher ausleihen können.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Eigentlich müssten wir ehrlich sein und sagen: Es ist immer noch ein Armutszeugnis, dass Kinder in unseren Schulen sitzen, die deswegen nicht dem Unterricht folgen können, weil sie Hunger haben. Ich finde, es muss eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern geben, damit kein Kind mehr hungrig in der Schule ist. Es hat einen Einfluss auf den Bildungserfolg, ob ein Kind hungrig in der Schule sitzt oder nicht. Jedes Kind sollte zumindest ein kostenfreies Mittagessen in der Schule bekommen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Der nächste Schritt ist - da müssen Sie Ihren Koalitionsvertrag mal erfüllen - die kostenfreie Schülerbeförderung im Sekundarbereich II. Es ist für Eltern immer noch schwierig, sich diese Monatsfahr

karten zu leisten, und das hält Kinder ganz konkret davon ab, die gymnasiale Oberstufe zu besuchen.

Ähnlich verhält es sich bei der Schulsozialarbeit. Auch hier mahnen wir einen dringenden Ausbau an. Es ist nicht nur eine Frage des Hungers, ob Kinder dem Unterricht folgen können, sondern auch, mit welchen Rucksäcken aus ihrem sozialen Umfeld sie in die Schule kommen. Genau hier muss Schulsozialarbeit anpacken, um die Kinder von diesen Rucksäcken etwas zu entlasten, damit sie sich mehr auf den Unterricht konzentrieren können.

(Beifall bei der FDP)

Am Ende geht es nicht darum, darüber zu reden, wie man die beste Mangelverwaltung an Niedersachsens Schule macht, sondern darum, wie man allen Kindern die Chance auf die beste Bildung gibt.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Richtig!)

Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Ebenfalls zur Aussprache erhält das Wort für die AfD-Fraktion Herr Abgeordneter Rykena.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen verweisen in ihrer Anfrage zur Bildungsqualität und zur Bildungsgerechtigkeit auf den Zusammenhang von sozioökonomischer Herkunft und Schulerfolg. Dies wird als Fakt gesetzt. Aber ist das auch so? Korrelation ist nicht das Gleiche wie Kausalität.