Man muss außerdem darauf hinweisen, dass die aktuelle Situation überhaupt nicht überraschend entstanden ist. Denn bereits im August 2019 haben Vertreter der Regierungsfraktionen mit dem Verband Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter zusammengesessen. Bereits damals hat dieser Verband sehr deutlich gemacht, dass die Gefangenenzahlen steigen, die Haftplätze knapp werden und die Binnendifferenzierung in den einzelnen Justizvollzugsanstalten gar nicht mehr vernünftig organisiert werden kann. Ganz deutlich wurde gemacht, dass in einer so angespannten Situation die so wichtige Resozialisierung von Straftätern oft nicht mehr vernünftig organisiert werden kann.
Das ist nur dann zu erreichen, wenn die Bediensteten im Vollzug ausreichend an der Resozialisierung dieser Menschen arbeiten können.
Also fragt man sich, warum die Regierungsfraktionen im Haushaltsjahr 2020 nicht gegensteuern. Es fehlen gut 180 Stellen im Vollzug. Zudem fehlen zwischen 80 und 120 Haftplätze.
Natürlich stellt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob es richtig war, die Anstalt in Salinenmoor zu schließen.
Der Kollege Calderone hat es angesprochen. Es ist ja schön, dass die CDU weiter sagen darf, dass das damals ein Fehler war. Es ist auch schön, dass die SPD weiter sagen darf, dass es möglicherweise richtig gewesen ist. Aber was folgt denn daraus? Was ist die Konsequenz? Was will diese Große Koalition jetzt tun? Da ist Schweigen.
Diese Landesregierung will daran im laufenden Haushaltsjahr ja auch nichts Grundsätzliches ändern. Die 1,5 Millionen Euro, die nun aufgewendet werden sollen, reichen doch bei Weitem nicht. Es reicht nicht, 20 oder 30 Haftplätze, gegebenenfalls sogar in Containern, einzurichten. Das wird die Situation nicht grundsätzlich ändern, meine Damen und Herren.
Es reicht auch nicht, in Einzelhafträumen Etagenbetten aufzustellen, um die Räume doppelt belegen zu können, einmal davon abgesehen, dass das aufgrund der Größe dieser Räume in einigen Fällen sogar rechtswidrig sein dürfte. Es ist auch keine Lösung, die Gefangenen von Anstalt zu Anstalt reisen zu lassen, um irgendwelche Belegungsspitzen abzumildern. Die Aggressionen auf den Stationen, meine Damen und Herren, werden geradezu zwangsläufig steigen, und das bei fehlendem Personal.
Meine Damen und Herren, um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um „nice to have“. Es geht auch nicht darum, irgendwelchen Luxus für Strafgefangene einzurichten, oder darum, den Vollzugsbediensteten eine lockere Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Es geht um den funktionierenden Rechtsstaat, der auch einen funktionierenden Vollzug benötigt.
Meine Damen und Herren, es geht darum, dafür zu sorgen, dass aus Tätern keine Wiederholungstäter werden. Das hat auch eine ganze Menge mit innerer Sicherheit zu tun. Diese Landesregierung muss endlich das Budget des Justizministeriums deutlich erhöhen. Lippenbekenntnisse in Aktuellen Stunden
Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Sebastian Zinke zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen über die Situation in unseren Justizvollzugsanstalten als einem Teil unserer Sicherheitsarchitektur. Das ist gut; denn so oft kommt das gar nicht vor. Wir sprechen sehr viel über innere Sicherheit. Wir sprechen über die Situation in unseren Polizeien, die Situation der Unterbringung unserer Polizei, und wir sprechen über Staatsanwaltschaften, über den Ausbau von Staatsanwaltschaften. Wir sprechen über Clankriminalität. Aber selten sprechen wir über den Bereich, der auch zur Sicherheitsarchitektur gehört, nämlich unsere Justizvollzugsanstalten.
Vielleicht liegt das daran, dass gute Krimis immer mit der Verhaftung enden, und dann kommt der Abspann. Der Teil, der danach kommt, diejenigen, die Freiheitsstrafen am Ende vollziehen, tauchen in der Öffentlichkeit sehr, sehr selten auf.
Vielleicht ist das ein Grund, weshalb die Situation in unseren Justizvollzugsanstalten hier relativ selten Thema ist. Aber heute ist das anders. Vielen Dank an die CDU für den Antrag zu dieser Aktuellen Stunde.
Wir müssen also, wenn wir über innere Sicherheit sprechen, die Justizvollzugsanstalten immer mit im Blick haben. Das gilt sowohl bei der Frage der Personalausstattung als auch bei der Frage von Investitionen in die Infrastruktur, in die Gebäude unserer Justizvollzugsanstalten.
Deshalb ist es sehr richtig, dass die Fraktionen von SPD und CDU in ihrem Änderungsantrag zum Haushalt für das laufende Jahr 1,5 Millionen Euro für die Ertüchtigung und die Schaffung zusätzlicher Haftplatzkapazitäten bereitgestellt haben und dass wir zehn weitere Stellen in Justizvollzugsanstalten
Wir dürfen in dieser Frage nicht nur die Gebäude im Blick haben, sondern wir müssen auch über die Bediensteten sprechen. Herr Calderone hat den Dank ausgesprochen; denn das gehört immer mit dazu.
Ich weiß nicht, ob Sie es wahrgenommen haben, aber der Verband Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter wird seine Eingabe zum Haushalt 2021 nicht erst zum Haushalt vorbringen, sondern hat sie bereits jetzt vorgelegt. Sie enthält eine einzige Forderung, nämlich die Schaffung von 200 zusätzlichen Stellen im Justizvollzug bis zum Jahr 2022.
Sie haben eben die 1,5 Millionen Euro angesprochen. Daher frage ich, ob Sie davon ausgehen, dass diese Summe tatsächlich ausreicht, um das bestehende Defizit aufzulösen?
Das ist nicht alles, was für den Vollzug zu erwarten ist. Sie haben den Haushalt gesehen, er umfasst deutlich mehr. Diese 1,5 Millionen Euro, die die Fraktionen zusätzlich eingestellt haben, sind tatsächlich für die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten, beispielsweise für den Standort Hannover oder für den Standort Meppen für Kapazitäten in Modulbauweise, gedacht. Ich denke, die Ministerin wird das gleich ausführlich darstellen.
Meine Damen und Herren, anders als bei der Unterrichtsversorgung - darüber haben wir heute schon gesprochen -, wo eine Quote von 100 % angepeilt wird, bekommen wir große Schwierigkeiten, wenn wir bei unseren Justizvollzugsanstalten an die 100 % gelangen. Nur ein Beispiel zur Belegung. Die JVA Bremervörde hat im Bereich der Strafhaft eine Belegungsquote von 99,46 %. Das ist nicht nur sozusagen Oberkante Unterlippe, sondern viel zu viel. Wenn wir die Justizvollzugsanstalten besuchen, dann wird uns regelmäßig dargestellt, dass 85 % eigentlich der Wert ist, den man braucht, um in den Justizvollzugsanstalten vernünftig arbeiten zu können. Um den Vollzugsalltag richtig gestalten zu können, um Differenzierungskonzepte umzusetzen, um die Trennung von Straf- und U-Haft durchführen zu können, um Gewalt und Übergriffe auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschließen zu können, braucht es diese niedrige Quote.
Daher, Herr Kollege, benötigen wir nicht nur die 1,5 Millionen Euro, sondern wir brauchen ein langfristiges Investitionskonzept nicht nur für die Infrastruktur, über die wir sonst reden, sondern auch für die Infrastruktur der Justizvollzugsanstalten. Wer sich z. B. die JVA Hannover anguckt, der sieht, dass da Teile aus den 50er-Jahren sind. So sieht sie auch heute noch aus. Da sind in den nächsten Jahren dringend Investitionen notwendig. Wir brauchen eine Anpassung des Personalkörpers an diese zusätzlichen Kapazitäten. Da kann die Forderung des VNSB meiner Meinung nach eine gute Richtschnur sein.
Wir sollten einen Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen. Wir sollten uns genau ansehen, ob die Schließung der JVA Braunschweig, wenn wir in Wolfenbüttel fertig sind, wirklich notwendig ist. Wir werden uns das demnächst als SPDFraktion vor Ort genau angucken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also nicht den gleichen Fehler machen wie viele Drehbuchautoren für die Krimis im Vorabendprogramm. Lassen Sie uns innere Sicherheit auch in Zukunft denken, und lassen Sie uns dabei die Justizvollzugsanstalten nicht vergessen.
Vielen Dank. - Für die AfD-Fraktion liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Christopher Emden vor. Bitte, Herr Emden!
Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist ja schon eine etwas interessante Aktuelle Stunde, die wir hier haben.
- Jedenfalls kennen Sie sich mit Krimis besser aus als ich. Ich lese die eher nicht, dazu habe ich keine Zeit.
Von Herrn Calderone hören wir zwei Minuten lang eine Entschuldigung dafür, dass er sich traut, hier zu erwähnen, dass der Migrantenanteil in der Strafhaft relativ hoch ist. Das ist ein interessantes Schlaglicht, was ich gleich noch genauer beleuchten möchte.
Zunächst möchte ich aber meinen Dank aussprechen, meinen Dank an alle Justizvollzugsbeamten, die wirklich eine tolle Arbeit leisten, und das unter andauernd dünner Personaldecke, häufig bei Personalmangel, mit all den Problemen, mit denen sie in ihrer Arbeit konfrontiert sind, sei es Radikalisierung in den Gefängnissen, sei es eine zunehmende Anzahl von Anfeindungen und von Übergriffen auf Justizvollzugsbeamte und Ähnliches. Sie leisten wirklich eine beachtliche Arbeit. Dafür vielen Dank.