Protokoll der Sitzung vom 26.02.2020

Meine Damen und Herren, das ist der erste wichtige Aspekt: Diese Anschläge werden eben nicht von Einzeltätern begangen - auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen. Die Täter mögen alleine gehandelt haben, alleine den Finger am Abzug gehabt haben, aber sie waren keine Einzeltäter. Dieses Gerede, meine Damen und Herren, muss endlich aufhören.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Dana Guth [AfD])

Die Täter haben sich in ihrem Hass mit Gleichgesinnten aufgestachelt. Hier darf auch nichts entschuldigt oder relativiert werden. Wir sprechen hier von Rassisten, wir sprechen von Terroristen, von Menschenfeinden. Es muss ein Ende haben mit den bisweilen reflexhaften oberflächlichen Einordnungen und auch damit, zu schnell zur Tagesordnung überzugehen.

Erst vor zehn Tagen wurden mehrere Mitglieder einer Terrorzelle festgenommen, die - so der Generalbundesanwalt - durch Anschläge auf Moscheen und Muslime bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen wollten mit dem Ziel, diesen Staat zu mobilisieren. Die Empörung darüber war wahrnehmbar, aber nicht so groß, wie sie hätte sein müssen.

Das ist eine neue Qualität, die hier stattfindet, eine weitere Eskalation in dieser Spirale. Das ist auch der weitere Beweis dafür, dass es offenbar immer mehr Menschen mit rechtsextremistischer, rassistischer Gesinnung gibt, die sich darin bestärkt fühlen, die Rolle derjenigen einzunehmen, die für diejenigen, die nur reden, aber die schweigende Mehrheit in diesem Land bilden, endlich zur Waffe greifen, um dieses Deutschland von was auch immer, worüber sie in ihrem Wahn reden, zu befreien. Meine Damen und Herren, das ist die eigentlich gefährliche Entwicklung.

Wenn die AfD heute wieder in Person von Herrn Ahrends versucht, einerseits die Opferrolle einzunehmen und andererseits darzustellen, dass sie damit überhaupt nichts zu tun habe,

(Jens Ahrends [AfD]: Haben wir ja auch nicht!)

und auf den Täter von Hanau verweist, der psychisch krank ist

(Dana Guth [AfD]: Ja!)

- ja, einverstanden -, der aber trotzdem ein klares, geschlossenes, rassistisches Weltbild und Menschenbild hat und der eben auch in diesem Wahn gehandelt hat, wenn er in seinem „Manifest“ davon faselt, Völker auslöschen zu wollen, weil dieses Land was auch immer von diesen Völkern zu befürchten habe, dann ist das doch nichts anderes, als wenn Sie von „Bevölkerungsaustausch“ schwadronieren. Das ist doch die gleiche Diktion, die Sie verwenden!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Wi- derspruch bei der AfD)

Also müssen Sie sich doch einmal fragen, also müsste man doch schon fast die Frage stellen: Wer ist hier eigentlich noch alles psychisch gestört?

(Zuruf von der AfD: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, rechtsextremistischer Terrorismus ist nun einmal eine fundamentale Bedrohung für unser Land. Wenn Menschen in unserem Land

(Zurufe von der AfD - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- da sollten Sie zuhören - wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Haar- und Hautfarbe wieder Angst haben müssen, hier zu leben, dann bricht in unserem Land etwas zusammen. Das können und dürfen wir nicht zulassen! Alle Demokratinnen und Demokraten müssen jetzt zusammenstehen.

Unsere Sicherheitsbehörden stellt diese Entwicklung vor eine besondere Herausforderung. Wir haben es hier schließlich vor allem auch mit einer neuen Dynamik der Radikalisierung im Internet zu tun. Wir müssen uns mit einem verhältnismäßig neuen Tätertyp auseinandersetzen, mit Rechtsextremisten, die sich online radikalisiert haben und dabei immer wieder von einem losen Netzwerk von Gleichgesinnten begleitet, angestachelt und ideell oder auch materiell unterstützt werden.

Um dem Rechtsextremismus entgegentreten zu können, müssen wir deswegen analog und digital weiter wachsam sein. Vor wenigen Tagen konnten wir dazu einen weiteren wichtigen Impuls im Kampf gegen die Hasskriminalität im Internet setzen. Wir sind also tätig, Herr Dr. Birkner. Vor allem online sind unter dem vermeintlichen Deckmantel der Anonymität Beleidigungen und Drohungen an der Tagesordnung. Wir wissen, dass das der Nährbo

den für diejenigen ist, die dann am Ende zu den Waffen greifen.

Bislang ist es für Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden oft schwer, die Verursacher zu identifizieren. Strafverfahren müssen aufgrund des Ermittlungsaufwandes viel zu oft eingestellt werden. Auch das Internet - ich wiederhole es - darf kein rechtsfreier und kein strafverfolgungsfreier Raum sein, und er darf auch nicht als ein solcher wahrgenommen werden. Das Internet ist kein Sherwood Forest für Outlaws, die sich irgendwelchen romantischen Idealen verschrieben haben.

Gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern haben wir deshalb in diesem Monat eine entsprechende Bundesratsinitiative eingebracht, um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Bundes zu ändern.

Auch das habe ich an dieser Stelle schon deutlich gemacht: Es geht dabei nicht um eine Klarnamenpflicht, sondern um Bestandsdaten, auf die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden im Ernstfall schneller zugreifen können, um so schneller ermitteln zu können.

In unserem Land darf es nirgendwo - das muss klar bleiben - einen Rückzugsort für Kriminelle und Extremisten geben - nicht analog und nicht digital. Unsere Initiative wird es deutlich erleichtern, die Täterinnen und Täter zu identifizieren.

Ja, meine Damen und Herren, auch das Thema Vorratsdatenspeicherung wird in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiert. Ich bin davon überzeugt, hier gilt es jetzt erst einmal die ausstehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, bevor hier irgendjemand umfassende Gesetzesänderungen in diesem Bereich anstößt. Das wird bislang in Europa höchst unterschiedlich angewandt und macht die Verlässlichkeit und Transparenz nicht besser. Aber wenn die Urteile vorliegen, müssen wir uns mit dieser Frage beschäftigen.

In anderen Bereichen kann es aber durchaus sinnvoll sein, schon jetzt konkrete Gesetzesänderungen zu prüfen, gerade nach Hanau. Natürlich muss die Frage legitim sein: Wie kann es sein, dass der Attentäter von Hanau ganz legal eine Waffe besitzen durfte, noch dazu eine 9 mm?

Es war wichtig, dass gerade Änderungen in Kraft getreten sind, um so etwas zu verhindern. Wir müssen aber klären, ob hier erstens weitere Verschärfungen nötig sind oder ob es zweitens vor allem auf eine konsequente Anwendung dieser Regelungen ankommt, also ob es womöglich eher

ein Verwaltungsvollzugsdefizit in den Ländern bei den Waffenbehörden gibt oder ob in der Tat die Gesetze nicht ausreichen.

Ich habe es schon mehrfach betont: Es kann nicht sein, dass wir mit Blick auf die Waffengesetze der USA zu Recht mit dem Kopf schütteln, aber bei uns nicht alles dafür tun, um die Menschen vor Waffengewalt zu schützen.

Ich will ein weiteres Beispiel dafür nennen: In der letzten Waffenrechtsnovelle haben wir nach jahrelangen Diskussionen endlich die Regelanfrage beim Verfassungsschutz durchgesetzt. Das war eine lange Diskussion mit einigen B-Ländern - nicht mit allen.

Damit das Gesetz in Kraft treten konnte, haben alle Länder u. a. einer Regelung zugestimmt, die in der Öffentlichkeit kaum Beachtung gefunden hat, nämlich einer Erleichterung des Bedürfnisnachweises zum Besitz von Waffen durch Schützen. Nach zehn Jahren Mitgliedschaft im Sportschützenverein und regelmäßigem Schießtraining braucht man danach keinen Nachweis mehr zu führen, dass man noch aktiver Schütze ist, um weiter Waffen zu führen. Ich finde, das ist eine Regelung, die dringend auf den Prüfstand muss, auch wenn das Gesetz gerade erst in Kraft getreten ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach den schrecklichen rechtsextremistischen Anschlägen in den vergangenen Monaten darf es kein „Weiter so!“ geben. Es muss erlaubt sein, alles auf den Prüfstand zu stellen. Das darf nicht zu Aktionismus führen, aber wir müssen auf diese fundamentale Bedrohung unserer Gesellschaft reagieren, und zwar alle gemeinsam, alle Demokratinnen und Demokraten, als Menschen, die in einer freiheitlichen, demokratischen, pluralen Gesellschaft, in einem freien Deutschland, in einem sicheren Deutschland leben.

Niemand darf in unserem Land Angst haben, aufgrund seines Aussehens, seiner Kultur oder seiner Religion Opfer eines Verbrechens zu werden. Niemand darf das Gefühl haben, er steht allein gegen Hass, Hetze und Gewalt. Das dürfen wir nicht zulassen. Deswegen ist es richtig, neben den repressiven Maßnahmen den Dialog z. B. mit den muslimischen Gemeinden und mit den jüdischen Gemeinden zu führen. Das macht diese Landesregierung bereits.

Zum Schluss sage ich: Deutschland kann wirklich stolz darauf sein, Heimat für so viele Kulturen und Religionen zu sein. Es ist unser gemeinsamer Auftrag, meine Damen und Herren, das zu bewahren und das zu beschützen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Der Kollege Dr. Birkner hat einen Antrag auf zusätzliche Redezeit gestellt. Bitte, zwei Minuten, Herr Dr. Birkner!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, es ist genau das eingetreten, was ich befürchtet habe. Ihre Rede war im Prinzip identisch mit der, die Sie vor einem Monat gehalten haben. Auch hier geht es um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und darum, dass Sie die IP-Adressen usw. haben wollen. Alles in Ordnung.

Aber was ist denn jetzt die Konsequenz für die niedersächsischen Sicherheitsbehörden? Ist man in Niedersachsen gut aufgestellt? Brauchen wir hier eine Verbesserung der Sicherheitsarchitektur, der Analysefähigkeiten? Welches sind da Ihre Initiativen?

Ich vermisse - um es deutlich zu sagen - jetzt ein ganz konkretes Aktionsprogramm dieser Niedersächsischen Landesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das, was da kommt, ist viel zu wenig.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Anja Piel [GRÜNE])

Man kann hier nicht nur immer betroffene Reden halten, aber selber in der Verantwortung stehen, die Dinge anzupacken.

Das hat nichts mit Aktionismus zu tun; denn die Themen liegen auf dem Tisch. Die muss man jetzt doch einmal angehen!

Wie geht es denn weiter mit der Entwaffnung der rechtsextremen Szene in Niedersachsen? Wie wollen Sie da weiter vorankommen? Wie soll der Schutz gefährdeter Personen, Institutionen und Objekte in Niedersachsen verbessert werden?

Reicht es aus - ich hoffe, jetzt nicht nur vorübergehend -, Polizeiwagen vor die Tür zu stellen, oder muss darüber hinaus mehr kommen? Muss man jetzt gemeinsam mit Kommunen, mit den Sicherheitsbehörden, mit den Betroffenen den Weg ansprechen? Wie soll es eigentlich, wenn Sie den Dialog insbesondere mit den muslimischen Gemeinden angehen - das ist nicht nur ein Thema des Ministerpräsidenten, sondern geht darüber hinaus - mit den sogenannten Staatsverträgen mit den muslimischen Verbänden weitergehen? - Da passiert seit Jahren überhaupt nichts.

Es war ja immer auch für die Integration und das Zusammenführen, die Verständigung ein ganz wichtiges Anliegen, hier eine gemeinsame Basis zu finden. Nichts passiert bei diesem Thema beim Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei. Stillstand ist eingetreten! Aber hier das Hohelied des Dialogs zu singen, das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der FDP)

Wie soll denn tatsächlich gesichert werden, dass die Präventionsarbeit wirklich dauerhaft ausfinanziert wird? Welches sind dazu die konkreten Vorschläge der Landesregierung?

Zu allen diesen Themen haben Sie hier nichts gesagt. Meine Erwartung ist, dass diese Landesregierung angesichts dieser dramatischen Entwicklung jetzt eine schlüssige Konzeption auf den Weg bringt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)