Protokoll der Sitzung vom 25.03.2020

(Lebhafter Beifall)

und wahrscheinlich bei jedem Kunden, der ein wenig hustet, die Luft anhält. Deswegen danke ich ausdrücklich allen Kolleginnen und Kollegen, die hier heute mit uns erschienen sind, nicht. Unser Erscheinen ist eine Selbstverständlichkeit!

(Beifall)

Erschienen sind wir natürlich auch, um heute den Nachtragshaushalt mit der in der Verfassung vorgesehenen Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Aber unsere Aufgabe wird mit diesem Beschluss auf keinen Fall beendet sein. Das ist schon gesagt worden.

Wir werden diese Krise gemeinsam überwinden und dann auch zu diskutieren haben, was wir aus ihr gelernt haben. Wir werden darüber sprechen müssen, wie wir unser medizinisches System künftig aufstellen wollen, auch um für die nächste Krise gerüstet zu sein. Wir werden darüber sprechen müssen, ob es richtig ist, wenn wir die Produktion lebenswichtiger Medikamente und Geräte immer mehr außerhalb des eigenen Landes organisieren. Wir werden darüber sprechen müssen, ob wir weiter mit ansehen wollen, wie große Teile der wissenschaftlichen Forschung dorthin abwandern, wo das meiste Geld für diese Forschung gezahlt wird. Und wir werden darüber sprechen müssen, welche Zukunft unsere Landwirtschaft in Deutschland haben soll. Dabei werden wir mit Blick auf aktuelle

Diskussionen vielleicht zu ganz neuen Ergebnissen gelangen.

(Beifall bei der CDU)

Möglicherweise müssen wir auch darüber sprechen, mit welcher Mehrheit - anwesende oder gewählte Abgeordnete - wir künftig angesichts der hier gelichteten Reihen die Notlagen feststellen wollen, die die Verfassung vorsieht, um trotz Schuldenbremse finanzielle Hilfspakete in Krisensituationen zu organisieren. Ich will es hier noch einmal ausdrücklich sagen: Was wir hier in den vergangenen Monaten in Sachen Schuldenbremse formuliert haben, war beispielhaft für eine exzellente und vorausschauende Parlamentsarbeit. Darauf können wir wirklich stolz sein.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Dies alles aber zu einem späteren Zeitpunkt. Jetzt gilt es zunächst, Hilfe für die Menschen im Land zu organisieren, und dies nicht nur im Bereich der Gesundheit.

Der Ministerpräsident sprach in seiner Rede davon, es könne ein bis zwei Jahre dauern, bis wir die Krise überwunden haben. In der zitierten Risikoanalyse des Bundes heißt es hierzu:

„Nachdem die erste Welle abklingt, folgen zwei weitere, schwächere Wellen, bis drei Jahre nach dem Auftreten der ersten Erkrankungen ein Impfstoff vorhanden ist.“

Ich hoffe, dass der Bericht in diesem Punkt irrt. Ich hoffe weiter, dass wir die Folgen dieser Krise viel früher in diesem Parlament bewerten können - in der alten, lebhaften Sitzordnung und bei bester Gesundheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Für die AfD-Fraktion hat sich die Kollegin Guth zu Wort gemeldet, die aber noch so lange wartet, bis hier vorne wieder alles auf Vordermann gebracht worden ist.

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

- Vielen Dank.

Frau Kollegin Guth, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Corona - und wie weiter? - Das könnte heute die Frage sein.

Erinnern Sie sich noch an das Januar-Plenum? - Am 30. Januar stellte mein Kollege Stephan Bothe im Rahmen des Plenums Fragen zum Thema Corona an unsere Sozialministerin Frau Reimann. Diese hatte am Vortag bereits unterrichtet. Allerdings waren diesbezüglich noch einige Fragen offen, zumindest in unserer Fraktion.

Auch wenn Sie es heute lieber nicht mehr wissen wollen, liebe Frau Ministerin: Wir fragten nach besonderen Kontrollen am Flughafen Hannover, nach dem Stand des Infektionsalarmplanes in Niedersachsen, nach den Wegen zu einer schnelleren Diagnostik für Mediziner in Niedersachsen, nach besonderen Sicherheitskontrollen auf Seewegen und bei Zugverbindungen sowie nach besonderen Gesundheitskontrollen von Mitarbeitern an Flughäfen etc. Und wir fragten ganz klar nach, ob geplant sei, Schutzausrüstungen, Spezialkleidung für medizinisches Personal, Schutzmasken für die Bevölkerung etc. zu erwerben.

Ihre Antworten damals: Wir befinden uns in einer frühen Phase; man müsse schauen; das sei alles in der Form noch nicht notwendig.

Dann kam das Februar-Plenum. Am 26. Februar informierte die Landesregierung den Landtag erneut über Corona. Es war mehr oder weniger ein Abwiegeln: Es sei alles gut vorbereitet. Es kam auch folgende Aussage: Auch wenn es banal klingt: Händewaschen usw., wie bei der Grippewelle! Im Regelfall seien nur leichte Verläufe zu befürchten, die zu Hause auskuriert werden könnten. Für schwere Fälle sei man gut aufgestellt.

Man warnte davor, dass alle in Panik verfallen. Man wusste davon zu berichten, dass Hinweise auf ausverkaufte Infektionsmittel auch wieder nur Panikmache seien. Hände waschen usw. würde genügen. Hinweise auf eventuelle Finanzierungsprobleme bei den notwendigen Tests wurden vom Tisch gewischt. Aber man wünschte sich, dass sich nun doch intensiv mit der Frage auseinandergesetzt würde, ob man Schutzkleidung anschaffen solle oder nicht.

Man stellte fest, dass von uns mal wieder Panikmache betrieben werde. Eine Todesgefahr bestehe ja nur bei Alten oder Menschen mit Vorerkrankungen.

Wir forderten zu diesem Zeitpunkt: einen Krisenstab, eine verpflichtende Untersuchung aller Personen, die am hannoverschen Flughafen ankommen, Absagen von Großveranstaltungen wie der Hannover-Messe.

Am 5. März stellten wir einen Zehn-Punkte-Plan vor mit dringend notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, u. a. mit Inhalten wie: ambulante mobile Testeinheiten einrichten, zentralisierte Beschaffung von medizinischem Schutzmaterial organisieren, zentrale Bürgernotrufnummern einrichten, Erweiterung von Isolierstationen, Aufstockung von Personal, intensive Aufklärung der Bevölkerung, Herstellung der Informationshoheit über eine zentrale Webseite und Social-MediaKanäle, flächendeckende Bereitstellung von Desinfektionsspendern und Hygienekontrollen, ver

schärfte Kontrollen an Flughäfen, Absagen von Großveranstaltungen, Schulschließungen und die Aussetzung der Einwanderung.

Am selben Tag äußerte sich der Deutsche Lehrerverband und nannte flächendeckende Schulschließungen einen „Maßnahmen-Overkill“ - zu viel, zu übertrieben, einfach drüber. Am 13. März, acht Tage später, wurde der „Overkill“ für Niedersachsen beschlossen.

Heute, am 25. März, steht unser Land vor einer Situation, die es so noch nicht gegeben hat: das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt, Schulen und Kitas dicht, Gastronomie geschlossen, Geschäfte geschlossen, Arbeitnehmer - soweit es geht - im Homeoffice, Versammlungsverbot, Kontaktverbote. Niemand, wirklich niemand hätte sich so etwas vorstellen können. Niemand kann beurteilen, wie weit die Folgen reichen werden, und niemand kann sagen, wie lange das so weitergehen soll.

Aber eines ist sicher: Deutschland wird nach Corona nicht mehr so sein, wie es einmal war. Viele Menschen werden krank werden, gesundheitliche Schäden davontragen oder sogar ihr Leben verlieren. Das ist die wirkliche Tragödie an Corona. Egal, wie umfangreich die Hilfspakete, die dringend notwendig sind, sein werden, sie werden nicht ausreichen, um unzählige Firmenpleiten zu verhindern. Viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Die Wirtschaft wird einen Einbruch erleben, wie ihn sich viele Menschen heute noch nicht vorstellen können oder wollen.

Damit einhergehen werden viele Fragen, z. B. wie wir unser Sozialsystem aufrechterhalten wollen - Fragen, liebe Landesregierung, auf die Sie bereits

heute Antworten suchen sollten, da das kein Horrorszenario, sondern bittere Realität ist.

Corona, ein kleiner unsichtbarer Feind, hat nun in einem Handstreich gezeigt, dass es Ereignisse gibt, die wir alle nicht in der Hand haben. Eine Krise, wie wir sie heute erleben, ist nicht der Zeitpunkt für Regierungsschelte. Ich sage Ihnen ganz offen: Niemand, wirklich niemand, möchte derzeit in Ihrer Haut stecken. Es gilt, das richtige Maß zu finden. Aber wie tut man das in einer Situation, die mit nichts vergleichbar ist?

Im Nachgang werden die Ereignisse aufgearbeitet werden, und bereits heute steht fest, dass es viel Kritik geben wird: zu viele Maßnahmen, zu wenige, zu weitreichend, zu spät, nicht genug, zu zögerlich. - Und Sie werden sich dem stellen müssen.

Lobenswert zu erwähnen sind nach unserem Dafürhalten die Ruhe und Unaufgeregtheit unserer Landesregierung. Was in normalen Zeiten manchmal etwas hausbacken und langweilig wirkt, ist in Zeiten einer gesamtgesellschaftlichen Panik eher angenehm.

Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, auch im Namen meiner Kollegen, dass Sie das Profilierungsgehabe einiger Ihrer Amtskollegen in anderen Bundesländern nicht nachmachen. Eine Pandemie sollte nicht zu persönlichen Wahlkampfzwecken missbraucht werden. Ich bin guten Mutes, dass Sie uns Bußgeldkataloge für Besuche im Altenheim oder die unbefugte Nutzung eines Spielplatzes ersparen werden.

Ihrem Stellvertreter sei die Bitte ins Stammbuch geschrieben, dass gerade in Krisenzeiten das Sprechen mit einer Stimme unverzichtbar ist. Auch wenn Ihre Zwangsehe im Niedersächsischen Landtag eher eine schwierige Verbindung ist, sollten Sie sich nunmehr uneingeschränkt hinter Ihren Ministerpräsidenten stellen - im Sinne von Niedersachsen. Aber ich denke, das werden Sie tun.

Entscheidend sind heute die folgenden Punkte: Wie geht es weiter? Welche Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht, und was lernen wir daraus? Wie sieht der Plan für die Zukunft aus? - Ich weiß, dass die Frage „Wie geht es weiter?“ aktuell niemand beantworten kann. Wir alle wissen aber, dass es so wie im Moment nicht lange weitergehen kann.

Die Angst vor Corona lässt aktuell viele Entscheidungen zu, die unter normalen Umständen undenkbar gewesen wären. Die Menschen haben Panik - ob berechtigt oder unberechtigt, sei dahin

gestellt. Aber wir alle wissen, dass dieser Zustand irgendwann abflacht. Das liegt in der Natur der Dinge.

Aktuell kommt man nicht an Horrormeldungen vorbei. Man öffnet die Zeitung: Corona. Fernsehen: Corona. Internet: Corona. Aber auch hier wird eine Übersättigung eintreten. Die wird schnell kommen, und damit wird die Frage einhergehen: Wie lange trägt die Bevölkerung die massive Einschränkung ihrer Grundrechte mit?

Aktuell überbieten sich Bundesländer darin, in die Freiheitsgrundrechte ihrer Bürger einzugreifen, und aufgrund der bestehenden Angst vor dem Unbekannten ist ein großer Teil der Bevölkerung damit einverstanden, obwohl ihm nach derzeitigem Erkenntnisstand keine schweren Krankheitsverläufe drohen würden.

Für diesen Zeitpunkt brauchen Sie Antworten. Sie schließen Geschäfte und greifen damit in die Berufsfreiheit und in die Eigentumsfreiheit ein. Sie haben die Versammlungsfreiheit aufgehoben; Sie schließen religiöse Begegnungsstätten und greifen damit in die Glaubensfreiheit ein. Sie haben die Freizügigkeit und die allgemeine Handlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Sie verhängen Kontaktsperren, und manche Politiker - wir haben es vorhin gehört - sprechen bereits davon, die Einhaltung derselben bis in die privaten Wohnungen verfolgen zu wollen. Damit greifen Sie auch noch in die Unverletzlichkeit der Wohnung ein. Hier fordere ich Sie dringend auf: Behalten Sie das rechte Augenmaß für Niedersachsen!

Viele Entscheidungen der Politik waren in der Vergangenheit für unsere Bürger schlichtweg unverständlich. Ich verweise auf die Bereiche Kriminalität und Terrorismusabwehr. Vieles war mit Verweis auf die Grundrechte potenzieller Täter schlichtweg nicht möglich. Warum sollte dies jetzt für unbescholtene Menschen möglich sein, vor allen Dingen über einen sehr langen Zeitraum? Bereits jetzt mehren sich die Stimmen aus Juristenkreisen, die weder den § 28 des Infektionsschutzgesetztes als Rechtsgrundlage für die verhängten Maßnahmen für geeignet, noch eine längerfristige Durchführung der verhängten Restriktionen für rechtskonform halten. Auf diese Fragen brauchen wir Antworten!

Welche Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht? - Das aktuell größte Problem ist unser Gesundheitswesen. Ja, es funktioniert im Moment gut und deutlich besser als in anderen Ländern. Aber es ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Wir haben in der Vergangenheit oft über die Probleme

des Gesundheitswesens gesprochen: reduziert, kaputtgespart, privatisiert! Viele Maßnahmen sind in der Vergangenheit - oft ungehört - kritisiert worden. Diese erweisen sich jetzt als Bumerang: Personalmangel, Klinikschließungen, fehlende Ressourcen! Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist eine originäre Aufgabe des Staates. Gewinnerzielungsabsichten gehören hier schlichtweg nicht hin.

Daraus folgen heute Sachstände wie z. B., dass die Ärztekammer Niedersachsen in einem Schreiben vom 22. März - vor drei Tagen - folgendes Dementi äußert:

Auch wenn landauf, landab insbesondere von der Bundesebene berichtet wird, dass Schutzmaterial im Anflug sei, entspricht dies nicht der Realität.

Die Kassenärztliche Vereinigung schrieb am 5. März Ärzte in Niedersachsen an und bat um deren Unterstützung in Vier-Stunden-Schichten in Testzentren. Diesen besonderen Einsatz wollte man mit Stundenlöhnen von 200 Euro vergüten. Da frage ich mich: Wie erklären wir das den Krankenschwestern und -pflegern, die momentan wirklich Übermenschliches leisten?