Wir werden diese Landesregierung nicht an den Worten messen - es sind in den letzten Jahren zu dieser Thematik so viele Absichtserklärungen abgegeben worden -, sondern an den Taten.
- Sehr geehrter Herr Hillmer, es gab unter RotGrün eine Bundesratsinitiative zu dieser Thematik. Rot-Grün in Niedersachsen hat vom Bund ein Verbot der Werkverträge in dieser Branche gefordert.
Die Bundesregierung - im Bund regieren wir Grüne ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr - hat das verhindert und auf das Konzept der Selbstverpflichtung gesetzt.
- Vielen Dank für den Zwischenruf, Herr Hilmer! Sie zeigen noch einmal, dass Sie das Prinzip nicht verstanden haben.
Ich kritisiere das auch deshalb so scharf, weil wir feststellen müssen, dass sich an der Realität der Schlachthofmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in Niedersachsen in Wirklichkeit nichts geändert hat. Ja, es gibt Temperaturchecks am Werktor; das war es aber auch. Sie arbeiten weiterhin Seite an Seite unter dem Zeitdruck der Akkordarbeit am Fließband. Sie wohnen weiterhin in Mehrbettzimmern. Sie sitzen weiterhin nebeneinander in den Transportern von der Unterkunft zum Werksgelände. Wenn sie infiziert sind, kommen sie in Quarantäne - allerdings Infizierte und Gesunde zusammen.
Wir nehmen in den Medien wahr, dass zumindest in Nordrhein-Westfalen - es wird hier womöglich nicht anders gewesen sein - die Versorgungslage dieser Menschen in Quarantäne nicht gesichert ist. Dort leben nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern zum Teil auch die Familien und Kinder. Das ist so vollkommen inakzeptabel!
Der Lohn fällt aus. Die Wuchermiete läuft weiter. Herr Althusmann, Sie haben zu Recht auf die Problematiken hingewiesen. Sie haben die Zustände auf die Frage zu der Arbeit der Beratungsstellen korrekt beschrieben. Wo aber sind Ihre Erlasse und Sofortmaßnahmen? - Da kommt doch gar nichts!
Sie haben gesagt, die Kommunen sollen verstärkt kontrollieren. Im letzten Plenum haben wir gehört, dass nur telefonische Kontrollen stattgefunden haben und nur ein Landkreis vor Ort war. Wo sind die Erlasse, damit sich diese Praxis ändert?
Die zwei Minuten kommen noch hinzu; das ist sehr schön. Das gibt mir Gelegenheit, den Ablauf darzustellen.
Es gab den Beschluss des Bundeskabinetts am 20. Mai dieses Jahres. Danach hat sich die mediale Aufmerksamkeit erledigt. Alle dachten, damit sei das Thema abgearbeitet. Mitte Juni haben sich Herr Althusmann, Frau Otte-Kinast, Herr Dammann-Tamke und auch Ex-Staatssekretär Ripke - jetzt Geflügel-Lobbyist - quasi wieder aus der Deckung gewagt und sich skeptisch bis ablehnend geäußert.
Ich bin froh, dass Sie hier jetzt eine deutlichere Positionierung vorgenommen haben. Letztlich haben wir aber immer noch die Sorge, dass die jetzige Offensive wieder versanden könnte.
Worauf wir warten, ist eine klare Positionierung des Ministerpräsidenten zu dieser Problematik. Sie haben ja die Richtlinienkompetenz, Herr Ministerpräsident Weil. Das wissen Sie ganz genau. Bei vielen Themen setzen Sie sie ein. Bei diesem Thema kam sehr schleppend und sehr zögerlich
eine Positionierung. Auch in Ihrer Regierungserklärung - das ist uns in diesem Plenum sehr wohl aufgefallen - haben Sie nicht gesagt, wie es in diesem wichtigen Punkt weitergehen wird. Deswegen haben wir weiterhin die Sorge, dass die Landesregierung nicht zu 100 % zu diesem Beschluss des Bundeskabinetts steht.
Ebenfalls Sorge macht uns die folgende Nachricht - vielleicht haben Sie sie heute auch schon gehört -: Herr Gabriel hat von März bis Mai dieses Jahres einen Beratervertrag bei Tönnies gehabt - angeblich wegen der Schweinepest; zufälligerweise genau in der Corona-Zeit.
Wir wünschen uns, dass endlich viel strengere Vorgaben in Bezug auf Parteispenden - ich gucke mal in Richtung CDU - und Karenzregelungen umgesetzt werden.
Es ist ein Unding, dass sich Sigmar Gabriel hier zum Büttel der Schlachtindustrie gemacht hat! Ich verstehe nicht, warum einige Politiker immer noch nicht den Hals vollkriegen können. Wir brauchen hier endlich Entscheidungen!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zustände in der Schlachtindustrie und auch die Schilderungen aus den Berichten von Minister Althusmann sind unerträglich und müssen beendet werden. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig.
Die Verhältnisse, die wir hier erleben, haben nichts, aber auch gar nichts mehr mit unserer sozialen Marktwirtschaft zu tun. Weder die vorwiegend osteuropäischen Werkvertragsgesellschaften noch die Unternehmer in Deutschland, die sich auf diese Konstruktion einlassen, können den Titel eines ehrbaren Kaufmanns für sich beanspruchen. Niemand von denen, der eine derartige Praxis in seinem Unternehmen duldet und befördert, hat gesellschaftliches Renommee verdient.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Konstruktion über Werkverträge, die eigentlich Scheinwerkverträge sind, beschäftigt uns schon seit einiger Zeit. Sie hat eine Vorgeschichte. Weil uns die Vorgeschichte, die etliche Jahre zurückgeht, gelehrt hat, wie auf Veränderungen reagiert wird, habe ich Zweifel, dass das, was die Bundesregierung, aber auch die Landesregierung tun wollen, um dem ein Ende zu setzen, letzten Endes wirklich wirken wird und nicht wieder von einer kriminellen Kreativität ausgehebelt wird.
Es ging nicht mit Werkverträgen los, sondern mit der Arbeitnehmerüberlassung, mit dem Entsendegesetz. Die Politik hat damals fraktionsübergreifend - SPD, Grüne, FDP und CDU - im Vermittlungsausschuss diese Regelung und diese Aushebelung des Entsendegesetzes und der Arbeitnehmerüberlassung in einem großen Konsens geändert. Ich habe damals diese Regelung in der Fleischindustrie zusammen mit Hubertus Heil verhandelt. Wir beide hätten uns garantiert niemals vorstellen können, dass, nachdem der Bundestag das alles umgesetzt hatte, die Branche einfach die Überschrift „Arbeitnehmerüberlassung“ streicht und „Werkvertrag“ darüber schreibt und damit Konstruktionen wie heute perfide ausgestaltet.
Was lehrt mich persönlich das? - Erstens: Es gibt eine kriminelle Kreativität, die manchmal größer ist, als wir uns in der Politik vorher darüber Gedanken machen können. Zweitens: Das entscheidende Problem ist - das hat Minister Althusmann auch gesagt -, dass die Kontrollkompetenzen und Rechte teilweise gar nicht da sind. Auch bei der Frage, wie es in anderen Branchen aussieht, hat Minister Althusmann zu Recht geantwortet: Das wissen wir nicht, weil wir gar keine Kompetenzen haben, uns das anzuschauen.
Da ist der Hebel: Diese Kompetenzen müssen wir haben. Hier müssen wir hineinschauen können, damit sich dieses Instrument gar nicht erst auf andere Branchen und Bereiche weiter ausdehnt und andere auf die Idee kommen, den billigen Jakob, den sie in der Fleisch- und Schlachtindustrie gesehen haben, vielleicht auch für sich in Anspruch nehmen zu wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, es ist richtig. Herr Minister Althusmann, Sie haben gesagt, es muss auch schmerzhafte Strafen geben, sonst wird das Ganze nicht funktionieren. Bei dem, was dort verdient wird zulasten von sehr bedauernswerten Menschen insbesondere aus Osteuropa, die das alles erwirtschaften, sind die Strafen -
Es handelt sich bei diesen Konstruktionen ja nicht um Werkverträge. Ein Werkvertrag ist seit über 100 Jahren eine gute Praxis und ein wichtiges Instrument. Es handelt sich hier nicht um ein Produkt, das erstellt wird, sondern das Produkt ist hier der Mensch, der Arbeiter, der quasi erstellt wird. Das ist schlicht nicht akzeptabel.
Wer solche Konstruktionen macht und quasi Umgehungstatbestände selber schafft, der muss nicht einfach nur ein Bußgeld bekommen. Aus meiner Sicht dürfte er solche Ausgaben gar nicht mehr als Betriebsausgabe geltend machen dürfen, sondern er müsste das rückwirkend zurückerstatten und Abgaben entrichten, die deutlich über einer einmaligen Strafe stehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur dann, wenn es eine nachhaltige und sehr schmerzliche Bestrafung für den Betrieb gibt, wird man freiwillig überlegen: Wie kann es eigentlich sein, dass in meinem Betrieb mehr Mitarbeiter herumlaufen, als ich selber mal eingestellt habe, die sich an meinen Arbeitszeitvorgaben orientieren, die sich an meinen Betriebsabläufen orientieren, aber irgendwie mit mir als Betrieb doch gar nichts zu tun haben? - Nur dann wird man die Leute, die eine derartige Praxis üben oder versuchen umzusetzen, dazu bewegen können, aus Eigenschutz vor ihrem Portemonnaie Derartiges nicht zu machen. Dann sind sie zwar immer noch keine ehrbaren Kaufleute, aber diese Ausbeutung von Menschen hätte ein Ende.
Wir brauchen also mehr Strafe und mehr Kontrolle. Ich befürchte, nur das Verbot des Werkvertrages wird es nicht bringen; denn dann wird der Werkvertrag irgendwann anders heißen, oder das Betriebskonstrukt wird anders aufgebaut. Es geht nur über den Geldbeutel dieser Verbrecher.
Vielen Dank. - Als nächster Redner erhält Herr Abgeordneter Henning für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschenunwürdige Arbeits- und Wohnbedingungen für Werkvertragsbeschäftigte in der Fleischindustrie sind uns seit Jahren bekannt. Die großen Fleischkonzerne lagern einen Großteil ihrer Kerntätigkeiten an Subunternehmer aus, die ihrerseits Beschäftigte aus Ost- und Südosteuropa anwerben. Gearbeitet wird im Akkord, 12- bis 14-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit, und schlecht bezahlt ist es obendrein.
(Viele Beschäftigte arbeiteten) „nicht nur zu miesen Löhnen und Arbeitsbedingungen, sondern werden auch in Absteigen zusammengepfercht, in denen Abstand und grundlegende Hygienemaßnahmen kaum möglich sind". Das rächt sich nun in der Corona-Pandemie, meine Damen und Herren. Rund 850 Beschäftigte in Schlachthöfen hatten sich bis Mitte Mai mit dem Virus infiziert. Das sind 6 % aller in der Bundesrepublik bekannten COVID-19-Fälle. Nun kommt auch noch Tönnies in Gütersloh dazu: 1 300 Angestellte sind positiv getestet worden. Meine Damen und Herren, was brauchen wir in diesem Zusammenhang eigentlich noch? Die Bundesregierung, allen voran Arbeitsminister Hubertus Heil, hat völlig recht: Werkverträge gehören in der Fleischbranche schlicht verboten, meine Damen und Herren. (Zustimmung bei der SPD)
Werkverträge sind menschenverachtend, sie beuten Menschen aus, und elementare Arbeitnehmerrechte werden verweigert. Der ganze Skandal, der derzeit durch die Gazetten geistert, macht doch deutlich, unter welchen Bedingungen die Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ihr Dasein fristen müssen. Die Werkverträge begünstigen letztendlich - die Statistik zeigt es auch - den Corona-Ausbruch.
Vor diesem Hintergrund beantworte ich, Frau Staudte, sehr eindeutig die Frage 1 der Grünen für die SPD-Fraktion hier im Hause. Die SPD-Fraktion steht selbstverständlich geschlossen