Protokoll der Sitzung vom 02.07.2020

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich stelle gleich beide Fragen am Stück. Das macht es, glaube ich, einfacher.

Herr Minister, erste Frage: Vor dem Hintergrund, dass das Wesen eines Werkvertrages darin besteht, dass der Auftragnehmer nur das Werk, also das Produkt, schuldet, aber in der Art und Weise, wie er es erstellt, erarbeitet und seine Arbeitszeit einteilt, vollkommen frei ist, frage ich die Landesregierung: Lagen bei den von Ihnen festgestellten Fällen in der Fleisch- oder Schlachtindustrie diese Merkmale eines Werkvertrages vor, oder waren die Werkvertragsnehmer komplett in die betrieblichen Abläufe eingebunden?

Zweite Frage: Vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen auch über Entwicklungen in anderen Branchen frage ich Sie: Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Nutzung derartiger Konstrukte in anderen Branchen in Niedersachsen?

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister!

Herr Abgeordneter Bode, Erkenntnisse über andere Branchen liegen uns derzeit nicht vor, weil wir es auch nicht kontrollieren können. Rechtlich haben wir dazu wenig Handhabe. Die Werkverträge in der Fleischindustrie sind sehr differenziert zu betrachten. In der Regel ist dort ein ausländisches Unternehmen im Rahmen eines Werkvertrages beauftragt.

Der Vollständigkeit halber sollte man vielleicht doch noch Folgendes hinzufügen: Das Werkvertragsinstrument laut BGB kennen wir seit 120 Jahren. Ich würde einmal vorsichtig behaupten, dass ca. 90 % der gesamten deutschen mittelständischen Industrie - einschließlich VW, Universitäten oder anderen - über das Instrument der Werkverträge verfügen und dieses einsetzen. Damit wird dann ein bestimmtes Werk geschuldet. Dieses wird entsprechend besoldet. Die Firmen, die dort beschäftigt sind, haben eine Eigenverantwortlichkeit für ihre angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Letztendlich findet aber in der Fleischindustrie eine etwas andere Form von Werkvertrag statt; denn dort wird das Schlachten und Zerlegen dem Grunde nach auf dem Betriebsgelände selber und quasi eingegliedert in den Betrieb vollzogen. Zum Teil sind die bei den Werkvertragsfirmen angestellten Mitarbeiter sogar Solo-Selbstständige. Sie haben also unterhalb des Werkvertrages einer Firma noch eigene Verträge als Solo-Selbstständige. Dieses Gesamtkonstrukt ist inzwischen durch SubSub-Subunternehmerstrukturen und durch die verschiedenen Modelle der Anstellung bei solchen Unternehmen schlicht undurchschaubar geworden.

So, wie ich es verstanden habe, wurde in 2014 und dann in 2015 die Selbstverpflichtung der Fleischwirtschaft unterzeichnet, der sich aber, ich glaube, nur rund 23 Unternehmen - da sind zugegeben die etwas größeren dabei - dann tatsächlich angeschlossen haben, aber der Rest noch nicht. Man hat also eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass man auch dieses Verhältnis von Werkvertrag zu Stammbelegschaft in den Blick nehmen sollte und wollte. Bis heute, fünf Jahre später, ist das nicht gelungen. Teilweise haben wir die zu Recht beklagte 80:20-Regelung oder ein 70:30Verhältnis, also 70 % Werkverträge. Die Begründung für den Werkvertrag lautet aber, dass man ihn eigentlich nur einsetzt, um Arbeitsspitzen in besonderen Situationen abzufangen. Insofern ist

das aus meiner Sicht zumindest eine missbräuchliche Nutzung eines Werkvertrages, weil er nicht für Arbeitsspitzen eingesetzt, sondern dauerhaft genutzt wird, sodass das eigentlich ein Dauerarbeitsvertrag ist.

Deshalb sollten diese Arbeitskräfte zukünftig - das ist Ziel der Bundesregierung; das unterstützen wir - komplett in den Betrieb mit aufgenommen werden.

Herr Abgeordneter Bode, es muss uns in Deutschland doch wirklich umtreiben, dass Staaten wie beispielsweise Dänemark unsere Konstruktion des Werkvertrages dem Grunde nach verboten haben und Danish Crown daraufhin in Deutschland schlachten und zerlegen lässt, weil es nämlich in Deutschland so billig ist.

Meine Damen und Herren, Fleisch ist ein teures Produkt. Vielleicht gehört zur Wahrheit auch dazu, dass wir in Zukunft bereit sein müssen, für Fleisch auf unserem Teller, sofern wir es essen wollen, mehr zu zahlen. Auch das gehört zur Wahrheit!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die zweite und damit letzte Zusatzfrage für die SPD-Fraktion stellt Frau Kollegin Dr. Liebetruth. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Frage an die Landesregierung lautet: Welche weiteren Maßnahmen über das Verbot von Werkverträgen hinaus sind aus der Sicht der Landesregierung am wichtigsten, um die Situation der Beschäftigten in der Fleischindustrie zu verbessern?

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister Dr. Althusmann!

Frau Abgeordnete Liebetruth, dazu gehört unzweifelhaft ein allgemeingültiger Tarifvertrag, und zwar bundesweit, in dem Mindestlöhne festgelegt werden und nach denen dann auch bezahlt wird und nicht, dass Konstruktionen in den Verträgen gewählt werden, durch die von dem Werkvertragsunternehmen vom Lohn virtuell eine Miete abgezogen wird, um deutlich unterhalb der zu zahlenden Mindestlöhne zu bleiben. Ich glaube, dass dieser

bereits 2015 eingeforderte, aber bis heute nicht vorliegende allgemeingültige Tarifvertrag in der Fleischwirtschaft für ganz Deutschland eine wesentliche Voraussetzung ist.

Zweitens. Wir brauchen allgemeingültige, kontrollierbare und umgesetzte Standards in der Unterbringung von Menschen, die als Werkvertragsarbeitnehmer nach Deutschland kommen. Es ist schlicht auch eine Frage des Anstandes, des Respekts und des Umgangs mit Menschen, die in Deutschland arbeiten, dass sie hier menschenwürdige Bedingungen vorfinden. Das ist zumindest meine persönliche Überzeugung. Wenn das nicht gewährleistet wird, werden wir das am Ende mit gesetzlichen Maßnahmen sicherstellen müssen.

Ich habe es gesagt: Die Selbstverpflichtung ist gescheitert. Wir brauchen hier einen Systemwechsel. Diesen Systemwechsel werden wir jetzt vollziehen. Ich kann letztendlich nur an alle in der Fleischwirtschaft und mit der Fleischwirtschaft arbeitenden Menschen appellieren, dass jetzt die Einsicht einkehrt, dass wir hier diesen Systemwechsel in Deutschland vollziehen müssen. Ich meine, das sind die entscheidenden Voraussetzungen. Darüber hinaus zählen gerade mit Blick auf Corona Hygienestandards.

Drittens zur Frage der Testungen: Die Sozialministerin hat das Testen, ich glaube, am 4. Juni mit Blick auf die Betriebe der Fleischwirtschaft in Niedersachsen auf den Weg gebracht. Entsprechende Reihentestungen bzw. gezielte Testungen müssen bei einem Ausbruch vorgenommen werden, um das Coronavirus in den Blick zu nehmen.

Ich meine, das sind die entscheidenden Voraussetzungen: menschenwürdige Unterbringung, Tarifvertrag, schnelles Testen und die Hygienebedingungen der dort arbeitenden Menschen verbessern.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank. - Die zweite Zusatzfrage für die AfDFraktion stellt der Abgeordnete Henze. Bitte!

Vielen Dank. - Unter Punkt 9 fordern Sie ein abgestimmtes Vorgehen verschiedener Behörden: Veterinärbehörden, Arbeitsschutz, Zoll, Gesundheitsämter. Da bin ich absolut bei Ihnen. Ich frage mich nur, von wem und wo das koordiniert werden soll. Haben Sie dafür schon Ideen?

Vielen Dank. - Bitte!

Herr Abgeordneter, für die notwendigen Testungen haben wir beispielsweise ein Landesamt für Verbraucherschutz, das hervorragende Testkapazitäten vorhält und wo dafür auch hervorragend qualifizierte Mitarbeiter vorhanden sind.

Bei der Überprüfung müssen wir auf die Zollbehörden und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit setzen. Sie verfügt, wenn ich mich recht erinnere, über 6 000 Mitarbeiter. Diese Zahl kann ich aber nicht belegen. Sie werden dies kontinuierlich belegen müssen. Wichtig sind unangekündigte Kontrollen, um die Betriebe kurzfristig unter Druck zu halten, zumindest für die nächste Zeit, damit die Missstände dort abgestellt werden.

Eine Koordinierung muss dem Grunde nach durch den Bund erfolgen. Das werden die Länder womöglich nicht alleine leisten können, weil sie keinen Zugriff auf die Finanzkontrolle Schwarzarbeit haben. Aber Ihre Frage ist berechtigt. Wir werden uns um die Frage der Koordinierung der Einzelmaßnahmen, um sie ineinandergreifen zu lassen, auf der Basis des Gesetzentwurfs kümmern müssen.

Vielen Dank. - Die erste Zusatzfrage für die CDUFraktion stellt der Abgeordnete Bley. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schließe die zweite Frage gleich an, weil die erste Frage, die ich stellen will und auch stellen werde, zum Teil schon beantwortet worden ist.

Erste Frage: Die Bundesregierung hat ein Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft beschlossen. Hat auch die Landesregierung einen Plan zur Bewältigung der Problematik in der Fleischwirtschaft?

Zweite Frage: Was wird die Landesregierung unternehmen, um die von der Fleischwirtschaft angedrohte Verlagerung ihrer Unternehmen ins Ausland zu verhindern?

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister!

Herr Abgeordneter Bley, das Programm der Landesregierung sind diese zehn Punkte, die wir vorgestellt haben. Diese zehn Punkte gilt es jetzt umzusetzen - einschließlich der noch notwendig vorzunehmenden Änderungen im Wohnraumschutzgesetz und der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, die wir schaffen können.

Dem Grunde nach ist aber zunächst einmal der Bund gefordert, einen Gesetzentwurf für diesen von ihm zu regelnden Bereich vorzulegen.

Darüber hinaus bin ich fest davon überzeugt, dass uns das jetzt in einem gemeinsamen Kraftakt zwischen vier Ministerien gelingen kann. Wir sind zu viert verantwortlich: der Arbeitsminister für die Arbeitsbedingungen, die Sozialministerin für den Arbeitsschutz, die Landwirtschaftsministerin für die Landwirtschaft und der Bauminister für die Wohnunterbringungsbedingungen. Dieses miteinander zu bündeln und zu koordinieren, ist keine ganz leichte Aufgabe.

Vielleicht ist auch die Aufteilung und Differenzierung so vieler Bereiche eine Ursache dafür, dass es teilweise eine organisierte Unverantwortlichkeit gegeben hat - nicht bei uns; das würde ich für uns jetzt nicht in Anspruch nehmen. Aber die Fleischbranche hat die Lücken, die durch diese Aufteilung der Verantwortlichkeiten bestehen, ganz offensichtlich genutzt. Insofern hoffe ich, dass wir diese Missstände so schnell wie möglich abstellen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank.

Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen, das Fragenkontingent ist ausgeschöpft.

Wir kommen zur Aussprache. Da Herr Minister Dr. Althusmann die Redezeit deutlich überschritten hat, erhalten die Fraktionen jeweils zusätzlich eine Redezeit von zwei Minuten.

Wir beginnen in der Aussprache mit der Abgeordneten Frau Staudte, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wie bewerten wir das, was gerade gesagt worden ist? - Letztendlich müssen wir feststellen, sehr geehrter Herr

Dr. Althusmann, dass Sie ein Komplettversagen bei dem CDU-Konzept der Selbstverpflichtung eingeräumt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Immerhin. Das ist richtig so, und das ist notwendig. Das ist aus unserer Sicht überfällig.

Wir begrüßen, dass Sie eine Unterstützung des Bundesbeschlusses zugesagt haben, stellen aber fest, dass Sie hier trotzdem eine lange Liste an Bedenken vorgetragen haben. Wir nehmen Sie in dieser Thematik weiterhin nicht als Treiber, sondern als Bremser und als Bedenkenträger wahr.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Hill- mer [CDU]: Das ist falsch!)