Protokoll der Sitzung vom 06.10.2020

Ich denke, dieser ganze Suchprozess - Minister Lies hat es vorgetragen - wird wesentlich länger dauern als die Halbwertzeit von mehreren Regierungen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Manch einer wird dabei fragen: Warum das alles? Der Atomausstieg ist nun beschlossene Sache, und spätestens Ende 2022 wird das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden. Die vor längerer Zeit bereits abgeschalteten AKWs werden bereits zurückgebaut, und letzten Endes ist für mehrere auch die Stilllegung bereits beantragt. Mit der Einsetzung der Endlagersuchkommission wurden die Grundlagen für eine standortoffene Suche innerhalb Deutschlands nach einem geeigneten Endlager für hoch radioaktive Abfälle gelegt. Und von diesen Abfällen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es reichlich.

Nun zur Suche: Wo soll dieser Abfall hin? - Im ersten Schritt werden ungeeignete Gebiete ausgeschlossen. Wird eines von sechs Ausschlusskriterien im Standortauswahlgesetz erfüllt, kommt eine Region oder ein Ort als Endlager nicht mehr infrage. Mindestanforderungen müssen also erfüllt sein, um eine prinzipielle Eignung des geologischen Untergrunds festzustellen. Im Anschluss werden die geowissenschaftlichen Abwägungskriterien

angewandt, um besonders günstige Teilgebiete gegenüber weniger günstigen Teilgebieten bewerten zu können.

Minister Lies hat darauf hingewiesen: Wir sind noch in einem sehr, sehr frühen Verfahren. Frühestens im Jahre 2023 werden diese Vorschläge, diese Regionen samt zugehöriger Erkundungsprogramme an die BGE und an das BASE übermittelt. Und dann, im Jahre 2023 oder auch 2024, werden der Deutsche Bundestag und der Bundesrat darüber entscheiden, welche Standortregionen überhaupt übertägig erkundet werden. Diese Entscheidung wird, wie gesagt, erst der neu zu wählende Bundestag treffen.

Die Teilgebiete werden also nach geowissenschaftlicher Analyse immer kleiner geschnitten. In Niedersachsen sind das etwa 80 % der Landesfläche, die als Teilgebiete ausgezeichnet sind. Schacht Konrad in Salzgitter, Asse II bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel, Morsleben - in Sachsen-Anhalt, aber doch in unmittelbarer Nähe der Stadt Helmstedt - und auch Gorleben sind von diesem Verfahren ausgenommen. In Gorleben wird es kein Endlager für Atommüll geben. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Entscheidung der BGE gibt letzten Endes all denjenigen Recht, die gegen ein Atommüllendlager im Salzstock Gorleben gekämpft haben. Es war richtig, dass Niedersachsen Gorleben sehr früh mit aus dem Verfahren genommen hat. - Warum sage ich das? Als Erstes wurde ein Stopp für die Anlieferung der Castoren verfügt, und zweitens wurde beim neuen Suchverfahren vom Prinzip der weißen Landkarte ausgegangen. Diese Grundlage einer weißen Landkarte haben die Sozialdemokraten, insbesondere auf Bundesebene, in der Endlagersuchkommission mit initiiert.

In diesem langen Suchprozess, der im Jahre 2031 seinen Abschluss finden wird, sollte sich niemand - kein Bundesland, kein Landkreis, keine Gemeinde - entziehen. Das Sankt-Florian-Prinzip „Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“ darf hier nicht gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir stehen vor einer nationalen Herausforderung und vor einer nationalen Verantwortung, der sich alle Länder und Kommunen stellen müssen. Der Prozess ist - das sage ich ganz deutlich - von der Bevölkerung und von den Bürgerinnen und Bürgern kritisch zu begleiten und kritisch zu hinterfragen. Das Land wird hierbei auch entsprechende Unterstützung anbieten. Wir müssen verantwortungsbewusst und transparent handeln, und ich bin überzeugt, dass kein Bundesland in der Bundesrepublik Deutsch

land auf diesen Prozess so gut vorbereitet ist wie Niedersachsen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Andere Länder waren bei dem Suchprozess ein bisschen schneller, andere waren weniger schnell, und ich erkenne durchaus an, dass man ein Verfahren gefunden hat, das die BGE nun auch umsetzt. Ich erkenne auch an, dass einige Daten - das wird ja durchaus auch kritisiert - nicht veröffentlicht werden können. Dieses Verfahren gilt für den Prozess von hoch radioaktivem Müll, offenbar aber nicht für den Suchprozess für schwach- und mittelradioaktive Abfälle.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht alles gut ist bei der BGE.

Die BGE ist durchaus bemüht, den bestmöglichen Standort zu suchen. Ein Kriterium ist beispielsweise die Entfernung zu Wohngebieten. Ein weiteres Kriterium ist, kein altes - also gebrauchtes - Bergwerk zu nehmen. Für jemanden, der in der Region Braunschweig beheimatet ist, stellt sich durchaus die Frage, ob ein ehemaliges Erzbergwerk - hier Schacht Konrad -, das mitten in einem Gewerbegebiet liegt, im Herzen der Stadt Salzgitter, geeignet ist, um nach Wissenschaft und Forschung schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aufzunehmen. Hier ist Schacht Konrad offenbar mit negativen Privilegien und Kriterien ausgestattet worden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Auch bei der Rückholung der Abfälle aus der Asse und dem anschließenden Suchprozess für ein Zwischenlager hat sich die BGE nicht mit Ruhm bekleckert. Das durfte der Ausschuss vor einiger Zeit erfahren, als wir am 31. August einen Besuch vor Ort gemacht haben. In diesem durchaus lobenswerten Prozess der Asse-II-Begleitgruppe, der ja von der Transparenz her bundesweit Bedeutung erlangt hat, wurden die Hinweise der Begleitgruppe und auch die der Fachwissenschaftler ignoriert. Stattdessen wurde in einer Videokonferenz aus Berlin mitgeteilt, wo das Zwischenlager gebaut wird und wo die Abfälle, die in der Asse sind, dann eingelagert werden sollen.

Das, sage ich Ihnen ganz deutlich, sollte der Vergangenheit angehören. Ich denke, diese BastaPolitik mit dem Zwischenlager, diese Entscheidung ist eine falsche Entscheidung. Es ist wieder eine politische Entscheidung. Ich dachte, wir hätten uns davon schon längst verabschiedet.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die zentrale Forderung der Begleitgruppe einschließlich der Wissenschaftler lediglich nach der Prüfung von zwei weiteren Standorten wird offenbar nicht umgesetzt. Das ist im Grunde genommen eine Aufkündigung der echten Bürgerbeteiligung.

Ich sage Ihnen auch ganz deutlich - wahrscheinlich auch im Namen der Kollegen Oesterhelweg und Försterling und von Frau Kreiser -: Das wird sich die Region nicht gefallen lassen. Das sagen wir an der Stelle ganz deutlich mit dem Blick nach Berlin.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Schön, dass Sie die Grünen verges- sen haben! Das ist wieder einmal ty- pisch!)

Dieser Begleitprozess, der auch sehr gelobt worden ist, der mit Transparenz und Vertrauensbildung gestartet ist, wird dabei komplett infrage gestellt.

Also zur gelobten Suche der BGE: Wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Und während wir aus der Atom- und der Kernenergie aussteigen, zeigen sich unsere Nachbarn im Nordwesten unseres Bundeslandes davon offenbar völlig unberührt. Die Niederlande erwägen nach einer Studie zumindest, zehn neue AKWs zu bauen. Kernenergie scheint dort offenbar unverzichtbar zu sein. Ein AKW Eemshaven - in unmittelbarer Nachbarschaft zu Niedersachsen - könnte dort errichtet werden.

Ich frage mich ganz deutlich, ob dieser Albtraum der Kernenergie nicht enden will. Der Weg in die Kernenergie ist letzten Endes ein Irrweg. Das wissen wir als Deutsche ganz genau, und nach Fukushima und Tschernobyl wissen wir es erst recht.

In dieser Studie der Niederländer sind weder der Bau noch die Anschlüsse, die Netze und vor allen Dingen die Entsorgung mit eingerechnet. Wenn man sich das einmal überlegt und gegeneinander hält - es gibt seit etwas mehr als 60 Jahren Kernenergie, es gibt seit 60 Jahren Atomstrom, insbesondere die Entsorgung verschlingt Kosten in Milliardenhöhe, und dieser Müll soll für 1 Million Jahre gesichert werden -, dann stellt sich tatsächlich die Frage der Verhältnismäßigkeit.

Es ist - da möchte ich natürlich gern wieder auf die Gemeinsamkeit zurückkommen - die Aufgabe der BGE, von Anfang an größtmögliche Transparenz walten zu lassen. Es ist für Deutschland eine der größten Herausforderungen, in einem fairen, lernbereiten und kompromissfähigen Verfahren ein atomares Endlager zu finden. Atomenergie war

und wird nie nachhaltig, günstig und vor allen Dingen sicher sein. Alle Wiederbelebungsversuche für Atomkraft lassen Aspekte wie Sicherheit, Nachhaltigkeit und vor allen Dingen auch die Kosten unter den Tisch fallen.

Die Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört den erneuerbaren Energien. Sie müssen wir zügig ausbauen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bosse. - Es folgt für die FDP-Fraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Birkner. Bitte, Herr Dr. Birkner!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte drei Anmerkungen zur Regierungserklärung des Herrn Ministers machen.

Die erste Anmerkung ist: Herr Minister, wir haben - Sie wissen das - in dem gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen dieses Hauses zum Ausdruck gebracht, dass wir diesen Prozess in der Art und Weise, wie Sie ihn dargestellt haben, unterstützen und auch begleiten wollen. Das heißt, wir setzen auf Transparenz, wir setzen auf Partizipation, wir setzen auf einen wissenschaftsbasierten Prozess, und wir setzen auf einen fairen Prozess.

Sie haben angekündigt, dass Sie dazu auch einen Begleitprozess aufsetzen wollen, der eben nicht nur darin besteht, sage ich mal, sich in Hannover vielleicht auf Spitzenebene zu treffen, sondern bei dem tatsächlich vor Ort Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter präsent sein sollen.

Ich will damit den Wunsch verbinden, dass das, was damit an Erwartungen geweckt wird, klar ist. Meine Sorge ist, dass Sie diesen Prozess möglicherweise nicht ganz zu Ende gedacht haben, dass nicht ganz klar ist: Was passiert denn dann mit den Ergebnissen? Welche Rolle hat das Land? Ist das Land dann Partei bei den Interessen, die vor Ort formuliert werden, und vertritt es diese Interessen, oder ist es im Prinzip nur der Briefträger und sagt: „Das haben wir jetzt gesammelt und geben es an den Bund.“?

Es macht einen Unterschied, wie man auftritt. Das muss man zu Ende denken, damit von vornherein

klar ist, wer welche Rolle hat, und damit eben keine Erwartungen bei den Betroffenen und in den betroffenen Regionen geweckt werden, die am Ende nicht erfüllt werden können, und damit wieder neue Enttäuschungen eintreten. Meine Bitte ist, dass hinreichend klar ist und auch kommuniziert wird, welche Rolle man sich da tatsächlich selbst zuschreibt.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft sozusagen die Gemeinsamkeit, die wir hier im Haus zum Ausdruck gebracht haben. Die Gemeinsamkeit darf nicht hier enden. Wenn, wie ich höre, im Landkreis Emsland ein einstimmiger Beschluss gefasst wurde, dann sind auch Kollegen aus diesem Hause dabei,

(Johanne Modder [SPD]: Nicht nur!)

also Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags. Wenn, wie ich höre, der Kollege Bajus vor Ort per Twitter erklärt, in der Region sei man schon so mit Kernkraftwerken und anderen Dingen belastet, dass die Region von vornherein ausscheide, dann setzt sich ein Kollege aus dem Haus im Prinzip von den Kriterien, die wir gemeinsam beschrieben haben, ab und führt neue Kriterien ein.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP]) und Zuruf von Julia Willie Hamburg [GRÜNE])

Ich will nur sagen, das ist ein Problem, vor dem wir alle stehen, vor dem jeder, der vor Ort in Verantwortung ist, stehen wird. Diese Rollen muss man sich klarmachen. Ich glaube, auch die Ernsthaftigkeit des Prozesses und die Frage, welche Rolle wir haben, müssen einem klar sein. Es wird nicht funktionieren, hier die eine Botschaft und lokal eine andere Botschaft zu senden. Das mag für den einzelnen Abgeordneten zunächst mal funktionieren, aber es beschädigt den Prozess insgesamt und die Ernsthaftigkeit des Ganzen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der SPD)

Deshalb ist es, glaube ich, notwendig, das mit großer Ernsthaftigkeit und Konsequenz zu machen, oder wir beschließen das anders, was wir auf den Weg gebracht haben. Das wäre dann konsequent. Wir haben ja noch die Gelegenheit, darüber zu beraten. Wir sind ja beim letzten Mal erst in die erste Lesung gegangen.

Die dritte Anmerkung, Frau Staudte, will ich mal so machen, wie ich es mir hier notiert habe: Die Proteste zu Gorleben würde ich auch nicht glorifizie

ren. Wie Sie das formulieren, ist das sehr einseitig. Ich will nicht bestreiten, dass die Ereignisse und die Vorkommnisse, die Sie geschildert haben, da stattgefunden haben. Nur blenden Sie natürlich die andere Seite aus. Wir alle erinnern uns doch an Berichte von Polizeibeamten, die angegriffen worden sind, die sozusagen bei der Durchsetzung des rechtsstaatlichen Verfahrens

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

angegriffen und auch verletzt worden sind.

Wenn wir darüber sprechen, was passiert ist, dann zeichnen wir doch bitte ein ganzes Bild und das komplette Bild, um nicht sozusagen einseitig die Glorifizierung einer Seite und damit eine moralische Erhabenheit für den jetzigen Prozess zu formulieren.

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

Ich halte das für eine Belastung des jetzigen Prozesses und warne dringend davor, diese Dinge zu vermischen. Das Bild eines Unrechtsstaates, das Sie da gezeichnet haben, geht komplett fehl.

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

- Nein, Sie hat genau das Bild gezeichnet, Herr Kollege. Sie hat sogar gesagt: Das sind Maßnahmen, wie wir sie aus der DDR erwartet hätten. Was muss man denn noch mehr sagen, um dieses Bild zu zeichnen?

Ich halte das für falsch, und ich halte das für eine Verklärung der Umstände und warne davor, diese Sichtweise in den aktuellen Prozess hineinzutragen, weil das zu Belastung und Unglaubwürdigkeit führt.