Aber was wir brauchen, sind klare Kriterien und Maßstäbe und auch - das haben Sie selber aufgerufen - eine zeitliche Vorstellung darüber, wie Dinge ungefähr - natürlich unter allen Vorbehalten - laufen könnten. Die Kriterien sind bisher nur pauschale; es wird vom R-Faktor und von der Belegung der Krankenhausbetten gesprochen. Das ist auch richtig, aber wir müssen doch auch qualitativ und quantitativ einordnen können, welche Maßstäbe Sie, Frau Ministerin und Herr Ministerpräsident, ganz konkret anlegen, welche Größenordnungen für Sie entscheidend sind, um in eine nächste Stufe einzutreten. Es reicht nicht aus, so etwas einfach nur in den Raum zu stellen.
Herr Minister Althusmann sagt, dass man über Lockerungen sprechen kann, wenn man einen Inzidenzwert von 35 erreicht hat. Er stellt auch schon einen Stufenplan in Aussicht, der konkret aufzeigen soll, welche Bereiche wann wieder geöffnet werden könnten. Der Ministerpräsident hingegen spricht von einem Inzidenzwert von 50. Was gilt denn nun? Es führt doch auch zur Verwirrung, wenn die Landesregierung selbst so unterschiedliche Signale aussendet.
Gleichzeitig sagt der Ministerpräsident - ich zitiere -: „Wir wissen, wo das Infektionsrisiko niedrig ist.“ Aber wenn Sie das wissen, was bedeutet das
denn ganz konkret für Ihre Politik? Da bleiben Sie im Vagen, und das ist zu wenig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Alles in allem erwarten wir also von der Landesregierung, dass sie Farbe bekennt, dass sie das, was sie sicherlich intern vorbereitet - davon gehen wir fest aus -, die Kriterien und Maßstäbe, die sie hat, offen darlegt, damit die Politik berechenbar und verlässlich wird. Das, was wir derzeit erleben, ist jedenfalls das Gegenteil von dem, was notwendig ist.
Die nächste Sonder-MPK steht in der nächsten Woche, vielleicht sogar noch in dieser Woche an. Herr Ministerpräsident, wir erwarten, dass Sie den Niedersächsischen Landtag und auch die niedersächsische Bevölkerung darüber informieren, wie Sie in diese Besprechung gehen, wir erwarten, dass Sie hier und heute dazu Stellung nehmen. Das ist das Mindeste, was Sie tun können.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Birkner, ich verstehe, dass Sie das Thema „Corona-Strategie“ in diesem Tagungsabschnitt auf die Tagesordnung setzen wollten. Es beschäftigt uns ja auch alle.
Nun loben Sie auf der einen Seite die Landesregierung und sagen, es ist gut, nicht in diese Diskussion einzusteigen und wieder zu versuchen, sich gegenseitig zu überbieten, sondern zunächst ein bisschen ruhiger zu fahren. Auf der anderen Seite fordern Sie dann aber doch wieder eine Stellungnahme. Ich finde, Sie müssen sich schon überlegen, was Sie eigentlich wollen.
Die Landesregierung wird gleich selbst noch Stellung zu diesem Thema nehmen. Insofern muss ich sie jetzt auch nicht verteidigen, sondern kann im Sinne meiner Fraktion sprechen.
Verbünde von Expertinnen und Experten sehr unterschiedlicher Art geäußert - Bildungsforscher, Infektionsforscher, Virologen, Mediziner etc. -, z. B. in dem Ad-hoc-Papier der Leopoldina vom 8. Dezember; Sie haben es erwähnt. Darin fordern sie einen harten Lockdown ab dem 25. Dezember inklusive des Einzelhandels und sagen, dass ab der nächsten Woche die Schulen schließen sollen - mit Ausweichmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler, die nicht so gut im Homeschooling beschult werden können.
Für dieses Papier haben sich also sehr viele zusammengeschlossen, und dieses Papier ist auch wohl überlegt. Ich finde es gut, dass sich die Wissenschaft jetzt sehr lautstark zu Wort meldet und Empfehlungen gibt. Ich finde aber auch, dass man einer Landesregierung zugestehen muss, dass sie sich erst einmal intern eine Meinung bildet und nicht sofort sagt, wie sie sich positioniert. Zu einem gegebenen Zeitpunkt wird sie sicherlich Auskunft geben.
Die Ständige Impfkommission hat sich bereits Anfang November breit aufgestellt. Sie hat zusammen mit dem Deutschen Ethikrat und der Leopoldina eine Impfstrategie überlegt, mit der der immer noch knappe Impfstoff gerecht verteilt werden kann. Auch das sind wohl überlegte Kriterien, die jetzt auch in die Planung und in die Anwendung kommen.
Nach meinem Eindruck handelt unsere Landesregierung, aber auch die Bundesregierung verantwortungsvoll und sehr überlegt, um ein möglichst großes Maß an Gerechtigkeit bei der Verteilung von knappen Gütern in dieser Krise walten zu lassen und dieses dann zu gegebener Zeit mitzuteilen.
Insofern, Herr Birkner, kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen. Ich finde, dass sehr viele Forschergruppen und auch die Regierungen im Moment sehr hart daran arbeiten, einen vernünftigen Kurs zu fahren.
Nun kritisieren Sie auch, dass die Landesregierung mit den R-Faktoren und den Inzidenzzahlen sozusagen um sich schmeißt. Aber das sind eben sehr harte Kriterien, die einen Hinweis darauf geben, wie man in der nächsten Zeit steuern kann. Diese Zahlen sind sehr konkret, und es ist auch sehr konkret, was daraus folgt. Insofern kann ich auch an der Stelle Ihre Kritik nicht richtig nachvollziehen.
Frau Kollegin Wernstedt, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Ich möchte darum bitten, die Gespräche einzustellen. - Vielen Dank.
Ich kann gut nachvollziehen, dass die Opposition und ganz viele Menschen in der Bevölkerung gerne wissen möchten, wie es im Januar und Februar weitergeht. Mir selbst geht es ja auch so.
Wenn man einen harten Lockdown durchführt, wird man mit Sicherheit erreichen, dass die Infektionszahlen sinken, dass die Erkrankungszahlen und somit auch die Zahl der Todesfälle sinken. Wir wissen aber nicht, wie lange das dann anhält und was ist, wenn wir wieder öffnen: ob es dann nicht schnell zu einer dritten Welle kommt.
Im Moment kann nun einmal niemand sagen, wie sich das weiterentwickelt, auch nicht die Forschergruppen, die ich gerade zitiert habe. Deshalb finde ich es ein Stück weit ungerecht, von den Regierungen zu erwarten, Zukunftsprognosen abzugeben. Mehr als in die Glaskugel zu schauen, können die auch nicht.
Wie gesagt, ich habe großes Verständnis dafür, dass man das wissen möchte, weil mir das genauso geht. Auch ich möchte wissen, wie ich ab Januar bestimmte Dinge planen kann. Aber im Moment kann das wissenschaftlich begründet und mit gutem Gewissen niemand sagen. So ist die Lage nun einmal.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Wir fahren fort. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Kollegin Janssen-Kucz das Wort. Bitte, Frau Kollegin!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst vor zwei Wochen haben sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen auf ein Vorgehen für den Dezember geeinigt. Seither wurden die Maßnahmen bereits bis in den Januar verlängert, Verschärfungen angemahnt und die einzige halbwegs sicher geglaubte Perspektive für Weihnachten und Silvester wieder in
Zweifel gezogen. Selbst ein harter Lockdown - die Kollegen haben es angeführt - ist wieder im Gespräch bzw. wird in den nächsten Tagen in einigen Bundesländern schon kommen. So ja auch die Forderung der Leopoldina.
Ich will an dieser Stelle festhalten: Die Kommunikation und das Handeln der Bundesregierung, aber auch der Landesregierung in der CoronaPandemie ist aus meiner Sicht eine Krise für sich selbst. Wer laufend, fast täglich, eine Politik des Nachsteuerns macht, erweckt nicht den Eindruck, man hätte die Logik des Virus verstanden und einen Plan, wie man sozusagen vor den Virus und damit zu präventiven Maßnahmen kommt.
Fakt ist doch, dass mittlerweile kaum noch jemand weiß, was aktuell erlaubt ist und was nicht. Gut, dass es für viele Sachen eine App gibt. Wir Grüne werben seit Monaten für eine langfristige Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie. Aber genau das Gegenteil passiert gerade: Die Halbwertzeit der MPK-Beschlüsse nimmt rapide ab, und damit nimmt auch das Vertrauen in die Maßnahmen ab. Im Gegensatz dazu steigen wieder die Infektionszahlen. Der dezente Rückgang in Niedersachsen scheint seit einigen Tagen beendet zu sein. Bundesweit kann man von Entspannung erst recht nicht reden. Auch die bevorstehende Zulassung der ersten Impfstoffe ist allenfalls ein Zwischenschritt, aber noch lange nicht das Ende der Pandemie. Das wissen wir eigentlich alle, und da sollten wir uns auch ehrlich machen.
Was wir wirklich brauchen, ist ein Stufenplan, mit dem klar ist, wann und wo welche Maßnahmen greifen. Kinder und Jugendliche müssen wissen, wann sie ihren Hobbys wieder nachgehen und Freunde und Freundinnen treffen können. Betriebe müssen wissen, wann sie wieder mit Einnahmen rechnen können. Ältere Menschen müssen wissen, wann sie ihre Enkelkinder wiedersehen können. Familien müssen wissen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut kriegen. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, den Menschen in Niedersachsen in Zeiten großer Unsicherheit so viel Sicherheit, Transparenz und Planbarkeit wie möglich zu bieten.
Dazu muss sich das Parlament aber auch einbringen können; denn die weitreichenden Entscheidungen und Einschnitte treffen auf deutlich mehr
Akzeptanz, wenn sie im Parlament diskutiert und abgewogen und nicht, wie von der Kollegin Wernstedt eben dargestellt, in einem kleinen speziellen Zirkel debattiert werden. Lassen Sie uns gemeinsam den verfassungsgemäßen Auftrag wahrnehmen! Es geht hier schließlich um viele grundrechtsrelevante Fragen für alle Menschen in Niedersachsen.
Ein verlässlicher Stufenplan, der klare Schwellenwerte definiert, bei deren Überschreiten automatisch bestimmte Einschränkungen in Kraft treten, ist überfällig. Für eine valide Lagebewertung müssen bei den Schwellenwerten mehr Faktoren berücksichtigen werden als die Sieben-Tages
Inzidenz. Das hat uns die Wissenschaft doch deutlich gemacht. Die Veränderungen - der Anstieg des Infektionsgeschehens, die Schwere der Verläufe und die Belastung des Gesundheitswesens - müssen ebenfalls in die Bewertung einfließen. Sie müssen öffentlich gemacht und dürfen nicht als Verschlusssache des Innenministeriums behandelt werden.
Aktuell orientieren wir uns an den politisch festgelegten Sieben-Tage-Inzidenzwerten von 35, 50 und plötzlich 200. Und bei Überschreitung der 200er-Grenze sind die einzigen Konsequenzen der Wechselbetrieb und die Maskenpflicht an Schulen. Das ist mehr als fragwürdig. Ein zielgerichtetes Vorgehen braucht eine stärkere klare Differenzierung. Und es braucht besonders in den betroffenen Regionen schärfere Maßnahmen.
Ein solcher Stufenplan kann nur unter den richtigen Rahmenbedingungen auf Akzeptanz stoßen. Bis zum Ende der Corona-Pandemie muss deshalb klar sein: Solange es Einschränkungen gibt, muss den Betroffenen geholfen werden. Das gilt für Familien, das gilt für die Risikogruppen, und das gilt auch für den effektiven Einsatz von Schnelltests, von Schutzausrüstung und für sichere Arbeitsplätze für Menschen mit erhöhtem Risiko. Und auch die Betriebe können sich nicht länger von Monat zu Monat hangeln. Sie brauchen schnelle und unbürokratische Hilfen. Ein Unternehmerlohn nach dem Vorbild anderer Bundesländer kann der niedersächsischen Wirtschaft helfen.
Der Kampf gegen das Virus, gegen die Pandemie lebt nicht nur davon, dass Menschen Regeln befolgen. Er lebt auch davon, dass Menschen Verantwortung übernehmen und mitdenken. Die Corona-Pandemie hat viele gute Ideen von vielen engagierten Menschen hervorgebracht. Wo im
Sinne des Infektionsschutzes gute Lösungen vor Ort entwickelt werden, sollten wir sie nicht nur wertschätzen, sondern auch verstärkt zum Einsatz bringen und die Erfahrungsschätze im Kampf gegen COVID-19 nutzen.