Protokoll der Sitzung vom 09.12.2020

Wir nehmen hier kurz einen Wechsel vor.

(Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz übernimmt den Vorsitz)

Danke, Herr Kollege Bosse, dass Sie gewartet haben, bis ich Platz genommen habe. Jetzt kön

nen Sie mit Ihrer Frage im Rahmen der Fragestunde beginnen. Bitte schön!

Gern, Frau Präsidentin, Ordnung muss sein.

EEG 2021: Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Die Schlüsseltechnologien für Klimaneutralität sind bekannt: Es geht um den Aufbau eines komplett auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems. Ein klimapolitischer Aufbruch in Deutschland und Europa liegt in der Luft. Klimaneutralität bis 2050 ist bereits beschlossen, höhere Zwischenziele bis 2030 stehen letzten Endes vor der Entscheidung. Jetzt sind die Weichen für Klimaneutralität und Klimagerechtigkeit zu stellen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Entscheidungen sind aus Sicht der Landesregierung in der aktuellen EEG-Novelle im Hinblick auf Ausbaugeschwindigkeit, Akzeptanz, Teilhabe und soziale Gerechtigkeit zu treffen?

2. Wie bewertet die Landesregierung den vorliegenden Entwurf des EEG 2021 im Hinblick auf den erforderlichen Ausbau der Photovoltaik?

3. Wo sieht die Landesregierung die notwendigen Änderungen, um die Ausbaugeschwindigkeit bei der Onshorewindenergie wieder deutlich zu steigern?

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Landesregierung antwortet Umweltminister Lies. Bitte, Herr Minister!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei ganz große Themen beschäftigen uns in der Gesellschaft neben der aktuellen Corona-Pandemie sehr intensiv. Das ist die Frage des Artenschutzes, des Rückgangs der Artenvielfalt, und es ist der Klimaschutz, der uns umtreibt.

Niedersachsen hat den Anspruch formuliert, Klimaschutzland Nummer eins zu werden. Wir wollen, dass Niedersachsen bis 2050 klimaneutral wird, und wir wollen, dass die Stromerzeugung in Niedersachsen spätestens 2040 allein auf erneuerbaren Energien beruht. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Weiterentwicklung des ErneuerbarenEnergien-Gesetzes eine ganz entscheidende Vo

raussetzung. Oder kurz gesagt: Was der Bund zur Veränderung des EEG bis jetzt vorgelegt hat, reicht nicht aus. Wir brauchen dringend Veränderungen, damit das EEG den Herausforderungen des Ausbaus der erneuerbaren Energien gerecht wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben uns auch hier im Landtag sehr intensiv damit beschäftigt. Die Landesregierung hat sich mit diversen Änderungsanträgen in das Bundesratsverfahren eingebracht. Inzwischen liegt dazu auch eine Gegenäußerung der Bundesregierung vor. Niedersachsen hätte sich - das will ich offen sagen - ehrgeizigere Reformen des EEG gewünscht und engagiert sich auch weiterhin, um diese zu erreichen. Der Bundesrat kann allerdings - das ist kein zustimmungspflichtiges Gesetz - nur mit guten Argumenten und der politischen Unterstützung auch im Bundestag hieran noch etwas verändern.

Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:

Der Weiterbetrieb der Ü-20-Anlagen, also der Windenergieanlagen, die aus der Förderung fallen - das sind große Mengen an erneuerbaren Energien, die wir verlieren würden -, gehört dazu.

Repowering ist wichtig, um auch weiter dafür zu sorgen, dass sich Standorte entwickeln können.

Es geht um die kommunale Teilhabe, um die Akzeptanz für die Windenergie weiter zu steigern.

Dazu gehören auch eine sichere Zukunftsperspektive für ein so zentrales Thema wie die Produktion von grünem Wasserstoff und eine echte Wasserstoffwirtschaft, die vor allen Dingen für uns im Norden ein ganz zentrales Element ist.

Man kann aber auch sagen: Bei der Photovoltaik muss der Deckel weg.

Wir wollen die Energie nutzen statt die Anlagen abzuregeln. Die Smart-Meter-Regelung führt genau in die falsche Richtung.

Wir sehen also eine Reihe von Herausforderungen, die wir noch gemeinsam in Berlin lösen müssen.

Zu Frage 1: Die Landesregierung sieht bei den vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen, insbesondere bei der Ausbaugeschwindigkeit, noch großen Handlungsbedarf. Wir haben eine Zielsetzung: Wir wollen Klimaschutz. Klimaschutz heißt, wir verändern etwas. Veränderung heißt, dass wir gerade in der Mobilität, in der Wärme, in der Energieerzeu

gung, aber auch in der Industrie auf erneuerbare Energien umsteigen. Das bedeutet, dass wir nicht nur definieren müssen, im Jahr 2030 65 % des Stroms aus Erneuerbaren herzustellen, sondern auch fragen müssen: Wie viel Strom brauchen wir 2030?

Natürlich brauchen wir dann mehr Strom als heute. Die bisherigen Ziele der Bundesregierung sehen vor, dass man den Stand des Strombedarfs mit 580 TWh bis 2030 fortschreibt. Nicht nur wir hier in Niedersachsen, sondern auch die Studien auf der Bundesebene zeigen, dass wir im Jahr 2030 in Richtung 750 TWh laufen werden. 65 % von 750 TWh sind bekanntlich mehr als 65 % von 580 TWh. Das heißt, wir brauchen einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, der sich am zukünftigen und nicht am heutigen Bedarf orientiert, wenn wir die Ziele erreichen wollen. Für die Windenergie bedeutet das, ganz vereinfacht: Wir brauchen ein Ausschreibungsvolumen von 5 GW pro Jahr, damit wir die Zielsetzungen, die für 2030 sinnvoll sind, auch wirklich erreichen können. Oder um es im Hinblick auf die Photovoltaik zu sagen: Eigentlich muss der Deckel weg. Unter 10 GW pro Jahr werden wir dieses Ziel nicht erreichen. Zu entsprechendem Handeln fordern wir die Bundesregierung an dieser Stelle auf.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlen auch entsprechende Lösungen zum Repowering. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Anlagen nicht verlieren. Man muss sich einmal die Zahlen vor Augen halten! Wir verlieren allein in diesem Jahr 1 000 MW an Windenergie, weil sie aus der Förderung laufen. Für das bisher vom Bund vorgeschlagene Modell wird es keine Finanzierungsgrundlage geben. Das heißt, die Anlagenbetreiber stehen kurz davor, ihre Anlagen abzuschalten. Das bedeutet, dass wir in Deutschland 4 GW verlieren und in Niedersachsen allein in den nächsten fünf Jahren insgesamt auch 4 GW verlieren werden.

Bis Ende des Jahrzehnts werden 25 000 MW aus der Förderung fallen. Das heißt, wir brauchen nicht nur Lösungen, um dazuzubauen, sondern wir brauchen auch Lösungen, mit denen die Bestandsanlagen der Windenergie erhalten bleiben und wir die erneuerbaren Energien, den Strom, nutzen können, um auch den Klimaschutz in unserem Land zukunftsfähig voranzubringen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine echte finanzielle Teilhabe. Was uns der Bund bisher geliefert hat, bedeutet eine freiwillige Lösung in den Ländern. Ich glaube, dass das nicht ausreichen wird. Wir erwarten im Grunde vom Bund, dass er eine verlässliche, verpflichtende Lösung schafft, damit die Teilhabe der Kommunen an der Windenergie gesichert ist. 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde scheinen ein guter Vorschlag zu sein, aber diese müssen verlässlich sein. Ansonsten müssen wir als Länder die Option erhalten, gegebenenfalls nachzusteuern und dies wie in Brandenburg mit eigener Gesetzgebung sicherzustellen. Mecklenburg-Vorpommern hat es versucht. Dort ist es gescheitert. Wir brauchen also die Grundlage dafür, aber eigentlich muss es das Ziel sein, dass der Bund dies einvernehmlich für alle 16 Länder regelt und damit auch eine verpflichtende Zahlung an die Kommunen erfolgt.

Wir brauchen aber auch bei der Photovoltaik eine Entwicklung. Für mich ist die Energiewende die Demokratisierung der Energieerzeugung. Eine Teilhabe aller soll möglich sein. Wir denken natürlich bei Wind und auch bei PV oft an die, die vielleicht einen eigenen Nutzen davon haben, die sich an Bürgerwindenergieprojekten beteiligen oder die die Photovoltaikanlage auf dem Dach haben. Aber ich finde, gerade Photovoltaik ist eine Grundlage, um sehr viel stärker den Blick auf die Mieterinnen und Mieter zu richten, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Warum sollen diese denn nicht genauso von den erneuerbaren Energien profitieren können?

Das, was wir auf der Bundesebene haben, ist auf der einen Seite eine Einschränkung dessen, was an Ausbau möglich ist, und auf der anderen Seite eine Verkomplizierung für den Wohnungseigentümer. Damit der Mieterstrom auch wirklich möglich wird, brauchen wir eine Veränderung. Die Energiewende soll im positiven Sinne alle erreichen. Das muss unser klares Ziel sein.

(Beifall bei der SPD)

Aber auch beim Eigenverbrauch muss es dringend Veränderungen geben. Bisher waren 10 kW pro Anlage angesagt, jetzt ist man bei 20 kW; Europa gibt 30 kW vor. Jede Kilowattstunde erzeugter und genutzter Energie, vom Dach oder von welcher Stelle auch immer, sorgt dafür, dass eben kein Strom aus Kohlekraftwerken bzw. aus fossiler Energie gebraucht wird. Das muss das Ziel sein. Wir dürfen doch nicht Maßnahmen auf den Weg bringen, die z. B. dafür sorgen, dass die ausgeförderten Photovoltaikanlagen abgeschaltet werden,

weil der Aufwand, der für die Smart-Meter-Nachrüstung betrieben werden muss, zu groß ist! Wir müssen dafür sorgen, dass wir jede Kilowattstunde, die wir haben können, nutzen, damit wir die Klimaziele auch wirklich verlässlich erreichen.

Nun komme ich zu Frage 2: Wie bewertet die Landesregierung den Entwurf gerade im Hinblick auf die Photovoltaik? - Ich habe es vorhin gesagt: Wir müssen auf 10 GW pro Jahr kommen. Das erklärte Ziel in Niedersachsen lautet, dass wir ein Potenzial von 50 GW im Dachflächenbereich und mindestens 15 GW im Freiflächenbereich erschließen können, wobei wir im Freiflächenbereich, in dem noch eine ganze Menge an Möglichkeiten vorhanden ist, noch sehr weit hinterherhinken.

Deswegen brauchen wir für die Freifläche ein solares Referenzertragsmodell, wie wir es beim Wind haben: Nicht so windstarke Standorte im Süden werden positiv bewertet, damit sie im Wettbewerb der Ausschreibung eine Chance haben. Das Gleiche brauchen wir hier für den Norden, damit die nicht so starken solaren Standorte eine Perspektive haben, um mit einem klugen Ausbau der Photovoltaik auch auf der Freifläche einen Beitrag zur Energieversorgung und zum Klimaschutz zu leisten.

Was die Frage angeht, warum die Ausschreibungspflicht für Dachflächen-PV bei 500 kW beginnen soll: Dafür gibt es keinen Grund. Bei Freiflächen-PV setzt man bei 750 kW an. Mit dieser Regelung für Dachflächen-PV wird man schon wieder die Möglichkeiten mindern, auf eine intelligente Art und Weise Potenziale zu erschließen. Dies gilt auch für den grundsätzlichen Ausschluss des Eigenstromverbrauchs. Es ist doch klug, wenn die Energie, die wir vor Ort dezentral erzeugen, auch dezentral genutzt wird und wir nicht noch das Netz ausbauen müssen, um auf den Hausdächern Photovoltaik zu installieren und miteinander vernetzen zu können!

(Beifall bei der SPD)

Übrigens: Auch kluge, innovative Ansätze wie die Agrar-PV, also die Kombination aus Landwirtschaft und Photovoltaik, finden in keiner Form richtige Grundlagen. Die Agrar-PV ist eine Chance für die Landwirtschaft, um bei einer veränderten Bewirtschaftung eine Perspektive zu schaffen, um diese durch einen klugen Ausbau zu ergänzen, den gerade die Photovoltaik ermöglicht.

Ich komme zu Frage 3 und zu den Potenzialen für die Beschleunigung des Ausbaus der Onshore

windenergie. Das Erste ist: Das Ziel auf dem Ausbaupfad für die Onshorewindenergie muss deutlich erhöht werden, sodass ein Anreiz vorhanden ist, neue Projekte zu entwickeln und auch wirklich zur Planungsreife zu bringen. Wir brauchen eine Modernisierung von Anlagen auf Bestandsflächen, also Repowering. Da, wo heute eine Windenergieanlage steht, muss es einfacher sein als anderswo, einen Neubau einer Windenergieanlage zu realisieren, weil es in der Regel schon Akzeptanz gibt, weil es in der Regel schon Erfahrungen gibt, weil übrigens auch die entsprechende Netzinfrastruktur schon geschaffen worden ist.

Zur zivilen Flugsicherheit - ein Thema, das wir hier schon ewig diskutieren - muss in Berlin dringend die Entscheidung getroffen werden, vom 15-kmRadius verpflichtend auf 10 km herunterzugehen und damit dem überall sonst gegebenen europäischen Standard zu folgen. Es gibt überhaupt keinen Grund für den größeren Radius, sodass sich die Untersuchung im Detail wirklich auf einen Radius von 3 bis 10 km beschränken kann.

Ich will an dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in

Braunschweig richten. Sie hat mit ihren Untersuchungen - gemeinsam übrigens mit der Jade Hochschule in Wilhelmshaven - dafür gesorgt, dass wir in der Lage sind, viel differenzierter zu betrachten, inwieweit Windenergieanlagen störend sind. Das schafft uns Potenzial - übrigens häufig auch dort, wo gar keine Kritik der Bürger besteht, also im Einvernehmen -, Windenergie viel schneller auszubauen.

Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört auch der Artenschutz. Artenschutz und Klimaschutz dürfen sich nicht widersprechen. Wir haben am Freitag eine Sonder-Umweltministerkonferenz, die sich noch einmal sehr intensiv mit dem Signifikanzrahmen, also der Fragestellung des Tötungsrisikos für geschützte Arten, beschäftigen wird. Wir müssen dahin kommen, dass wir beides, Artenschutz und Klimaschutz, im Blick behalten, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass wir uns Perspektiven des Ausbaus der Windenergie nicht künstlich zerstören, weil am Ende ohne Klimaschutz auch Artenschutz in unserem Land nicht funktionieren wird.

Ich will einen letzten Aspekt nennen, der immer viel zu wenig betrachtet wird. Warum ist der Ausbau der Windenergie so eingebrochen? - Nicht, weil wir den Artenschutz haben. Den hatten wir auch schon in den letzten 20 Jahren. Nicht, weil

wir Bürgerproteste haben. Die sind auch nicht wirklich neu. Vielmehr wurde am 1. Mai 2017 ein Ausschreibungsregime bei der Windenergie gestartet. Dieses Ausschreibungsregime hat zu einem Einbruch des Ausbaus der Windenergie geführt, von dem sich die Windenergie bis heute nicht erholt hat.