Herr Kollege, gestatten Sie noch eine zweite Zwischenfrage – da wir die Zeit angehalten haben, können wir das nutzen – , dieses Mal von Frau Kollegin Löhrmann?
Danke schön. – Herr Kaiser, Sie haben eben zu Recht festgestellt, dass wir individuelle Förderung alle für richtig halten. Das ist der eine Punkt. Was sagen Sie denn zu der Aussage von Herrn Schleicher, dass individuelle Förderung und ein selektives Schulsystem unvereinbar sind?
Es gibt von Herrn Schleicher verschiedene Äußerungen. In der Wissenschaft gibt es neben der Position von Herrn Schleicher auch andere Positionen.
Es ist relativ einfach. Rot-Grün sagt: Schulreform geht nur mit einer Organisationsreform. – Wir sagen: Eine Schulreform geht dann, wenn wir die Schülerorientierung konsequent nach vorne treiben. – So einfach ist die Wahrheit. Das heißt, wir fangen damit an, dass Unterricht besser wird, wir fangen damit an, dass der einzelne Schüler in den Mittelpunkt gerückt wird. Da gibt es sogar eine Gemeinsamkeit mit den Grünen, denke ich. Aber in keinem Beitrag sagt Frau Kollegin Beer – deshalb war ich von ihrem Beitrag eben enttäuscht –: Wir brauchen eine Anerkennungskultur.
Wo gibt es eine bessere Möglichkeit, eine Anerkennungskultur in der Schule zu etablieren, als durch die Verleihung des Gütesiegels „Individuelle Förderung“? Damit wird doch eine Chance geben. Wenn man mit den Gütesiegelschulen spricht, merkt man: Da herrscht ein anderes Selbstverständnis, da gibt es eine andere Unterrichtssprache, und da finden eine Menge Reformen statt.
Jetzt muss man nach der Reformstrategie fragen. Auch das haben Sie eben nicht verstanden. Best Practice heißt: Die guten Beispiele gehen voran, und es wird nicht von oben verordnet. Das ist natürlich etwas ganz anderes als das, was Rot-Grün in 39 Jahren gemacht hat. Sie haben Schulpolitik nur von oben verordnet. Deshalb sind Sie auch gescheitert. Der letzte zarte Versuch war die selbstständige Schule. Das war viel zu spät. Wir setzen es konsequent um. Sie hatten die falsche Denke.
Best Practice ist auch im Bereich der individuellen Förderung und der Gütesiegelschulen das absolute Maß der Dinge. Eine Schule lernt von der anderen. Schulen können ohne Konkurrenzsituation voneinander lernen. Gute Erfahrungen kann man weitergeben. Genau das ist die Denke der Wertschätzungskultur. Die hält Einzug in unsere Schulen. Das sind hervorragende Beispiele. Wir sind sehr stolz darauf, wie sie sich im Schneeballeffekt über das ganze Land verteilen. Immer mehr Schulen fragen nach: Wie kann man das Gütesiegel bekommen, wie macht man diese oder jene Konzepte? Man merkt: In den Schulen läuft einiges.
Das Allerwichtigste ist, dass wir den Schulen danken, die sich da auf den Weg machen. Hier wird Schulreform konkret. Ich stimme Frau Beer zu, wenn sie sagt, es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die Schulreformen umsetzen. Hier wird eine zentrale Idee moderner Schulpolitik umgesetzt, nämlich die individuelle Förderung des einzelnen Schülers – sei es des leistungsschwachen, sei es des leistungsstarken, sei es des Kindes aus einer Migrationsfamilie. Sie werden in den Mittelpunkt gestellt. Das ist der Grundstein für eine erfolgreiche Schulpolitik. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die FDP-Fraktion hat sich noch einmal Frau Pieper-von Heiden zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Beer, wenn Sie 14.500 zusätzliche Lehrerstellen als miserable Rahmenbedingung für diese Schulpolitik bezeichnen, dann werde ich auf Ihren Beitrag nicht weiter eingehen. Und wenn Sie von einem Konzept für
individuelle Förderung sprechen, dann sage ich Ihnen: Das einzige Konzept, das die Grünen haben, ist ihr Konzept zur Verbreitung ihrer ideologischen Schulpolitik – das allerdings sehr konsequent.
der ja hat durchblicken lassen, dass er große Sympathie für individuelle Förderung hat. Deswegen möchte ich Ihnen auch ganz ehrlich auf Ihre Frage antworten. Zwei Leute für zwei Stunden in der Schule – so ist es nicht. Da marschieren nicht einfach zwei Leute für gerade mal zwei Stunden in eine Schule, um festzustellen, ob diese Schule das Gütesiegel „Individuelle Förderung“ verdient hat. Es gibt einen wirklich sehr umfassenden, von der Wissenschaft erarbeiteten Kriterienkatalog, anhand dessen geprüft wird, inwieweit die Schule, die ausgezeichnet werden soll, die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt. Das ist also sehr seriös.
Ich halte es für den richtigen Ansatz, zu sagen: Wenn eine Schule dieses Gütesiegel verdient hat, sollte es das auf Zeit erhalten, nämlich für drei Jahre. Keine Schule soll sich auf einmal errungenen Erfolgen ausruhen, sondern motiviert werden, immer weiterzugehen,
ihre Qualität weiterzuentwickeln, noch auszubauen, wenn es möglich ist, um dieses Gütesiegel nach drei Jahren erneut zu bekommen.
Auf den ersten öffentlichen Veranstaltungen zu dem Gütesiegel, zu denen auch immer mal der eine oder die andere von uns anwesend war, wenn es terminlich passte, war es überhaupt das erste Mal, dass bei uns im Land Lehrerinnen und Lehrer öffentlich Anerkennung für ihre Arbeit gefunden haben. Sie waren stolz, einmal in den Schaukasten gestellt zu werden und diese Anerkennung der breiten Öffentlichkeit zu haben.
Das erzeugt doch Motivation bei den Lehrerinnen und Lehrern. Und wenn sie motiviert sind, können sie Motivation auch an die Kinder weitergeben. Das ist doch wichtig. Mit Motivation und Engagement schafft man es, Kinder individuell zu fördern, sie für Themen in der Schule zu begeistern und ihre Wissbegierigkeit zu erhalten. Das ist doch der Ansatz, den wir pflegen müssen. Dazu gehören auch unsere Lehrkräfte, die wir ebenfalls loben müssen.
Nun doch noch einmal, was ich eigentlich nicht wollte, zurück zu Frau Beer: Sie stellen die Wartburgschule in Münster heraus. Ja, sie hat den Schulpreis gewonnen. Aber, Frau Beer, seien Sie ganz sicher: nicht dafür, dass sie die Lernergebnisse der Schüler verbal beschreibt, sondern weil sie einfach guten Unterricht macht, weil Qualität dahinter steht, weil
Das, was Sie als Haupterfolg beschreiben, ist wohl auch aus dem Blickwinkel der Schule eine Petitesse.
Das sollte Sie, Frau Beer, aber nicht ermutigen, nach den 41 Sekunden Redezeit, die Sie noch haben, auch entsprechend zu überziehen. Bitte schön, Frau Kollegin Beer für die Grünen.
Herr Präsident! Ich nehme die Mahnung ernst und werde deshalb nicht auf den Beitrag von Frau Pieper-von Heiden eingehen. Das würde auch die Zeit verschwenden.
An Sie, Herr Kaiser, will ich aber gerne das Wort richten. Wer wirklich individuell fördern will, der muss Kinder im Alter von neun Jahren gar nicht in Schulformschubladen stecken.
Herr Kaiser, Sie hören keine Rede von mir – das wissen Sie ganz genau –, bei der ich – und das gilt für die Grünen insgesamt – nicht sage : Innere und äußere Schulentwicklung gehören untrennbar zusammen. – Gleich bricht Kopfschütteln beim Staatssekretär aus, wenn der Name Schleicher fällt. Herr Winands darf gleich weiterschütteln.
Ich möchte noch Herrn Domisch zitieren, der sagt: Die Grundvoraussetzung für gelingende individuelle Förderung in Finnland war die Einführung der gemeinsamen Schule für alle. – Das ist es. Sie laden sich diese Experten wie Schleicher und Domisch zwar gerne nach Düsseldorf oder nach Essen zu Ihren Kongressen ein, nur wollen Sie leider nicht auf sie hören.
Leistung und Chancengleichheit, innere und äußere Schulreform – das gehört untrennbar zusammen. Wer individuell fördern will, muss auch die entsprechenden unterstützenden Strukturen dafür entwickeln.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Wir haben keine weiteren Wortmeldungen und sind damit am Ende der Debatte.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/8700 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer schließt sich dieser Empfehlung an? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Antrag einstimmig überwiesen.
5 Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende muss verfassungsfest geregelt werden – Neuordnung der Jobcenter darf nicht zum Opfer von Wahlkampfstrategen werden
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der Grünen Frau Kollegin Steffens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was uns auf dem Tisch liegt und was wir bezogen auf die Zukunft der Jobcenter und der Optionskommunen auf Bundesebene erleben, ist aus unserer Sicht absolut unverantwortlich. Das, was die Große Koalition, vor allen Dingen die CDU, im Bund betreibt, ist mehr als unverantwortlich. Wir finden das – man schaue sich die Presseberichterstattung dazu an – in weiten Teilen unvorstellbar.
Was ist gelaufen? Seit über einem Jahr gab es einen Prozess, nach diesem Urteil eine neue Rechtsgrundlage herzustellen. Es gab im letzten Sommer die ganz klare Vereinbarung, dass man eine gemeinsame Lösung finden will. Die Eckpunkte waren klar. Seitdem gab es einen breiten Verhandlungsprozess.
Minister Laumann und Ministerpräsident Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen haben sich in diesen Prozess ganz massiv eingebracht. Und jetzt ist das Ganze gescheitert.