Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Herr Kollege, würden Sie bitte zum Ende Ihrer Rede kommen?

Ja, ich bin jetzt so weit.

Sie haben offenbar immer noch nicht gemerkt, dass Sie ein Bildungssystem meinen, für das Sie in den zurückliegenden Jahren selbst die Verantwortung getragen haben. Wir sind dabei, die Versäumnisse der alten Landesregierung zu korrigieren.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir schaffen mit Spracherziehung, dem neuen Schulgesetz und dem Hochschulfreiheitsgesetz ein Bildungssystem mit einer Chancengerechtigkeit, die es in unserem Land in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht gegeben hat. Davon profitieren selbstverständlich auch Menschen mit Migrationshintergrund.

Herr Kollege!

Ich komme zum Schluss.

Vielleicht noch ganz kurz zum Entschließungsantrag: Wir werden es nicht zulassen, dass Sie ein so wichtiges Thema mit dem hohen Ziel der Integration durch Ihre eigenen Versäumnisse in der Bildungspolitik der Vergangenheit herunter- oder

schlechtreden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Preuß. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Engel das Wort, der aber im Gespräch ist. Dann gehen wir in der Reihenfolge weiter.

(Zurufe: Horst, du bist dran!)

Herr Engel, möchten Sie reden?

(Horst Engel [FDP]: Ja!)

Ach so, das war nicht zu erkennen.

(Lachen von der SPD – Zuruf von der SPD: Wir sind froh, dass Sie Ihrem Vorredner zu- gehört haben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung. Ich war etwas abgelenkt; das kann ja durchaus passieren.

Den polizeilichen Berufsalltag bestimmen Einsatzbewältigung, Gefahrenabwehr, Kriminalitätsbekämpfung und polizeiliche Verkehrssicherheitsarbeit. Polizist zu sein heißt, Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, sensibilisiert Verstöße zu ahnden oder Maßnahmen durchzusetzen. Polizeivollzugsdienst ist eine Berufung zum Dienst am Bürger: Umgang mit Menschen – sowohl mit Hilfsbedürftigen und Opfern als auch mit Tätern und Zeugen.

Es gibt viele Einsatzlagen, in denen Polizisten mit fremden Sprachen und fremden Kulturen konfrontiert werden: Nehmen Sie nur die alltägliche Verkehrskontrolle bis hin zu Demonstrationen und von mir aus auch zu Eingriffen, Durchsuchungen usw., von denen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger betroffen sind. Eine gute Polizeiarbeit verlangt deshalb, dass der Polizist die jeweilige Situation richtig versteht, auch richtig einschätzt und angemessen, also deeskalierend, darauf reagiert. Sein wichtigstes Werkzeug ist das Wort, also die Sprache, das Zuhören und das Reden mit den Menschen.

Polizeiarbeit heißt, für den Bürger ansprechbar zu sein. Einfühlsam auf die Opfer eingehen und sie befragen kann nur, wer sie versteht. Zeitnah Täter vernehmen und dadurch Beweise sichern kann nur, wer ihre Sprache spricht. Konflikte vermeiden kann nur, wer die Hintergründe kennt.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Polizei muss ihr Gegenüber verstehen. Wenn mittlerweile jeder Vierte einen Migrationshintergrund hat, muss sich die Polizei darauf einstellen, um weiterhin gute Dienste erbringen zu können. Erste Schritte sind getan; aber nur 120 Kommissare mit Migrationshintergrund auf 39.000 Polizeibeamte in NordrheinWestfalen sind einfach zu wenig.

Den Integrationseffekt, den man an dieser Stelle auch erwähnen muss, kann man nicht hoch genug veranschlagen. Dem dürfen sich die staatlichen Organisationen nicht verweigern. Sie sollten stattdessen ihre Chancen nutzen und aus den enormen menschlichen Ressourcen mit den verschiedenen Sprach- und Kulturhintergründen schöpfen, die uns unsere weltoffene Gesellschaft auch in Nordrhein-Westfalen bietet.

Ich freue mich auf die Beratungen im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Engel. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Link.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der festen Überzeugung, dass es gerade in der heutigen Zeit und in der heutigen Politik Bereiche und Themenfelder geben muss, bei denen Bemühungen erforderlich sind, über Fraktionsgrenzen hinweg Positionen im Konsens zu finden. Das kann in der parlamentarischen Demokratie nicht in jedem Politikfeld der Fall sein; das ist mir klar. Aber zentrale Politikbereiche sollten von parteipolitischen und taktischen Spielchen verschont bleiben.

Das gelingt leider Gottes nicht immer und in allen Bereichen, die es eigentlich verdient hätten. Aber gerade die Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie es uns besser als bisher gelingen kann, Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft zu integrieren, ist von so zentraler Bedeutung, dass es unser aller Bestreben sein muss, gemeinsam nach Antworten zu suchen und sie auch zu finden.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass sich der uns vorliegende Antrag von CDU und FDP nicht darin erschöpft, reflexartige Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Er weist vielmehr auf das Problem hin, dass trotz aller Bemühungen in der Vergangenheit immer noch zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst – genauer: im Polizeivollzugsdienst – be

schäftigt sind. Der prozentuale Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund entspricht bei den Bewerbungen mit knapp 13 % und erst recht bei den Einstellungen mit knapp 6 % bei Weitem nicht ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung mit ca. 23 %. Das müssen wir heute konstatieren.

Trotz aller Bemühungen der damaligen SPDgeführten Landesregierung, basierend auf einem parteiübergreifenden Konsens in der IMK aus dem Jahr 1993, trotz diverser Maßnahmen der Exekutive, die auch im Rahmen der gemeinsamen Integrationsoffensive dieses Landtags bekräftigt wurden, hat das alles offenbar nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Obwohl diese Anstrengungen unternommen wurden und obwohl es durchaus eine Reihe von positiven Signalen und Ergebnissen gibt, können und wollen wir uns nicht mit diesem Zustand zufrieden geben.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die damals beschlossenen Maßnahmen und Konzepte zur Gewinnung von mehr Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund heute überprüft und da, wo es nötig ist, weiterentwickelt werden. Dass es dabei auch Erfahrungen und Ergebnisse aus anderen Ländern gibt, die aufgegriffen und berücksichtigt werden sollen, ist aus meiner Sicht eine pure Selbstverständlichkeit.

Ich bin allerdings sehr gespannt auf die Diskussionen in den Ausschüssen und hier gerade auf die Beiträge aus den Koalitionsfraktionen, wobei angemerkt sein soll, dass dieser Antrag eigentlich auch in den Schulausschuss überwiesen gehört, denn es wird bei den weiteren Diskussionen sicherlich auch um die Frage der formalen Zugangsvoraussetzungen, konkret um die Frage der Bildungsabschlüsse der Bewerber, gehen.

Hier gibt es bei allem Konsens eben doch einen Unterschied. Es ist nämlich leider festzustellen, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an Gymnasien deutlich unterproportional ist. Genau umgekehrt verhält es sich an den Hauptschulen. Abitur oder Fachabitur sind aber häufig allgemeine Zugangsvoraussetzungen für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst. Demnach kommen viele Menschen mit Migrationshintergrund von vornherein nicht für eine solche Ausbildung in Betracht.

Mit ein Grund dafür ist die Tatsache, dass in unserem derzeitigen Schulsystem leider immer noch die Herkunft, der Wohnort der Eltern sowie deren soziale und berufliche Stellung entscheidend für den Bildungsabschluss sind – ein unseliger Zustand, der nach meiner festen Überzeugung durch

das schwarz-gelbe Schulgesetz noch verstärkt, zumindest aber zementiert wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese unbefriedigende Situation gilt es zu ändern. Wir brauchen mehr Chancen und mehr Perspektiven für alle Kinder und für alle Jugendlichen.

(Ralf Witzel [FDP]: Deshalb gibt es ja das neue Schulgesetz, Herr Link!)

Wenn Sie mir zugehört hätten, Herr Witzel, hätten Sie gemerkt, dass ich gesagt habe, dass durch Ihr Schulgesetz diese Situation eben nicht verbessert, sondern zementiert wird. Nur wenn es uns gelingen sollte, mehr Chancen und mehr Perspektiven für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen, werden wir endlich auch eine nennenswerte Steigerung der Bewerber- und Einstellungszahlen im öffentlichen Dienst und damit auch im Polizeivollzugsdienst erreichen können.

Ich möchte noch auf zwei Aspekte hinweisen, die gerade aus integrationspolitischer und demografischer Sicht wichtig sind. Der Polizeidienst in Deutschland genießt ein hohes soziales Ansehen und ist zugleich von einer großen Außenwirkung gekennzeichnet. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Kernbereich hoheitlicher Verwaltung für Menschen mit Migrationshintergrund nicht verschlossen bleibt. Genau dieser Aspekt wird vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahren noch erheblich an Bedeutung gewinnen. Auch insofern ist also Handlungsbedarf gegeben.

Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb den vorliegenden Antrag und wird ihn auch in den Ausschüssen konstruktiv begleiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN und von Mi- chael Solf [CDU])

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Link. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Düker das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Preuß, zunächst freue ich mich, dass Sie sich mit diesem Antrag hier auch öffentlich dazu bekennen, die rot-grüne Politik im Polizeibereich fortzusetzen. Es freut uns natürlich,

(Zurufe von der CDU)

dass Sie hier das fortsetzen, was Rot-Grün in den 90er-Jahren angefangen hat, was ich auch richtig finde, nämlich den Polizeidienst für Migrantinnen

und Migranten, auch solche ohne deutschen Pass, zu öffnen und gezielt auch bei diesen jungen Leuten für eine Ausbildung dort zu werben. Es freut uns, dass Sie dieses Bekenntnis abgeben, dass Sie diesen Weg richtig finden und gewillt sind, ihn fortzusetzen.

Damit zeigen Sie auch, dass Sie in der Einwanderungsgesellschaft ein Stück weit angekommen sind oder – vielleicht vorsichtiger formuliert – sich der Einwanderungsgesellschaft annähern. Vielleicht schafft es Kollege Kruse dann ja auch irgendwann einmal, das Wort Multikulturalität auszusprechen, was er bislang noch nicht so ganz drauf hat. Also: Da tut sich etwas in der CDU. Das finde ich erst einmal prima. Das nehme ich hier erfreut zur Kenntnis. Es ist ein erheblicher Erkenntniszuwachs für Sie. Das muss man so deutlich sagen. Das, was früher bei Ihnen wahrscheinlich als Schrebergartenthema abgetan wurde, wird jetzt hier per Antrag auch ins Parlament gebracht.

Aber – jetzt komme ich zu dem, was hier auf der Strecke bleibt – sehr konkret ist das nicht, was Sie uns hier vorgelegt haben. Neben diesem Bekenntnis, dass Sie das richtig finden – wahrscheinlich war das für Sie auch psychologisch wichtig, das einmal aussprechen zu können –, kommen Sie eigentlich über allgemeine Bekenntnisse und Appelle nicht hinaus. Konkretes finde ich in dem Antrag nicht. Er ist ein bisschen ein Show-Antrag.

Deswegen haben wir auch eine Entschließung vorgelegt. Grundsätzlich muss man ja sagen, dass nicht nur der Polizeidienst – auch wenn das ein wichtiger Bereich ist –, sondern die gesamte öffentliche Verwaltung, der gesamte öffentliche Sektor ein Spiegelbild unserer Einwanderungsgesellschaft sein sollen. Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung geht eben gerade auch und insbesondere darüber, dass wir mehr Menschen mit Migrationshintergrund in unsere öffentlichen Verwaltungen holen, damit diese Gesellschaft nicht weiterhin in „die“ und „wir“ eingeteilt ist. Diese Einteilung muss aufgehoben werden; wir müssen diese Einwanderungsgesellschaft auch in unseren öffentlichen Verwaltungen vorfinden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)