Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

(Rüdiger Sagel [LINKE]: So ist es!)

Der Unterschied ist aber: Bayern hat diese Zahlungen genutzt, um sich in Rekordzeit vom wirklich bettelarmen Agrarstaat zu einem Hightech-Standort mit überragender Wirtschaftskraft zu entwickeln.

(Rüdiger Sagel [LINKE]: Mit der CSU- Lobbypolitik! Das ist die Wahrheit!)

Bayern hat im biblischen Sinne mit seinen Talenten gewuchert. Die sozialdemokratischen Regierungen in Nordrhein-Westfalen haben die Talente des Landes im gleichen Sinne buchstäblich vergraben.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [LINKE])

Sie haben über vier Jahrzehnte lang unseren Vorsprung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik verspielt. Und jetzt versuchen Sie schon wieder, den Menschen einzureden, sie könnten alles haben, wenn sie nur Rot-Grün regieren ließen. Die Kuh, die man im Himmel füttern und auf der Erde melken kann, wird es aber auf gar keinen Fall geben. Wer allen alles verspricht, Frau Ministerpräsidentin, wird am Ende niemandem etwas einhalten können.

Natürlich weiß jeder, dass die Finanzkraft je Einwohner Ausgangspunkt für den Länderfinanzausgleich ist. Die Finanzkraft eines Landes ist die Summe aus seinen Einnahmen und zu einem gewissen Prozentsatz denen seiner Gemeinden. Diese Einnahmen kann man allerdings durch gezielte Landespolitik massiv steigern. Bayern hat vorgemacht, was schon Ihr Finanzminister Diether Posser angemahnt hat – von ihm können Sie lernen –: Wer Hilfe zur Selbsthilfe leistet, der hat Anspruch darauf, dass diese Hilfezahlungen nicht hemmungslos konsumiert, sondern messbar werbend im Sinne einer Stärkung der eigenen Steuerkraft angelegt werden. Posser hat das gewusst, und Posser hat den Finanzausgleich immer in diese Richtung kritisiert.

Deshalb schlage ich Ihnen vor: Nehmen Sie doch endlich Abschied von Ihrem Wolkenkuckucksheim. Machen Sie keine Versprechungen auf anderer Leute Kosten, und lassen Sie die Finger insbesondere vom Geld der nachfolgenden Generationen.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Bundesländer, die unverschuldet in eine Notlage geraten, haben selbstverständlich Anspruch auf Solidarität. Das sagen auch Herr Mappus und seine Kollegen aus Bayern und aus Hessen. Ihre Bedingung ist aber, dass man die Not durch großzügige

Wahlgeschenke nicht selbst verschlimmert. Der Maßstab muss sein: Die Bürger in den Nehmerländern erhalten nicht mehr Leistungen als die in den Geberländern. Denken Sie darüber nach, und beherzigen Sie die alte Spruchweisheit: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und von der FDP – Sören Link [SPD]: Immer auf die Omme, Herr Weis- brich! Das sollten Sie lieber beherzigen! – Zuru- fe von der SPD und von den GRÜNEN: Oh!)

Für die FDPFraktion hat Frau Abgeordnete Freimuth das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch wenn hier wieder einmal der Versuch unternommen werden soll, zu skandalisieren und Aufregung herbeizuführen, steht doch fest, dass der Gesamtthemenkomplex und Regelungskomplex Länderfinanzausgleich notwendigerweise immer wieder ernsthaft hinterfragt werden muss. Und auch wenn es nicht zeitgemäß sein mag: Die FDP will sich mit den offenen Fragestellungen, die es bei diesem Themen- und Problemkomplex gibt, sachlich auseinandersetzen. Denn ich glaube, dass uns Sachlichkeit wesentlich weiterhilft.

Unstreitig ist, dass der Länderfinanzausgleich in Deutschland ein staatsorganisationsrechtlicher Mechanismus zur Umverteilung finanzieller Mittel zwischen Bund und Ländern ist, damit alle die ihnen jeweils zugewiesenen Aufgaben, mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet, erfüllen können. Art. 107 unseres Grundgesetzes beschreibt als Ziel des Länderfinanzausgleichs den angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder. Der Länderfinanzausgleich ist in Deutschland Ausdruck der bundesstaatlichen Solidarität zwischen dem Bund und den Ländern auf der einen Seite und natürlich zwischen den Ländern untereinander auf der anderen Seite. Das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“, Subsidiarität und Solidarität sind hier gerade schon genannt worden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Solidarität ist natürlich keine Einbahnstraße, und deshalb war und ist es auch immer wieder streitbehaftet gewesen, was zum Beispiel diejenigen, die die Solidarität der anderen Bundesländer in Anspruch nehmen, ihrerseits zur Gemeinschaft beitragen müssen. Das kann in der Natur der Sache natürlich nichts in Euro und Cent Messbares sein, und es ist streng genommen auch nicht justiziabel. Aber es war und ist immer wieder eine Frage auch der Vermittlung insbesondere gegenüber denjenigen, die klassisch in den Länderfinanzausgleich einzahlen, und das sind ganz unstreitig BadenWürttemberg und Hessen, die, seit es diesen Län

derfinanzausgleich gibt, immer zu den Geberländern gezählt und eingezahlt haben.

Bezüglich Bayern wurde eben schon gesagt: Bayern hat bis Mitte der 80er-Jahre die Solidarität der anderen Bundesländer in Anspruch genommen, um seinen Strukturwandel zu managen. Das hat Bayern auch sehr erfolgreich getan: Seit Mitte der 80erJahre bzw. spätestens seit Anfang der 90er-Jahre gehört auch Bayern in nicht unbeträchtlicher Höhe zu den klassischen Geberländern.

Meine Damen und Herren, wir stehen heute doch immer wieder vor der Frage der Angemessenheit des Ausgleichs. Manchmal können wir nicht mehr richtig erkennen, dass durch den Länderfinanzausgleich die Eigenverantwortung der Länder gestärkt wird. Wir sind immer noch nicht so weit, dass wir tatsächlich einen Wettbewerbsföderalismus haben, bei dem die Bundesländer für ihre eigenen Anstrengungen belohnt werden. Es ist immer noch eine weitestgehende Egalisierung. Die Anstrengungen der einzelnen Bundesländer rechnen sich für diese Bundesländer und die Bürgerinnen und Bürger immer noch nicht genug.

Wir sind immer noch nicht so weit, dass wir die Finanzbeziehungen tatsächlich entflochten hätten. Steuerautonomie der Bundesländer – sie wurde schon genannt –, Schuldenbremse, Stabilitätskriterien – all das sind noch große Herausforderungen, vor denen wir, auch bei der Frage der Föderalismusreform und als Konsequenz des Länderfinanzausgleichs, nach wie vor stehen.

Und es ist doch – da müssen wir nicht so zu tun, als ob das für uns völlig fremd wäre – nachvollziehbar, dass sich die großen Geberländer der letzten Jahre, Baden-Württemberg und Hessen, auch damit auseinandersetzen und gegenüber ihren Bürgern auch vor einem Vermittlungsproblem stehen, wenn in anderen Bundesländern eine Politik betrieben wird, die sie ihren eigenen Bürgern aufgrund notwendiger Strukturmaßnahmen und aufgrund der notwendigen Konsolidierung ihrer Haushalte nicht „gönnen“.

Es ist doch menschlich nachvollziehbar, dass in den Geberländern immer die Frage auftaucht, warum, wenn in manchen Bundesländern vom beitragsfreien Kindergartenjahr oder dem beitragsfreien Hochschulstudium die Rede ist, diese Leistungen nicht auch den eigenen Bürgerinnen und Bürgern gewährt werden und vermeintlich von den Gebern finanziert werden. Das ist ein menschlich ganz nachvollziehbarer Reflex.

Ich will aber auf den Teil abstellen, auf den man viel intensiver hinweisen muss, nämlich darauf, welche Haushaltskonsolidierungs- und Verschuldungspolitik in den Bundesländern betrieben wird. Das ist einer der Kernpunkte, auf die es im Länderfinanzausgleich tatsächlich ankommt. Dieser Aspekt genießt schon unsere etwas detailliertere Aufmerksamkeit.

Wenn in Nordrhein-Westfalen eine Politik betrieben wird, frei nach dem Motto: Im Himmel ist Jahrmarkt, wir geben mehr Geld aus als wir haben, wir betreiben eine hemmungslose Neuverschuldungspolitik mit Rekordschulden – dann, meine Damen und Herren, ist das natürlich auch etwas, das in ganz engem Zusammenhang mit der Wirtschaftskraft in unserem Land steht. Es gibt reihenweise Studien, die belegen, dass die zunehmende Verschuldung auch dazu führt, dass sich die Finanzkraft eines Landes, Wachstumskräfte in einem Bundesland nicht länger beheimatet fühlen und schließlich woanders investiert wird.

Wenn Nordrhein-Westfalen eine industrie- und wirtschaftsfeindliche Politik betreibt, wenn die Frage von Modernisierung von Kraftwerken und der Bau neuer Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen keine Priorität genießt, wenn die Frage von Investition in Infrastruktur keine Priorität im Industrieland NordrheinWestfalen genießt, wenn die Frage einer gerechten Steuer- und Abgabenbelastung hier in NordrheinWestfalen keinen Wert darstellt, sondern einfach reflexartig danach geschrien wird, wo denn Steuern erhöht oder neu eingeführt werden können – Stichwort: „Wasserabgabe“ –, dann ist das eine Politik, bei der man sich nicht wundern darf, dass Investoren dem Land Nordrhein-Westfalen leider den Rücken kehren. Das ist eine Politik, bei der man sich nicht wundern darf, dass sich Menschen in anderen Bundesländern Arbeit und Perspektiven erhoffen und dann auch dorthin gehen und ihre Kreativität, ihre Innovationsbereitschaft und ihre Leistung anderen Bundesländern zur Verfügung stellen und damit die Wirtschaftskraft des Landes Nordrhein

Westfalen schwächen.

Das, meine Damen und Herren, muss auch hier im Parlament diskutiert werden. Es ist kein prioritär schwarz-gelbes Projekt, den Länderfinanzausgleich in seiner bestehenden Form zu kritisieren. Prominente Grüne haben sich in den letzten Wochen ebenfalls dazu geäußert. Auch in der Sozialdemokratie wird gelegentlich kritisch und konstruktiv über den Länderfinanzausgleich in bestehender Form nachgedacht.

Frau Abgeordnete, ihre Redezeit.

Wir alle müssen intensiv hinterfragen, denn die real existierenden Probleme im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich werden – und damit komme ich zum Schluss – weder durch solch populistische Äußerungen noch durch Aufgeregtheiten in der Aktuellen Stunde aufgegriffen. Wir sollten sie tatsächlich angehen und lösen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und von der CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Freimuth. – Für die Fraktion Die Linke hat der Abgeordnete Sagel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie von der CDU hier versuchen, die jahre- und jahrzehntelange CSULobbypolitik vom Ministerpräsidenten und ehemaligen Minister Strauß schönzureden, ist wirklich unerträglich. Da kracht die Schwarte, kann ich nur sagen.

(Zuruf von der CDU)

Nun versucht offensichtlich der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Herr Mappus, in die Landespolitik der anderen Bundesländer einzugreifen, obwohl er selbst die Probleme in seinem eigenen Bundesland nicht geregelt bekommt. „Stuttgart 21“ ist ein Fanal, die Bürger seines eigenen Landes empören sich gegen Entdemokratisierung, Wasserwerfer- und Schlagstockattacken als vordemokratischem Unterdrückungsmittel. Das ist die Politik von Herrn Mappus in Baden-Württemberg. Und jetzt mischt er sich in die Politik hier in NRW ein.

Es handelt sich hier um einen untauglichen und unerträglichen Versuch, NWR in ein schlechtes Licht zu rücken.

(Zuruf von der CDU)

Die CDU und auch die FDP sind in NRW offensichtlich so schwach und schlecht aufgestellt, dass sie jetzt schon beim vermutlichen Übergangsministerpräsidenten in Baden-Württemberg um Hilfe betteln müssen – ich kann nur sagen: Welch ein Signal von CDU und FDP!

(Beifall von der LINKEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei sind gerade CDU und FDP für die finanzpolitische Misere nicht nur von NRW, sondern von Ländern und Kommunen insgesamt wesentlich verantwortlich.

Die desaströse Bundesfinanzpolitik treibt sie immer tiefer in die Schuldenfalle hinein. Dazu kommt noch die untaugliche Schuldenbremse, die nicht nur von renommierten Rechtswissenschaftlern, sondern

auch von Ökonomen als verfassungswidrig eingestuft wird

(Beifall von der LINKEN)

und die notwendige Vorsorgepolitik für die Zukunft drastisch einschränkt.

Gerade die Menschen auf den unteren Einkommensstufen, die prekär Beschäftigten sowie die Erwerbslosen und ihre Kinder müssen unter dieser Politik, insbesondere der Politik von CDU und FDP, leiden. Von gleichen Lebensbedingungen und Chancengleichheit kann keine Rede sein.

Im Gegenteil: In Deutschland klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Das stellen auch alle aktuellen Studien fest. Statt mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, leisten sich CDU und FDP eine Lobbypolitik, die schamlos diejenigen bedient, die ohnehin am oberen Rand ihren Reichtum vermehren. Auch das ist Ihre Politik, die Sie hier machen.

(Beifall von der LINKEN)

Wir brauchen eine andere Politik: für soziale Gerechtigkeit, für Chancengleichheit. – Dafür steht in NRW Die Linke.

(Beifall von der LINKEN)

Dazu ist auch eine Länderfinanzreform notwendig, die nicht nur ihren Namen verdient, sondern auch mit unsozialer Verteilungspolitik Schluss macht.

Mit dem Länderfinanzausgleich sollen die Herstellung und Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands gewährleistet und wirtschaftliche Benachteiligungen ausgeglichen werden. Im Grundgesetz findet dieser Teil der Bund-LänderFinanzbeziehungen in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 seine Rechtsgrundlage.

Schaut man sich aber einmal an, wie das Ganze in der Praxis funktioniert, stellt man fest: Die derzeitige Regelung führt in der Tat dazu, dass sowohl für ein finanzschwaches Bundesland als auch für ein sogenanntes Geberland wenig Anreize bestehen, höhere Steuereinnahmen zu erzielen.