Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Meine Damen und Herren, wir glauben, dass bei dem Thema der solidarischen und sozialen Ökonomie – in Anführungsstrichen – „noch ganz viel Musik drin ist“. Wir wollen dieses stärken, fördern und dazu beitragen, dass auch die Rahmenbedingungen für diese Wirtschaftsbereiche stimmen. Wir bitten um Ihre Zustimmung zur Überweisung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren ja bei diesem Tagesordnungspunkt nicht zu einem der großen Industrieunternehmen in Nordrhein-Westfalen, auch nicht zu einem der Insolvenzfälle, die es in diesem Bereich in den vergangenen Jahren gab, sondern wir diskutieren zu einem wirtschaftspolitischen Thema, das üblicherweise nicht so sehr im Fokus der Aufmerksamkeit steht.

Wahrscheinlich sind wir uns ja über alle Fraktionen hinweg auch einig, dass Fortschritt und wachsender Wohlstand die letzten Jahrzehnte in der Bundesrepublik geprägt haben. Aber ich hoffe, es besteht auch Einigkeit darüber, dass das nicht für alle gilt. Ich will das einfach mal an zwei Zahlen deutlich machen.

Die Steigerung der Güterproduktion und der Geldvermögen in Deutschland geht einher mit wachsender sozialer Spaltung, auch mit einem intensiven Verbrauch natürlicher Ressourcen.

Zu den Zahlen: 2011 schätzte der Deutsche Bundesbankenverband das Gesamtvermögen der

Deutschen auf 12 Billionen €, sagenhafte 12 Bil

lionen €. Aber die zweite sagenhafte Zahl dazu, die man mit dazu nennen muss, ist, dass nur 50 % der Haushalte in Deutschland über insgesamt 1 % dieses Vermögens verfügen. Das zeigt die reale Situation sozialer Spaltung, die Ungleichverteilung. Interessant war für mich auch, dass das Geldvermögen in Deutschland – übrigens auch nach der Finanzkrise – noch einmal um 1,4 Billionen € gestiegen ist.

Es gibt einen zweiten Umstand, den man zahlenmäßig belegen kann und der die Dramatik in der Entwicklung deutlich macht: Deutschland verbraucht mehr als das Vierfache der jährlich zur Verfügung stehenden Ressourcen. Deutschland lebt – um es deutlich zu sagen – genauso wie die Industrieländer anderer Nationen auf Kosten anderer Länder.

Ich hoffe, es besteht auch Einigkeit darüber, dass das Ausdruck einer Fehlentwicklung ist und sich diese Fehlentwicklung in der Finanzkrise sehr deutlich zugespitzt gezeigt hat. Die Finanzkrise zeigt, dass das Renditeprinzip als alleinige Leitschnur wirtschaftlichen Handelns nicht tragfähig ist und auch ausgedient hat. Es gab nach der Finanzkrise eine gewisse Orientierung an Nachhaltigkeit in ökologischer, finanzieller und sozialer Hinsicht. Aber ich glaube, dass man da noch einiges tun muss und dass es darum Sinn macht, insbesondere einen Sektor wirtschaftlichen Handelns zu beleuchten, der stabil gewesen ist, der keinen Beitrag zur Finanzkrise geleistet hat.

Wir konzentrieren uns insgesamt als Regierungsfraktion – und die Landesregierung tut das auch – in unserer Wirtschaftspolitik nicht nur auf diese großen Industrieunternehmen, die so sehr das öffentliche Bild prägen, jedoch so wenig das tatsächliche wirtschaftliche Geschehen in Nordrhein-Westfalen bewegen, sondern wir richten unseren Blick vielmehr auf Sektoren, die nicht so sehr im Fokus der öffentlichen Debatte stehen.

Wir haben Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, in dem es um den Sektor der solidarischen Wirtschaft geht. Im vergangen Jahr war das Internationale Jahr der Genossenschaften. Das hat noch einmal das Augenmerk auf einen Sektor gerichtet, der gemeinwohlorientiert ist, bei dem im Fokus nicht die Renditemaximierung steht und der auch einen wesentlichen Beitrag zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen leistet, beispielsweise bei der Energieerzeugung. Da haben solidarische gemeinwohlorientierte Unternehmen in den vergangenen Jahren einen wesentlichen Beitrag geleistet, sodass wir es heute schaffen, einen ungeahnt hohen Prozentsatz erneuerbarer Energien auch in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung zu stellen und in den Strommarkt einzuspeisen. Das ist nicht zuletzt den Energiegenossenschaften zu verdanken, die sich vor Jahrzehnten auf den Weg gemacht haben.

Circa 10 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in solchen Unternehmen beschäftigt. Es

handelt sich also um eine relevante Größenordnung in Nordrhein-Westfalen, über die wir hier sprechen.

Diese Unternehmen sind – das hat gerade die Finanz- und Wirtschaftskrise noch einmal beleuchtet – regionalorientiert und damit krisenfest. Sie stärken regionale Kreisläufe, sie sind in ihren Renditeerwartungen nachhaltig orientiert, sie sind an gemeinwohlorientierten Tätigkeitsfeldern ausgerichtet, und sie leisten darum einen wichtigen Beitrag für die regionale Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen.

Für diese Unternehmen wird von der Landesregierung schon etwas getan, sei es die Beratung von Wohnungsbaugenossenschaften oder andere. Unser Interesse ist es jedoch, gemeinsam hinzuschauen, wie man diesen Sektor ungeachtet der bereits vorhandenen Initiativen stärken und weiter unterstützen kann.

Wir wollen diesen Antrag insgesamt als Einladung zur Debatte über die Fraktionen hinweg verstehen, aber auch in den Sektor der gemeinwohlorientierten Wirtschaft hinein. Insofern freue ich mich auf die entsprechende Beratung im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Für die CDUFraktion spricht Herr Kollege Fehring.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schneckenburger, ja, es gab und gibt Fehlentwicklungen. Aber nur mit gemeinwohlorientierter Wirtschaft werden wir die wahrscheinlich nicht beheben können.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen hätte sicherlich viel Freude daran, dass heute, 125 Jahre nach seinem Tod, seine Idee äußerst aktuell ist und mehr Nachahmer findet als in den vergangenen Jahrzehnten. Sein Motto „Einer für alle“ hat im 19. Jahrhundert das Genossenschaftswesen bekanntgemacht und Tausenden zumeist armen Landbewohnern das Leben erleichtert, indem er den Menschen Zugang zu Krediten verschaffte. Er gilt landläufig als Vater der Raiffeisenbanken bzw. Spar- und Darlehenskassen. – So weit zur Geschichte.

Mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert verblasste das Motto, und aus der „Einer für alle“-Idee wurde im Wirtschaftsleben häufig der Slogan „Alle für einen“ mit den bekannten negativen Auswüchsen. Negative Betriebsentwicklungen, häufig eine Folge auch der im Genossenschaftswesen begründeten Entscheidungswege, ließen den früheren Glanz der Genossenschaften verblassen.

Der bisher spektakulärste Niedergang einer am Gemeinwohl orientierten Unternehmung, der Ihnen vielleicht noch bekannten „Neuen Heimat“, hat dem Genossenschaftswesen nachhaltig geschadet. Die

Produktionsgenossenschaften der kommunistischen Welt will ich nur am Rande erwähnen.

Unsere wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 60 Jahre belegt eindrucksvoll die Überlegenheit der Unternehmen und Betriebe, in denen verantwortungsbewusste und vollhaftende Persönlichkeiten wirken. Der inzwischen beflügelte Satz „Was unterscheidet Deutschland von anderen Industriestaaten?“ und die Antwort: „der Mittelstand“ zeigen überdeutlich die Stärke der meisten familiengeführten Unternehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wünschen uns deshalb möglichst viele Einzel-, Familien- oder Personengesellschaften, zum Beispiel in der Rechtsform der GbR. Ganz wichtig für alle Rechtsformen ist für uns, dass Verantwortung, Gewinn und Haftung zusammengehören. Dies kann sicherlich auch in einer am Gemeinwohl orientierten Unternehmung in Form einer Genossenschaft oder Stiftung praktiziert werden.

Wir möchten uns deshalb dem Gedanken Ihres Antrags nicht verschließen, auch in dem Wissen, dass durch gesetzliche Änderungen im vergangenen Jahrhundert – Stichwort: Vier-Augen-Prinzip und Hauptamtlichkeit – negative Zustände im Genossenschaftswesen beseitigt worden sind.

Der Wunsch nach aktiver Teilhabe ohne zu großes wirtschaftliches Risiko gibt dem Genossenschaftsgedanken zurzeit in der Tat neuen Auftrieb. Manche fixe Idee wird sich im harten Wettbewerb erst noch bewähren müssen. Enttäuschungen sind ebenfalls vorprogrammiert. Die in Ihrem Antrag erwähnten Dorf- oder Nachbarschaftsläden zum Beispiel haben in der Regel leider nur eine kurze Lebensdauer.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Im Wohnungsbau halte ich den Genossenschaftsgedanken für besonders wertvoll, wenn hierdurch möglichst viele Mitglieder Eigentümer ihrer Wohnung werden können. Unsere aktuelle Situation im Energiebereich – insbesondere die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom oder ein Nahwärmeverbund – ermöglicht eine breite Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen. An der Stelle bin ich durchaus bei Ihnen. Allerdings muss sich die finanzielle Bereitschaft breiter Bevölkerungsschichten erst noch zeigen. Aus dem Aktienbereich wissen wir, dass wir Deutschen hier bisher keine große Leidenschaft entwickelt haben.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, Ihren Prüfauftrag an die Landesregierung nehmen wir zur Kenntnis und begrüßen es, wenn gesetzliche Erleichterungen Existenzgründungen befördern. Wir gehen davon aus, dass Sie nicht beabsichtigen, finanzielle Verpflichtungen des Landes zugunsten einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft einzugehen. Für uns bleibt wichtig, dass

der Gesetzgeber allen Rechtsformen der Wirtschaft die gleichen Chancen einräumt.

In den weiteren Beratungen lassen sich vielleicht gemeinsame Positionen zum Wohle aller Beteiligten erarbeiten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Fehring. – Nun spricht für die FDP Kollege Bombis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, geehrte Herren! Der vorliegende Antrag bietet sicherlich interessante Diskussionsansätze im Hinblick auf die Rechtsform der Genossenschaft. Dazu ist schon vieles gesagt worden.

Trotzdem würde ich gerne mit einer kritischen Anmerkung beginnen, die sich auf die Einleitung und den Titel des Antrags bezieht. Aus unserer Sicht will ich doch sehr deutlich feststellen, dass wir das im Antrag formulierte Ziel der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft nicht als Gegensatz verstanden wissen wollen zu den auch im Antrag erwähnten gewinnorientierten Unternehmen. Wir befürchten, dass es ein bisschen so wahrgenommen wird.

Schon die Frage danach, was Gemeinwohl ist, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Unserer Auffassung nach eignet sich das deshalb auch nicht unbedingt als Arbeitsauftrag an eine Regierung.

Für viele Sozialdemokraten ist der Begriff der sozialen Gerechtigkeit etwa mit der Frage des Gemeinwohls sehr stark verbunden. In aller Regel – wir erleben das hier immer wieder – wird diese soziale Gerechtigkeit dadurch definiert, dass man möglichst viel Umverteilung anstrebt und so möglichst viel Privateigentum in staatliche Hände überführt. Die Steuerpolitik der Regierung ist hier ja hinlänglich bekannt.

Auch für die Grünen ist in erster Linie der Staat dafür zuständig, das Gemeinwohl zu definieren und umzusetzen. Deswegen möchten Sie, meine Damen und Herren von der Grünen-Fraktion, ja zukünftig zum Beispiel mit dem Klimaschutzplan darüber befinden, wo welche Wirtschaft in NordrheinWestfalen sinnvoll ist und wo Investitionen in Nordrhein-Westfalen stattfinden sollen, was also in Ihrem Sinne gemeinwohlorientiert ist.

Nach beiden Varianten bedeutet Gemeinwohl: Der Staat entscheidet. – Oder präziser: Die Mehrheit entscheidet.

(Beifall von der FDP)

Wir Liberale und, wie ich denke, auch der überwiegende Teil der Union haben dagegen ein anderes Verständnis von Gemeinwohl. Wir sind der Auffas

sung, dass auch die Verwirklichung individueller Ziele, das Vorwärtskommen der Einzelnen, das Streben nach eigenem Erfolg aus liberaler Sicht das Gemeinwohl nicht ausschließt, sondern beides letztlich einander bedingt. Eigeninitiative ist die treibende Kraft des Fortschritts, die treibende Kraft des Wohlstands, von dem alle profitieren und der letztendlich Gemeinwohl ausmacht.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ist eben sichergestellt, dass sich beide Seiten bestmöglich entfalten können und optimale Resultate für den Einzelnen und für die Gesellschaft möglich sind. Deswegen sind wir – entgegen gelegentlicher Äußerungen wider besseres Wissen auch hier im Plenum – eben nicht für einen neoliberalen Marktradikalismus, sondern für das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen deswegen auch jeden Eindruck vermeiden, dass gemeinwohlorientierte Wirtschaft gegen gewinnorientierte Wirtschaft gestellt wird.

Die Frage des Genossenschaftsrechts ist für die FDP sehr interessant. Deshalb freuen wir uns auch auf die Diskussionen im Ausschuss, denn Genossenschaften gehören seit jeher zum Kerninventar der sozialen Marktwirtschaft. Sie sind eine liberale Erfindung nicht als Gegensatz zu gewinnorientierten Unternehmen, sondern als Ergänzung zu gewinnorientierten Unternehmen, verschaffen sie doch einzelnen Marktteilnehmern die Chance, Marktkräfte zu bündeln, die wirtschaftliche Lage der Mitglieder zu fördern und so ökonomische Nutzenmaximierung für die Genossen zu betreiben. Daraus wiederum folgt, dass individuelles Gewinnstreben insofern auch auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist.