Protokoll der Sitzung vom 02.07.2014

Meine Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgericht hat erklärt, dass es keinen Anspruch auf solch ein ordentliches Fach gibt. Es hat aber gleichzeitig die Möglichkeit zur Einrichtung eines solchen Faches in die Hände der jeweiligen Gesetzgeber, sprich: in unsere Hände, gelegt.

Von daher begrüßen wir ausdrücklich die Ankündigung der regierungstragenden Fraktion – ich glaube, ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage, es ist die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen –, die einen solchen Unterricht an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen etablieren möchte.

Natürlich kann ein solches Angebot nur wachsen. Genau wie bei der konfessionellen Religionslehre müssen organisatorische und auch personelle Fragen beachtet werden. Wir erwarten daher von der Landesregierung ein Konzept, das einen Zeitstrahl zur Einführung eines solchen nicht konfessionellen Werteunterrichts an Grundschulen darlegt.

Der Diskussion über diesen nicht konfessionellen Werteunterricht im Ausschuss für Schule und Weiterbildung sehe ich gespannt und mit Freude entgegen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Gebauer! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Grundsatz, Frau Gebauer, haben wir große Sympathie für Ihren Antrag; das kann ich sagen. Sie haben richtig festgestellt: Unsere Gesellschaft verändert sich. Die Bindungen an die Religionen nehmen ab. Die Pluralisierung und Ausdifferenzierung in unserer Gesellschaft hat auch eine neue Wertevielfalt hervorgerufen. Neben dem Religionsunterricht sollte es auch einen Werteunterricht an den Grundschulen geben, genauso wie wir das – das haben Sie eben schon gesagt – in der Sekundarstufe I mit der Praktischen Philosophie haben.

Richtig ist auch, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil entschieden hat, dass es keine verfassungsmäßige Verpflichtung für das Fach Ethik gibt. Ich zitiere das Bundesverwaltungsgericht:

„Bei der Einrichtung von Schulfächern verfügt der Staat über Gestaltungsfreiheit. Mit dem Verzicht auf die Einrichtung des Fachs Ethik in der Grundschule werden die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.“

Das ist ganz klar. Aber das Gericht sagt: Natürlich können die Länder, wenn sie wollen.

Auch wenn wir eine derartige Förderung der Werteorientierung in der Grundschule grundsätzlich begrüßen, steht das für uns jetzt nicht an erster Stelle. Uns geht es um Gründlichkeit und nicht um Schnelligkeit. Im Übrigen haben wir noch ein paar andere Dinge auf der Agenda. Wir wollen einen Schritt nach dem anderen machen. Ein solches Fach einzuführen bedeutet auch Vorbereitung, und vor allen Dingen bindet es Ressourcen.

Das Land Baden-Württemberg hat die Einführung von Ethik in der Grundschule gerade vertagt, weil es die entsprechenden Ressourcen nicht zur Verfügung hat. Sie lassen sich auch nicht durch gesellschaftliche Übereinkünfte in Wertefragen herbeiführen. Der Diskussionsprozess für das Fach Ethik in der Grundschule muss in unserer Gesellschaft, vor allen Dingen auch bezogen auf die Lehrpläne, geführt werden.

Lassen sie mich verdeutlichen, wie wir in NRW bisher auf die gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich Werteorientierung in den Schulen reagiert haben.

Mit dem Schuljahr 2012/13 haben wir den islamischen Religionsunterricht eingeführt. Dieser Unterricht kann nur schrittweise eingeführt werden, so wie Lehrer und Lehrerinnen ihre Ausbildung beenden. Die Rechtslage hierfür bildet § 132a des Schulgesetzes. Uns ist es wichtig, dass muslimi

sche Schüler und Schülerinnen sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen und ihre religiösen Themen auch in deutscher Sprache diskutieren können. Die rund 230.000 Kinder und Jugendlichen muslimischen Glaubens sollen in unseren Schulen Religionsunterricht erhalten.

Sie, liebe Frau Gebauer, haben dem Gesetzentwurf damals „leider“ nicht zugestimmt, den wir mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU in diesem Landtag verabschiedet haben. Das war eine Reaktion auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Für uns steht außer Frage, dass für bekenntnisangehörige Schüler und Schülerinnen der beiden großen Kirchen – der evangelischen Kirche und der katholischen Kirche – Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an unseren Schulen bleibt. Dort, wo es gewünscht ist, gibt es auch jüdischen und alevitischen Religionsunterricht. Gleichzeitig soll und darf aber kein Schüler und keine Schülerin gegen seinen/ihren erklärten Willen an einem Religionsunterricht – gleichgültig, welchen Bekenntnisses – teilnehmen müssen.

Mit den geplanten Änderungen der zu 100 % vom Land finanzierten Bekenntnisschulen reagieren wir ebenfalls auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden großen Kirchen nach einem gemeinsamen Verständigungsprozess mit der Politik die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen erleichtern wollen. Damit reagieren auch die Kirchen auf die Veränderungen in der Gesellschaft, wonach Grundschulen im Durchschnitt zu 18 % von Kindern besucht werden, die konfessionslos sind oder einem anderen Glauben angehören. In bestimmten Gegenden sind es noch deutlich mehr. Das wissen Sie auch.

Mit einem veränderten Quorum für die Umwandlung von Bekenntnisschulen in die einfache Mehrheit wollen wir zukünftig die übliche demokratische Mehrheit über die Schulart entscheiden lassen.

Ziel des Gesetzes zu den Bekenntnisschulen ist es, die rechtlichen Anforderungen mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Einklang zu bringen. Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir nach dem Prozess, den wir mit den Kirchen bereits eingegangen sind, auch dieses Gesetz, wenn es im Herbst in den Landtag eingebracht werden sollte, im Hinblick darauf, dass wir auch auf die Veränderungen in der Werteorientierung der Gesellschaft reagieren, mit einer großen Mehrheit in diesem Landtag werden verabschieden könnten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Frau Kollegin Beer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Gebauer! Ich habe mich über Ihren Antrag gefreut. Erst einmal fühle ich mich geehrt, dass Sie so aufmerksam das verfolgen, was wir politisch diskutieren, und das dann auch gut finden.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Aha!)

Es sind ja auch Wiederentdeckungen mancher liberaler Elemente, habe ich mir so gedacht. Es könnte ja sein, dass man sich statt auf Namen mal wieder auf das besinnt, was wirklich drinsteckt.

Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht darauf hin, dass sich die Gesellschaft geändert hat. Das ist auch unsere Diskussionsgrundlage. Wir müssen darüber reden, wie man das Angebot im Land verändern muss. Ich will noch mal sagen, wie die amtlichen Schuldaten für das Schuljahr 2012/2013 in den Grundschulen ausgesehen haben: 37,5 % der Grundschüler und -schülerinnen werden als katholisch geführt, 25,3 % als evangelisch, 15,7 % als muslimisch. Fast genauso viele Schüler und Schülerinnen, nämlich fast 17 %, sind ohne Konfessionszugehörigkeit.

Wir wollen auf diese veränderte Gesellschaftslage, wie Sie sie richtig beschrieben haben, reagieren. Das bedeutet aber nicht, weil Sie etwas entdeckt haben, was Sie auch gut finden, zu sagen: Jetzt muss das hopplahopp umgesetzt werden. – Dazu brauchen wir auch einen Diskurs. Wenn Sie sich angeschaut haben, wie in anderen Bundesländern das Fach konzipiert und wie es auf den Weg gebracht worden ist: Das ist genau die Herausforderung, auch hier zu einem gesellschaftlichen Diskurs über die Frage zu kommen: Was heißt ethische Grundhaltung? Was heißt, die Sinnfragen miteinander zu erörtern? Wie kann das in der Grundschule eigentlich gelingen?

In der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts gibt es schon sehr lange zum Beispiel das Philosophieren mit Kindern. An der Universität Münster beschäftigt sich eine Fakultät besonders mit diesen Fragen.

Wir müssen miteinander darüber reden: Wie kann man ein solches Fach entwickeln? Welche Elemente gehören dazu? Was bedeutet das auch im Konzert mit dem konfessionellen Religionsunterricht oder dem Unterricht, den wir jetzt zusätzlich eingeführt haben – die Kollegin Hendricks hat es schon gesagt –, was den islamischen Religionsunterricht, den alevitischen Religionsunterricht und den jüdischen Religionsunterricht angeht oder auch die Gruppe der Syrisch-Orthodoxen betrifft, die das auch gerne für sich haben wollen.

Das alles sind Fragen, die ein bisschen komplexer sind. Trotzdem müssen diese Fragen angegangen werden. Da gebe ich Ihnen recht. Deswegen wird das sicherlich eine spannende Diskussion auch im Ausschuss werden.

Das ist jetzt mein Impuls an Sie, Frau Gebauer: Wenn man gesellschaftliche Verhältnisse in der Tat so konstatiert, wie Sie es getan haben, dann finde ich es schade, dass Sie sich an der Diskussion um die Frage der Bekenntnisgrundschulen im Land bisher nicht beteiligt haben, jedenfalls die Einladung in dieser Art und Weise nicht aufgenommen haben.

Das wäre jetzt vielleicht ein Impuls. Wir haben mit den schulpolitischen Sprechern und Sprecherinnen das Thema erörtert. Wir sind in einem Gesprächszusammenhang mit den Kirchen. Vielleicht wäre das jetzt genau die Möglichkeit, in diesen Prozess mit hineinzukommen. Ich will Sie eindrücklich einladen, daran teilzunehmen, damit wir, wie die Kollegin Hendricks es vorhin gesagt hat, diese Frage möglichst breit getragen miteinander bearbeiten. Vielleicht gibt das einen neuen Impuls auch innerhalb der Fraktionen, darüber zu reden, dass es dort Veränderungsnotwendigkeiten gibt, und zu überlegen, wie man das im Konsens miteinander beschreiben kann.

Es wäre schön, nicht nur darauf zu warten, was die Regierungsfraktionen vorlegen, sondern in den Prozess mit hineinzugehen. Vielleicht ist das jetzt ein Anfang von der anderen Seite, dieses Thema auch noch mal miteinander aufzunehmen. Das würde ich mir wünschen. Das gilt natürlich nicht nur für die FDP-Fraktion. Das gilt genauso für die CDUFraktion. Mit den Piraten sind wir dazu schon in intensivem Austausch und Gespräch.

Das Thema könnten wir vielleicht nach den Ferien miteinander angehen. Das ist noch einmal ein Impuls für die gesamte Fraktion. Wir treffen uns zu diesem Thema sonst nur auf Podien oder in den Gesprächsrunden der Obleute. Hier gibt es jetzt vielleicht aber noch einen anderen Aufschlag. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Klaus Kaiser.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem uns vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion möchte ich für die CDU-Fraktion vorab folgende grundsätzliche Feststellung machen:

Für die CDU-Fraktion gilt auch künftig – ich habe gehört, dass das bisher zumindest seitens der Regierungsfraktionen betont worden ist –: Der Religi

onsunterricht in den Grundschulen ist der Normalfall. Denn auch heute ist der Großteil aller Schülerinnen und Schüler Mitglied in einer Kirche oder in einer anderen Religionsgemeinschaft. Es bleibt die stete Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Religionsunterricht gesichert wird und auch stattfindet.

Die CDU-Fraktion wird keine Tendenz unterstützen, den Religionsunterricht an unseren Schulen infrage zu stellen oder auszuhöhlen. Wir alle wissen um die Bedeutung und den Stellenwert der Wertebildung. Dies ist Aufgabe in allen Fächern der Schule. Allerdings gilt das in besonderer Weise für den Religionsunterricht. Diesem Auftrag nach Wertebildung kommt der Religionsunterricht heute in besonderer Weise nach.

Auch Konfessionsschulen gehören in diesen Kontext. Denn auch künftig gilt, dass die Werteorientierung in diesen Schulen in besonderer Weise umgesetzt wird. Bekanntlich nehmen auch heute konfessionslose Kinder freiwillig und häufig am Religionsunterricht teil, was insbesondere auch der Wertebildung des einzelnen Kindes dient.

Der Antrag der FDP fordert jetzt die flächendeckende Einführung des nicht konfessionellen Religionsunterrichts in der Grundschule, eben der Wertebildung, ohne jetzt aber eine erforderliche Differenzierung und Abgrenzung vorzunehmen. Hier ist ja die Frage des Bedarfs – Frau Hendricks hat es ja ein bisschen angesprochen – und auch der Ressourcen mit anzusprechen.

Für unsere Fraktion gilt, dass wir durchaus für einen neutralen Werteunterricht offen sind, aber wir bezweifeln sehr, ob dieses Angebot flächendeckend organisiert werden muss. Wir meinen, eher nachfrageorientiert. Da muss das Ministerium sicherlich Zahlen und Material liefern. Das wird der Antrag hoffentlich in die Wege leiten, sodass wir dann auch evidenzbezogen darüber diskutieren können.

Wir benötigen zunächst einmal konkrete Angaben zu den Quantitäten, aber auch zu inhaltlichen Voraussetzungen und vielleicht auch zum Kostenrahmen bei einer flächendeckenden Einführung.

Wir stimmen gerne der Überweisung zu, halten eine ausführliche Diskussion für erforderlich, halten es aber nicht für möglich, über diese Frage zu diskutieren, ohne auch dauerhaft den Religionsunterricht an unseren Grundschulen abzusichern. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen

uns ausdrücklich über den Antrag der FDP-Fraktion und begrüßen die Diskussion im Ausschuss.

Religionsfreiheit ist uns ein hohes Gut. Die Freiheit und Vielfalt der religiösen und weltanschaulichen Einstellungen ist eine wichtige Errungenschaft der modernen Gesellschaft. Sie zu erhalten und zu entwickeln, ist eine beständige Aufgabe von Politik und Gesellschaft.