Protokoll der Sitzung vom 14.09.2012

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Deshalb will ich ausdrücklich anerkennend sagen: Wir haben bei aller Auseinandersetzung mit politischen Wettbewerbern auch wahrgenommen, Frau Ministerpräsidentin Kraft, dass Sie sich zusammen mit weiteren Mitgliedern der SPD-Führung auch im Umgang mit der damaligen Situation erkennbar anders verhalten haben als andere hier im Haus.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ – das ist für uns Liberale kein Marketinggag, sondern eine zutiefst verankerte innere Überzeugung,

(Zuruf von der SPD)

für die alle unsere Abgeordneten auch die nächsten fünf Jahre dieser Legislaturperiode einstehen.

(Beifall von der FDP)

Diese Haltungsfrage ist auch der Grund dafür, dass wir den vorliegenden Schuldenhaushalt ablehnen. Die Entschuldung unseres Landes und das Setzen von Anreizen für persönliche Leistungsanstrengungen, beides sind für uns wichtige und gleichberechtigte Ziele. Sparsamkeit ist für uns Liberale kein Selbstzweck, sondern die notwendige Voraussetzung dafür, den Staatsinfarkt abzuwenden und bald wieder Handlungsoptionen für Zukunftsinvestitionen in ein modernes Industrieland zu gewinnen.

Frau Ministerpräsidentin Kraft, Sie haben gestern noch einmal ausführlich Ihr Leitbild dargestellt. Sie erheben die sogenannten guten Schulden zu Ihrer offiziellen Staatsphilosophie, und Sie haben ein erschreckend paternalistisches Staatsverständnis offenbart, als Sie gesagt haben: Mit uns gibt es keine Steuergeschenke.

Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer zulassen?

Aber sicherlich.

Bitte schön.

Danke schön, Herr Kollege Witzel. – Ich habe Ihre Rede gerade mit Interesse vernommen und will nur fragen, ob dieses Prinzip „Neuwahl vor neuen Schulden“ auch für die Bundes-FDP gilt und ob Sie diese Botschaft heute auch in diese Richtung transportieren wollen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Herr Abgeordneter, bitte schön.

Frau Kollegin Beer, die Haltung, die ich Ihnen als Überzeugung der FDP dargestellt habe – im Umgang mit Staatsschulden, im Umgang mit einem Entschuldungskurs und zum Stichwort „paternalistisches Staatsverständnis“, zu dem ich gerade angesetzt habe –, gilt für die FDP auf allen Ebenen. Sprechen kann ich hier natürlich nur

(Jochen Ott [SPD]: Ah!)

für unser konkretes Verhalten, das wir im Landtag praktizieren. Das Ziel, Haushalte zu konsolidieren, ist ein Antrieb für uns auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Politik, wenn sich die Fragen stellen.

Frau Ministerpräsidentin Kraft ist leider nicht mehr zu sehen. Ich war gerade beim Stichwort „paternalistisches Staatsverständnis“. Wir haben beide Wirtschaftswissenschaften studiert, aber offensichtlich etwas ganz anderes gelernt.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Das, was sich ein Mensch fleißig erarbeitet, gehört zunächst einmal nicht dem Staat, der ihm dafür ein paar Brosamen zurückgewährt. Alle Freunde der Freiheit wissen: Der Ertrag der eigenen Arbeit gehört zunächst einmal jedem Menschen selbst.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bei dieser Regierung und bei dem, was Sie, Herr Finanzminister, heute vorgelegt haben, ist ein Gegenentwurf zu Ihrer Politik nötiger denn je, und deshalb treten wir für die Grundlinien „Privat vor Staat“, „Freiheit vor Gleichheit“ ein. Wir brauchen zugleich eine funktionierende soziale Marktwirtschaft, die Leistungsanreize schafft. Erst sie ist die realökonomische Grundlage für jede Politik des sozialen Ausgleichs. Denn Erwirtschaften kommt vor Verteilen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Deshalb haben wir auch ein grundlegend anderes Staatsverständnis, wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht. Wir wollen selbstverständlich wie alle Fraktionen hier im Hause die Steuerhinterziehung bekämpfen, aber doch nicht dadurch, dass wir uns der Methoden von Kriminellen bedienen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ganz warm aus dem Drucker erhalte ich heute von Ihnen Ihr Antwortschreiben auf meine Fragen zur Steuer-CD. Sie teilen mir darin mit, dass Sie Mittelsmänner einsetzen, deshalb die Identität der Datendiebe nicht kennen und sie auch gar nicht wissen wollen.

Sie schreiben weiter, Sie interessieren sich auch nicht für die Frage, ob die Datendiebe ihre Millionenhonorare selbst versteuern. Wörtlich heißt es in Ihrem Schreiben: Da dem Land die Identitäten und Aufenthaltsorte der Verkäufer nicht bekannt sind, ist die Besteuerung der Verkaufserlöse nicht nachprüfbar.

Meinen Sie denn wirklich, Herr Finanzminister, der Datendieb bei der Schweizer Bank wird sich bei seinem ausländischen Finanzamt melden und dort den Hehlerlohn in seiner Einkommensteuererklärung anmelden?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was soll das denn jetzt? – Gordan Dudas [SPD]: Ken- nen Sie sich damit aus, Herr Witzel?)

Das ist doch wohl eine etwas unrealistische Vorstellung. Deshalb werben wir für die rechtsstaatliche Erkenntnis: Wo kein Hehler ist, ist auch kein Diebstahl.

(Beifall von der FDP)

Zu unserem Staatsverständnis gehört auch: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, wie das Milliardengrab der WestLB-Abwicklung mit wöchentlich neuen Horrorbotschaften zeigt.

Zu meinem Vorredner, weil Sie das Thema etwas historisch angelegt haben: Wir waren die erste Fraktion in diesem Hause – im Übrigen schon vor zehn Jahren –, die hier zu einem Zeitpunkt Anträge gestellt hat, als es noch möglich gewesen wäre, die WestLB gewinnbringend zu veräußern. Das hätte diesem Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen Milliardenbelastungen erspart.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Finanzminister, wenn Einsparungen für Sie kein Lippenbekenntnis sein sollen, dann schaffen Sie Ihr Ineffizienzteam ab, das Gutachterhonorare in Millionenhöhe verschlingt. Ihre Gutachteritis treibt schon die eine oder andere Stilblüte. Beenden Sie das grüne Lebensgefühl „Von der Wiege bis zur Bahre – Honorare, Honorare“.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Echt witzelig!)

Insbesondere der Umweltminister, der jetzt dankenswerterweise da ist, hat, nachdem er Hunderte von Neueinstellungen getätigt hat, im letzten Jahr Millionen ausgegeben, um ein grünes Netzwerk von Ökoinstituten zu finanzieren. Sie bezahlen Menschen dafür, dass sie Literatur über Fluglärm lesen und Lösungen zu den wirklich „vorrangigen“ Fragen unserer Landespolitik erarbeiten. Ich nenne zum Beispiel Gutachten wie: Wie definiert man den Begriff „Mineralwasser“? Gibt es ein Rauchen auch ohne Tabak? Warum beißt das eine Schwein seinem Nachbarschwein so gerne in den Schwanz?

Frau Steffens – wo ist sie? –,

(Ministerin Barbara Steffens: Hier!)

halten Sie doch mal mit dem Gutachtentempo Ihres grünen Kollegen Remmel mit. Ich habe schon die nächsten Anregungen für Sie. Wie wäre es mit einer 50.000-€-Gutachtenvergabe an Herbert Grönemeyer. Er untersucht für Sie die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“,

(Beifall von der FDP – Zuruf von Heike Geb- hard [SPD])

die GEMA-Rechte zum gleichnamigen Liedgut für die nächste „TatKraft“-Tour gleich inklusive.

Oder statt Schwanzbeißen bei Schweinen – laufen Sie nicht weg, Frau Steffens – lieber eine Untersuchung über Stutenbissigkeit im Landeskabinett, eine Feldstudie menschlicher Verhaltensweisen unter Gender-Aspekten.

(Beifall von der FDP – Regina Kopp-Herr [SPD]: Jetzt ist aber gut! – Zuruf von der SPD: Geschmackloser geht es nimmer!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits diese wenigen Beispiele zeigen: Der ehrliche Steuerzahler ist bei Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen stets der Dumme. Nordrhein-Westfalen braucht daher endlich wieder eine Regierung, die öffentliche Verschwendungssucht stoppt und für die Einsparwille mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen von Herrn Witzel gerade waren sehr erhellend. Er gibt den finanzpolitischen Sherlock Holmes der FDP. Ich frage mich nur, wer sein Dr. Watson ist.

(Martin Börschel [SPD]: Jekyll und Hyde!)

Ich darf zu Anfang für die Piratenfraktion klipp und klar feststellen: Die Legislative des Landes, unser Parlament, befindet sich heute, am 14. September 2012, in der ersten Lesung zum Haushalt 2012. Mit anderen Worten: Das Haushaltsjahr ist im Grunde abgelaufen, und Sie eröffnen heute das Beratungsverfahren für den Haushalt 2012.

Liebe Kollegen, wenn Verfassungsbezüge diskutiert werden, sollte jeder hier im Parlament zuhören.