Ein einfaches Gesetz soll in diesem Fall konkret regeln, wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gestaltet wird, Artikel 8 des Grundgesetzes. Wir reden hier schon über ein sehr hohes Gut unserer Gesellschaft, ein prägendes Element unseres demokratischen Rechtstaates. Um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sagen:
„Die Versammlungsfreiheit gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.“
Diese Freiheit ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern eine aktive Teilnahme am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess. Insoweit profitieren wir alle von einer breiten und intensiven Diskussion um ein neues Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen. Daher darf die Zivilgesellschaft hohe Erwartungen an das Ergebnis dieses Diskussions- und Entscheidungsprozesses haben.
Hier, meine Damen und Herren, liegt meines Erachtens der Hase im Pfeffer. Weil wir einen so hohen Anspruch an dieses Gesetz haben, haben wir uns Zeit gelassen und mit vielen Menschen darüber geredet. Wir haben die Rechtsprechung geprüft, die Erkenntnisse der Wissenschaft herangezogen und versucht, auch die Praxistauglichkeit zu berücksichtigen. Wir haben es sehr umfangreich begründet, da wir beim Polizeigesetz gelernt haben, dass eine sehr umfangreiche Begründung auch den Praktikern helfen kann.
Dieser Gesetzentwurf ist so gut wie fertig. Wir werden ihn in Kürze einbringen. Mein Wunsch wäre dann, dass wir beide Entwürfe nebeneinanderlegen und miteinander diskutieren. Ich will dem nicht vorgreifen und möchte mich jetzt auch nicht in vielen Details – das werden wir ja noch machen – mit dem Gesetzentwurf der SPD auseinandersetzen. Ich möchte
Erstens. Der Titel – Frau Schäffer hat darauf hingewiesen – „Versammlungsfreiheitsgesetz“ entspricht exakt dem, was Schleswig-Holstein gemacht hat, und auch der Gesetzestext selber ist überwiegend identisch. Vorhin hat jemand von Ihnen gesagt, Abschreiben sei ja nicht automatisch schlecht. Dann muss man aber, wenn man das vorstellt, etwas behutsamer, etwas demütiger sein. Das ist der eigentliche Hinweis, den ich mache.
Ich mache auch einen Hinweis, der in der Sache wichtig ist. Dieses Gesetz aus Schleswig-Holstein ist auch schon wieder fünf Jahre alt, es ist 2015 in Kraft getreten. Die Entwicklungen in der versammlungsrechtlichen Praxis, insbesondere auch aufgrund aktueller Rechtsprechung, sind daher weder in dem Entwurf aus Schleswig-Holstein noch in Ihrem berücksichtigt, das ist logisch. Wir hoffen, dass wir in unserem Entwurf einige Sachen mehr aufgreifen können.
Meine Juristen haben mir übrigens gesagt, dass die intellektuelle Grundlage sowohl für das schleswigholsteinische Gesetz als auch für den SPD-Entwurf identisch ist. Es handelt sich dabei um den Musterentwurf des rechtswissenschaftlichen Arbeitskreises „Versammlungsrecht“ aus dem Jahre 2011; er ist also noch älter. Das ist aber unzweifelhaft eine taugliche Grundlage für ein landeseigenes Versammlungsgesetz; denn das haben wir auch für unseren Entwurf als Grundlage genommen – das will ich direkt offenlegen –, sodass wir durchaus schon ein paar Punkte von der Grundlage her haben.
Aber 2011 heißt: Da besteht garantiert Bedarf, dass man sich auf die Aktualitäten einstellt. Wir haben auch den Anspruch, genauso wie Sie, dass wir für Nordrhein-Westfalen eigene Akzente setzen, weil wir eigene Erfahrungen und eigene Rechtsprechung haben. So können wir ein modernes Versammlungsrecht schaffen, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.
Ein zweiter Punkt: Wir konnten der Presse entnehmen, und Herr Wolf hat es eben vorgetragen, dass Sie insbesondere Nazi-Demos verhindern wollen, also Demonstrationen von Rechtsextremisten, die sich bewusst denkwürdige Orte oder Tage aussuchen, um zu marschieren. Da bin ich bei Ihnen, das eint mich mit Ihnen und, wie ich vermute, mit fast allen hier im Haus, denn wir wollen solche unsäglichen provokanten Demonstrationen an Gedenkstätten und Gedenktagen verhindern. Wir müssen jedoch aufpassen, dass das nicht parteipolitisch oder ideologisch nur eine Seite berücksichtigt. Die Maßstäbe gelten dann für alle.
Deswegen und weil Sie diesen Anlass so betont haben, war ich schon ein bisschen verwundert, als ich mir den Gesetzentwurf genauer angesehen habe.
Dabei ist mir schon aufgefallen, dass die SPD gerade in Bezug auf Orte und Tage das, was in diesem Musterentwurf stand, nicht übernommen hat. Es gibt nur eine versteckte Regelung zu den Gedenktagen, und zwar in § 13 Abs. 4 des Entwurfs von der SPD. Ich will unserem Entwurf jetzt nicht vorgreifen, aber so viel möchte ich sagen: Wäre es nicht vielleicht doch eindrucksvoller, wirksamer und klarer, wenn wir diesen Aspekt in einem eigenen Paragrafen, oder wie Juristen es ausdrücken, in einer Schutznorm regeln würden? Mit dieser und ähnlichen Fragen haben wir uns beschäftigt. Ich denke, wir haben eine ordentliche Antwort gefunden.
So weit zu Ihrem Gesetzentwurf. Alles weitere müsste man in der weiteren Debatte auch miteinander austauschen.
Das Ziel sollte ein gemeinsames sein, nämlich, ein modernes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ich bin sehr interessiert daran, dass wir das mit möglichst breiter Mehrheit hinbekommen. Frau Schäffer hat recht: Wenn es Unterschiede gibt, gibt es Unterschiede, und dann muss man abwägen, ob man mitgehen kann oder nicht. Wenn es schließlich mit Minderheit und Mehrheit abgestimmt wird, ist es auch kein Drama. Aber der Versuch, in diese Richtung zu kommen, lohnt bei diesem Gesetz genauso, wie wir es bei dem Polizeigesetz geschafft haben. Es lohnt sich.
Wir wollen aber darüber hinaus, und das ist auch mein Ziel, den Behörden – das ist zwar noch nicht formuliert worden, aber daran sollten wir denken – ein handhabbares Landesgesetz an die Hand geben. Es ist mir jetzt aufgefallen, weil gerade eine Meldung bei uns im Hause gekommen ist, dass für den 22. November, also Sonntag in einer Woche, eine Anmeldung von den „Querdenkern“ gekommen ist. Die wollen mit 15.000 Menschen auf der A40 in Duisburg und Dortmund demonstrieren. Da wird einem schlagartig bewusst, wie viele Fragen daran noch hängen. Das soll mitten auf der Autobahn stattfinden; ich will es jetzt nicht vertiefen.
Aber die Handhabbarkeit für Behörden ist auch ein wichtiger Aspekt. Das ist übrigens der Grund, warum wir uns sehr viel Mühe gegeben haben – das werden Sie dann ja sehen –, in den Begründungen Hilfestellung zu geben. Man kann nicht alles in die Gesetze schreiben, aber mit den Begründungen kann man vielleicht den Behörden im Umgang mit dem Gesetz helfen. Das ist unser Wunsch. Ich hoffe, dass wir da vorankommen.
Herzlichen Dank, dass die Debatte heute begonnen wird. Wir werden uns mühen, Ihnen so schnell wie möglich auch unseren Entwurf vorzulegen. Dann würde ich mir wünschen, dass wir, wenn die Anhörungen kommen, sehen, was von wem am klügsten, vernünftigsten und praktischsten realisierbar ist. Das ist eine riesige Herausforderung. Es ist viel schwie
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden, und es wird wohl eine spannende Debatte um das neue Versammlungsrecht, das wir – ich denke, das ist Konsens – schaffen werden. Herr Minister Reul hat vorhin gesagt, dass er die rhetorische Frage, warum das nicht in den Jahren 2010 bis 2017 geschehen ist, nicht stellen will, daher stelle ich sie auch nicht. Das macht aber nichts.
Lieber Kollege Wolf, ich fand, es waren schon außerordentlich spannende Ansätze, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, auch wenn er eine gereifte Vorlage im nördlichsten Bundesland, in SchleswigHolstein, hatte. Ich meine, man kann aus der Diskussion festhalten, dass der ganz überwiegenden Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses diese Grundrechte sehr am Herzen liegen, weil sie schlichtweg – so heißt es immer so schön – konstituierend für eine freiheitliche, demokratische Grundordnung sind. Das gilt für den Artikel 8 des Grundgesetzes genauso wie für die Meinungsfreiheit. Beide gehören, in vielen Dingen jedenfalls, zueinander und müssen gemeinsam erörtert werden. Insofern ist es meines Erachtens wichtig und richtig, dass wir dies hier machen. Insofern danke ich der SPD-Fraktion, dass sie diesen Impuls heute setzt.
Der Minister hat gerade erste Dinge aus einem möglichen Entwurf der Landesregierung, der dem Koalitionsvertrag von CDU und FDP geschuldet ist, genannt. Das zu kommentieren verbietet sich, weil ein Entwurf noch nicht vorliegt. Er wird offensichtlich kommen. Daher ist es wichtig, dass wir die grundlegenden Überzeugungen hier im Hause teilen. Ich finde, das ist bei solchen Grundrechtsfragen außerordentlich wichtig. Deshalb wird es eine spannende, eine fruchtbare Diskussion, die wir hier miteinander führen.
Es ist aber auch keine triviale Angelegenheit; denn vieles von dem, was wir hier beschließen oder sagen, landet oftmals vor den Gerichten. Das ist keine neue Erkenntnis. Gerade bei der Demonstrationsfreiheit, beim Versammlungsrecht, sind die Eilentscheidungen beispielsweise der Verwaltungsgerichte Maßstab. Dort muss oft innerhalb weniger Stunden entschieden werden, ob eine Demonstration zulässig oder nicht und welche Aspekte zugrunde gelegt werden dürfen.
Wenn wir nach Leipzig schauen, wie es der Kollege Lürbke eben richtigerweise getan hat, dann sehen wir, dass eine solche Entscheidung ein regelrechtes Erdbeben in einem Land auslösen kann. Denn da hat das Gericht – ich möchte jetzt keine Gerichtsbewertung vornehmen oder gar Gerichtschelte betreiben – eine Demonstration, deren Inhalte wir überwiegend nicht teilen, an einem Ort zugelassen, wo so viele Menschen gar nicht hätten zusammenkommen dürfen. Es hat sozusagen einen Superspreader-Event geschaffen, und mit den Folgen müssen wir leben.
Wir als demokratischer Staat schaffen es aber, auch mit solchen Diskussionen umzugehen und diese auszuhalten. Das ist, glaube ich, auch das Wichtige, dass man seine Meinung nicht sozusagen an die Meinung derjenigen, deren Meinung man nicht teilt, setzt, sondern dass ein freiheitlich-demokratischer Staat so etwas aushält und auch Meinungen anderer zumindest zur Kenntnis nimmt, vielleicht von dem eigenen Recht der Versammlungsfreiheit Gebrauch macht, dagegenhält und diskutiert, und das ist in den letzten Tagen in Deutschland und möglicherweise auch darüber hinaus intensiv geschehen.
Was brauchen wir, wenn wir ein Versammlungsrecht schaffen? Maßstab sind für mich allein die Verfassung und die Rechtsprechung. Hier hat sich schon einiges getan; der Minister hat es eben angesprochen. Es ist also dringend notwendig, ein solches Recht zu schaffen. Dann sollte es auf aktuellstem Stand sein und bei aller Ungewissheit vor den Gerichten auch möglichst rechtssicher sein. Deswegen finde ich es gut, wenn vor allem diese Einzelaspekte, die eben in der Diskussion schon anklangen, noch einmal genannt werden, möglicherweise in das Gesetz eingepflegt werden und wir die Chance haben, diese Ideen, die hier heute diskutiert werden, in einem Versammlungsgesetz zusammenzuführen, das Maßstab ist und Orientierung bietet.
Ich fand die Diskussion außerordentlich spannend und freue mich auf die weitere gemeinsame Diskussion aller Fraktionen zu diesem Thema. Vor allen Dingen ist es wichtig, dass ein Versammlungsrecht geschaffen wird, das der Verfassung und auch der Verfassungsrechtsprechung Genüge tut. – Vielen Dank und auf spannende Diskussionen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es etwas bedauerlich, dass die Kollegen Lürbke und Dr. Katzidis so wenig souverän an das Thema herangingen. Umso erfrischender war die Rede des Herrn Ministers, der
Die Versammlungsfreiheit als geschütztes Grundrecht sollte nur ausnahmsweise und aus sehr guten Gründen eingeschränkt werden. Die in § 13 Abs. 4 des Versammlungsfreiheitsgesetzes genannten Gedenktage erfüllen genau diese Anforderungen. Ich hoffe, ich muss nicht besonders betonen, dass mit dem § 13 Abs. 4 der Vorlage eine Regelung formuliert wurde, die wegen der den Nationalsozialismus verherrlichenden Demonstrationen der vergangenen Jahre mehr als überfällig war. Und ich möchte dazusagen: Die Erfassung auch noch von Orten würde unserer Meinung nach über die Möglichkeiten eines Gesetzes fast hinausgehen, weil die Anzahl der Orte groß ist und ständig wächst.
Der 9. November 1938 steht für den Beginn offener, massiver Übergriffe auf unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ja, es begann schon deutlich früher. Wie ein schleichendes Gift fraß sich die menschenverachtende Ideologie durch die Bevölkerung, und die Menschen jüdischen Glaubens fühlten sich schon länger nicht mehr sicher in Deutschland und verließen ihre Heimat. Aber in der Reichspogromnacht und den folgenden Tagen entlud sich der geballte Hass. Synagogen wurden zerstört, in Brand gesetzt, Wohnungen zerstört, Geschäfte geplündert und vor allem zahlreiche jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger misshandelt, gefoltert und ermordet. Dieses Datum als Anlass für rechtsextreme Fackelzüge zu wählen und damit zum Beispiel einer betagten Holocaustleugnerin Respekt zu erweisen, beschmutzt das Andenken an die Opfer.
Gleiches gilt für den 27. Januar 1945. Am 27. Januar eines jeden Jahres erinnern wir uns an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Armee der Sowjetunion. Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager befreit. Das Datum steht stellvertretend für die Befreiung aller Lager der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Es ist der Tag, an dem wir an unfassbares Grauen erinnern und die ungeheure Schuld, die unser Volk auf sich geladen hat. Er ist ebenso wie der 9. November ein Tag des stillen Gedenkens an die Opfer.
Die Verherrlichung oder Leugnung der Verbrechen der nationalistischen Terrorherrschaft ist grundsätzlich strafbar. Trotzdem gab und gibt es immer wieder Versuche, mit symbolträchtigen Versammlungen oder Aufmärschen, wie zum Beispiel Fackelzügen, gerade an diesen Tagen die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gutzuheißen und damit die Opfer zu verhöhnen. Aus diesem Grunde haben wir uns entschieden, es anderen Bundesländern gleichzutun und ein Versammlungsgesetz zu schaffen und dort eine Regelung vorzusehen, die solche
Versammlungen oder Aufmärsche an diesen bedeutenden Tagen des Gedenkens untersagt. Wir sind es den Millionen Opfern, den Überlebenden und ihren Nachkommen schuldig.
Deshalb laden wir alle Demokraten in diesem Hohen Hause ein, mit uns über ein Gesetz zu diskutieren und es zu verabschieden, das es untersagt, an den benannten Gedenktagen Aufmärsche oder Versammlungen abzuhalten, die damit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihre Ehre erweisen wollen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/11673 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Hauptausschuss. Gibt es jemanden, der dagegen stimmen möchte? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Grünen der Fraktionsvorsitzenden Frau Schäffer das Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechten Verdachtsfälle in der Polizei haben uns alle sowohl aufgrund der Qualität als auch der Quantität erschüttert. Wir haben in vielen Sitzungen darüber diskutiert, hier im Plenum und im Innenausschuss.
Ich bin einerseits sehr erschrocken über die Inhalte, die in diesen Chats, über die wir meistens geredet haben, geteilt wurden. Andererseits bin ich froh darüber, dass jetzt eine Debatte in Gang gesetzt wurde, die aus meiner Sicht längst überfällig war. Denn ich glaube, spätestens nach dem Bekanntwerden der Drohschreiben, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet wurden und offenbar aus Polizeibehörden stammen, oder nach dem Bekanntwerden des rechtsextremen Netzwerks „Nordkreuz“ muss jedem, der im Innenausschuss sitzt, eigentlich klar gewesen sein, dass es