Protokoll der Sitzung vom 12.11.2020

Dort, wo es möglich ist, Gefährder abzuschieben, tun es unsere Sicherheitsbehörden im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten. Die Frage, was gegen Extremismus hilft, muss viel stärker in das Zentrum der Debatte rücken. Es beginnt meines Erachtens damit, dass wir uns viel stärker bewusst machen müssen, dass Extremismus eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft ist. Extremistische Anschläge dürfen uns nicht nur während der „tagesschau“ beschäftigen, den Hass, der hinter solchen Anschlägen steckt, müssen wir früher erkennen und ihm im Alltag entgegentreten.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Ich will an der Stelle sagen, was Hass und Hetze eigentlich sind, und das sehr an die AfD gerichtet. Ich will nicht die vielen unzähligen Beispiele für Hass und Hetze aufzeigen, die Sie uns in der Gesellschaft und den Menschen schon entgegengebracht haben.

Ich nenne ein aktuelles Beispiel von vor zwei Tagen. Nachdem in Mönchengladbach Janann Safi zum Fraktionsvorsitzenden der SPD gewählt worden ist, postet die AfD ernsthaft: „Der letzte Deutsche wird

von einem Moslem beerdigt.“ Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Hass und Hetze. So fördern Sie Terror und Gewalt und machen sich zum Stichwortgeber für Rechtsradikale und für Islamisten.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den demokratischen Fraktionen, wenn ich das so sagen darf: Bleiben wir gemeinsam stark gegen jede Gefahr, egal von welcher Seite sie kommt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN sowie Jörn Freynick [FDP] – Christian Dahm [SPD]: Beste Rede heute Morgen!)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Fraktionsvorsitzende, Frau Schäffer, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten islamistischen Terroranschläge in Westeuropa erschüttern unsere demokratische Gesellschaft.

Nach dem Anschlag in Straßburg im Dezember 2018 sind wir in Westeuropa von islamistischen Anschlägen eine relativ lange Zeit weitestgehend – zumindest von größeren Anschlägen – verschont geblieben. Ich denke, das war eine sehr trügerische Ruhe, in der die Gefahr durch den Islamismus etwas aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit geraten ist, bis sich dann im Oktober 2020 der Messerangriff auf zwei Männer in Dresden, die furchtbaren Anschläge in Frankreich und dann auch der Anschlag am 2. November in Wien ereignet haben.

Mir persönlich machen diese gewalttätigen Anschläge wirklich große Sorgen, weil immer die Gefahr von Nachahmungstaten gegeben ist. Die jüngsten Anschläge haben uns noch einmal sehr schmerzhaft und deutlich vor Augen geführt, wie menschenverachtend die Ideologie des Islamismus ist, die unter anderem homophobe und antisemitische Elemente enthält.

Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir alles dafür tun, diese menschenverachtende, gewaltverherrlichende Ideologie mit Mitteln des Rechtstaats, mit Repression und Prävention, zu bekämpfen. Das sind wir im Übrigen auch den Opfern der Anschläge und ihren Angehörigen schuldig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Auch wenn die Anschläge und Ereignisse in den letzten anderthalb Jahren in Westeuropa deutlich abgenommen haben, war uns, glaube ich, allen bewusst

und musste uns bewusst sein, dass die Gefahr durch den Islamismus nicht gebannt ist.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Worte des Islamismusexperten Peter Neumann, den viele von uns kennen, der uns schon vor einigen Jahren ins Stammbuch geschrieben hat, dass die Ideologie des verfassungsfeindlichen gewaltbereiten Salafismus mit der militärischen Niederschlagung des „Islamischen Staates“ nicht weggehen wird. Das ist ja auch klar.

Er hat uns schon vor drei, vier Jahren sehr deutlich davor gewarnt, dass uns dieser verfassungsfeindliche Salafismus noch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in Westeuropa sehr stark beschäftigen wird. Deshalb ist klar, dass wir bei der Bekämpfung dieser Ideologie einen wirklich langen Atem brauchen. Es wird nicht mit wenigen repressiven Maßnahmen getan sein, und es kann keine einfachen Antworten geben, die wir uns vielleicht alle wünschen.

Damit komme ich zum Thema „Abschiebungen“. Wir Grüne haben immer gesagt: Wenn die rechtsstaatlichen Voraussetzungen für Abschiebungen von Gefährdern ohne deutsche Staatsangehörigkeit vorliegen, dann müssen diese Abschiebungen vollzogen werden. – Allerdings fehlen trotz jahrelanger Diskussionen – ich erinnere mich auch an Diskussionen, die wir vor Jahren hier im Parlament geführt haben – immer noch die entsprechenden Rücknahmeabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit zahlreichen Herkunftsländern.

Ich will noch auf einen Aspekt hinweisen: Man darf es sich in dieser Frage auch nicht zu einfach machen. Denn klar ist, dass mit der Abschiebung von Gefährdern die Gefahr, die von diesen Personen ausgeht, nicht per se gebannt ist. Gefährder können auch aus dem Ausland heraus eine erhebliche Gefahr darstellen, wenn sie über ihre Netzwerke, über ihre Kontakte Anschläge hier koordinieren. Ich finde, man muss dies zumindest mitdiskutieren. Ansonsten wäre die Debatte völlig unterkomplex.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klar ist auch: Die Hälfte der islamistischen Gefährder sind Deutsche. Auch viele Salafisten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, sind in Deutschland aufgewachsen und haben sich hier radikalisiert. Wir sprechen also von einem Problem der hiesigen Gesellschaft. Deshalb wird die Forderung nach Abschiebung allein das Problem nicht lösen.

Wir brauchen eine Mischung aus Repression und Prävention, wir brauchen aber auch eine Verstärkung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Das beginnt schon damit, dass wir auf europäischer Ebene noch nicht einmal ein abgestimmtes Konzept, eine abgestimmte Definition dafür haben, was eigentlich ein Gefährder ist. Das haben wir nicht. Wir

Grünen fordern zudem schon seit Langem ein Kriminalamt auf europäischer Ebene. Wir müssen die Baustellen auf europäischer Ebene angehen.

Aber auch in Nordrhein-Westfalen ist noch einiges zu tun. Ich stimme ausdrücklich der Aussage der Aktuellen Stunde, die von CDU und FDP beantragt wurde, zu. Ja, wir brauchen auch Präventionsmaßnahmen. Ich bin froh, dass wir darüber inzwischen einen politischen Konsens haben. Denn das klang vor einigen Jahren hier im Parlament noch ganz anders.

Die rot-grüne Regierung hat damals mit den ersten Präventionsmaßnahmen begonnen. Wir haben die „Wegweiser“-Stellen geschaffen und sie ausgebaut. Wir waren damals übrigens bundesweit führend. Wir waren die Ersten, die wirklich in Prävention investiert haben, die Beratungsstellen aufgebaut haben. Es gab viele Bundesländer, die sich das aus NordrheinWestfalen abgeschaut haben.

Ich bin froh, dass diese Landesregierung – auch das kann man hier einmal sagen – den Aspekt der Präventionsarbeit und die „Wegweiser“-Stellen weiter ausbaut und das fortführt, was wir damals unter RotGrün angelegt haben.

Wir Grüne haben nach dem Regierungswechsel relativ früh – das war im Jahr 2017 – einen Antrag zum Thema „Prävention“ gestellt, der sehr breit aufgestellt war. Dieser ist leider hier abgelehnt worden, obwohl die Expertinnen und Experten in der Anhörung im Innenausschuss – Sie werden sich vielleicht daran erinnern – den Antrag unterstützt haben. Ich will ein paar Forderungen aufführen, weil ich hoffe, dass die Debatte darüber erneut in Gang kommt.

Das Erste ist die Einrichtung eines Forschungsinstituts, das Grundlagenforschung betreibt, das Evaluation betreibt, das auch den Transfer zwischen Forschung und Praxis abdeckt – übrigens ein Konzept, das damals von Professor El-Mafaalani, der hier kein Unbekannter ist, sehr stark unterstützt wurde. Das ist leider von Ihnen abgelehnt worden.

Der zweite Punkt betrifft den Einsatz von Streetworkern. Wir haben gesagt, wir brauchen Personen, die vor Ort sind, die die lebensweltlichen Zugänge zu den Jugendlichen haben, die diese Jugendlichen ansprechen können und die verhindern, dass Jugendliche von einer salafistischen Szene angeworben werden. Auch das ist leider abgelehnt worden, obwohl viele Expertinnen und Experten diesen Vorschlag von uns unterstützt haben.

Ein dritter Aspekt: Wir müssen noch stärker auf die Rolle von Mädchen und Frauen in dieser Szene achten. Denn eines ist auffällig: Wenn man in das Lagebild Salafismus hineinschaut, stellt man fest, dass der Anteil der Frauen in der islamistischen Szene von 12 % vor einigen Jahren auf inzwischen 18 % gestiegen ist.

Ich weiß, Herr Sieveke, dass die jüngsten Anschläge wieder von männlichen Attentätern ausgeführt wurden; das ist so. Aber das darf nicht den Blick darauf verstellen, dass Frauen in der Szene definitiv eine wichtige Rolle spielen – als Übermittlerinnen der Ideologie, aber auch als Netzwerkerinnen. Diese Frauen haben eine starke Rolle. Das müssen wir stärker in den Blick nehmen, auch wenn wir über Prävention, über Zielgruppen sprechen.

Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir Grüne haben diese Vorschläge gemacht. Sie sind leider abgelehnt worden. So ist manchmal das Geschäft hier im Parlament. Aber ich bitte Sie darum, sich gemeinsam mit uns an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, welche Maßnahmen wir weiterführen bzw. ausbauen und welche wir neu initiieren können. Diese Offenheit würde ich mir in diesem Parlament von den Regierungsfaktionen wünschen.

Denn das Ziel teilen wir im Kern. Das Ziel ist, die menschenverachtende Ideologie des Islamismus und die daraus resultierende Gewalt zu bekämpfen. Das ist das gemeinsame Ziel. Also lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Stamp das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Bürgerinnen und Bürger haben den Eindruck, dass in Deutschland die Falschen abgeschoben werden. Wenn wir uns das deutschlandweit anschauen, dann hat diese Kritik, glaube ich, einen wahren Kern.

Noch immer werden deutschlandweit zu viele abgeschoben, die zwar zunächst keinen Bleiberechtsstatus bekommen haben, die sich aber während und zum Teil trotz langjähriger Verfahren bestens in unsere Gesellschaft integriert haben. Ich bekomme in jeder Woche Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern, von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich darüber beklagen, dass gut integrierte Mitmenschen und Mitarbeiter abgeschoben werden.

Aber ich habe in diesen Postmappen auch die Briefe derjenigen, die überhaupt kein Verständnis dafür haben, dass es uns nicht gelingt, Straftäter und vor allem islamistische Gefährder wie beispielsweise Anis Amri abzuschieben. Diese Unterscheidung – auf der einen Seite gut Integrierte und auf der anderen Seite islamistische Gefährder – können wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermitteln, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Darum habe ich von Beginn meiner Amtszeit an gehandelt. Wir fahren in Nordrhein-Westfalen ganz bewusst eine Doppelstrategie. Wir nutzen auf der einen Seite den vom Bund gewährten Spielraum, der leider zu gering ist, aus, um auf Erlassebene gut Integrierten ein dauerhaftes Bleiberecht zu ermöglichen. Wir gehen aber auf der anderen Seite konsequenter als alle anderen mit aller rechtsstaatlichen Härte gegen Gefährder und Straftäter vor. Darum schieben wir jedes Jahr mehr Gefährder ab, als es Rot-Grün in der gesamten siebenjährigen Amtszeit ihrer Landesregierung getan hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet – der Kollege Golland hat es bereits ausgeführt – schieben wir etwa die Hälfte aller Gefährder ab. Dass wir das erreicht haben, ist mit einem sehr hohen Aufwand verbunden. Es ist kein Kinderspiel, mal eben ausländische Gefährder ausreisefähig zu machen. Wir haben immer das Problem – ich appelliere an dieser Stelle auch an die Medien –, das transparenter darzustellen.

Es gibt den juristischen Begriff des vollziehbar Ausreisepflichtigen. Das bedeutet aber nicht, dass ein vollziehbar Ausreisepflichtiger tatsächlich abgeschoben werden kann. „Vollziehbar ausreisepflichtig“ bedeutet nur, dass sich jemand ausländerrechtlich nicht mehr in Deutschland befinden dürfte oder rausmüsste. Das heißt aber noch nicht, dass wir seinen Pass haben, dass die Bereitschaft des Herkunftslands besteht, ihn zurückzunehmen. Möglicherweise hat er hier noch eine Strafhaft zu verbüßen, und die Justiz besteht zu Recht darauf, dass ein Mindestmaß der Strafe in Deutschland verbüßt werden muss.

Das alles gehört dazu, wenn man sich mit den Zahlen auseinandersetzt. Deswegen ist es unverantwortlich, wenn eine Fraktion in diesem Hause immer so tut, als könne man alle diese Gefährder von heute auf morgen außer Landes schaffen, wenn man nur wolle.

Ich will jeden Gefährder, jede Gefährderin aus diesem Land loswerden. Aber ganz so naiv und einfach, wie es sich die AfD hier macht, ist es in der Praxis nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist eben mit hohem Aufwand verbunden. Es war für mich ein ganz inneres, intrinsisches Anliegen, dass wir uns nach Anis Amri neu aufstellen, dass wir alles versuchen, um solche Attentate zu verhindern, wie es am Breitscheidplatz passiert ist.

Deswegen haben wir diesen Bereich mit Regierungsübernahme neu aufgestellt. Mit dem Referat der Sicherheitskonferenz, der sogenannten SiKo,

haben wir eine Kapazität geschaffen, die im permanenten Austausch mit allen sicherheitsrelevanten Akteuren in Nordrhein-Westfalen und auch im Bund steht. Ich darf an dieser Stelle unserem Innenminister Herbert Reul ganz herzlich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit danken.

(Beifall von der CDU und der FDP)