Protokoll der Sitzung vom 24.05.2019

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will hier noch einmal deutlich feststellen: Sollte es wirklich zum Brexit kommen – und ich glaube, mit dem angekündigten Rücktritt von Frau May ist die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Szenarios noch einmal klarer geworden –, werden wir sehen, welche Vorteile wir mit der Europäischen Union haben. Deswegen ist es wichtig, am Wochenende ein klares Zeichen für Europa zu setzen.

Außerdem werden wir zusehen, dass wir die Briten trotzdem eng bei uns behalten müssen, weil sie zu Europa und unserer Idee dazugehören. Wenn klar ist, welchen Weg die Briten tatsächlich gehen, müssen wir deswegen alles daransetzen, dass wir sie möglichst eng an Europa halten, und zwar auch was Forschung, was Erasmus angeht.

Dort wird die Landesregierung tätig sein, und wir werden sie dabei als Fraktion unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Körner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Bolte-Richter das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eigentlich kann ich direkt an der Stelle weitermachen, an der mein Vorredner geendet hat. – Ich denke, wir sind uns weitgehend einig, dass der bevorstehende Brexit – wie, wann und unter welchen Bedingungen auch immer er kommen wird – für die Britinnen und Briten eine schlechte Sache sein wird, dass er aber auch für uns im Kontinentaleuropa ein schwerer Verlust ist.

Auch die Wissenschaft wird vom Brexit besonders betroffen sein. Die Wissenschaft lebt vom Austausch, und sie lebt gerade auch vom Austausch über Grenzen hinweg, vom internationalen Austausch. Wir stellen fest, dass die britischen Hochschulen einen großen, einen gewichtigen Teil ihrer Forschungsmittel aus den Förderprogrammen der Europäischen Union einwerben; sie sind ein wichtiger Partner für Hochschulen und Forschungseinrichtungen hier bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Ich sagte es eingangs: Wir wissen nicht genau, wie der Brexit aussehen wird, sollte er eines Tages kommen. Wir sehen aber, dass die Zeichen derzeit eher in Richtung eines ungeregelte Verfahrens deuten. Damit fällt das Vereinigte Königreich sehr wahrscheinlich aus den meisten EU-Fördergrammen heraus. Die Überlegungen des Antrags sind es daher zunächst grundsätzlich wert, genauer betrachtet zu werden.

Wir haben aber – das muss man an dieser Stelle festhalten – ein Gremium, das genau diese Betrachtung vornehmen soll. Wir als Landtag haben eine Enquetekommission eingesetzt, die sich mit dem Thema „Gestaltung und Konsequenzen des Brexit für Nordrhein-Westfalen“ beschäftigen soll. Der Inhalt dieses Antrags ist insofern eine sehr weitreichende Vorwegnahme dessen, was im Rahmen dieser Enquetekommission zum Brexit geklärt werden muss und dort auch geklärt wird.

Ich hätte mir von der SPD gewünscht, dass sie die Tatsache ernst nimmt, dass wir diese Enquetekommission haben. – Kollege Bell, Sie sind selbst Vorsitzender einer Enquetekommission. Ich denke, Sie können es nachvollziehen, dass man diese Arbeit ernstnehmen sollte.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schaffung von Wissenschaftsallianzen ist nur ein Aspekt aus einem Gesamtkomplex. Zur Bewältigung des Brexits im Bereich Wissenschaft werden noch weitere Punkte gehören. Wir können gespannt sein, was die Enquetekommission da erarbeitet. Es ist jedenfalls nicht sinnvoll, nur eine Forderung von externer Seite zu übernehmen.

Um zu sehen, wo wir mehr Kooperationen brauchen, müssen wir erst einmal wissen, was derzeit genau läuft. Dazu gab es eine Berichtsanfrage der SPD aus dem Februar dieses Jahres; da wurde eine Übersicht verlangt. – Ja, wir brauchen natürlich eine Übersicht zu Wissenschaftskooperationen zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Vereinigten Königreich. Aber auch da ist die Enquetekommission dran.

Wir haben uns gefragt, warum Sie das nicht einfach im Ausschuss einmal vertieft berichten lassen, Anfragen stellen oder Ähnliches, wenn Sie nicht darauf warten wollen. Stattdessen sind drei Monate verstrichen, und jetzt kommt so ein einzelner Antrag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssten uns über all diese Themen keinen Kopf machen, wenn vor etwa drei Jahren mehr – insbesondere junge – Menschen im Vereinigten Königreich den Weg an die Wahlurne gefunden hätten. Wir stehen in zwei Tagen ebenfalls vor einer gewichtigen Entscheidung.

Angesichts des Brexits und des Erstarkens der Rechtspopulisten ist die kommende Europawahl eine Richtungswahl. Fallen wir zurück in gefährlichen

Nationalismus, der in der Geschichte immer zu größeren Katastrophen geführt hat? Oder erneuern wir Europa als starke Gemeinschaft? Bauen wir ein Europa des Klimaschutzes, der Demokratie und der Gerechtigkeit?

Da können insbesondere die jungen Menschen einen gewichtigen Unterschied machen. Aus ihrem Leben und aus ihren Erfahrungen eines grenzenlosen Zusammenlebens, eines grenzenlosen Studierens, einer grenzenlosen Freiheit in ganz Europa wissen sie, dass dieses Europa ein Erfolgsprojekt ist und es wichtig und richtig ist, den Weg der europäischen Einigung fortzusetzen.

Viele dieser jungen Menschen sind auch heute wieder auf den Straßen und setzen sich dafür ein, dass die ältere Generation endlich ambitioniert daran arbeitet, Fehler und Versäumnisse beim Schutz unseres Planeten zu korrigieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Abschließend vor diesem Hintergrund der Appell an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes: Gehen Sie am Sonntag wählen – das betrifft nicht nur die jungen Menschen, sondern alle. Machen Sie von diesem wunderbaren Recht, mitgestalten zu dürfen, Gebrauch. Sorgen Sie dafür, dass wir den Weg in ein demokratisches, soziales, vielfältiges und ökologisches Europa gemeinsam gestalten. Darum geht es am Sonntag.

Vor allem geht es aber darum, dass wir dieses Europa nicht den Feinden unseres europäischen Hauses überlassen dürfen – ob sie Farage, Le Pen, Salvini oder Meuthen heißen.

Wenn der Brexit eines zeigt, dann doch, dass wir Demokratinnen und Demokraten in unserem europäischen Haus zusammenstehen und es gegen die Nationalisten verteidigen müssen, wenn wir weiter in Frieden, in Freiheit und in Einheit und Wohlstand leben wollen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Seifen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zitat:

„Ein Kluger wird sich mehr Gelegenheiten schaffen, als sich ihm bieten.“

Das schrieb einmal der britische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Francis Bacon, und dieses Aperçu stammt aus Bacons im Jahr 1597 veröffentlichte Essays, die den Untertitel „Praktische und moralische Ratschläge“ tragen.

Ob wir es bei dem im Antrag zitierten „Zeit“-Artikel von Jutta Allmendinger und Steffen Huck mit einem Ratschlag aus der moralischen Kategorie oder eher aus dem praktisch-empirischen Bereich zu tun haben, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden.

Der anspielungsreiche Titel des Artikels, „Take over!“, also „Übernahme“, deutet ja wohl eher auf Letzteres hin. Gemeint sind bisher in Großbritannien arbeitende Spitzenforscher, die möglicherweise nach Deutschland an die Universität kommen und hier die Wissenschaft bereichern. Dies wäre zwar nicht ganz die feine englische Art, aber es sei darauf hingewiesen, dass sich auf diesem Wege schon dereinst die Industrialisierung von England in die Welt verbreitet hat, speziell auch in Deutschland.

Unter Abwanderungswilligen aus Großbritannien dürften gewiss auch Deutsche sein oder an unseren Universitäten Ausgebildete; aber die Mehrzahl wären zweifellos Briten. Doch wer hier syrischen Lehrern und Ärzten den roten Teppich ausrollt, der sollte eigentlich keinen Grund haben, uns vielfach näherstehende britische Wissenschaftler in Deutschland nicht willkommen zu heißen.

Es ist schon verwunderlich, dass hier im Parlament immer wieder das Hohelied auf Europa gesungen wird und dabei die völkerverbindenden, länderübergreifenden Formen der Zusammenarbeit und Koordination als große Errungenschaft der europäischen Einigung hervorgehoben werden. Und nun, da Großbritannien aus der Organisationsgemeinschaft der EU austreten will, wird – zumindest subtil – eine Stimmung erzeugt, als verlasse Großbritannien den europäischen Raum oder ziehe unüberwindliche Grenzen hoch.

Wenn denn die bisherigen Verflechtungen und Verbindungen zwischen den europäischen Staaten, die der EU angehören, wirklich so eng, nützlich und völkerverbindend sind, dann muss es doch ein Leichtes sein, die im EU-Rund hergestellten Verbindungen auch bilateral weiterzupflegen.

Nun wird es natürlich nicht so einfach sein, europäische Fördermittel weiterzuführen oder sie zu ersetzen, aber durch bilaterale Verträge zwischen verschiedenen Universitäten, unterstützt durch Land und Bund, sollte es doch Möglichkeiten für gemeinsam finanzierte Forschungsprojekte und weitergehende Formen der Zusammenarbeit geben.

Um es kurz zu machen: Ebenso wie die antragstellende Fraktion sehen auch wir von der AfD-Fraktion, dass die Landesregierung die sich abzeichnenden Perspektiven des Brexits für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen bisher nicht zur Genüge erkannt hat und nicht das ausschöpft, was möglich wäre, von „mehr Gelegenheiten schaffen, als sich bieten“ ganz zu schweigen.

Das erstaunt sehr, wo doch diese Landesregierung immer ihre internationale Orientierung so sehr betont und der Austritt Großbritanniens aus der EU seit drei Jahren bekannt ist. Da hätte man bereits längst bilaterale Kooperationen, zumindest gedanklich, vorbereiten können.

Ich hoffe doch sehr – und ich vermute es auch nicht –, dass dieses Versäumnis nicht etwa eine politische Taktik ist und damit zusammenhängt, die Briten für den Brexit büßen zu lassen und den Bürgerinnen und Bürgern aus den anderen EU-Staaten vor Augen zu führen, dass böse Abtrünnigkeit bestraft wird. Ich hoffe doch – und glaube es dann auch –, dass Ihr Versäumnis einem mangelnden Überblick und der allgemeinen Trägheit, die großen Systemen einfach innewohnt, geschuldet ist.

Ich hatte nun gedacht, dass sich mit diesem Antrag alles ändert. Da die Koalitionsparteien, so wie wir von der AfD-Fraktion, immer stark für eine Zusammenarbeit der europäischen Staaten miteinander eintreten und die Grünen als Zwillingsschwester der SPD ihren Anträgen meistens zustimmen, hatte ich auf eine fruchtbare Debatte im Ausschuss und vielleicht sogar darauf gehofft, einmal einen Antrag gemeinsam mit allen fünf Fraktionen verabschieden zu können. Das wäre ein Signal gewesen. Aber nach den Reden, die ich gehört habe, gehe ich davon aus, dass das Ganze kontrovers bleibt.

Wir auf jeden Fall werden hier weiterhin sachorientierte Politik betreiben und keine parteitaktischen Spielchen abziehen. Deshalb werden wir den Antrag positiv begleiten. Wir sind der Meinung, dass die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten fundamental ist.

Ich muss Ihnen, Herr Bolte-Richter, ganz ehrlich sagen: Herr Meuthen und auch die anderen von Ihnen Genannten sind nicht Feinde Europas; sie sind Freunde Europas, aber sie haben eben eine andere Meinung,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das wäre ja neu!)

wie das Zusammenwirken der Staaten organisiert sein soll. Diese andere Meinung müssen wir beherzigen. Denken Sie an den gestrigen Tag, an die Verfassung, an das Grundgesetz. Da herrscht Meinungsfreiheit. Wir müssen über diese komplizierten Dinge vernünftig diskutieren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Das Wort hat nun für die Landesregierung Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Für den Fall eines geregelten

Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU gibt es von beiden Seiten Erklärungen und Zusagen über die Fortführung von Projekten und Finanzierungen wie zum Beispiel der Programme „Horizon 2020“ und „Erasmus+“. Natürlich gibt es immer noch eine, wenn auch kleiner werdende, Hoffnung, dass das der Fall sein wird und damit die Zusammenarbeit zukünftig gesichert ist.

Aber die Möglichkeit eines No-Deal-Szenarios für den Austritt – das haben wir eben schon mehrfach gehört – ist nach wie vor sehr groß. Diese dramatischen Entwicklungen – das würde ich gerne auch an Herrn Bell richten – lassen wohl niemanden kalt. Das wurde bei meinen Vorrednern schon sehr deutlich.

Wenn man sich die Zahlen ansieht, die derzeit unsere Kooperationen beinhalten, dann sieht man, dass – auch interessant – über 13.000 Studierende von uns nach England gehen und immerhin über 3.000 Studierende aus England nach Deutschland kommen. Auch über dieses Verhältnis müssen wir mal nachdenken. Mit Blick auf die EU-finanzierte Forschung gibt es derzeit immerhin 2.500 Projekte, an denen deutsche und britische Forscher beteiligt sind. Ich erwähne das, um mal eine Größenordnung zu nennen.

Ich teile überhaupt nicht die Einschätzung von Ihnen, Herr Dr. Seifen, dass wir die Türen für all die englischen Kollegen, die kommen, aufmachen sollten. Natürlich tun wir das. Aber sind wir nicht auch verpflichtet, zunächst darüber nachzudenken, dass diese hervorragenden Hochschullehrer und Forscher in England auch dort eine gute Arbeitsperspektive in Kooperation mit uns und der EU haben? – Das muss es doch sein. Wir können doch nicht sagen: Holen wir uns jetzt die Rosinen aus England nach Deutschland, und was in England passiert, ist uns egal. – Das sind doch unsere Freunde. Die Engländer sind unsere Freunde.

(Beifall von der CDU, der FDP und Josefine Paul [GRÜNE])