Lassen Sie uns bei der Aufklärung und Aufarbeitung dort beginnen, wo jeder Kriminalist beginnen würde: am Tatort und dessen Umgebung. Beginnen wir gemeinsam mit der Aufklärung und Aufarbeitung dort, wo das unfassbare Unheil seinen Anfang nahm; dort, wo schnelle und energische Hilfe so nah, so einfach und ungemein wichtig gewesen wäre.
Für mich steht an erster Stelle die Frage, warum das Leiden der Kinder über Monate und Jahre überhaupt nicht oder nur halbherzig gestoppt wurde. Das sind die Kernfragen, und sie betreffen das Handeln und Unterlassen in den Jugendämtern zweier Landkreise und zweier Bundesländer. Das ist die Frage nach der Verantwortung der Mitarbeiter in den Jugendämtern und der Verantwortung von Vorgesetzten und Dienstherren, ebenso der Verantwortung als Organisation, als Behörde und Behördenleiter, egal ob als Landratsamt oder Polizeidienststelle.
Alle müssen sich die Frage gefallen lassen: Habe ich alles getan, um so etwas, das so lange gedauert hat und so intensiv war, zu verhindern? Diese Frage müssen wir aus sozialpädagogischer, verwaltungsorganisatorischer, verwaltungsrechtlicher, aber
ebenso aus strafrechtlicher und ermittlungstaktischer Sicht stellen. Diese Frage ist am Ende auch auf der Ebene der Ministerien und der Regierung zu stellen, und zwar losgelöst davon, wer wann an der Regierung war; denn die ersten schlimmen Verdachtsfälle gibt es nicht erst seit einigen Monaten, sondern schon seit vielen Jahren.
Immer zuerst an die Opfer denken – das soll aus meiner tiefsten Überzeugung heraus der innere Kompass der Ausschussarbeit sein. Das muss aus Opfersicht in eine zweite zentrale Fragestellung samt
richtungsweisenden Antworten münden: Wie können wir zukünftig ein solch unerträgliches Leid, ein solch unfassbar langes Verbrechen mit so vielen grausamen Einzeltaten verhindern? Handeln aus Opfersicht bedeutet nämlich nicht nur, Antworten auf die Frage nach dem Warum zu finden, sondern insbesondere alles dafür zu tun, damit sich solche Taten niemals wiederholen.
Nur das kann der tiefere Sinn eines Untersuchungsausschusses sein: Wir müssen analysieren, bewerten, Verantwortungen benennen, Verbesserungen aufzeigen und dann politisch handeln. Wir sind dazu bereit. Wir werden aufklären, und wir wollen daraus die Lehren für die Zukunft ziehen. Genau diese Verantwortung sind wir den Opfern schuldig.
Wir hier im Parlament können mit der Einrichtung dieses Untersuchungsausschusses Stimme für die Opfer sein, für die stummen und an Körper und Seele missbrauchten Kinder. Es ist unsere Verantwortung, dieses Versagen aufzuarbeiten. Es ist aber auch unsere Pflicht als Landtag von Nordrhein-Westfalen, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen und gesetzlich aktiv zu werden.
Bei den Fraktionen von SPD und Grünen möchte ich mich an dieser Stelle dafür bedanken, dass es uns am Ende gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf den Weg zu bringen. Es ist an der Zeit, dass wir mit der Aufklärung beginnen. Tun wir also das, was diese Kinder uns sagen würden: Tun wir das Richtige! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der massenhafte Kindesmissbrauch im lippischen Lügde erschüttert uns alle zutiefst und hat uns auch in den zurückliegenden Sitzungen des Innen- sowie des Rechtsausschusses immer wieder erschüttert.
Die minderjährigen Opfer waren schutz- und hilflos dem Treiben skrupelloser Verbrecher ausgeliefert – und das, obwohl es immer wieder deutliche Hinweise von verschiedenen Stellen gab, denen aber offenbar nicht ausreichend nachgegangen wurde. Die Opfer solcher Missbrauchsfälle werden durch die Taten für ihr weiteres Leben gezeichnet. Deswegen legen wir Ihnen heute gemäß Art. 41 unserer Landesverfassung einen gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor.
CDU, die FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Ich glaube, der beantragte Untersuchungsausschuss soll und muss alle Umstände rund um diesen Kindesmissbrauch lückenlos aufklären; das sind wir gemeinsam den Opfern und den Angehörigen schuldig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister Reul hat am 14. Februar dieses Jahres den berühmten Satz gesagt: Wir werden jeden Stein umdrehen. – Ich nehme ihm das auch weiterhin ab; das ist gar keine Frage. Wir haben es immer so empfunden, dass Sie das zu Ihrer persönlichen Verpflichtung gemacht haben. Deswegen haben wir Sie politisch auch daran gemessen: Führt das Ganze zum Erfolg oder nicht?
Gleichwohl gab es – das will ich noch einmal in Erinnerung rufen – seitdem im Zusammenhang mit den Ermittlungen zahlreiche Vorfälle. Wenn man sie hintereinanderlegt, besteht schon die Gefahr, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei Schaden nimmt.
Deshalb ist es für meine Fraktion – ich hoffe, für andere Fraktionen auch – so unbedingt wichtig, dass wir alles lückenlos aufklären und aufarbeiten, um deutlich zu machen, dass unsere Demokratie funktioniert und solche Zweifel nicht im Raum stehen bleiben.
Ich will noch einmal schlaglichtartig einige Ereignisse in Erinnerung rufen, die Kern der Aufarbeitung des Untersuchungsausschusses sein sollen:
Am 21. Februar dieses Jahres wurde bekannt, dass 155 Datenträger, die auf dem Campingplatz beschlagnahmt worden waren, aus den Räumlichkeiten der Kreispolizeibehörde Lippe verschwunden sind und dass das Innenministerium erst 15 Tage nach dem Verlust dieser Asservate darüber informiert wurde. Es bestand die Gefahr, dass dadurch wichtige Beweismittel für den Prozess für immer verschwunden sind.
Im weiteren Verlauf wurde bekannt, dass es auch zu schweren Fehlern bei den Vernehmungen der minderjährigen Opfer gekommen war. So sollen sie wiederholt von Polizistinnen und Polizisten vernommen worden sein, denen die entsprechende Aus- und Fortbildung dafür fehlt. Es besteht auch dort die Gefahr, dass Aussagen wiederholt werden müssen und Kinder dafür eventuell in der laufenden Hauptverhandlung aussagen müssen.
Dann gab es einen weiteren Fall, den ich auch noch einmal benennen will: Die Behausungen auf dem Campingplatz sind mehrfach durchsucht worden. Gleichwohl sind einzelne Datenträger erst nach Freigabe des Tatortes durch den Abbruchunternehmer gefunden worden. Auch da stellen sich weitere Fragen: Lagen die schon dort? Wie sind die da hingekommen?
Auch will ich noch einmal an den Geräteschuppen erinnern, der ein wenig am Rand der Behausung stand. Er konnte erst sehr spät und verzögert dem Hauptangeklagten – seit heute kann man ihn so bezeichnen – zugeordnet werden.
Das alles sind Punkte, die wir in diesem Untersuchungsausschuss, was die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Arbeit angeht, aufarbeiten müssen.
Aber nicht nur diese möglichen Fehlentwicklungen oder Fehler bei der Ermittlung verdienen unsere Aufmerksamkeit, sondern wir müssen die Rolle der Jugendämter ganz besonders kritisch unter die Lupe nehmen.
So stellt sich die dringende Frage, ob die vom Missbrauch betroffene Pflegetochter des Hauptangeklagten nicht bereits früher hätte in Obhut genommen werden müssen.
Auch lagen offenbar bereits im Zeitraum der Prüfung zur Erteilung der Pflegeerlaubnis Hinweise auf sexuellen Missbrauch vor. Es stellt sich also die Frage, ob die beteiligten Jugendämter möglichen Hinweisen auf sexuellen Missbrauch sachgerecht nachgegangen sind und entsprechende Verfahren eingeleitet haben.
Schließlich – das wird ein weiterer Themenkomplex sein – müssen auch die Reaktion und die Entscheidung der politisch verantwortlichen Akteure in der Landesregierung im Hinblick auf diesen Fall untersucht werden.
Insbesondere geht es dabei um die Frage der Kommunikation gegenüber dem Parlament. Es gibt viele Details, die man sich mit Sicherheit anschauen kann; Kollege Panske hat einige genannt. Es gab viele Obleuterunden und viele Gespräche. Aber die Frage lautet natürlich immer: War es zeitnah oder nicht? Darüber kann man wahrscheinlich trefflich streiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist aber eine der wichtigsten Aufgaben des Parlaments – nicht nur der Opposition, sondern das betrifft uns alle gemeinsam –, das Handeln der Exekutive für die Öffentlichkeit zu kontrollieren und auf mögliche Fehlentwicklungen hin zu überprüfen.
Meine Fraktion hat sich daher bereits seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle die Beantragung eines Untersuchungsausschusses immer vorbehalten; etwas anderes haben wir nie gesagt. Wir haben immer gesagt: Eigentlich liegt schon alles auf dem Tisch; wir könnten den Antrag stellen.
Wir haben aber ganz bewusst – weil es nicht nur eine Pflicht des Parlaments ist, die Exekutive zu kontrollieren, sondern auch, die Judikative zu achten – Rücksicht genommen.
Wenn Sie das Rücksichtnahmegebot suchen: Es steht nicht im PUAG. Auch in der Verfassung steht es nicht. Es ist eine gelebte Verfassungspraxis, dass
wir hier im Parlament nichts machen, was die Anklage – zum Beispiel die Anklage in Detmold – gefährden könnte.
Deswegen haben wir gesagt: Erst wenn die Anklage vorliegt und auch klar wird, welche Fehler eventuell nicht zu einer Anklage geführt haben, können wir hier gemeinsam mit anderen Fraktionen einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einbringen.
Ich will noch einmal betonen, dass es aus meiner Sicht sehr gut ist, dass hier die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam einen Antrag auf Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses eingereicht haben und Ihnen heute zur Beschlussfassung empfehlen.
Das beweist, dass sich alle demokratischen Kräfte in diesem Haus ihrer Verantwortung in vollem Umfang bewusst sind. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Lürbke das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Lügde ist mindestens 41 Kindern geschehen, was keinem Kind jemals geschehen sollte: sexueller Missbrauch, Verfilmung des Missbrauchs, Verbreitung des Missbrauchs im Internet. Die Fallschilderungen übersteigen den gesunden Menschenverstand und machen mich – auch als Familienvater – einfach nur fassungslos und regelrecht zornig.
Wenn ein Kind missbraucht wird, zerstört das die Seele und das Leben des Kindes sowie seines Umfelds. Wir können nur hoffen, dass die Kinder aus Lügde nicht an dem Erlebten zerbrechen und trotz allem ein erfülltes Leben führen werden.
Die antragstellenden Fraktionen und auch die Landesregierung nehmen daher das Thema „Kindesmissbrauch“ verdammt ernst; da gibt es keine Frage. Wir sind den Betroffenen und ihren Angehörigen eine lückenlose Aufklärung schuldig.
Meine Damen und Herren, wir erleben in diesem Fall menschliches Versagen auf mehreren Ebenen, welches für die Betroffenen zur endlosen Qual wurde. Fehler und Versäumnisse – egal auf welcher Ebene sie begangen wurden – gilt es deshalb, wirklich vollumfänglich aufzuklären, und ebenso die vorhandenen Strukturen, die womöglich dazu geführt haben, genauer zu untersuchen.
Lückenlose Aufklärung, Prävention vor sexueller Gewalt, Opferschutz, das Aufbrechen einer Kultur des Schweigens – da gibt es viel, was zu tun ist. Wir haben uns aber auch schon ein Stück auf den Weg gemacht:
Bereits Ende Februar dieses Jahres hat der Landtag fraktionsübergreifend in diesem Hause eine Initiative auf den Weg gebracht, und in dieser Woche hat auch eine wertvolle Anhörung stattgefunden.
Das Familienministerium hat ebenfalls eine Arbeitsgruppe einberufen, die die Situation der Jugendämter vor Ort ins Auge fasst.
Es hat einen einfachen Grund, wenn über Fraktionsgrenzen hinweg an allen Schrauben gedreht wird; denn in einem Fall wie diesem geht es nicht um politische Ansichten oder um politische Geländegewinne. Es geht vielmehr um Aufklärung und darum, zu verstehen, wie es zu diesen Fällen kommen konnte. Es geht darum, Kinder und Jugendliche in Zukunft vor solchem Leid zu beschützen. Das muss auch Ziel dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sein.
Ich bin mir sicher: Die Justiz wird ihre Arbeit machen, und der Rechtsstaat wird volle Härte gegenüber Tätern und Konsumenten der Gräueltaten zeigen. Wir sind nicht die Justiz, aber Kinderschutz geht uns alle mit vollem Einsatz etwas an. Es ist unsere Aufgabe, gerade die Schwächsten, die Verletzlichsten in unserer Gesellschaft, unsere Kinder und Jugendlichen vor körperlichen, geistigen und seelischen Schäden bestmöglich zu schützen.
Was wir aus einem so grausamen Fall wie Lügde lernen können und lernen müssen, ist deshalb doch, dass wir alle Register ziehen müssen, um sicherzustellen, dass kein Missbrauchsfall möglich wird, weil staatliche Behörden nicht alles versucht hätten oder ihren Aufgaben nicht vollumfänglich nachgekommen wären.