Protokoll der Sitzung vom 09.10.2019

Eine Paralleljustiz oder eine Parallelpolizei lehnen wir ab. Das kann nur gelingen, wenn wir mit rechtsstaatlichen Mitteln diese Akteure in ihre Schranken weisen und heute gemeinsam als Demokraten hier ein klares Zeichen setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Lürbke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Frage: Rechtsextremen müssen wir Einhalt gebieten, und zwar konsequent und geschlossen. Denn die selbst ernannten Bürgerwehren schaffen keine Sicherheit oder Ordnung – das wollen sie auch gar nicht –, sondern sie schaffen gezielt Verunsicherung in der Bevölkerung und Fremdenhass.

Die überwiegende Zahl der Bürgerwehren aus den vergangenen Jahren konnte zweifelsfrei dem rechten Spektrum zugeordnet werden. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht spricht da eine relativ deutliche Sprache. Deshalb muss klar sein: Das Geschäftsmodell dieser in schwarz gekleideten Gestalten ist nicht Sicherheit, sondern das genaue Gegenteil. Das muss man immer wieder deutlich sagen.

In Nordrhein-Westfalen dulden wir keine Selbstjustiz. Das Gewaltmonopol liegt einzig und allein beim Staat. Wir dulden keine Fremdenfeindlichkeit und keinen Rechtsextremismus, ganz egal, ob er sich nun hinter Bürgerwehren versteckt oder bei Hooligans, Rockern oder Reichsbürgern zu finden ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gefährliche an diesen Bürgerwehren ist weniger, dass irgendwelche halbseidenen Gestalten, die man als normal denkender Mensch niemals für seine eigene Sicherheit einstellen würde, durch die Straßen marschieren, sondern liegt vor allem darin, dass mit diesen Bürgerwehren und Gruppierungen gezielt – und sogar ganz bewusst und kalkuliert – eine brandgefährliche Mischszene entsteht.

Langjährig aktive, auf Gewalt orientierte Rechtsextremisten vermischen sich mit unzufriedenen und neuen Gesichtern in der rechtsextremen Szene. Dann entsteht diese hochexplosive Mischung aus Rechten und Rockern bis hin zu Wutbürgern und Hooligans. Wir alle haben die Hogesa-Ausschreitungen in Köln ja noch in guter – oder, besser gesagt, in schlimmer – Erinnerung.

Damit das klar ist – das möchte ich ganz deutlich sagen –: Dieser Entwicklung schauen wir natürlich nicht einfach zu. Das braucht auch keiner zu glauben. Allen Formen des Extremismus und Radikalismus treten wir in Nordrhein-Westfalen entgegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Für mich macht es überhaupt keinen Unterschied, ob jemand als Rechts-, Links- oder sonstiger Extremist Gewalt anwendet, sie verherrlicht, zu Gewalt aufruft oder sich mit Extremisten zeigt oder verbündet. Das alles ist nicht zu akzeptieren, und zwar unter gar keinen Umständen.

(Beifall von der FDP)

Deshalb treibt es mich um, dass sich diese Extremisten immer mehr unter die Leute mischen. Da müssen wir sehr wachsam sein. Es ist übrigens ein Phänomen, das wir nicht nur im Rechtsextremismus, sondern auch im Linksextremismus finden, dass versucht wird, die Grenzen zu vermischen, ganz bewusst und gezielt die Ränder auszufransen und auch die bürgerliche Mitte anzusprechen. Man geht da oftmals völlig neue Wege.

Ich habe immer gesagt, dass wir der rechten Szene konsequent auf den Springerstiefeln stehen müssen. Das Problem ist nur: Die rechte Szene trägt heutzutage ja fast gar keine Springerstiefel mehr. Die Vermischung reicht von Turnschuhen bis vielleicht zum im Anzug steckenden Bänker, der mit der Identitären Bewegung sympathisiert.

Rechte Gruppierungen haben längst offensive, ganz perfide Strategien, um bislang nicht zur rechten Szene gehörende Bürger anzulocken. Sie tun das durch die Ausrichtung von Festivals, Kampfsportevents, Rockkonzerten und anderen Konzerten aller Art. Sie versuchen das natürlich auch durch die Unterwanderung der sogenannten Bürgerwehren, als besorgte Bürger.

Meine Damen und Herren, man muss außerdem sagen, dass diese Mischszene immer weiter geht – übrigens bis ins Parlament. Auch bekannte Mitglieder der AfD – das haben wir in der vorletzten Sitzung des Innenausschusses gehört – nehmen gerne mal an Demonstrationen dieser sogenannten Mischszene teil.

Im Bericht des Innenministeriums für die Innenausschusssitzung am 26. September 2019 heißt es beispielsweise zum Tagesordnungspunkt „Mischszenen von Rockern, Hooligans und Rechtsextremen“ – Zitat –:

„Bei einer Veranstaltung von AfD-Bundestagsabgeordneten am 06.02.2019 in Mönchengladbach hat ,Mönchengladbach steht auf‘„

das ist eine dieser Bürgerwehren, und zwar nicht nur irgendeine, sondern die des Hogesa-Gründers –

„in der Nähe eine Versammlung abgehalten, um die Partei vor vermeintlichen Angriffen von Gegendemonstranten zu schützen. Ob es dazu Absprachen mit der AfD gab, ist der Landesregierung nicht bekannt.“

(Helmut Seifen [AfD]: Man hätte nur fragen müssen!)

Das ist ein Beispiel von vielen. Das alles kann natürlich immer ein riesiger Zufall sein. Wenn es aber kein riesiger Zufall ist, dann muss man Ihnen, liebe AfD, wohl eines mal wieder mit auf den Weg geben: Sie sind Teil dieser Entgrenzungsstrategie von Rechtsextremisten. Sie wirken da mit.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Manche von Ihnen – wie Herr Höcke mit seinem unsäglichen „Flügel“ – machen das ganz bewusst und zielgerichtet durch Aussagen, durch Sprache. Im Grunde genommen macht es die ganze AfD, weil sie offenbar keinerlei Interesse daran hat, die klare Grenze zu Rechtsextremisten zu ziehen. Das gehört zur Wahrheit und zur Problembeschreibung heute auch dazu.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Eines muss schließlich klar sein: Wer sich mit selbst ernannten Bürgerwehren einlässt, der hat es am Ende nicht mit besorgten Bürgern zu tun, die vielleicht aus Langeweile irgendwo im Wohnbezirk Falschparker kontrollieren wollen, sondern mit Leuten, die das Gewaltmonopol des Rechtsstaates ganz grundsätzlich missachten und ihre eigenen Gesetze und Ideologien durchsetzen wollen. – Dem werden wir uns klipp und klar entgegenstellen.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann deutlich sagen: Wenn in Essen, Mönchengladbach, Düsseldorf oder Köln Gruppen von Rockern, Hooligans oder Türstehern patrouillieren, die damit angeblich die öffentliche Sicherheit verbessern wollen, dann sorgt das nicht für mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Es schafft Angst.

Deshalb müssen wir noch besser darin werden, solche Trüppchen medienwirksam aufzudecken und allen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land verständlich zu machen: In Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland ist für die öffentliche Sicherheit die Polizei zuständig, und die macht ihren Job gut.

Jedenfalls braucht es ganz sicher keine „Kölsche Mitte“, keine „Steeler Jungs“ und auch keine „Bruderschaft Deutschland“; denn die haben ganz anderes im Sinn. Damit werden wir sie nicht durchkommen lassen. – Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Wagner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen wollen heute über Bürgerwehren und über Extremisten sprechen. Man könnte meinen, es ginge um die Tausende von Chaoten von „Ende Gelände“, „Extinction Rebellion“

oder anderen vermeintlich grünen Bürgerwehren unter Einfluss von Extremisten.

Aber nein, es geht Ihnen um – laut Innenminister Herbert Reul – wenige überschaubare Gruppen von etwa 200 bis 300 Menschen, bei denen etwa ein Drittel Bezüge zum Rechtsextremismus aufweist.

Liebe Grünen-Fraktion, ich bin ganz bei Ihnen: Extremismus geht gar nicht. – Wenn also Leute mit rechtsextremen Bezügen demonstrieren oder gar auf Streife gehen wollen, dann muss man selbstverständlich genau hinsehen und dort, wo Straftaten passieren, auch klare Kante zeigen. Das ist für uns als Partei der inneren Sicherheit und des Gewaltmonopols des Staates keine Frage. So weit sind wir uns zumindest in diesem Fall einig.

(Beifall von der AfD)

Nun zeigt sich der Minister besorgt, dass es sich um eine vom Verfassungsschutz sogenannte Mischszene handelt, also um eine Gruppierung, in der Extremisten und Nichtextremisten zusammenarbeiten und gemeinsam Aktionsformen realisieren. In der Tat ist es bedenklich, wenn sich solche Mischszenen bilden, bei denen der Zweck die Mittel heiligt und sowohl das Vertrauen in den Rechtsstaat als auch der antitotalitäre Grundkonsens erodieren.

Allerdings: Mischszene – da war doch was. Das kennen wir nämlich seit Jahren von links. In unschöner Regelmäßigkeit marschieren SPD und Grüne mit Linken, DKP, MLPD, Antifa und anderen linksextremen Demokratiefeinden.

(Der Abgeordnete hält ein DIN-A4-Blatt mit ei- nem Foto hoch.)

Zuletzt vor wenigen Monaten hier vor dem Landtag: Da steht die Mischszene von Stalinisten der MLPD, der DKP und anderen zusammen mit Frau Düker von den Grünen. Ich frage mich: Wann wird die Mischszene der Grünen eigentlich endlich ein Fall für den Verfassungsschutz?

(Beifall von der AfD)

Wann distanzieren Sie sich endlich von Ihren linksradikalen Freunden, mit denen Sie demonstrieren und zu gemeinsamen Aktionen aufrufen?

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Kommen wir aber zurück zu den Bürgerwehren.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Ja!)

Diese waren eigentlich mal etwas ganz Ehrenwertes. Im 19. Jahrhundert verteidigten sie vielerorts ihre Heimatstädte. Noch heute gibt es auch in NordrheinWestfalen viele Vereine, die das Brauchtum der alten Bürgerwehren pflegen.

Klar ist aber auch, dass sich Bürgerwehren mit der zunehmenden Verlagerung des Gewaltmonopols auf

den demokratischen Rechtsstaat und damit die Polizei eigentlich überlebt haben – zumindest sollten sie das, so der Rechtsstaat denn tatsächlich durchgesetzt wird. Sie alle hier im Haus von Schwarz, Rot, Grün und Gelb haben aber bei vielen Bürgern das Vertrauen in den funktionierenden Rechtsstaat massiv erschüttert.

Ich rede gar nicht von den Terroranschlägen – den verübten und den gerade noch vereitelten. Ich rede gar nicht von den spektakulären Fällen, bei denen neuerdings Macheten und Äxte zum Einsatz kommen. Ich rede von der ganz normalen Alltagserfahrung, wo sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen oder in U- und S-Bahn unwohl und unsicher fühlen, wo sie lieber die Straßenseite wechseln, wo sie lieber nicht ins Freibad gehen, wo sie lieber schweigen, wenn sich daneben benommen wird, weil man sofort assoziiert: Die könnten zutreten; die könnten ihre Cousins holen.