Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schiffmann, um vielleicht eines aufzunehmen, was Sie gesagt haben, ich nehme gar nicht in Anspruch, alle Fragen beantwortet zu haben. Ich stelle mir täglich neue in dieser gesamten Diskussion. Sie werden uns auch dauernd neu gestellt. Aber Sie haben auch nicht alle Fragen beantwortet. Sie setzen für sich auch bestimmte Grenzen. Erlauben Sie mir, ich wollte diese Debatte heute, um auch einfach an dem Glauben der möglichen Grenzziehung noch einmal kratzen zu können, weil ich glaube, wir bewegen uns da zum Teil in Zusammenhängen, die wir auch in Zusammenhängen diskutieren müssen.
Sie haben gesagt – ich habe mir das nur stichwortartig aufgeschrieben –, menschliches Leben darf nicht verzweckt werden. Es sollen keine Embryonen hergestellt werden, um sie für Forschungszwecke zu verwenden. Jetzt will ich Ihnen und auch Herrn Schmitz noch einmal eine Äußerung vortragen, die Herr Gerhardt, Fraktionsvorsitzender der FDP, gemacht hat, als es die erste große Debatte im Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr gab. Dort wurde die Frage „PID, Stammzellenforschung, therapeutisches Klonen“ im Zusammenhang beraten. Herr Gerhardt hat sich dafür ausgesprochen – er war der einzige, der diese Verbindung herge
stellt hat –, PID, also Präimplantationsdiagnostik, zuzulassen, weil dabei quasi als ein Nebenprodukt – verzeihen Sie mir den Begriff – Embryonen entstehen, die man dann auch bei der Frage der Stammzellenforschung, also für die Entwicklung von Stammzellen einsetzen kann. Genau diese Äußerung hat für mich deutlich gemacht, dass wir das nur in diesem Gesamtzusammenhang diskutieren können.
Ich sage Ihnen einmal – ich prophezeie es nicht, aber ich sage es Ihnen einmal –, wie sich das entwickeln könnte. Im nächsten Jahr führen wir eine Debatte über PID. Dann wird PID zugelassen. Dann wird auch – dafür gibt es viele gute Argumente, wenn man für PID ist – die Zahl der befruchteten Eizellen, also der Embryonenanlagen, die bei der künstlichen Befruchtung hergestellt werden können, nach oben gesetzt. Es gab gute Gründe, sie beim Embryonenschutzgesetz tief anzusetzen. Dann haben wir quasi unabhängig von der heutigen Diskussion um die Forschungszwecke mehr tiefgefrorene Embryonen zur Verfügung. Das ist ein Zusammenhang, den wir auch so in diesem Komplex sehen müssen, auch wenn es um die Frage geht, wo und an welcher Stelle wir Grenzen ziehen.
Resultierend aus diesen Zusammenhängen will ich nicht – das ist jetzt ganz persönlich meine Meinung – noch weiter auf die schiefe Ebene kommen, sondern sage, ich versuche das ein Stück gerade zu machen, wohl wissend auch in der Qual von bestimmten Fragen, auf die ich dann nicht immer, und vor allen Dingen nicht leicht, Antworten finde, und wohl wissend, dass wir – ich persönlich, wir als Parlament, der Deutsche Bundestag – in der nächsten Woche keine Entscheidungen treffen können, die weltweite Wirkung oder weltweite Bedeutung haben können. Aber wir müssen doch unseren Verantwortungsbereich in diesen Fragestellungen sehen und entdecken.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen, weil das auch – vor allen Dingen in der Diskussion von denen, die diese embryonale Stammzellenforschung befürworten –, immer wieder angeführt wird, wir würden Gefahr laufen, den Forschungsstandort deutlich zu schwächen, wenn wir dies nicht machen. Ich habe großes Verständnis für Abwägung zwischen der Frage „Heilungserwartung, Entwicklung im medizinischen Bereich“ und der Frage „Grundrechtsschutz des Embryos“.
Ich habe großes Verständnis, wenn man dort zu anderen Bewertungen kommt als ich. Aber das ist für mich die einzige Frage, die man in diesem Zusammenhang gegeneinander abwägen kann. Sogar bei der Forschungsfreiheit habe ich persönlich engere Grenzen. Aber wenn ich mit ökonomischen Zusammenhängen argumentiere, nämlich mit der Frage, ob wir unseren Forschungsstandort schwächen, ob uns bestimmte Patente, bestimmte Vorrechte auf Entwicklungen entgehen, dann hört für mich in dieser Frage der Abwägungsprozess auf. Auch das ist für mich ein Punkt, den wir heute so nicht angesprochen haben.
Herr Dr. Schiffmann, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Gerade die Aktuelle Stunde bietet die Möglichkeit, dass viele einzelne Positionen geäußert
werden, dass Sie nicht und viele andere nicht dazu veranlasst werden, heute mit einer Abstimmung eine Meinung abzugeben.
Ich darf Ihnen noch etwas sagen: Ich bin froh über diese Debatte. Ich habe selten in diesem Hause eine Debatte verfolgen können, die mit so viel Ruhe, aber auch mit so viel Aufmerksamkeit verfolgt wurde.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf die Gretchenfrage zurückkommen.
Herr Dr. Schmitz, Professor Benda hat in der Anhörung gesagt, wenn man einen Einzelfall betrachtet, dann wird in dem Moment, wo jemand krank ist, diese Frage immer eindeutig beantwortet, weil der letzte Strohhalm gerade gut genug ist, um am Überleben zu bleiben. Die Frage ist nur, ob ich diese Frage aus dieser Perspektive betrachten kann oder ob ich nicht die Vogelperspektive nehmen muss, um die Entwicklung der Menschheit insgesamt zu sehen.
Hierbei möchte ich noch einmal auf die Konsensgesellschaft zurückkommen, die der Minister erwähnt hat. Was ist eigentlich Grundlage dieser Gesellschaft? – Konsens, Grundlage scheint mir das christliche Menschenbild zu sein. Wenn ich das als Grundlage der Diskussion nehme, dann ist für mich die Frage, die wir zunächst zu beantworten haben, in erster Linie keine rechtliche Frage, auch keine medizinische, sondern vielmehr eine Frage des Gewissens, vielleicht sogar eine Frage des Glaubens.
Korrekt lautet die Frage für mich persönlich und aus der Sicht des christlichen Menschenbildes heraus: Handelt es sich eigentlich bei dieser neuen Technologie und bei dem, was wir in der Bioethik besprechen, um eine Versuchung oder um eine Verheißung? Handelt es sich um eine Versuchung insoweit, dass wir Menschen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine Möglichkeit an die Hand bekommen, in unser Genom einzugreifen.
Meine Damen und Herren, das hat eine völlig andere Dimension als das, was wir vorher diskutiert haben. Wir werden entscheiden können, was lebenswert ist und was nicht. Man kann sogar die Frage stellen: Was hätten wir denn gern?
Während wir früher nur über massenhafte Lebensvernichtungsmittel sprechen konnten, können wir heute und
zukünftig aktiv in die Evolution eingreifen, sie beschleunigen und vielleicht auch verändern. Auf diesem Weg wird es mit Sicherheit viele Rück- und Fehlschläge geben. Jetzt etwas bildhaft gesprochen: Deshalb ist es eine Versuchung. Ist es eine Versuchung, mit embryonalen Stammzellen zu forschen? – Ich könnte jetzt auch auf das Bild mit dem Apfel mit Adam und Eva zurückgreifen. Muss es dieser Baum sein, von dem ich den Apfel nehme, und muss ich diesen Apfel essen? Oder nehme ich die anderen Bäume? – Adulte Stammzellen usw. Die Frage ist zu klären.
Oder handelt es sich um eine Verheißung? – Vielleicht deshalb eine Verheißung, weil uns Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, Heilungsmethoden zu finden, wie sie eben hier beschrieben worden sind, um vielen Menschen zu helfen. Vielleicht erwartet derjenige, den ich jetzt persönlich nehme, gerade von uns, dass wir diese neuen Möglichkeiten nutzen. Aber wenn ich diese neuen Möglichkeiten nutzen möchte, weiß ich immer, dass dies mit vielen Risiken verbunden ist, weil jede neue Möglichkeit zum Wohle des Menschen gebraucht, aber auch missbraucht werden kann. Bei der Einschätzung, ob es sich um einen positiven Gebrauch oder um einen Missbrauch handelt, spielt die Menschenwürde in dieser Frage eine entscheidende Rolle.
Meine Damen und Herren, hier muss ich die Frage stellen, was die Menschenwürde ist? Es lautet in unserem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantas tbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Damit wird die Menschenwürde zur obersten Norm des politischen Handelns. Doch was ist konkret die Menschenwürde? Wann beginnt sie, und wann hört sie auf? – In der Vergangenheit gibt es eine Reihe von Erklärungsversuchen. So schreibt zum Beispiel Kant in den Grundlagen der Metaphysik der Sitten zum Begriff der Würde: „Im Reich der Zwecke hat alles andere einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent eingesetzt werden. Was über allem Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent hat, das ist die Würde.“
Zur Menschenwürde sagt Kant: „Sie wird verletzt, wenn ein Mensch instrumentalisiert wird, das heißt, wie ein Objekt für ein ihm fremden Zweck missbraucht werde.“ Genauso erscheint mir die Diskussion.
Es gibt andere Darstellungen. Ich möchte nur noch eine vortragen, zum Beispiel die des Ethikers Dieter Birnbacher: „Es gibt mehrere Gründe, mit dem Begriff der Menschenwürde in der Bioethik sparsam umzugehen. Ein Grund ist der Verdacht, dass die Emphase und das Pathos dieses Begriffes vielfach dazu herhalten, die Blöße mangelnder Argumente gegen eine ungeliebte Praxis zu überdecken und zu bedecken.“
Am 13. September 2001 hat der Papst in Rom eine Rede an den neuen Botschafter der Vereinigten Staaten beim Heiligen Stuhl, James Nicholson, gehalten. In dieser Rede hat der Papst seine Trauer und seine Anteilnahme für die Opfer des terroristischen Anschlags auf
New York und Washington bekundet. Danach führte er wörtlich Folgendes aus: „Um zu überleben und zu gedeihen, muss die Demokratie von einer Vision geleitet werden, deren Kern die gottgegebene Würde und die unveräußerlichen Menschenrechte sind. Wenn das Leben mancher Menschen – eingeschlossen das der Ungeborenen – der Auswahl durch andere unterworfen ist, werden keine anderen Werte und Rechte mehr garantiert sein. Niemals war es so dringend wie heute, diese moralische Sichtweise wieder zu beleben.“
Meine Damen und Herren, genau diesem Gesichtspunkt sollten wir uns anschließen, diesen vertiefen und nicht Einzeldiskussionen führen. Wenn wir nämlich hier eine Latte hinlegen, dann ist diese in zwei Wochen überholt. Dann legen wir die nächste Latte.
Ich glaube, wir müssen dieses Thema grundsätzlicher führen, aber dann auch zu einer klaren Position kommen und sie in einem politischen Rahmen festlegen.
Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren! Nur noch drei kurze Bemerkungen zu dieser Sache, insbesondere auf das eingehend, Frau Kollegin Thomas, was Sie zum ehemaligen Bundesvorsitzenden Gerhardt gesagt haben.
Ich glaube, man unterstellt etwas, womit man ihm Unrecht tun würde, wenn man diese positive Einstellung zur PID so interpretiert, dass man quasi im Nebenschluss die Produktionsbasis für weitere verbrauchende Forschung sehen wollte.
(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat er gesagt! – Dr. Gölter, CDU: Ich habe das sogar gelesen!)
Es ist sicherlich ein großes Missverständnis. Herr Kollege Dr. Gölter, ich darf das auch begründen. Nach all dem, was wir gesagt haben, insbesondere zur Frage überzähliger Embryonen, stellt sich diese Frage gar nicht.
Gerade uns als FDP ist es wichtig, dass bei aller Bedeutung, die diese Themen auch für profane Dinge – profan im Vergleich zu der fundamentalen Diskussion, die wir führen – wie Standortfragen, Fortschritt der Wis
senschaft usw. hat, das niemals als Argument herangezogen werden kann. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das sind Argumente, aber keine wesentlichen zentralen Argumente.
Herr Kollege Böhr, der dritte Punkt ist die Frage des Dammbruchs. Sie sprechen zu Recht von einem Dammbruch, der erfolgen könnte. Andere Diskussionsbeiträge haben darauf abgestellt, dass die Diskussion sehr ganzheitlich zu führen ist. Das Wort ist zwar heute noch nicht gefallen, aber auch das gehört in diesen Zusammenhang.
Es geht um die Frage der Euthanasie. Wo fängt es an, und wo hört es auf? Irgendwo wird sich der Kreis der Diskussion schließen.
Herr Kollege Böhr, der Dammbruch – ob man es wahrhaben will oder nicht – ist längst erfolgt. Der Dammbruch ist gesellschaftlich gesehen erfolgt, nicht in der Bewertung eines Einzelnen, nicht in Ihrer Bewertung. Gesellschaftlich und politisch ist dieser Dammbruch längst erfolgt mit der Diskussion über den § 218, mit der Diskussion über die Transplantation und mit der Frage der In-vitro-Fertilisation.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Herr Kollege Dr. Schmitz in seinem Beitrag deutlich gemacht hat, dass all diejenigen, die vom Dammbruch, von der schiefen Ebene, vom Rubikon, der in dieser Frage überschritten wird, gesprochen haben, verkennen, dass mit dem Einstieg in die In-vitroFertilisation, in die Fortpflanzungsmedizin in vielfältiger Weise ein Rubikon überschritten worden ist, ist wichtig.
Herr Kollege Dr. Rosenbauer, es ist auch wichtig festzuhalten, dass wir keine isolierte deutsche bioethische Debatte führen, sondern es gibt eine sehr ernsthafte genauso sensibel geführte Diskussion in den Vereinigten Staaten, in England und in Frankreich. Ein Stück Selbs tüberhebung unsererseits, auf diese ethischen Abwägungen herab zu blicken, ist in keiner Weise gerechtfertigt.
Ich denke, es ist unstreitig in diesem Haus, dass alle Forschungswege weiter beschritten werden müssen, die Forschung an adulten Stammzellen, an fetalen Stammzellen, an EG-Stammzellen und auch an embryonalen Stammzellen. Ich könnte eine Reihe von hochrangigsten wissenschaftlichen Gutachtern nennen, ob es nun die 80 Nobelpreisträger in den USA sind, die in einem Brief an Präsident Bush auf die Unverzichtbarkeit zumindest für eine gewisse Phase der Forschung an embryonalen Stammzellen hingewiesen haben. Das steht außer Frage. „Alle Wege“ heißt, insbesondere die Forschung an adulten Stammzellen ist mit Vorrang weiter zu fördern.