Ich wiederhole mich gern, zumal ein Standardöffungs oder auch Standardabbaugesetz sicher nicht als Allheilmittel bezüglich der kommunalen Finanzen angesehen werden kann.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir unseren Kommunen wieder mehr Handlungsspielräume eröffnen müssen, uns im Übrigen auch, und kein Weg daran vorbeigeht, kommunalrelevante Standards in Rechtsvorschriften unseres Landes erneut zu bewerten und dabei in schwierigen Zeiten zwischen dem Unverzichtbaren und dem Wünschenswerten zu unterscheiden, darüber besteht kein grundsätzlicher Streit.
Auch ich möchte zunächst einmal unsere jüngere Parlamentsgeschichte bemühen. Unter demselben Titel und im Wesentlichen mit demselben Inhalt hat die CDU in der vorletzten Legislaturperiode im Jahr 1995 schon einmal einen Gesetzentwurf eingebracht, von dessen Verfassungsmäßigkeit sie selbst nicht überzeugt schien; denn sie hatte schon damals bei der Einbringung ihres Gesetzentwurfs das Justizministerium ersucht, hierzu eine entsprechende Überprüfung durchzuführen.
Es ist gerade auch für eine Oppositionsfraktion ein durchaus ungewöhnlicher Schritt, dass dies bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs geschieht. Auf eine Kurzformel gebracht lautete der damals wie heute von der CDU propagierte Lösungsweg wie folgt: Wir ändern nicht die Rechtsvorschrift, sondern erlauben es den Kommunen per Gesetz, unter wachsweich formulierten Voraussetzungen von irgendwelchen und überhaupt nicht näher bezeichneten Vorgaben des Landesrechts im Einzelfall und mit staatlicher Genehmigung abweichen zu dürfen.
Es musste damals niemand verwundern, dass eine solche Gesetzgebung bzw. ein solches Ansinnen, nämlich der Versuch einer unbestimmten Regulierung der Deregulierung – diesen Begriff prägte der damalige Vorsitzende der FDP-Fraktion, der von mir hochge
Sie können in der seinerzeit von Ihnen selbst erbetenen Stellungnahme des Justizministeriums und in einem vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags erstellten Gutachten nachlesen, dass diese Regelungstechnik insbesondere mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und den Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts nicht vereinbar ist. Es ist eine massive Beeinträchtigung bedeutsamer Verfassungsprinzipien.
Außerdem wurde bereits damals im Innenausschuss eine Anhörung von Sachverständigen durchgeführt, die im Ergebnis genau diese Bedenken bestätigte, dass nämlich dem verständlichen Anliegen, normative Standards zu reduzieren, auf verfassungsmäßige Weise durch generelle Öffnungs- und Nichtanwendungsklauseln nicht entsprochen werden kann. Dies ist im Übrigen auch die absolut herrschende Auffassung im deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum, das sich zu dieser Fragestellung inzwischen angesammelt hat.
Diese Problematik beschränkt sich nicht nur auf Rheinland-Pfalz, sondern ist auch in anderen Bundesländern diskutiert worden oder wird diskutiert, so zurzeit auch im Saarland. Meine Damen und Herren von der CDUFraktion, deshalb haben Sie den dortigen Gesetzentwurf mit Ihrem alten Entwurf aus dem Jahr 1995 verquickt. Sie haben einfach den saarländischen Entwurf, der im Kern dieselbe Regelungstechnik aufweist, mit Ihrer alten allgemeinen Gesetzesbegründung versehen. Lesen Sie es bitte nach.
(Beifall bei SPD und FDP – Schnabel, CDU: Ist das verboten? – Hartloff, SPD: Es ist die Frage, wie sinnvoll das ist!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern auch aus allgemeinen rechtspolitischen Gründen ist die Landesregierung von Ihrem Entwurf wenig begeistert;
denn Sie wollen die Gestaltung des materiellen Rechts der Exekutive überlassen, auch wenn Sie einen möglichen Dispens von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Blick haben. Das muss man sich einmal vor Augen halten. Sie wollen die Gestaltung des materiellen Rechts der Exekutive überlassen. Sie wollen ihr quasi einen Freibrief ausstellen. So bräuchte man sich als Gesetzgeber dann nicht mehr sehr viele Gedanken über kommunal relevante Standards zu machen. Was im Land Rheinland-Pfalz gilt und was nicht, überlassen wir im Einzelfall der Antragstellung der jeweiligen Kommunen und der Entscheidung der hiervon berührten Ressorts. Rechtsanwendungsgleichheit – nebensächlich, Fehlanzeige. Sie wollen also den schwarzen Peter doppelt zuschieben. Sie wollen zum einen den Kommunen den schwarzen Peter zuschieben. Diejenigen, die
sich politisch trauen, sollen einen Dispensantrag stellen und damit gegebenenfalls vor Ort den Ärger auslösen.
Zum anderen wollen Sie den schwarzen Peter den Ministerien zuschieben. Diese werden auf jeden Fall Ärger haben, egal ob sie Ja oder Nein sagen.
Für ein solches Verfahren ist die Landesregierung nicht zu haben. Sie ist vielmehr davon überzeugt, dass nur eine echte Standardrevision ein verfassungsrechtlich überzeugender und letztlich politisch gangbarer Weg ist.
Ich räume durchaus ein, dass wir in dieser Frage gern schon weiter wären. Ich habe Verständnis für die Kritik, dass entsprechende Initiativen der Landesregierung zur Flexibilisierung von Standards in Gesetzen und Rechtsverordnungen schon früher hätten kommen können im Gegensatz zu den Verwaltungsvorschriften, die wir schon in erheblichem Maße verschlankt und vereinfacht haben. Das möchte ich auch einmal herausstellen. Darüber hinaus haben wir bereits Schritte unternommen, um Vorschriften des Bundes und der Europäischen Union zu durchforsten und Verzichtbares zu streichen bzw. entsprechende Vorschläge zu machen.
In Sachen Standardflexibilisierungsgesetz kann ich Ihnen Folgendes ankündigen: Der Ministerrat wird noch vor der Sommerpause die Grundzüge eines Entwurfs für ein erstes Landesgesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Flexibilisierung landesrechtlicher Standards – so wird der vorläufige Arbeitstitel lauten – beschließen und diesen Entwurf in das Anhörungsverfahren geben.
Den Vorschlag der CDU in diesem Zusammenhang, gemeinsam mit den Interessenverbänden und den Bürgerinnen und Bürgern verzichtbare landesrechtliche Regelungen mit Standards und Vorgaben zu benennen, halte ich für überflüssig, da bereits eine Vielzahl solcher Vorschläge vorliegt und es beispielsweise anderweitige Möglichkeiten wie durch den von der SPD-Fraktion eingerichteten Standardmelder gibt, um die Diskussion mit landespolitisch Verantwortlichen zu vertiefen.
Ich füge hinzu, mit diesem ersten Gesetzentwurf wird es keinesfalls getan sein. Wir werden – so schwierig und konfliktträchtig dieser Weg ist – nach und nach das gesamte Landesrecht danach untersuchen, ob alle kommunal relevanten Standards, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zusammengekommen sind, in dieser Form aufrechterhalten bleiben sollen. Ich gehe deshalb davon aus, dass der erste Entwurf eines Standardflexibilisierungsgesetzes erst der Einstieg in den Standardabbau sein wird und weitere Novellierungen folgen werden. Entscheidend wird dabei sein, dass die Landesregierung
konkret die Vorschriften benennen wird, die angepasst, flexibilisiert oder ganz abgeschafft werden sollen.
In diesem Zusammenhang wird der Gesetzgeber gefordert sein, Farbe zu bekennen. Eines sei jedoch in diesem Zusammenhang von vornherein gesagt: Die Landesregierung ist bei dieser schwierigen Operation weder willens noch in der Lage, Standards, die auf unfall- oder versicherungsrechtlichen Vorgaben sowie auf Vorgaben aus der Rechtsprechung beruhen, zu ignorieren.
Meine Damen und Herren, neben den gesetzlich normierten Standards ist die Landesregierung bereit, auch untergesetzliche Regelungstatbestände, etwa im Bereich der Förderrichtlinien, auf den Prüfstand zu stellen. Ich stimme soweit Herrn Böhr zu, niemand kann abstreiten, die Standards, die in Zeiten eines vermeintlich immerwährenden Wachstums in Gesetzen und Verordnungen ihren Niederschlag gefunden haben, sind in dieser Fülle nicht mehr finanzierbar.
(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP – Schmitt, CDU. Das Ziel scheint zu stimmen! – Zuruf des Abg. Jullien, CDU)
Wir haben nicht mehr die finanziellen Kräfte, haben uns letztlich damit überhoben und unsere Kommunen gleich mit. Bevor wir und die Kommunen endgültig in die Knie gehen oder wir gemeinsam unter dem uns aufgeladenen Gewicht durch das Parkett brechen, müssen wir die Hantel erleichtern. Das gilt allerdings für beide Seiten der Hantel, sonst kommen wir noch ins Ungleichgewicht.
Die gesamte Diskussion um die Standardöffnung ist für die Landesregierung ein wesentlicher Bestandteil ihrer intensiv laufenden Bemühungen zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung. Neben der Standardöffnung geht sie mit einer kontinuierlichen Aufgabenkritik, einer Evaluation der Mittelinstanz mit dem Ziel einer weiteren Optimierung und laufenden Überprüfung des Normenbestands einher.
Meine Damen und Herren, diesen Weg bietet Ihnen die Landesregierung an. Lassen Sie ihn uns gemeinsam im Sinn der Zukunftsfähigkeit unseres Landes und unserer Kommunen gehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Böhr, hat auf den Gesetzentwurf, den wir 1995 eingebracht haben, hingewiesen. Man braucht die Geschichte hier nicht so dramatisch
darzustellen, als hätte man jemandem beim Abschreiben der eigenen Sachen erwischt. Die Protokolle der damaligen Sitzung habe ich gelesen. Ich habe manches wieder gefunden, was ich heute von anderen gehört habe. Dabei wurde nicht beachtet, dass es eine Reihe von Änderungen gegenüber dem damaligen Entwurf gibt. Insofern hat es sich der eine oder andere etwas leicht gemacht.
Ich weiß nicht, welcher der Regisseure der SPD-Fraktion immer entscheidet, dass Herr Schweitzer von der Leine gelassen wird, wenn Vorschläge vonseiten der Opposition eingebracht werden.
Ich möchte doch eine einzige Frage beantworten, weil er gefragt hat, ob wir uns an italienische Verhältnisse anpassen wollen oder so ähnlich. Ich denke, es geht darum, die Standards an das jeweilige finanzielle Leistungsvermögen der Kommunen anzupassen. Diese Formulierung ist allerdings nicht von mir, sondern aus einem Papier der SGK, die bekanntlich die kommunalpolitische Seite der SPD ist. Dort scheint man es begriffen zu haben.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, aus der damaligen Diskussion ein Zitat zu bringen: „Die Reduzierung nicht zwingender Standards ist notwendiger denn je, daran gibt es überhaupt keine Zweifel, nimmt doch die gegenwärtige“ – also die vor acht Jahren – „Finanzkrise dramatische Züge an, sodass die kommunale Selbstverwaltung Mitte der 90er-Jahre vor einer ihrer größten Herausforderungen überhaupt steht.“ Der Minister wird seine eigenen Worte wiedererkannt haben. Heute sind wir acht Jahre später. Es ist alles noch schlimmer. Die Situation der kommunalen Selbstverwaltung und die der kommunalen Finanzen ist noch dramatischer geworden. Keiner der Redner der Regierungsfraktion hat erwähnt, dass damals in der Diskussion immer gesagt wurde: Nun hört auf mit eurem Mist, wir haben eine Arbeitsgruppe. – Die Arbeitsgruppe nennt sich „Reduzierung kommunaler Standards“. Die SPD war ganz begeistert, was diese Arbeitsgruppe zustande bringt.