Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

1. Handelt es sich bei dem Innenminister Bruch zugeschriebenen Zitat „Für uns entbehrt der Bericht jeder Grundlage und ist nicht überzeugend. Für uns ist Ruanda ein Land mit einem hohen Niveau an Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit für seine Bürger und einem hervorragenden Schulsystem und wir glauben, dass Ruanda sich nicht rechtfertigen muss“ um ein wörtliches Zitat?

2. Wenn ja, wie begründet die Landesregierung diese Haltung?

3. Wenn nein, wie beurteilt sie die Verbreitung dieses Zitats auf der offiziellen Homepage des ruandischen Präsidenten und in der ruandischen Presse?

Herr Innenminister Bruch, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Strutz

beantworte ich für die Landesregierung wie folgt: Die langjährige Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz ist eine Besonderheit in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, und sie lebt vor allem von den vielfältigen ehrenamtlichen Initiativen, nachhaltigen Projekten sowie dem langjährigen Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger. Die Landesregierung sieht ihre Hauptaufgabe in dieser Partnerschaft in der Schaffung, der Erhaltung und dem Ausbau der Rahmenbedingungen, die dieses Engagement, diese Partnerschaft und damit diese besondere Form der Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen und befördern. Insofern verfolgt die Landesregierung kontinuierlich und aufmerksam die Entwicklung des Partnerlandes Ruanda, auch und gerade in der Folge des furchtbaren Genozids im Jahre 1994. Die Landesregierung verfolgt dabei sowohl die politische Entwicklung – Stichworte Wahlen, Menschenrechte, Pressefreiheit – als auch die Entwicklung in den Bereichen Bildung und Wirtschaft.

So ist bei aller Kritik an dem einen oder anderen Punkt nicht zu übersehen, welche positive Entwicklung Ruanda in den vergangenen 16 Jahren genommen hat. Ich nenne im Folgenden nur ein paar Beispiele: Die Innenpolitik wird dominiert von dem Willen zur nationalen Einheit und Versöhnung sowie von Strategien zur Armutsbekämpfung. So wird Ruanda international gelobt für seinen Ausbau und die weiter geplanten Investitionen in den Ausbau des Gesundheitswesens. Die Einführung einer Krankenversicherung, Fortschritte im Bereich der Kinder- und Müttergesundheit, Senkung der Kindersterblichkeit, Erfolge bei der Bekämpfung von Malaria und die Behandlung von HIV-Infizierten sind Stichworte, die darauf hindeuten, dass Ruanda hier auf einem guten Weg ist.

Um für die jungen Menschen Zukunftsperspektiven zu schaffen, werden erhebliche Anstrengungen gerade auf dem Bereich des Bildungssektors unternommen. Zwischenzeitlich wurde die Schulpflicht von sechs auf neun Jahre erhöht. Es wird der Aufbau eines qualifizierten Berufsausbildungssystems mit großen Anstrengungen unternommen, um den Schulabsolventen anschließende Perspektiven zu eröffnen.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung wurde im September 2007 ein neues Programm beschlossen, in dessen Vordergrund die Förderung des Wirtschaftswachstums, die Armutsbekämpfung und gute Regierungsführung stehen. International anerkannt sind die strengen Vorgaben und das Vorgehen der Regierung gegenüber Korruption.

Seitens des IWF erhält Ruanda gute Noten insbesondere für die erzielten Fortschritte bei der Modernisierung der öffentlichen Finanzverwaltung. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern sich. Man wirbt international um ausländische Investoren unter anderem mit günstigen Rahmenbedingungen und kurzen Genehmigungsverfahren. Die Weltbank hat Ruanda in ihrem „Doing Business Report 2010“ zum Top-Reformerland gekürt.

Zur Kenntnis genommen werden muss auch, dass Ruanda heute im Vergleich zu den Nachbarländern ein sicheres und stabiles Land ist. Wer heute nach Kigali

kommt, für den sind diese Erfolge ersichtlich. Es war und bleibt das Anliegen der Landesregierung, diese Erfolge anzuerkennen und auch zu würdigen. Es war und bleibt aber auch das Anliegen der Landesregierung, sich mit der ruandischen Seite über die schwierigen Aspekte der Zusammenarbeit auszutauschen und über aktuelle Themen zu sprechen. Delegationsreisen nach Ruanda sind dabei ein wichtiges Instrument, um Erkenntnisse aus erster Hand zu erlangen, Projekte vor Ort zu besichtigen und aktuelle Entwicklungen zu erörtern.

Der im Vorfeld meiner letzten Delegationsreise nach Ruanda veröffentlichte Bericht der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zählt sicherlich zur Kategorie der aktuellen Entwicklungen und beschäftigte die ruandischen Gesprächspartner der rheinland-pfälzischen Delegation erkennbar. Namentlich war dies in den Begegnungen mit Präsident Kagame und Infrastrukturminister Musoni der Fall.

Der Bericht war Gesprächsgegenstand aufgrund seiner Aktualität einerseits, vor allem aber aufgrund des darin formulierten Vorwurfs des Völkermords, den ruandische Truppen im Ostkongo begangen haben sollen.

Der Bericht trägt auf über 500 Seiten schwerste Menschenrechtsverletzungen zusammen, die im Zeitraum von 1993 bis 2003 in dieser Konfliktregion begangen worden sein sollen. Dabei wird unter anderem auch auf die Rolle Ruandas und das Vorgehen ruandischer Armeeeinheiten eingegangen. Auch Soldaten der ruandischen Armee sollen an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo beteiligt gewesen sein.

Ruanda streitet in diesem Zusammenhang – meines Wissens – eigene Übergriffe im Rahmen der im Bericht dargestellten Kriegshandlungen gar nicht ab. Es wehrt sich jedoch gegen den im UN-Bericht angedeuteten Vorwurf eines Völkermordes an den dortigen Hutus.

Genau dies ist der Kern dessen, worum es hier aus meiner – und nicht nur aus meiner – Sicht geht. Unstreitig dokumentiert der Bericht der UN-Menschenrechts- kommission schwerste Menschenrechtsverletzungen im Kongo, die im Zeitraum von 1993 bis 2003 von den unterschiedlichen Akteuren in dieser Konfliktregion begangen worden sein sollen. Verbrechen von unvorstellbarer Grausamkeit sollen zwingend rechtsstaatlich aufgearbeitet werden.

Doch liefert der Bericht im Zusammenhang mit den der ruandischen Armee zugeschriebenen Menschenrechtsverletzungen auch die rechtsförmlichen Beweise dafür, diese Menschenrechtsverbrechen im völkerrechtlichen Sinn als Völkermord oder Genozid zu bezeichnen? Um diese Frage geht es im Kern.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Walter Strutz wie folgt:

Zu Frage 1: Nein, meine Äußerungen zum Bericht der UN-Menschenrechtskommission waren differenzierter als in der „New Times“ wiedergegeben. Ich habe mich außerdem, wie das so ist, in Zusammenhängen geäu

ßert, die die, wie Sie selbst sagen, regierungsnahe „New Times“ nicht wiedergegeben hat.

Geäußert habe ich mich dahin gehend, dass der Bericht aus meiner Sicht nicht überzeugend ist, wenn es um rechtsförmliche Beweise dafür geht, die der ruandischen Armee zugeschriebenen Menschenrechtsverletzungen im völkerrechtlichen Sinn als Völkermord oder Genozid zu bezeichnen.

Meine Damen und Herren, mit dieser Auffassung stehe ich nicht alleine. So schreibt Frau Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, in einer Antwort auf die Anfrage von MdB Kerstin Müller zur Einschätzung des UN-Berichts mit Blick auf die Republik Ruanda am 7. Oktober 2010: „Zur Rolle der Republik Ruanda wird im Bericht festgestellt, dass auch ruandische Soldaten im Zeitraum von 1993 bis 2003 an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung auf dem Gebiet der DR Kongo beteiligt waren. Es werden Argumente vorgetragen, die für wie gegen die mögliche Klassifizierung der Verbrechen als Völkermord sprechen. Jedoch werden aufgrund der Zielsetzung und Methodik des Berichts keine rechtsförmlichen Beweise für die geschilderten ca. 600 schwersten Menschenrechtsverletzungen vorgelegt.“

Zur Frage 2: Wie ich bereits ausgeführt habe, verfolgt die Landesregierung die Entwicklungen im Partnerland Ruanda aufmerksam und bedient sich dabei verschiedener Informationsquellen.

Selbstverständlich habe ich mich anlässlich der Delegationsreise auch ausführlich durch den deutschen Botschafter in Kigali unterrichten lassen. Dieser hat in seinem Lagebericht am Anreisetag auf den für die ruandische Seite nicht nachvollziehbaren Vorwurf eines möglichen zweiten Völkermordes im Kongo gegen die Hutu hingewiesen und erläutert. Auch hat er auf die mögliche destabilisierende Wirkung eines solchen Vorwurfs in der Region hingewiesen, vor allem auf die mögliche Legitimierung eines bewaffneten Kampfes gegen die bestehende ruandische Regierung.

Diese Bewertung der Lage deckte sich mit den Einschätzungen des Leiters unseres Partnerschaftsbüros in Ruanda, die dieser uns im Zusammenhang mit dem UNBericht übermittelte.

Darüber hinaus verweise ich auf die öffentlich zugänglichen Quellen wie die Presse oder das Internet und erwähne im Besonderen die Veröffentlichungen des Ressortleiters für Afrika bei der Berliner „taz“, Dominic Johnson. Er ist bereits seit 14 Jahren in diesem Bereich der Auslandsredaktion der „taz“ tätig und bereist die Region Kongo mehrmals im Jahr.

Zu Frage 3: Geäußert habe ich mich dahin gehend, dass der UN-Bericht aus meiner Sicht nicht überzeugend ist, wenn es um rechtsförmliche Beweise dafür geht, die der ruandischen Armee zugeschriebenen Menschenrechtsverletzungen im völkerrechtlichen Sinn als Völkermord oder Genozid zu bezeichnen.

Zu Frage 4: Meine Äußerungen fußten auf den Ausführungen des Auswärtigen Amtes und der Deutschen

Botschaft und bedurften insoweit keiner weiteren Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung.

Unter Verweis auf meine Antwort zur Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Strutz beantworte ich die Anfrage der Abgeordneten Frau Kohnle-Gros wie folgt:

Zu Frage 1: An den exakten Wortlaut meiner Äußerungen im Rahmen der im Übrigen nicht öffentlichen Begegnung mit Präsident Kagame erinnere ich mich nicht. Fakt ist, dass ich mich in diesem Gespräch zu den Entwicklungsfortschritten Ruandas und zum Bericht der UNMenschenrechtskommission geäußert habe. Letzteres habe ich auch im Gespräch mit dem Präsidenten getan, wie ich es Ihnen in meiner Antwort auf die Mündliche Anfrage des Kollegen Strutz soeben ausgeführt habe.

Zu Frage 2: Die Entwicklungsfortschritte Ruandas in den von mir angesprochenen Bereichen der Rechtsstaatlichkeit, zum Beispiel in der Korruptionsbekämpfung, Bildung und Sicherheit, sind weithin anerkannt und werden nicht zuletzt von internationalen Organisationen wie der Weltbank, dem IWF, Transparency International unter anderem wiederholt bestätigt. Sie bedürfen insoweit keiner gesonderten Begründung der Landesregierung zu den Entwicklungsfortschritten Ruandas.

ur Frage des UN-Menschenrechtsberichts verweise ich auf meine Antwort zur Frage 4 des Kollegen Strutz, wonach sich meine Äußerungen hierzu auf die Aussagen des Auswärtigen Amts und der Deutschen Botschaft stützten. Ich denke, das ist auch in Ordnung so.

Geäußert habe ich mich wie vorhin ausführlich dargelegt dahin gehend, dass der Bericht aus meiner Sicht nicht überzeugend ist, wenn es um rechtsförmliche Beweise dafür geht, die der ruandischen Armee zugeschriebenen Menschenrechtsverletzungen im völkerrechtlichen Sinn als Völkermord oder Genozid zu bezeichnen. Mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein, wie ich ausgeführt habe.

Zu Frage 3: Auf die Verbreitung meiner Äußerungen in Ruanda in Form eines Zitats wurde ich nach meiner Rückkehr durch einen Artikel des „Berliner Tagesspiegels“ aufmerksam, zu dem seitens des Innenministeriums Stellung genommen wurde. Ich werde die ruandische Botschafterin darüber hinaus über unsere heutige Debatte im rheinland-pfälzischen Landtag unterrichten und sie in diesem Zusammenhang um die Einordnung meiner Äußerungen in den Gesamtkontext bitten, in dem ich sie getätigt habe.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, so weit meine Antworten. Im Grunde genommen geht es darum, dass die ruandische Seite sehr genau aus Gründen der Staatsräson zwischen dem Tätigwerden Ruandas im Kongo und dem Vorwurf des Genozids unterscheidet. Der Vorwurf des Genozids trifft dort tief. In Absprache mit den Fraktionen der SPD, CDU und FDP wird dieser Bericht im Innenausschuss zu bereden sein. Wir werden dazu auf Bitten der CDU auch den Büroleiter des Büros Kigali von Rheinland-Pfalz hinzubit

ten. Ich denke, dass dann eine weitere gute Beratung möglich ist.

(Beifall der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Kohnle-Gros.

Herr Minister Bruch, Sie haben das dargestellt, was man auch in den Medien über die positive Seite der Entwicklung lesen kann. Stimmen Sie mir zu, dass es in den letzten Monaten manchmal auch sehr ausgewogene Berichte, wenn man das neutral betrachtet, gegeben hat, die aber auch die andere Seite der Entwicklung in Ruanda dargestellt haben?

Ich nenne als Zitate einfach ein paar Zeitungsüberschriften: „Opposition in Angst“, „Verfolgung und Einschränkung“, „Der Furchteinflößende“, „Kritik wird unterdrückt“ usw.

Auch regierungsferne Organisationen oder Nichtregierungsorganisationen haben sich im Vorfeld der Wahlen zu Wort gemeldet und auf die Einschränkung von Freiheitsrechten, Demokratie, Pressefreiheit, der Unterdrückung von Menschenrechten usw. ganz ausdrücklich und mit Beispielen hingewiesen. Ist es nicht auch notwendig, in diesem Hause auf diese dunkle Seite der Entwicklung hinzuweisen?

Herr Präsident Kagame ist von sich aus auf diese Richtung eingegangen und hat zu der Frage der Opposition Stellung genommen. Es gibt eine Opposition. Wir wissen beide, dass das keine Demokratie in unserem Sinne ist. Von daher gesehen, muss man über diese Frage sehr differenziert reden. Ich denke auch an die Berichte von Johnson in der „taz“, aber auch insbesondere an die Hinweise des Botschafters, der gebeten hat, die Arbeit der außerhalb Ruandas tätigen Opposition einzubeziehen. Ich denke, darüber müssen wir reden. Das ist sicherlich ein Bereich, den man im Ausschuss vertieft bereden kann.

Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Strutz.

Herr Minister, halten Sie es für notwendig – vielleicht haben Sie es möglicherweise schon getan –, gegenüber der Hohen Kommissarin der UN, die sozusagen mit ihrem Namen für den Inhalt dieses Berichtes bürgt, das, was Sie sehr differenziert geäußert haben, gegenüber

der verkürzten Darstellung in der Presse in ähnlicher Weise zu korrigieren?

Ich habe den Berichtsteil – der Bericht hat 500 Seiten –, der mir zugänglich war, auch kommentiert. Ich kann das auch gegenüber der Menschenrechtskommissarin kommentieren.

Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Thelen.

Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie die Bewertung in dem UNMenschenrechtsbericht nicht teilen. Kann ich daraus schließen, dass Sie den Eindruck haben, dass für diese erheblichen Vorwürfe einfach nicht hinreichende Grundlagen bzw. nicht hinreichende Anhaltspunkte zur Verfügung standen? Sie fordern sogar rechtsförmliche Beweise für die Äußerungen dieses Berichts. Ist es Aufgabe eines solchen Berichts, erst dann Vorfälle zu benennen, wenn tatsächlich rechtsförmliche Beweise für diese Vorwürfe vorliegen?

Ich denke, der Brief von Frau Cornelia Pieper, Staatsministerin in Auswärtigen Amt, weist darauf hin, dass es keine rechtsförmlichen Beweise gibt. Von daher gesehen will ich darauf gar nicht weiter eingehen.