Protokoll der Sitzung vom 17.04.2008

4. Warum setzt sich der Ministerpräsident, wie in der FAZ vom 5. April 2008 berichtet, für eine Nutzung von Kohlekraft „für eine geraume Übergangszeit“ ein, in der neue Technologien weiterentwickelt werden sollten, aber nicht für die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke?

Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Conrad.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung verfolgt mit ihrer Energiestrategie für Rheinland-Pfalz, die ich in einer Regierungserklärung vorgestellt habe, vier Ziele: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige und bezahlbare Preise und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Die Landesregierung setzt ihre energiepolitischen Ziele konsequent um, unter anderem durch die Mobilisierung von Einsparenergie und Effizienzenergie in Gebäuden und bei der Wirtschaft. Ich erinnere an die Kampagne „Unser Ener macht mit – die beste Energie ist die gesparte Energie“ oder an die Programme „Produktionsintegrierter Umweltschutz“ oder „Eff-Check“ in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie an die konsequente Unterstützung der erneuerbaren Energien in einem breiten Energiemix mit einem besonderen rheinland-pfälzischen Akzent auf der Tiefengeothermie oder an die Standortsicherung energieintensiver Betriebe über angepasste Energiekonzepte.

Die Kohleverstromung kann innerhalb des Zielkanons nur eine Übergangsenergie sein. Ihre Nutzung knüpfen wir an strenge Bedingungen: an modernste Kraftwerkstechnologien, hoch effizient in Kraft-Wärme-Kopplung, d. h. Mitnutzung der bei der Stromerzeugung anfallenden Abwärme. Dies setzt verbrauchsnahe Standorte voraus, und das sind bekanntlich Ballungsräume.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung unterstützt die Entwicklung und Erprobung von CO2-Abscheidungs- und -Speichertechnologien und erwartet von der Energiewirtschaft, dass sie diese Optionen konsequent weiterverfolgt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das integrierte Energie- und Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, wie es die Große Koalition beschlossen hat und wie es von der Kanzlerin bis zum Bundesumweltminister vertreten wird, verlangt unter anderem die Erneuerung des Kraftwerkparks und die Verdoppelung der Kraft-Wärme-Kopplung von 12,5 % auf 25 % bis zum Jahre 2020. Beim Energiegipfel hat die Bundeskanzlerin mit den Energieversorgern eine Nachrüstung von knapp 20.000 Megawatt bis zum Jahre 2020 vereinbart. Die Landesregierung stimmt sowohl in der Zielsetzung einer ambitionierten Klimaschutzpolitik als auch in der Auffassung mit der Bundesregierung überein, dass es notwendig ist, die Bausteine für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung zügig umzusetzen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Gerd Schreiner namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Der Ministerpräsident hat am Beispiel des Kohlekraftwerks Mainz die Notwendigkeit betont, Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige Preise und Klimaschutz zusammen zu betrachten, weil dies im Interesse des Industrie- und Wirtschaftsstandorts RheinlandPfalz, aber auch im Interesse Deutschlands insgesamt, aber auch im Hinblick auf die Energierechnungen, die die Menschen bezahlen müssen, unverzichtbar ist.

Er hat unter anderem darauf hingewiesen, dass die Verteilung der Energieerzeugungsstandorte in Deutschland wichtig für die Netzstabilität ist und um Hochpreisregionen für Strom und damit Standortnachteile zu vermeiden. Er hat zu Recht kritisiert, dass dies bei der Diskussion um das Kohlekraftwerk Mainz absolut vernachlässigt wird, im Übrigen auch von der CDU.

Zu Frage 2: Die Antwort ist: Keine. Das Genehmigungsverfahren wird unabhängig auf der Grundlage der bestehenden rechtlichen Bestimmungen durchgeführt und bewertet diesbezügliche Einwendungen. Die Bevölkerung kann sicher sein, dass eine Genehmigung nur erteilt wird, wenn Gefahren für Umwelt und Gesundheit sicher ausgeschlossen werden können.

Zu Frage 3: Die Unterstellung, die Landesregierung würde sich über gesundheitsbezogene und ökologische Bedenken hinwegsetzen, weise ich mit allem Nachdruck zurück. (Beifall der SPD)

Ich erinnere daran, dass unsere Emissions- und Immissionsstandards zu den anspruchsvollsten der Welt zählen. Wir stützen uns auf Normen, die auf der Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Fachkompetenz, auch der von Umweltmedizinern, entwickelt worden sind und 2002 noch einmal verschärft wurden. Dies gilt auch für Feinstaub.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbstverständlich muss die Frage der Wirtschaftlichkeit von den Unternehmen beurteilt werden. Ich gehe davon aus, dass diese Frage in den Aufsichtsgremien intensiv diskutiert und bewertet worden ist, und zwar vor dem Beschluss zu der Investition, den, wie wir der Presse entnehmen konnten, auch die CDU mitgetragen hat. Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit ist nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens. Allerdings kann sich jeder bzw. jede leicht Informationen darüber verschaffen, wie sich die Stromgestehungskosten unter Betrachtung der Gesamtkosten aus Investitions-, Betriebs- und Zertifikatekosten für CO2 für die Verstromung von Braunkohle, Steinkohle und Erdgas darstellen. Auch nach Einkreisung der Zertifikatekosten für CO2-Emissionen ist danach der Kohlestrom günstiger als Strom aus Erdgas. Dies wird auch aufgrund der Rahmenbedingungen so bleiben.

Gaskraftwerke – wer ein anderes Argument haben will – sind Spitzenlastkraftwerke. Warum? Das ist so, weil sie den teuersten Strom produzieren. Windkraftstrom ist heute bereits günstiger als Strom aus Gas.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus stimmt auch der Bundesumweltminister in der Einschätzung der Rolle der Kohle als Übergangsenergie mit anspruchsvollen Standards in einen Energiemix der Zukunft mit der Landesregierung überein. Das gilt auch für die Fragen, die die Kostenrelation Kohle/Gas betreffen. Es gibt absolut keinen Unterschied in der Einschätzung.

Dies hat Sigmar Gabriel wiederholt dargestellt, zuletzt am 14. April in Mainz anlässlich des Pressegespräches im Rahmen der Biodiversitätskonferenz.

Ich will auch betonen, das Bundesumweltministerium hat keine Wirtschaftlichkeitsanalyse zum Kohlekraftwerk Mainz vorgenommen. Auch namhafte Wissenschaftler haben sich in diesem Sinne sowohl der Bundesregierung wie auch der Landesregierung geäußert, so z. B. der weltweit renommierte Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Professor Schellnhuber. Er hat anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Forschungsvorhaben „Klima- und Landschaftswandel in Rheinland-Pfalz“ (KlimLand RP) deutlich gemacht, dass es – so seine Ausführungen – nicht ganz ohne Kohle geht, auch nicht gehen muss. Er hat auch auf die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Gaskraftwerke hingewiesen.

Zu Frage 4: Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie, die nach unserer Meinung nicht zu verantworten ist, und zwar weder für heutige noch für zukünftige Generationen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben bis heute keine Endlagermöglichkeit der hoch radioaktiven Abfälle weltweit. Die Risiken der Proliferation sind nicht gelöst, d. h., die Verwendung des spaltbaren Materials aus der zivilen Nutzung für die militärische.

Es gibt keinen sicheren Schutz vor terroristischen Anschlägen. Diese Technologie verlangt gerade wegen ihrer möglichen verheerenden Folgen und ihrer großflächigen Schäden nach einer 100%igen Sicherheit. Auch Biblis hat keinen Berstschutz.

Ich erinnere an die Beinahekatastrophe in Forsmark in Schweden vor zwei Jahren, an die ernsthaften Pannen von Krümmel und Brunsbüttel. Seit 2000 gab es 1.075 meldepflichtige Ereignisse in den 17 noch laufenden Atomkraftwerken, davon in Biblis A 82, in Biblis B 92. In Philippsburg 1 hatten wir 68 meldepflichtige Ereignisse zu verzeichnen.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

Wollen Sie das nicht hören?

Erst am letzten Samstag ist es in Verbindung mit dem Abfahren des Reaktorblocks 1 zur Revision und zu einer Reaktorschnellabschaltung gekommen.

Ich sage auch zur Erinnerung, 20 Jahre nach Tschernobyl müssen wir bis heute im Pfälzer Wald und im Hochwald alle Wildschweine auf Cäsiumbelastung untersu

chen. Zusätzlich findet in den 23 Forstämtern ein Monitoring statt.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

Herr Baldauf, hören Sie bitte zu.

Dabei müssen wegen einer radioaktiven Belastung, die zum Teil das Mehrfache des Grenzwertes erreicht, insgesamt 12 % der erlegten Wildschweine, und dies 22 Jahre nach Tschernobyl, als Sondermüll entsorgt werden.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu makaber, die Gesundheitsgefährdung durch angeblich so sichere Atomkraftwerke mit der von Kohlekraftwerken in Verbindung zu setzen.

(Beifall der SPD – Pörksen, SPD: Sehr wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Atomausstieg ist nachweisbar klimaverträglich möglich,

(Licht, CDU: Wie regeln Sie das mit dem Netz?)

ohne das Ziel der CO2-Minderung um 40 % zu gefährden.

(Licht, CDU: Wie regeln Sie das?)

Wer allerdings die Erneuerung des fossilen Kraftwerkparks blockiert und eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke erzwingen will, gefährdet nicht nur das 40 %Ziel, sondern setzt die Bevölkerung bewusst den Risiken aus dem Betrieb immer älter werdender Atomkraftwerke aus.

Ich bedanke mich.

(Beifall der SPD)

Gibt es Zusatzfragen? – Ich erteile Herrn Kollegen Creutzmann das Wort.

Frau Staatsministerin, Sie haben die vielen meldepflichtigen Vorkommnisse aufgezählt. Schließen Sie daraus, dass etliche Atomkraftwerke, die bei uns noch betrieben werden, unsicher sind und damit abgeschaltet werden müssten? Ich glaube, im Parlament sind wir uns alle einig, Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.

In der Gesamtbetrachtung ja. Deshalb gibt es genau vor diesem Hintergrund das Atomausstiegsszenario, welches im Übrigen einvernehmlich mit der Energiewirtschaft beschlossen worden ist.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eymael.

Frau Ministerin, Sie sprachen bei der Energie aus Kohlekraftwerken von einer Übergangsenergie. Gleichzeitig sprachen Sie davon, dass die Atomenergie zukünftig nach Auslaufen der Genehmigungen nicht mehr zur Verfügung steht. Wie sieht Ihr Energiemix beispielsweise in den Jahren 2020 oder 2025 aus? Bisher sind beide Energiearten die Hauptbestandteile im Energiemix, die von jetzt auf gleich nicht zu ersetzen sind. Wie sieht Ihr Energiemix in der Zukunft aus?

Es gibt verschiedene belastbare Studien, die im Übrigen die Bundesregierung vorgelegt hat und die alle unter der Prämisse erarbeitet worden sind, dass man ein anspruchsvolles CO2-Minderungsziel erreichen will und der Atomausstieg – ich will Ihnen nur wenige Zahlen dazu nennen – allein durch den Ausbau der erneuerbaren Energien kompensierbar ist. Man braucht nur die Zuwachsraten hochzurechnen, die wir heute haben. Diese werden im Jahr 2025 mehr erneuerbare Energien bringen, als die Atomkraft heute an der Stromerzeugung hat. Das ist ein ganz zentraler Baustein.

Dazu wird es noch Fossilkraftwerke in einem Mix mit Kohle, aber sicherlich als Spitzenlastenergie Gaskraftwerke geben. Ein wesentlicher Baustein – das ist Bestandteil der Energieszenarien – wird in Zukunft durch die Energieeinsparung und Effizienztechnologie erbracht werden müssen; denn ohne dies wird es überhaupt nicht gehen.

Ich bin gerne bereit, Ihnen auch einmal im Ausschuss oder an anderer Stelle die verschiedenen Szenarien, die alle gegengerechnet sind, vorzustellen. Im Übrigen sind das Szenarien, wie sie auch Umweltverbände, z. B. der World Wildlife Fund, untersucht und vorgestellt haben.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Licht.

Frau Ministerin, können Sie mir vor dem Hintergrund des internationalen Strommarkts die Frage beantworten, wenn ich 100 % Ökostrom bestelle, wie viel tatsächlichen Ökostrom ich dann aus meiner Steckdose bekomme?

Ich weiß nicht, wohin diese Frage führt. Das hängt mit Ihren Verträgen zusammen. Wenn Sie 100 % bestellen,