Protokoll der Sitzung vom 05.02.2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem Jahre 2003 ist der 6. Februar der internationale Tag für null Toleranz gegen weibliche Genitalverstümmelung. Diesen Tag haben wir zum Anlass genommen, heute in dieses Plenum einen Entschließungsantrag einzubringen, der den Titel trägt: „Weibliche Genitalverstümmelung ächten – Mädchen und Frauen schützen – Betroffenen helfen“.

Ich möchte mich zu Beginn meiner Ausführungen ganz ausdrücklich bei den Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP bedanken, dass sie unsere Initiative unterstützen, sodass wir einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen in dieses Plenum einbringen können. Dies ist kein Thema, das man parteipolitisch behandeln kann, sondern es ist ein Thema, das uns alle betrifft und uns alle über Parteigrenzen hinweg angeht. Deshalb bedanke ich mich ganz ausdrücklich für diese gute Zusammenarbeit.

(Beifall im Hause)

Weltweit sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zwischen 100 Millionen und 140 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Auch in Deutschland leben ca. 30.000 Mädchen und Frauen, die betroffen sind oder von Verstümmelung bedroht sind. Selbstverständlich sind dies geschätzte Zahlen, die genauen Zahlen weiß man natürlich nicht.

Ursprünglich kommt die Genitalverstümmelung in 28 Ländern Afrikas, im Süden der arabischen Halbinsel und in einigen Ländern Asiens vor. Sie hat sich begründet und begründet sich auch heute noch in traditionellen Vorstellungen über Frauen- und Männerrollen. Aber auch in Europa und in Nordamerika gibt es seit dem ausgehenden Mittelalter Eingriffe und Genitalverstümmelungen, durch die die äußeren weiblichen Genitalien operativ manipuliert wurden. Die Begründung lautete oftmals, es sei eine Therapie bei Hysterie, bei nervösen Erkrankungen und bei Selbstbefriedigung. Die letzte bekannte Klitoris-Entfernung hat 1953 in den USA an einem 12-jährigen Mädchen stattgefunden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Brutalität dieser Vorgehensweise – im allgemeinen ohne jede Narkose –, an üblicherweise vier bis zwölf Jahre alten Mädchen solche Verstümmelungen – im umgangsprachlichen Gebrauch „Beschneidungen“ genannt – vorzunehmen, ist ein Verbrechen an Mädchen und Frauen.

(Beifall im Hause)

Es ist eine gar nicht vorstellbare Diskriminierung und Gewalt gegen das weibliche Geschlecht, die durch nichts und niemanden toleriert werden darf.

Es stellt eine Körperverletzung und auch eine schwere Menschenrechtsverletzung dar.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich ganz ausdrücklich bei der Landesregierung bedanken, die dem Gesetzesantrag zur Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien im Dezember 2009 als Mitantragsteller beigetreten ist.

Körperverletzung an sich ist zwar bereits ein Straftatbestand – darunter fällt auch die Genitalverstümmelung –, aber bei diesen Vorgängen ist es extrem wichtig, hier einen eigenen Straftatbestand zu haben, der eben nicht nur eine besondere Strafe vorsieht, sondern außerdem auch diejenigen unter Strafe stellt, die hier mithelfen, die die Mädchen überreden, sie überhaupt diesen Beschneiderinnen zuführen. Es sind meistens die Frauen, die im Sinne der Familientradition ihren Töchtern so etwas antun.

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die Mädchen, die hier in Deutschland leben, für diesen Vorgang in ihre Heimatländer gebracht werden und dann von traditionellen Beschneiderinnen beschnitten werden. Wie gesagt, dies passiert ohne Narkose. Es ist einfach irgendwie unvorstellbar.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit 25 % der betroffenen Mädchen und Frauen entweder direkt nach dem Eingriff oder eben auf längere Sicht gesehen an den Folgen dieses Eingriffs sterben.

Es fragt sich auch hier – wenn wir eben von Straftatbestand gesprochen haben –, inwieweit die Schweigepflicht der Ärzte bei einem solchen Fall überhaupt greift, wie weit die Ärzte die Schweigepflicht brechen dürfen oder sogar müssen, wenn sie bei Untersuchungen feststellen, dass eine Genitalverstümmelung vorgenommen wurde.

Wir wollen mithilfe des Landtags den betreffenden und bedrohten Mädchen und Frauen helfen. Das heißt, dieser Landtag verurteilt einhellig die Verstümmelung weiblicher Genitalien. Das ist der eine Punkt.

Zum Zweiten fordern wir die Landesregierung auf, gezielte Maßnahmen zur Prävention anzubieten, wie Aufklärung für den Schutz bedrohter Mädchen und Frauen, aber auch über Zufluchtmöglichkeiten aufzuklären, weil es, da es sich um den Bruch einer Tradition handelt, allgemein so ist, dass die Mädchen nicht in der Familie verbleiben können.

Außerdem fordern wir auf, darauf hinzuwirken, dass die von der Thematik betroffenen Berufsgruppen – wie die Erzieherinnen, wie die Lehrer und die Ärzteschaft – sensibilisiert werden, natürlich auch die Beschäftigten von Polizei und Justiz, um entsprechend sensibel mit diesem Thema umzugehen und bei kleinsten Anzeichen hilfreich den Betroffenen zur Seite zu stehen.

Ich bitte Sie, den gemeinsamen Antrag zu unterstützen.

(Beifall im Hause)

Für die CDU-Fraktion hat das Wort Frau Kollegin Hayn.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen. Es ist Zeit zu kämpfen.“ Dieser Ausspruch stammt von Waris Dirie, die bekannt ist durch ihren Bestseller „Wüstenblume“. Sie durchlitt im Alter von fünf Jahren die unerträglichen Qualen der Genitalverstümmelung. Sie war die erste Frau, die öffentlich über diese schlimme Folter sprach.

Seit 1994 ist sie als UN-Sonderbotschafterin weltweit aktiv, um aufzuklären, bedrohte Mädchen zu schützen und Opfern zu helfen.

Die Zahlen müssen uns erschüttern. Frau Sahler-Fesel hat es schon gesagt: Weltweit sind 140 Millionen Frauen und Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt. Jährlich kommen etwa schätzungsweise 3 Millionen hinzu. –

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der unmittelbaren Todesfälle auf jährlich 3 % bis 7 % oder 60.000 bis 140.000. Hinzu kommen spätere Todesfolgen durch Geburtskomplikationen oder chronische Infektionen. Die Todesrate erhöht sich auf 25 % bis 30 %.

Das Sterblichkeitsrisiko von Säuglingen misshandelter Frauen während der Geburt steigt ebenfalls um 25 % bis 30 %. Das Ausmaß der psychischen Verletzungen kann man nur erahnen. Sie begleiten die Betroffenen ein Leben lang.

Daher ist es nur folgerichtig, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien seit 1995 international als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt wird.

Bedingt durch Flucht und Migration leben heute in Europa, auch in Deutschland, immer mehr Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind. Man schätzt, es sind 30.000. Man kann sich dem Problem nicht mehr entziehen. Wegschauen wäre fatal.

So gibt es auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene Konventionen, Erklärungen und Aktionspläne im Kampf gegen diese besonders grausame Menschenrechtsverletzung.

Die Aufklärung ist deswegen so schwierig, weil die Verstümmelung meist im Kindesalter und unter Duldung eines Elternteils stattfindet. Es gilt, in mühsamen und langfristig ausgerichteten Programmen in den Familien das Unrechtsbewusstsein zu schärfen, sodass bei weiblichen Geschwistern oder Mädchen im Freundes- oder Bekanntenkreis künftig Genitalverstümmelungen abgelehnt und damit verhindert werden können.

Auf Bundesebene verständigte sich im vergangenen Juli die Große Koalition darauf, die Verjährungsfrist, die zehn Jahre beträgt, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Opfer auszusetzen. Sie sollen die Gelegenheit erhalten, Selbstanzeige gegen ihre Peinigerinnen – es sind in der Regel Frauen, die diese Eingriffe durchführen – erstatten können, wenn sie volljährig und nicht mehr so stark in ihren Familienverbund eingegliedert sind.

Die Länder Hessen und Baden-Württemberg haben darüber hinaus im Dezember einen Gesetzesantrag zur Strafbarkeit der Genitalverstümmelung gestellt. Wir haben gehört, Rheinland-Pfalz ist dem dann beigetreten. Der strafrechtliche Schutz soll auch auf Auslandstaten ausgedehnt werden, wenn das Opfer zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat; denn Mädchen sind häufig bei einem Ferienaufenthalt in ihrem Heimatland gefährdet.

Diese Initiativen sind zu begrüßen, und wir unterstützen sie ausdrücklich.

Ich möchte aber den Blick noch auf die Möglichkeiten lenken, die wir als Landtag von Rheinland-Pfalz haben. Das sind Maßnahmen zur Aufklärung und Prävention. Das Delikt der Körperverletzung und Menschenrechtsverletzung soll durch Öffentlichkeitsarbeit besonders bei Migranten bzw. Migrantenorganisationen bekannt gemacht werden und langfristig zu einem Bewusstseinswandel führen. Das Thema sollte bei der Integrationsarbeit stärker in den Blick genommen werden.

Dann gilt es, Informationen über Frauenhäuser und Beratungsstellen, die eine Zuflucht für diese Frauen sind, bereitzustellen.

Alle mit der Thematik befassten Berufsgruppen sollen fortgebildet und für das Thema sensibilisiert werden, nämlich Erzieher, Personal in Jugendämtern, Schulen, bei der Polizei und im Gesundheitswesen.

Die Bundesärztekammer zum Beispiel hat die Entbindung von der Schweigepflicht verfügt, wenn Mädchen bereits Opfer von Verstümmelung bzw. ihre Geschwister davon bedroht sind.

Meine Damen und Herren, das sind alles kleine Schritte, die mit Beharrlichkeit gegangen werden müssen, damit wir dem näherkommen, was auch Waris Dirie mit ihrem Engagement erreichen will: „Es muss aufhören, es muss einfach aufhören.“

Danke schön.

(Beifall im Hause)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Wagner das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hayn hat schon von dem Roman „Wüstenblume“ berichtet. Der Roman und auch der Film „Wüstenblume“ haben das Thema „Beschneidung von Mädchen“ in das öffentliche Bewusstsein gebracht. In einem Interview berichtet sie über diese grausame und lebensgefährliche Tradition der Frauenbeschneidung, deren Opfer, wie auch Frau Hayn schon ausführte, sie selbst im Alter von fünf Jahren war. Diese Veröffentlichung, dieses Buch, dieser Film lösten weltweit eine Welle von Mitgefühl und Protest aus.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

Waris Dirie entschließt sich, ihr Leben dem Kampf gegen dieses Ritual zu widmen. Ihre Geschichte berührte Millionen von Menschen. Auf die furchtbaren Folgen haben bereits meine Vorrednerinnen Frau Sahler-Fesel und Frau Hayn hingewiesen.

Diries Autobiografie ist ein mitreißendes Plädoyer gegen die menschenverachtende Tradition der Genitalverstümmelung. Es wird deutlich, dass die Beschneidung von Babys, Mädchen und Frauen eine tiefverwurzelte traditionelle Praktik ist.

Die Abschaffung der Beschneidung verlangt ein umfangreiches Wissen und Verständnis für die sozialen und kulturellen Wurzeln dieser Tradition.

Auch in Europa findet man Formen von Beschneidung, zum Beispiel bei Immigrantinnen. Beschneidungen der Mädchen und Frauen werden häufig beibehalten, um soziale Ausgrenzungen von Mädchen und ihren Familien zu vermeiden. Auch das muss uns klar sein.

Die Beschneidung ist in jeder Form und von jedem Gesichtspunkt aus abzulehnen. Wir müssen Aufklärung und Bildung gegen die barbarische Tradition setzen.

Berührt hat mich der Kommentar einer 12-jährigen Grundschülerin mit Namen Sakandé, ich zitiere: „In der Schule haben wir gelernt, dass Genitalverstümmelung Tod und Krankheit bringen kann. Ich würde meine Tochter niemals verstümmeln, wenn ich groß bin.“ Dieses junge, 12 Jahre alte Mädchen, gibt mir Hoffnung.

Der vorliegende gemeinsame Antrag fordert für Rheinland-Pfalz gezielte Maßnahmen zur Aufklärung, Maßnahmen zur Prävention für bedrohte Mädchen und Frauen und für betroffene Berufsgruppen und deren verstärkte Sensibilisierung. Darüber wurde schon ausführlich gesprochen. Der Weg ist lang. Denken wir voller Hoffnung an die mutige 12-jährige Sakandé, die sich gegen die Beschneidung wendet. Der vorliegende gemeinsame Antrag wird dazu beitragen, Menschen zu sensibilisieren und Betroffenen zu helfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.