Herr Minister, Sie gestehen mir doch sicher zu, dass das Verfahren in Brüssel ein Verfahren ist, in dem die Kommission feststellt, ob sie einen Bescheid erlassen muss,
dass Sie zu Unrecht gewährte Beihilfen zurückfordern müssen. Wie kommen Sie da eben zu der Einschätzung, Sie würden mit der Kommission in Verhandlungen eintreten?
Das haben wir Ihnen gestern doch schon alles beantwortet. Haben Sie gestern nicht zugehört? – Wir haben doch gestern ganz deutlich gesagt,
dass wir Gespräche mit der Europäischen Union offensiv von uns heraus suchen, um diesen Dingen, die als Vorwürfe von der Europäischen Kommission in den Raum gestellt wurden, mit unseren Argumenten zu begegnen. Wir haben aufgrund der Komplexität der Situation – so hat es die Europäische Kommission ausgedrückt – eine Fristverlängerung bis zum 15. Juni zugestanden bekommen.
Wir werden natürlich diesen Schriftsatz mit unseren Argumenten beantworten und vor Ort in Brüssel auf den unterschiedlichsten Verantwortungsebenen mit der Europäischen Kommission darüber sprechen. Ich glaube schon, dass man solche Gespräche durchaus auch als Verhandlung bezeichnen kann, um dann ein für das Land beste Ergebnis erreichen zu können.
Herr Minister, Sie haben eben in Ihrer Addition von 42,8 Millionen Euro zinslosem Darlehen berichtet. Können Sie bestätigen, dass es ein weiteres Darlehen von 96,574 Millionen Euro ebenso zinslos gab, und wer trägt die Refinanzierung?
Ich habe Ihnen eben angeboten, und das auch noch einmal ausdrücklich mit der Kürze der Zeit begründet, ich will Ihnen exakte Angaben, was Zahlenkolonnen angeht, machen. Dass wir diese Dinge gerne nachliefern, nehme ich gerne mit auf.
Waren nach Ihrer Erinnerung, Herr Minister, in Ihrer Funktion damals als Staatssekretär und/oder auch als Minister die Gewährung dieser Darlehen Themen in den Staatssekretärsrunden beziehungsweise in der Ministerratsrunde?
Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Peter Wilhelm Dröscher (SPD) , Pflege-Neuausrichtungsgesetz – Nummer 5 der Drucksache 16/1205 – betreffend, auf.
1. Wie beurteilt die Landesregierung den Gesetzentwurf insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz?
2. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der Landesregierung nötig, um ein Konzept für eine nachhaltige und sozial gerechte Finanzierung der Pflege zu erreichen?
3. Welche Initiativen hat das Land unternommen, um ein Gesamtkonzept zur Neuausrichtung der Pflege zu erreichen?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp und Peter Wilhelm Dröscher beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt weit hinter den Notwendigkeiten und Erwartungen
zurück. Die erforderliche Neuausrichtung der Pflege ist wieder einmal verschoben worden. Die notwendigen Weichen für eine umfassende, solidarische, gerechte und zukunftssichere Reform der Pflege wurden nicht gestellt.
Zwar gehen einzelne Maßnahmen wie die teilweise höheren Leistungen für Menschen mit Demenz sowie die Ansätze zur Flexibilisierung des Leistungsrechts in die richtige Richtung, aber der Gesetzentwurf enthält kein Gesamtkonzept für die Zukunft der Pflege. Durch Einzelmaßnahmen kann keine Neuausrichtung der Pflege erreicht werden.
Es fehlt eine Einführung des mit breitem Konsens getragenen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Damit werden auch weiterhin die Leistungen der Pflegeversicherung vorwiegend nach dem Zeitaufwand vergeben. Die Pflegebedürftigkeit orientiert sich am Bedarf der Grundpflege und nicht am Grad der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit eines Menschen. Damit erhalten Menschen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz, also besonders Menschen mit Demenz, nicht die notwendigen Leistungen.
Auch die Finanzierung der durch die Reform erzeugten Mehrkosten durch eine Beitragserhöhung stellt keine nachhaltige Sicherung der Pflegeversicherung dar. Hierdurch werden lediglich die Ausgaben bis zum Jahr 2015 abgedeckt. Wir brauchen eine grundlegende neue Finanzierungsstruktur für die Pflegeleistungen.
Ausgesprochen problematisch bewerte ich die Einführung von Beratungsgutscheinen, die nach der Vorstellung der Bundesregierung von den Pflegekassen ausgegeben werden können. Mit diesen Gutscheinen soll sich der Versicherte künftig auf dem freien Markt der Pflegeberatung die für ihn geeignete Pflegeberatung einkaufen können.
Einmal unabhängig davon, dass es bisher für diese neue Beratungsleistung keinerlei Qualitätsanforderungen gibt und der Versicherte sicherlich kaum zwischen Scharlatanen und geeigneter Beratung unterscheiden kann, bedroht dieser Vorschlag die nicht zuletzt auch mit Landesmitteln aufgebaute Beratungsstruktur der 135 Pflegestützpunkte in Rheinland-Pfalz.
Ich bin froh, dass die Idee eines freien Pflegeberatungsmarktes von fast allen Bundesländern abgelehnt wird. Hier hoffe ich auf die politische Einsicht auch des Deutschen Bundestages.
Zu Frage 2: In einem Eckpunktepapier hatte die Bundesregierung im Spätherbst 2011 die Ziele einer Pflegereform skizziert. So wollte sie die für Menschen mit einer Demenzerkrankung notwendigen Betreuungsleistungen über die Pflegeversicherung finanzieren, die ambulanten Leistungen stärken, pflegende Angehörige im Alltag besser unterstützen, das Prinzip „Rehabilitation vor Pflege“ fördern, gemeinsame Kur- und Rehamaßnahmen für pflegende Angehörige und den pflegebedürftigen Menschen ermöglichen, Bürokratie abbauen und die Arbeitssituation der pflegenden Berufe verbessern.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird diesen Zielen nicht gerecht. Es gibt zwar eine finanzielle Besserstellung von demenziell erkrankten Menschen, die aber auf der Grundlage des alten Pflegebedürftigkeitsbegriffs gezahlt werden. Konkret bedeutet das: Ein schwer verwirrter Mensch, der keinen Bedarf an Grundpflege hat, erhält maximal Pflege- bzw. Betreuungsleistungen in Höhe von bis zu 225 Euro plus maximal 200 Euro für niedrigschwellige Angebote.
Das wird dem Bedarf schwer demenziell erkrankter Menschen aber nicht gerecht. Die gemeinsamen Kur- und Rehamaßnahmen, die der Bundesgesundheitsminister groß angekündigt hatte, wurden aus dem Referentenentwurf gestrichen. Stattdessen gibt es Regelungen, die zu mehr statt zu weniger Bürokratie führen werden. So sollen freie Gutachter dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen Konkurrenz machen. Dafür sind zusätzliche Vereinbarungen, Qualitätssicherungsprogramme und zusätzliche Leistungsabrechnungen erforderlich.
Es sollen Beratungsgutscheine eingeführt werden. Auch hier müssen zusätzliche Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit den in Zukunft niedergelassenen Pflegeberatern und -beraterinnen abgeschlossen werden.
Zu Frage 3: Die wichtigste Maßnahme wird sein, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einzuführen. Die Vorschläge dazu liegen seit 2009 auf dem Tisch.
Zur Sicherung von Niveau und Qualität der Leistungen der Pflegeversicherung ist diese mit weiteren Finanzmitteln auszustatten. Unerlässlich ist hierfür die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung unter umfassender Einbeziehung der bisher privat versicherten Menschen. Hierdurch wird die Aufspaltung der Gesellschaft nach zahlungskräftigen und weniger zahlungskräftigen Versicherten verhindert.
Zusätzlich brauchen wir Maßnahmen mit kostenbegrenzenden Wirkungen. Dies gelingt durch Prävention, niedrigschwellige Betreuungsangebote, ambulante Versorgung und die Stärkung der Pflege durch Angehörige. Diese Maßnahmen erzeugen ihren Entlastungseffekt dadurch, dass vollstationäre Pflege vermieden wird. Angehörige brauchen mehr Unterstützung als bisher.
Zu Frage 4: Ich habe als Gesundheits- und Sozialministerin die Aufgabe, die politischen Initiativen der sogenannten A-Länder bei der Pflege zu koordinieren. Schon im letzten Jahr, im Jahr der Pflege, hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Rheinland-Pfalz ein Grundsatzpapier entwickelt, in dem die wesentlichen Maßnahmen zur Neuausrichtung der Pflege beschrieben und erläutert wurden. Dieses Positionspapier der A-Länder war Grundlage für einen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2011, in dem diese Positionen aufgegriffen wurden.
Rheinland-Pfalz hat auch für die A-Länder die Formulierung eines Grundsatzantrags im Bundesrat zum PflegeNeuausrichtungsgesetz übernommen. Dieser Antrag wurde bisher von der Mehrheit der Länder in den Ausschüssen des Bundesrats angenommen. Der Antrag
zielt auf eine tatsächliche Neuausrichtung der Pflege mit dem Ziel, dass demenziell erkrankte Menschen und ihre pflegenden Angehörigen möglichst bald und nicht erst in drei Jahren, wie von der Bundesregierung geplant, die für sie notwendigen Leistungen erhalten, damit sie möglichst lange in ihrer eigenen Häuslichkeit leben können.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wie Sie ausgeführt haben, warten wir seit Jahren auf das Pflege-Neuausrichtungsgesetz. Meine Frage gilt dahin gehend: Demografischer Wandel bedeutet einen großen Bedarf an Fachkräften. Bietet die Ausrichtung des neuen Gesetzes für unser Land die ausreichende Möglichkeit, Fachkräfte im Bereich der Pflege zu akquirieren?
Frau Abgeordnete, der Gesetzentwurf – ich habe das dargestellt – ist insgesamt unzureichend und lässt vor allem die Angehörigen von demenziell erkrankten Menschen zurück. Aber er bietet auch keinerlei Anreize oder Hinweise darauf, wie im Bereich der Fachkräftesituation weiter gehandelt werden soll.
Wir haben in dieser Diskussion weder die Frage der Ausbildung oder der Weiterqualifizierung angesprochen noch die Diskussion über beispielsweise neue Aufgabenverteilungen geführt und in diesem Gesetzentwurf nichts für die sozialräumliche Organisation der Pflege zu sehen bekommen, die ein Zusammenwirken von Pflegefachkräften und Ehrenamt erleichtern würde.