Protokoll der Sitzung vom 08.03.2013

Minijobs werden im Prinzip hochgejubelt. Die Bundesregierung will die Entwicklung beobachten. Wahrscheinlich endet der Bericht dann so wie der Armutsbericht oder der Gleichstellungsbericht. Heute Morgen haben wir gesehen, dass daraus keine Konsequenzen gezogen werden.

Frau Kohnle-Gros, das, was Sie uns im Gleichstellungsausschuss einmal von Ihrer Mutter und deren Nachbarin und dem Thema „400-Euro-Job und Rente“ erzählt haben, sollten Sie auch einmal in Ihrer Fraktion erzählen und dort deutlich machen, wo das Problem liegt und dass wir eine Reform der geringfügigen Beschäftigung brauchen.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros)

Wir wollen eine Reform der geringfügigen Beschäftigung, um diesen negativen Entwicklungen entgegentreten zu können. Dafür haben wir mehrere Leitlinien.

Das eine ist natürlich der Mindestlohn. Den haben wir gestern intensiv diskutiert. Ich meine, das müssen wir heute an der Stelle nicht noch einmal tun. Dazu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen.

Wir brauchen eine Verbesserung der Aufklärung über die Arbeitnehmerrechte. Man muss sich Gedanken darüber machen, wie man Frauen in geringfügiger Beschäftigung darüber aufklären kann, dass sie die gleichen Arbeitnehmerinnenrechte haben wie alle anderen Beschäftigten. (Glocke der Präsidentin)

Besonders wichtig ist: Wir müssen das Steuersystem auf Fehlanreize hin überprüfen. Ich meine, hier liegt die zentrale Herausforderung gerade für den ländlichen Raum. Wir wollen die Frauen stärken; wir wollen eine eigene Existenzsicherung für Frauen. Wir müssen das angehen, wir wollen das angehen, und wir werden das spätestens ab dem 23. September tun.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Frau Kollegin Thelen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es geht um etwa 7,4 Millionen Menschen, die in sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Von denen sind etwa 4,8 Millionen Menschen nur in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt. Die anderen leisten diese Arbeit in sogenannten Nebenjobs. Das sind etwa – abhängig von den Zahlen, auf die man zurückgreift – 2,4 bis 2,6 Millionen Menschen.

Wir möchten feststellen, dass diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse Chancen bieten. Sie bieten sowohl Chancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber, aber sie haben auch Nebenwirkungen, derer wir uns sehr wohl bewusst sind, Frau Dr. Machalet. Ich habe vorhin hineingerufen, damit Sie das nicht überlesen, dass wir auf diese problematischen Nebenwirkungen durchaus auch in der Nummer 2 unseres Antrags eingehen.

Natürlich ist es nicht gut, wenn jemand über viele Jahre hinweg ausschließlich in geringfügiger Beschäftigung arbeitet und sich selbst nicht informiert und darüber aufklären lässt, welche Nebenwirkungen diese Beschäftigungsform hat. Die sind tatsächlich nicht ohne, gerade wenn es um die Alterssicherung geht. Da hat aber die neue Rechtslage, die von der Bundesregierung und vom Bundestag im vergangenen Jahr beschlossen wurde, durchaus eine positive Veränderung gebracht.

Ich will aber noch einmal ganz kurz den Blick auf den Werdegang werfen. Wir hatten unter Schröder eine Lockerung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die 2003 beschlossen worden und 2004 in Kraft getreten ist. Man hatte vorübergehend die Nebenjobs nur noch sozialversicherungspflichtig eingerichtet. Das hat zu großen Problemen in vielen Familien geführt, in denen gerade der Nebenjob zum Beispiel der Ehepartnerin fest in die Finanzierung eines Eigenheims einkalkuliert war und damit zur Disposition stand, weil nachher bei diesem Nebenjob kaum noch etwas herumkam. Das hat auch die damals von Schröder geführte SPDBundesregierung eingesehen und diese Verknüpfung wieder aufgegeben, sodass man ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis neben einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausüben konnte, ohne dass es den Sozialabgaben komplett unterworfen ist.

Wir haben seit 2003 den maximalen Verdienst bei diesen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auf 400 Euro festliegen gehabt. Das waren bis 2012 zehn Jahre. Ich meine, eine Anpassung um 50 Euro nach zehn Jahren ist ein Stück weit Anpassung an sich zwischenzeitlich veränderte Kosten und auch an Lohnsteigerungen. Daher war sie absolut gerechtfertigt.

Es kommt aber hinzu – ich meine, es ist wichtig, das in dem Zusammenhang noch einmal zu sagen –, dass die neue Rechtslage gerade auch eine Verbesserung bei der Rentenversicherungspflicht vorsieht. Wenn man einmal davon ausgeht, dass viele nur vorübergehend in geringfügiger Beschäftigung arbeiten, ist es wichtig, sich auch während dieser Zeit die Rentenversicherung zu erhalten. Heute wird gesetzlich davon ausgegangen, dass man in die Rentenversicherung einzahlt. Man hat die Möglichkeit zu erklären, dass man das nicht möchte.

Wir sagen ausdrücklich, dass die geringfügige Beschäftigung Chancen sowohl für die Arbeitskräfte als auch für die Unternehmen bietet, aber die Unternehmen haben dabei die Aufgabe, für eine verträgliche Balance im Verhältnis zu Voll- und Teilzeitstellen zu sorgen. Der Einsatz von geringfügig Beschäftigten ist nicht als Grundlage für ein Geschäftsmodell gedacht, sondern als sinnvolle Ergänzungsmöglichkeit im Beschäftigungsspektrum. Die tatsächliche Entwicklung ist zu beobachten und zu analysieren, um zeitgerecht notwendige politische Schlussfolgerungen ziehen zu können. Das hat die Bundesregierung zugesagt, und das kann man in der Bundestags-Drucksache 17/6986 nachlesen.

Es ist uns also bewusst, dass diese Möglichkeit nicht nur Licht, sondern auch ein Stück weit Schatten aufweist. Liebe Kolleginnen von SPD und GRÜNEN, so viel Schatten, wie Sie deutlich machen, hat diese Beschäftigungsform allerdings nicht. Sie malen eine riesige Verdrängung an die Wand. Ich habe wirklich intensiv recherchiert – auch bei der BA und beim IAB in Nürn- berg –, um wirklich Belege für diese Verdrängung zu bekommen. Es lässt sich bestenfalls die Tendenz ablesen, dass in kleineren Betrieben reguläre Beschäftigung durch geringfügige Beschäftigung ersetzt wird. Ich halte das nicht für gut – nicht, dass ich da missverstanden werde –, aber in dem Maße, wie Sie das intendieren, ist das nicht der Fall.

(Beifall der CDU)

In großen Betrieben wird festgestellt, dass es eine gleichmäßige Entwicklung beim Aufbau der normal Beschäftigten, also der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, und der geringfügig Beschäftigten gibt. Daher folgt der Aufbau im Prinzip der wirklich hervorragenden Entwicklung, die wir seit einigen Jahren in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt – ich sage, auch dank der guten Politik von Angela Merkel – feststellen können.

(Beifall der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Nun zu dem weiteren Menetekel, das Sie an die Wand malen, nämlich dass mit der Erhöhung von 400 Euro auf 450 Euro mit einem riesigen Zuwachs in diesem Bereich gerechnet werden müsste. Dann gehen Sie davon aus, dass fast alle Menschen, die geringfügig beschäftigt sind, bisher genau bis zur Höchstgrenze von 400 Euro arbeiten und jetzt sehnlichst darauf warten, ihr Beschäftigungsverhältnis auf 450 Euro erhöhen zu können.

Ich sage Ihnen einmal, wie heute die monatlichen Bruttoarbeitsentgelte im Schnitt für geringfügig entlohnte Beschäftigte aussehen. Ich nenne nur die Höchstbeträge

im Westen und bei Frauen. Interessanterweise verdienen bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen die Frauen etwas mehr. Die Durchschnittswerte liegen in Deutschland West bei 304 Euro monatlich. Sie liegen also noch lange nicht bei 400 Euro, geschweige denn bei 450 Euro. Bei den Frauen liegen sie sogar mit 308 Euro ein bisschen höher, während es bei den Männern mit 289 Euro etwas schlechter aussieht.

So stellt sich die Situation dar. Es gibt also überhaupt keinen Grund zu erwarten, dass jetzt durch eine Erhöhung um 50 Euro im Monat ein riesiger Zustrom und eine riesige Ausdehnung in diesem Bereich stattfinden wird.

Es ist richtig, dass geringfügig Beschäftigte wie andere Beschäftigte die gleichen rechtlichen Schutzbestimmungen geltend machen können und sie auch tarifvertragliche Ansprüche haben. Es ist bedauerlich, dass viele entweder diese Rechte nicht kennen oder nicht bereit sind, sie bei ihrem Arbeitgeber einzufordern.

Aufklärung ist sicher immer gut, auch jetzt in der Situation mit den neu erhöhten Beträgen. Aber der Mindestlohn wird auch da nicht helfen. Interessanterweise liegt der durchschnittliche Lohn bei diesen Beschäftigungsverhältnissen auch bei den Frauen schon höher, als Sie mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro anstreben. Da kann ich Ihnen noch einmal den Mindestlohn nennen. – Ich habe ihn jetzt nicht da. Ich reiche ihn gerne in der Debatte noch nach. Jedenfalls liegen auch hier die Frauen bei um die 9 Euro und damit jenseits des Mindestlohns. (Glocke der Präsidentin)

Ich hoffe, Sie können sich mit dieser Regelung arrangieren. Wir sind gerne dabei, wenn es um die Aufklärung der Betroffenen geht.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Spiegel das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Thelen, ich muss Ihnen schon sagen – ich werde das auch gerne ausführen –, dass wir bei der gesamten Debatte um die Minijobs viel Schatten und wenig Sonnenschein sehen. Wenn man sich die Situationen der Frauen differenziert und genau betrachtet, die hauptsächlich in solchen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind – das hat Frau Kollegin Dr. Machalet auch schon ausgeführt –, dann tun sich einige sehr problematische arbeitsmarktpolitische und gleichstellungspolitische Fragestellungen auf.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es geht hier nicht um die Arbeitsplätze, sondern um das Lohnniveau. Gerade in Rheinland-Pfalz gibt es viele Minijobs. Es wurde schon darauf hingewiesen, allein im Kreis Trier-Saarburg sind über 40 % aller Frauenarbeitsplätze Minijobs. Das ist eine Entwicklung, die uns sehr bedenklich vor dem Hintergrund stimmen sollte,

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Wer regiert denn in diesem Land?)

was das für die Frauen dann später bedeutet.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das ist ja furchtbar! Unfassbar!)

Es ist deswegen wichtig, dass wir uns mit den Minijobs differenziert auseinandersetzen und hier auch einige Probleme klar beim Namen benennen. Das ist übrigens etwas, was mir an dem Alternativantrag der CDU überhaupt nicht gefällt, nämlich diese positive Konnotation – ich habe mehrmals im Antrag das Wort „Chancen“ wahrgenommen – im Zusammenhang mit Minijobs. Das kann ich an dieser Stelle nicht sehen; denn die Minijobs bergen für die Frauen, die in diesen Bereichen beschäftigt sind, die Gefahr der Altersarmut. Ich weiß nicht, wie Sie da für die Frauen von Chancen sprechen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Gerade wenn man die Arbeitnehmerinnenperspektive bei den Minijobs einnimmt, so hat sich die vielfach beschworene Brückenfunktion, also die Möglichkeit, über einen Minijob wieder in ein normales Beschäftigungsverhältnis zu kommen, in der Realität als überhaupt nicht umsetzbar gezeigt, ganz im Gegenteil. Viele Frauen sind dann weiterhin in den Minijobs tätig, und es gelingt ihnen eben nicht der Sprung in ein normales Beschäftigungsverhältnis.

Gleichzeitig sagen aber die Statistiken, dass zwei Drittel der Minijobberinnen sich ganz dringend wünschen, mehr arbeiten zu können. Hier liegt auch noch einiges im Argen.

Die Kollegin von der SPD hat schon darauf hingewiesen, wenn man sich das Lohnniveau betrachtet und sich ernsthaft damit auseinandersetzen möchte, wie wir die Frauen später davor bewahren können, in die Altersarmut zu rutschen, dann ist es einfach unabwendbar und endlich notwendig – das sagen auch weite Teile der Gesellschaft –, dass wir den Mindestlohn einführen, und zwar einen allgemeinen armutsverhindernden Mindestlohn. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

An dieser Stelle muss ich auch sagen, dass selbst die Bundesarbeitsministerin und die Bundesfamilienministerin sich kritisch gegenüber der Ausweitung von Minijobs zeigen. Insofern zeigt sich, diese positive Konnotation, die Sie in Ihrem Antrag haben, wird noch nicht einmal von Ihren eigenen zuständigen Bundesministerinnen an dieser Stelle geteilt, weil man natürlich auch die arbeitsmarktpolitischen und frauenpolitischen Probleme, die sich daraus ergeben, an dieser Stelle sieht.

Wir brauchen also einen Mindestlohn. Wir brauchen eine Zuspitzung auf die Frage, ob wir eine existenzsichernde Beschäftigung für Frauen an dieser Stelle weiterentwickeln wollen oder ob es weiterhin eine abhängige Beschäftigung bleibt. Die Minijobs sind nun einmal ein Beschäftigungsverhältnis, das auch das Rollenmodell zementiert, in dem es einen zumeist männlichen Alleinverdiener gibt und eine Frau, die dazuverdient. Das mag – das hat auch Frau Kollegin Dr. Machalet skizziert – in dem einen oder anderen Fall für den Moment für die Arbeitnehmerin und für die Arbeitgeber eine ganz bequeme Situation sein. Das mag ich gar nicht bestreiten. Das ist aber auf die Zukunft gesehen für die Familie und vor allen Dingen für die Frau eine Milchmädchenrechnung, weil sie bei Scheidung oder dann, wenn sie alleinerziehend wird, aus welchen Gründen auch immer, in massive Probleme kommt. Diese Frauen rutschen uns dann in die Armut. Meine Damen und Herren, das können wir doch sehenden Auges so nicht zulassen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Fünf Minuten sind leider recht kurz, um wirklich komplexe und tragfähige Alternativen aufzuzeigen, was wir denn tatsächlich mit den Minijobs machen können, wie wir ein neues Modell aufzeigen können. Deswegen möchte ich auf einen wirklich guten Fachbeitrag der „Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht“ hinweisen, erschienen jetzt im ersten Quartal 2013.

(Glocke der Präsidentin)

Gleich auf den ersten fünf Seiten ist ein Beitrag „Fragen und Antworten zum Reformvorschlag der Neuordnung der geringfügigen Beschäftigung“. Es ist ein sehr lesenswerter Artikel, liebe CDU. Danach können wir noch einmal diskutieren.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung erteile ich Arbeitsminister Schweitzer das Wort.