Protokoll der Sitzung vom 14.10.2014

Die Wahl aber jetzt komplett zu Hause zu machen, ist äußerst bedenklich im Sinne der Verfassung. Das ist so auch von den Anzuhörenden gesehen worden. Dort war kein Einziger, der Ihre Meinung geteilt hat. Es gab keinen Einzigen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Von daher zu sagen, dass Ihren Empfehlungen gefolgt wird, halte ich für reichlich gewagt und reichlich daneben. Im Übrigen möchte ich noch einen Hinweis geben. Ich habe dieser Tage in der „Stuttgarter Zeitung“ einen kleinen Artikel gelesen, der sich damit beschäftigt, wie das Wählerverhalten der 16- bis 17-Jährigen ist. Dort ist klar gesagt worden, in vielen ausgesuchten Bereichen, in denen man das untersucht hat, haben die 16- bis 17Jährigen eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als die älteren Erstwähler.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus hatten sie eine höhere Wahlbeteiligung als beispielsweise die Gesamtzahl der Wahlberechtigten. Wenn Sie denn Reformen anstoßen möchten, hätten Sie genau an diesem Punkt deutlich machen können, wie weit Ihr Reformwille gediehen ist. Diesem haben Sie sich aber verschlossen. Das zahlt sich jetzt aus.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Schellhammer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen wir natürlich jederzeit offen und positiv Vorschlägen gegenüber, wie wir unsere Demokratie weiterentwickeln können, wie wir Wählerinnen und Wähler motivieren können, zur Wahl zu gehen. Ich muss aber sagen, die Bedenken, die wir bei der ersten Beratung im Plenum geäußert haben, haben sich leider in der Anhörung bestätigt. Eine niedrige Wahlbeteiligung und ungültige Stimmabgaben müssen selbstverständlich Demokratinnen und Demokraten immer wieder anhalten, über Politik, aber auch über das Wahlsystem nachzudenken und es zu prüfen.

Es ist schon erwähnt worden, wir haben ein äußerst anspruchsvolles Wahlsystem in Rheinland-Pfalz bei den Kommunalwahlen, das aber auch den Wählerinnen und Wählern viel Einflussmöglichkeiten gibt, ihre kommunalen Parlamente in der Zusammensetzung zu beeinflussen.

Wir müssen uns aber natürlich Ihrer Zielsetzung, die Sie auch in Ihrer Gesetzesänderung formulieren, annähern, nämlich der Frage, wie wir die Hürden für die Bürgerinnen und Bürger bei der Stimmabgabe verringern können. Das ist eine wichtige Frage.

Die Anhörung hat aber gezeigt, die Maßnahmen, die Sie in Ihrer Gesetzesänderung formulieren, sind hier leider nicht zielführend für diese wichtige Zielsetzung. Die Anhörung hat gezeigt, dass wir unsere ablehnende Haltung durch die Ablehnung dieses Gesetzes zum Ausdruck bringen müssen. Ich möchte drei Gründe für unsere Ablehnung nennen.

Sie haben angeführt, dass die Stimmabgabe der Bürgerinnen und Bürger besser vorbereitet sei, wenn diese die Stimmzettel vorher nach Hause geschickt bekommen. Schon jetzt ist es möglich, dass sich Bürgerinnen und Bürger deutlich besser informieren, nämlich durch die Verschickung von Musterwahlzetteln mit der Wahlbenachrichtigung. Hier kann man noch deutlich mehr machen, aber auch bei der Frage, ob es digitale Musterwahlzettel gibt, die auch eine Rückmeldung geben, ob

der jeweilige Stimmzettel gültig ist. Auch hier können wir ohne Gesetzesänderung schon deutlich mehr machen.

Ich habe eine entsprechende Rückfrage an den CDUVerbandsbürgermeister Reiland gestellt, der keine Musterwahlzettel verschickt. Wenn es Ihnen also so wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger vor der Stimmabgabe besser informiert werden, dann finde ich, sollten Sie dies auch in Ihren Kommunen umsetzen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ein wichtiges Argument hat uns Professor Faas in der Anhörung geliefert. Er hat die ungültigen Stimmen bei der Wahl durch die Briefwahl zu Hause und die ungültigen Stimmen durch den Urnengang in der Wahlkabine verglichen. Hier lässt sich kein signifikant messbarer Unterschied feststellen. Ihr Argument, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Zeit zur Stimmabgabe brauchen, fällt somit völlig in sich zusammen; denn es gibt keinen Unterschied bei Briefwahl und Urnengang in der Kabine, der sich auch wirklich politikwissenschaftlich und empirisch messen lässt.

Der Blick nach Baden-Württemberg zeigt die unterschiedlichen ungültigen Stimmen in Baden-Württemberg – bei der letzten Kommunalwahl 3,1 %, ein leichter Rückgang von minus 0,1 % – und Rheinland-Pfalz, wo wir bei der letzten Kommunalwahl 3,0 % ungültige Stimmen hatten. Wir liegen also noch unter BadenWürttemberg. Der Rückgang um minus 0,6 % ist deutlich. Deswegen gibt es auch keine Veranlassung, auf der Grundlage der letzten Kommunalwahl diese Gesetzesänderung vorzunehmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Vizepräsidentin Frau Klamm übernimmt den Vorsitz)

Das für uns wichtigste Gegenargument gegen Ihre Gesetzesänderung sind natürlich die verfassungsrechtlichen Bedenken. Professor Dr. Meyer hat klar gesagt, dass die Einhaltung unserer Wahlgrundsätze unfassbar wichtig ist, dass es klar ist, dass es eine geheime und eine freie Wahl ist. Die vorgeschlagene Auswahl, die Sie in dem Entwurf für eine Gesetzesänderung formulieren, wäre nur gerechtfertigt, wenn es tatsächlich einen Effekt gäbe. Der Effekt ist aber empirisch und politikwissenschaftlich nicht messbar. Nur dann könnte man überhaupt darüber nachdenken, das Verfassungsgebot der geheimen und freien Wahl tatsächlich in irgendeiner Art und Weise einzuschränken. Dieser Effekt ist aber nicht zu erwarten.

Stattdessen fordern Sie ohne Kompensation eine Verlagerung des Wahlgangs nach Hause. Sie verstoßen damit gegen diesen wichtigen Wahlgrundsatz.

Das Risiko einer möglichen Wählerbeeinflussung ist schon bei der Briefwahl gegeben. Professor Dr. Meyer hat uns auch hier einen wichtigen Hinweis gegeben, dass auch unter Verfassungsrechtlern eine Diskussion stattfindet, inwieweit das Maß der Briefwahl noch dem Verfassungsgebot der geheimen und freien Wahl entspricht.

Wenn wir bewerten, wie sich das Verfassungsgericht in Rheinland-Pfalz Anfang dieses Jahres zum Thema Wählerbeeinflussung geäußert hat, als es um das Paritätsgesetz ging, wäre es auch fahrlässig, einen weiteren verfassungsrechtlich bedenklichen Schritt zu gehen.

Die drei Gründe – eine bessere Information der Bürger ist schon jetzt möglich, beim Wählen zu Hause gibt es keinen Unterschied, und die verfassungsrechtlichen Bedenken –

(Glocke der Präsidentin)

führen dazu, dass wir seitens der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieses Gesetz ablehnen werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank. Für die Landesregierung hat Herr Staatssekretär Kern das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren des Parlamentes, verehrte Zuschauer auf den Zuschauertribünen!

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Entschuldigung, bleiben Sie friedlich, und hören Sie zu.

(Schneiders, CDU: Das ist nicht Usus hier im Haus!)

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Stimmzettel bei den personalisierten Verhältniswahlen spätestens drei Tage vor der Kommunalwahl an die Wahlberechtigten versendet werden.

In der Vergangenheit wurde bereits mehrfach über die Versendung sämtlicher Stimmzettel vor den allgemeinen Kommunalwahlen diskutiert, und es werden Argumente ausgetauscht.

Die Fraktion der CDU verbindet mit dem eingebrachten Gesetzentwurf die Hoffnung, dass die Versendung der Stimmzettel vor den Wahlen auch dazu beiträgt, die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen zu erhöhen und den Anteil der ungültigen Stimmen zu senken. Der Gesetzentwurf soll, so die Begründung, ein konkreter Schritt hin zu mehr Bürgerfreundlichkeit in diesem Land sein.

Meine sehr geehrte Damen und Herren, grundsätzlich befürworte ich die genannten Ziele ausdrücklich und unterstütze sie auch in jeder Hinsicht. Ich sage aber auch ganz klar und deutlich, der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU trägt nicht dazu bei, diese Ziele zu erreichen. Vielmehr bestehen gegen ihn verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Anhörung der Sachverständigen zum Gesetzentwurf im Innenausschuss am 11. September 2014 hat es unmissverständlich aufgezeigt. Ferner wurden die Argumente, die immer wieder von der Fraktion der CDU vorgetragen wurden, aus empirischer Sicht widerlegt.

Zusammenfassend will ich in der heutigen abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes auf drei für mich wichtige Gesichtspunkte eingehen.

1. Wie bereits ausgeführt, wurden durch die Anhörung die von der Landesregierung stets vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken bestätigt. Der gravierendste Einwand gegen die vorgeschlagene Hauswahl liegt in der kompensationslosen Aufgabe jeglichen staatlichen Einflusses auf die Einhaltung der Verfassungsgebote einer geheimen und freien Wahl. Diese klare Aussage hat Professor Dr. Dr. h.c. Meyer in seiner schriftlichen Stellungnahme getroffen. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

2. Der Sachverständige Herr Professor Dr. Faas von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz erläuterte in der Anhörung, dass man sich aus empirischer Sicht von der Änderung des vorgelegten Gesetzentwurfes nicht allzu viel erhoffen kann. Bei der Wahlbeteiligung habe sich in Deutschland gezeigt, dass die Höhe der Wahlbeteiligung bei Bundes-, Landtags-, Kommunal- und Europawahlen mit der Wichtigkeit korrespondiert, die die Bürgerinnen und Bürger den jeweiligen Parlamenten zuschreiben.

3. Von institutionellen Änderungen können nur kleine Verbesserungen erwartet werden. Um eine höhere Wahlbeteiligung zu erreichen, seien andere Akteure wichtig. Nach der Auskunft des Leiters des Amtes für Statistik der Stadt Stuttgart liege die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in seinem Bundesland, also in dem Land, in dem die Stimmzettel vor den Wahlen verteilt werden, noch niedriger als in Rheinland-Pfalz.

Die Untersuchungen hätten ferner ergeben, so Herr Professor Dr. Faas, dass in Baden-Württemberg die Zahlen der ungültigen Stimmen nur sehr gering von denen in Rheinland-Pfalz differieren. Ich darf auf die Aussagen von Frau Abgeordneter Schellhammer hinweisen.

Bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf sind auch die finanziellen Kosten und der Aufwand für die Kommunen in den Blick zu nehmen. An der Anhörung teilte der Sachverständige aus Baden-Württemberg hierzu mit, dass in seinem Bundesland die Kosten für die Versendung der Stimmzettel vor den Wahlen etwa ein Viertel der Gesamtkosten, die allein für die Wahl nötig sind, betragen würden. Man würde zum einen mehr Stimmzettel benötigen und die Portokosten seien enorm. Zudem sei, so der Sachverständige, in kleinen Gemeinden das Rathaus für Tage lahmgelegt.

Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang einen kurzen Einblick in die Sorgen der kommunalen Praxis in Rheinland-Pfalz geben. Vor zwei Wochen fand in Boppard unter Leitung des Landeswahlleiters, unter Beteiligung des Innenministeriums und der kommunalen Seite die sogenannte Wahlnachlese zu den Kommunal

wahlen statt. In der Besprechung wurde auch über den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und den Stand des Gesetzgebungsverfahrens informiert. Vertreter der kommunalen Praxis fragten daraufhin sofort nach, ob bei den Beratungen auch die Kosten und der Verwaltungsaufwand für die Kommunen beachtet werden. Dies zeigt deutlich, welche Sorgen die Kommunen haben.

(Pörksen, SPD: Zu Recht!)

Das kann ich aus jahrelanger kommunalpolitischer Erfahrung als Leiter eines Wahlamtes und als Wahlleiter soweit bestätigen.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Landeswahlleiter, die Kommunen und die Landesregierung sind dabei, die Erfahrungen der diesjährigen Kommunalwahl auszuwerten und zu analysieren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass vor der nächsten Kommunalwahl 2019 durchaus noch Möglichkeiten zur Gesetzesänderung bestehen, wenn es diese Grundlagen gibt. Nach meiner Einschätzung hat die Anhörung gezeigt, dass durch den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU keine wesentlichen Verbesserungen zu erwarten sind. Ferner ist der Gesetzentwurf mit einem hohen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden.

Ich bitte Sie, dies in Ihren heutigen Entscheidungen über den Gesetzentwurf zu berücksichtigen.

Danke für die Aufmerksamkeit.