Protokoll der Sitzung vom 18.08.2011

von, was für den Arbeitslosen die beste Förderung wäre, und die Arbeitslosen werden einmal mehr zu reinen Bittstellern.

Die Bundesregierung stiehlt sich meines Erachtens einmal mehr aus der Verantwortung. Im Übrigen fällt der FDP dazu nichts Besseres ein, als obendrein noch die Kürzung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose zu fordern.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, durch die Instrumentenreform mehr Dezentralität, höhere Flexibilität, größere Individualität, höhere Qualität und mehr Transparenz zu erreichen. Das sind hehre Ziele, die wir – so denke ich – alle voll und ganz unterstützen können. Tatsächlich führen die vorgeschlagenen Maßnahmen aber lediglich zur Kostenreduktion

(Glocke des Präsidenten)

ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und das Selbstwertgefühl arbeitsloser Menschen. Lassen Sie uns gemeinsam die Bundesregierung auffordern, diesen arbeitsmarktpolitischen Irrweg zu verlassen und eine Reform auf den Weg zu bringen,

(Glocke des Präsidenten)

wie sie beispielsweise von der SPD-Bundestagsfraktion im Antrag vom 5. Juli 2011 formuliert wurde, eine Reform, die wirklich der Verbesserung der Beschäftigungsperspektiven und der Fairness auf dem Arbeitsmarkt dient.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Thelen, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst bin ich Frau Dr. Machalet dankbar dafür, dass sie das Gesetz, das zurzeit auf Bundesebene beraten wird, auch in den Kontext der sehr positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gestellt hat. Ich glaube, man muss schon etwas genauer hinschauen, um auch wirklich zu dem Schluss zu kommen, dass es grundsätzlich sinnvoll ist, aufgrund der deutlich reduzierten Zahl von Arbeitslosen und auch Langzeitarbeitslosen – darauf möchte ich gleich noch einmal zu sprechen kommen – die Mittel für die Arbeitsmarktförderung etwas zurückzufahren. Dazu möchte ich einige Fakten nennen und zum Schluss auch zu meiner Einschätzung kommen, ob ich es in diesem Maße für sinnvoll halte.

Wie haben sich die Zahlen der Arbeitslosen in den letzten Jahren verringert? – Ich möchte dazu drei Zahlen nennen. 2005, als Kanzlerin Angela Merkel mit der Großen Koalition begann, lag die Zahl bei bedauernswerten 4,86 Millionen Arbeitslosen oder 12 %. Im Jahr 2009,

nach der erneuten Amtsübernahme durch Frau Merkel, dieses Mal mit Schwarz-Gelb, lag die Zahl bei etwas günstigeren 3,41 Millionen oder 8,2 %. In diesem Jahr, im Juni 2011, konnten wir uns darüber freuen, dass wir es geschafft hatten, unter die 3-Millionen-Marke zu kommen, und nun bei etwa 3 Millionen liegen – im Juni waren es 2,83 Millionen – oder 6,9 %.

(Beifall der CDU)

Ich denke, das ist zunächst einmal eine Erfolgsgeschichte, über die wir alle zusammen froh sein können. Sie hat sicherlich auch Gründe in den Maßnahmen, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, die Wirtschaft zu unterstützen, mehr Arbeitsplätze anzubieten. Sie haben zu Recht erwähnt, in Teilen beklagen wir schon Fachkräftemangel.

Sie haben ausgeführt, bei der Langzeitarbeitslosigkeit habe sich dieser Aufschwung im Prinzip nicht niedergeschlagen. Das muss ich nach den Fakten völlig anders sehen.

(Frau Klöckner, CDU: Genauso ist es!)

Ich denke, bei den Fakten muss man auch so fair sein, die richtigen miteinander zu vergleichen. Deshalb benenne ich hier allein die Personen, die ArbeitslosengeldII-Bezieher sind, und nicht die Familienangehörigen, weil ich das auch bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern genauso mache.

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach!)

Hier kann man sehr wohl feststellen, dass wir eine Reduktion um rund eine Million haben. Wir hatten 2006 2,82 Millionen Langzeitarbeitslose im ArbeitslosengeldII-Bezug zu beklagen.

Dann ist es interessant, einmal die Mittel, die wir hierfür zur Verfügung gestellt haben, miteinander zu vergleichen. Für diese 2,82 Millionen wurden aus deutschen Steuermitteln insgesamt 4,5 Milliarden Euro für Vermittlung und Förderung zur Verfügung gestellt, was pro Kopf etwa 1.600 Euro entspricht.

Nun beklagen wir, dass Mittel reduziert werden. Wir können natürlich aber feststellen, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen zurückgegangen ist. Wir haben nämlich statt 2,8 nur noch 1,86 Millionen Langzeitarbeitslose im ALG-II-Bezug.

(Frau Klöckner, CDU: Davon hätte Herr Schröder geträumt!)

Für diese Personen sollen nach dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf des Finanzministers 2012 4,4 Milliarden Euro Steuergelder zur Verfügung gestellt werden. Das sind umgerechnet 2.400 Euro pro Kopf, also 50 % mehr als bisher.

(Beifall bei der CDU - Frau Klöckner, CDU: Genauso ist es!)

Ich denke, das ist eine ganz wichtige Feststellung. Deshalb kann man nicht sagen, die Bundesregierung würde

sich hier aus der Verantwortung stehlen, im Gegenteil. Sie will diese Mittel auch noch effizienter und wirkungsvoller den Betroffenen zugutekommen lassen.

Ich kann berichten, dass es noch gar nicht so furchtbar lange her ist, dass auch der Petitionsausschuss die Bundesanstalt in Nürnberg besucht hat, um sich dort vor Ort zu informieren. Das, was wir dort erfahren haben und was viele von uns auch in der täglichen Arbeit aufgrund von Petitionen mit der Bundesagentur für Arbeit erleben, war nicht dazu angetan zu glauben, man habe hier in erster Linie die individuelle Notlage im Kopf. Es war vielmehr ein sehr nach unternehmerischen Methoden gesteuerter Quasi-konzern, was häufig dazu führte, dass sich selbst die Betroffenen über die Zahl von unsinnigen Maßnahmen beklagten, in die sie der Reihe nach geschickt wurden. Ich nenne einmal das x-te Bewerbungstraining, das x-te Training in irgendeiner WordAnwendung oder Sonstiges. Wir hatten also Grund, unzufrieden mit den Maßnahmen zu sein. Auch das haben wir im Sozialausschuss und in den Haushaltsberatungen immer wieder hier im Lande festgestellt.

(Beifall bei der CDU)

Sie wissen selbst, in unserem Bericht kann immer nur festgestellt werden, wie viele Personen wir in den Maßnahmen hatten. Wie effektiv die Maßnahmen waren, also wie viel jüngere Menschen, ältere Menschen, die mit Fördermaßnahmen in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden sollen, es tatsächlich geschafft haben, können wir nie feststellen. Das ist ein großes Hemmnis. Ich halte es für sehr richtig, dass das neue Gesetz mit stärkerer Evaluation und stärkerer Kontrolle zu mehr effizientem Einsatz der Steuermittel führen soll.

(Glocke des Präsidenten)

So weit zu den positiven Feststellungen. Das Nächste in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU – Frau Klöckner, CDU: Sehr gut!)

Ich erteile Herrn Kollegen Köbler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen ist hinlänglich dargestellt worden.

Bei allen positiven Entwicklungen, die in Rheinland-Pfalz noch spürbar positiver als im Bundesvergleich sind, müssen wir feststellen, dass die Kernprobleme, die wir am Arbeitsmarkt haben, nicht gelöst sind. Frau Thelen, dann hilft es auch nicht, das Ganze schönzureden.

Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Langzeitarbeitslosigkeit immer noch ein überproportional großes

Problem ist, auch bei der insgesamt derzeit – ich betone das Wort „derzeit“ – positiven Entwicklung.

Es kommt auch für den einzelnen Arbeitslosen überhaupt nicht darauf an, wie hoch die Quote aktuell ist. Es kommt noch nicht einmal unbedingt darauf an, wie lange er arbeitslos ist, sondern es kommt auf die individuellen Hemmnisse an, die die Integration in den Arbeitsmarkt und damit letztlich auch soziale Teilhabe blockieren. Da bleibt die Bundesregierung sämtliche Antworten schuldig. Ich unterstelle sogar, diese Frage nach Teilhabe und Beseitigung von Integrationshemmnissen stellt sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht einmal.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben das bei der leidigen Diskussion um die HartzIV-Regelsätze erlebt, als die Fragen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, aber auch der Menschenwürde von der Bundesregierung und von Frau von der Leyen fiskalisch beantwortet worden sind. Wir werden es bei der Organisationsreform der Bundesarbeitsagentur sehen. Natürlich braucht die Bundesarbeitsagentur eine Reform. Aber die Einsparungen, die dort kommen, werden zu mehr Zentralismus und zu weniger Dezentralität und Individualität führen, wenn das alles so kommt, wie es angekündigt ist.

Ich sage Ihnen, das größte Vermittlungshemmnis in dieser Republik für Langzeitarbeitslose, für Menschen ohne Ausbildung und insbesondere auch für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist eine bestenfalls überforderte – böse Zungen sagen auch, nicht außerordentlich kompetente – Arbeitsministerin einer ziemlich unsozialen Bundesregierung, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Instrumentenreform hat sich Flexibilität und Innovation zum Leitgedanken gemacht. Ich sage Ihnen, das einzige Ziel ist eine phänomenale Kürzung der Mittel um 7,5 Milliarden Euro. Das ist eine gigantische Zahl. Die Flexibilität wird doch gerade genommen, wenn die entsprechenden Instrumentarien einfach mit dem Rasenmäher abgesägt werden und eben nicht die Integrations- und Wiedereinstiegsleistungen verbessert werden.

Der Ermessensspielraum der einzelnen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, der im Prinzip kein falscher Gedanke ist, wird doch faktisch einseitig verlagert, wenn die jeweiligen Eingliederungshelferinnen und Eingliederungshelfer dann nicht das Instrumentarium und die Substanz dahinter haben, um jeden einzelnen Arbeitslosen auch entsprechend individuell fördern zu können, wie es geboten wäre.

Wir haben auch hier über die Rolle der sozialen Träger, was die Arbeitsgelegenheiten angeht, gesprochen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und werden reihenweise ihre Angebote entweder massiv zurückfahren oder gar vom Markt verschwinden. Das sind eben die gemeindenahen Träger, die häufig in kommunaler Hand oder in sozialer Trägerschaft sind, die eben auch dafür garantieren, dass Beschäftigungsverhältnisse, Qualifika

tion und Anreize nicht auch zulasten des regulären Arbeitsmarktes gehen.

Wir wissen auch, die Absenkung der Arbeitslosenzahlen ist das eine. Aber welche Jobs nehmen die Leute denn an? Wir wissen, es sind vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Teilzeitbereich, befristet usw.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)

Schauen Sie sich die wirtschaftliche Entwicklung an. Wir schauen alle mit Bangen auf die Finanzkrise. Wir wollen hier nichts beschreien, aber ich glaube, der Arbeitsmarkt ist lange nicht so gefestigt, dass er auf eine erneute Krise entsprechende Antworten geben kann. Dann werden wir das ganze soziale Desaster mit den Folgen der mangelnden Teilhabe, der immer weiter steigenden Armut und der immer schwieriger werdenden Bildungschancen für Kinder aus diesen Familien in aller Brutalität spüren. Wir hoffen, dass es nicht so weit kommt. Aber wir konstatieren auch, dass diese Bundesregierung kein Garant dafür ist, dass der Sozialstaat ausgebaut wird und individuelle Teilhabe für jeden einzelnen Betroffenen möglich gemacht wird.

Diese Instrumentenreform ist eben eine einzige Einsparmaßnahme in ganz hohem Maße. Dort haben nicht die Sozialpolitiker die Federführung, sondern ganz klar die Haushaltspolitiker. Es wird auf Kosten der sozial Schwächsten eingespart. Gleichzeitig erdreistet sich diese Regierung, über Steuererleichterungen für Besserverdienende zu sprechen. Ich hoffe, dass der Spuk 2013 ein Ende hat.