Protokoll der Sitzung vom 18.08.2011

Diese Instrumentenreform ist eben eine einzige Einsparmaßnahme in ganz hohem Maße. Dort haben nicht die Sozialpolitiker die Federführung, sondern ganz klar die Haushaltspolitiker. Es wird auf Kosten der sozial Schwächsten eingespart. Gleichzeitig erdreistet sich diese Regierung, über Steuererleichterungen für Besserverdienende zu sprechen. Ich hoffe, dass der Spuk 2013 ein Ende hat.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile Herrn Kollegen Dröscher das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrte Damen und Herren! Die Diskussion über die Instrumentenreform kann man nur führen, wenn man weiß, dass die Sparmaßnahmen, die für 2011 in Kraft getreten sind und die der Bundesagentur für Arbeit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales auferlegt wurden, schon jetzt dramatische Ergebnisse haben. Die Träger werden nicht erst in Gefahr geraten, sondern sie bauen schon Stellen ab oder sind zum Teil schon in Insolvenz geraten, wie die Frau Ministerin das vorhin schon beschrieben hat.

Am Beispiel des Kreises Bad Kreuznach kann ich Ihnen etwas über die Hilflosigkeit der ARGEn in dieser Situation sagen. Man hat den gemeinnützigen Trägern solche Zusatzkurse und Zusatzmaßnahmen ohne Pauschale angeboten.

Man hat versucht, eine Trägerpauschale ganz einzusparen. Es war klar, dass die das nicht machen konnten.

Liebe Frau Thelen, das Schönreden nutzt nichts. Wer mit den betroffenen Menschen zu tun hat, der hat einen Einblick in die persönliche Situation der Menschen und weiß, dass nicht nur vielleicht ein ungeliebtes Instrument eingeschränkt wird, sondern dass die Sinnhaftigkeit und zusätzliche Mittel verloren gehen, die den Menschen die Chance geben, eventuell Schulden zu bezahlen. Für einige hatte das die Wirkung, dass sie weg von der Straße sind.

Eine Teamleiterin eines Jobcenters hat gesagt: „Wir sind die letzte Verteidigungslinie des Sozialstaates, nach uns kommt nichts mehr.“ Das ist das Empfinden in dieser Situation, das bei den Mitarbeitern der ARGEn vorliegt.

Ich denke, es geht jetzt um zwei Dinge. Zum Ersten geht es darum zu verhindern, dass durch die Instrumentenreform wirklich alles kaputtgemacht wird. Strukturen lassen sich dann nicht wieder reparieren oder wiederherstellen. Zum Zweiten geht es darum, dass wir uns in diesem Land, nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern in der ganzen Bundesrepublik, darüber Gedanken machen, wie wir in Zukunft diese Arbeitsverhältnisse gestalten. Ich denke, die zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten, im Volksmund Ein-Euro-Job genannt, sind nur eine Notlösung gewesen. Wir müssen den Menschen etwas anderes anbieten. Diese Diskussion würden wir gerne führen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Kollegin Thelen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Dröscher, ich habe nicht vor, irgendetwas schönzureden, aber ich werde mich auch nicht auf Schwarzmalerei einlassen. Ich möchte gerne bei den Fakten bleiben.

(Beifall der CDU)

Da nur noch zwei Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, will ich zwei Beispiele zum Einstieg nennen. Damit will ich deutlich machen, dass zum Teil ein Zerrbild besteht.

Ich habe es schon gesagt, wir haben in den vergangenen Jahren einen Wust von Maßnahmen beklagt, der zum Teil ergänzend, zusätzlich, parallel und trotzdem nicht zielführend stattgefunden hat. Ich will Ihnen hierzu ein Beispiel nennen.

Im Jahr 2010 betrugen die Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit allein für die Trägerpauschalen 700 Millionen Euro. Darüber haben wir gesprochen. Das sind die Gelder, die die Maßnahmenträger von der Bundesagentur für die Qualifizierung und Weiterbildung der Betroffenen erhalten. Im Vergleich dazu betrugen die

Mehraufwandsentschädigungen für die Teilnehmer selbst, also für die Langzeitarbeitslosen, um deren Förderung es uns geht, 300 Millionen Euro. Das sind weniger als 50 %. Das macht diesen eklatanten Missstand deutlich, den es in der Vergangenheit gegeben hat. Ich bin dankbar, dass man daran grundsätzlich herangeht.

Ich begrüße sehr, dass vor Ort Ermessensspielräume gegeben werden. Ich begrüße sehr, dass die freie Förderung ausgebaut werden kann.

Ich erinnere beim Thema „Zerschlagen von Trägerstrukturen“ an Folgendes: Ich erinnere an die neuen Einkaufszentren – für uns war es Frankfurt –, die für viele Maßnahmen, die in unserer Region ausgeschrieben wurden, einbezogen werden mussten. Viele kommunalen Träger hatten keine Chancen mehr, weil quasi Großanbieter mit Dumpingpreisen aufgetreten sind. Deshalb hatten unsere kommunalen Träger Not zu überleben. Heute haben wir die Ermessensspielräume und Entscheidungskompetenzen viel mehr vor Ort. Darin sehe ich große Chancen für unsere kommunalen Anbieter.

(Beifall bei der CDU – Glocke des Präsidenten)

Trotzdem sage ich, es wird bei den Arbeitsgelegenheiten sehr deutlich gespart.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

Ich plädiere dafür, nicht nur den Haushalt der Bundesagentur zu sehen, sondern die volkswirtschaftlich eintretenden Folgen, die gegebenenfalls die Kommunen zu tragen haben. Das gilt beispielsweise für gegebenenfalls eintretende Konsequenzen, die die Kommunen zu tragen haben, wenn Menschen in Einrichtungen für Suchtbekämpfung usw. untergebracht werden müssen. Dann wird es für uns alle zusammen deutlich teurer. Ich hoffe, dass bei den Pauschalen und dem 5 %-Anteil beim Eingliederungstitel noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Gäste bei uns begrüßen, und zwar Mitglieder des Eifelvereins, Ortsgruppe Daun. Herzlich willkommen bei uns im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Kollegen Dr. Konrad das Wort. Sie haben noch zwei Minuten Redezeit.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich sage bewusst, Kolleginnen und Kollegen, denn bei den Menschen, um die es heute geht,

handelt es sich um Menschen, die fast alle irgendwann gearbeitet haben und meist unverschuldet in die Situation geraten sind, in der sie heute sind. Diesbezüglich müssen wir uns ihrer annehmen. Lesen Sie unseren Koalitionsvertrag, da steht drin, wir streben eine inklusive Gesellschaft an. Inklusion betrifft nicht nur Menschen, die Behinderungen haben, sondern Inklusion betrifft Menschen mit vielen Beeinträchtigungen.

Frau Thelen, hier sehe ich die Schwäche dieses Entwurfes. Die Schwäche des Entwurfes ist, dass ich das Ermessen bei den Arbeitsvermittlerinnen und -vermittlern einerseits vergrößere, sie aber andererseits unter einen Sparzwang stelle. Wenn ich bei meiner Arbeit ermessen habe und gleichzeitig unter Sparzwang stehe, dann führt das systematisch dazu, dass ich den Einsatz der Mittel verringere. Wenn ich den Einsatz der Mittel verringere, dann habe ich geringere Chancen, die Dinge sinnvoll einzusetzen. Sie können mir glauben, ich weiß, wovon ich spreche. Ich arbeite tagtäglich unter dem Zwang von Budgets.

Sie können mir glauben, dass die Menschen, die zu mir kommen, oft aus eigener Tasche etwas dazulegen können. Das können die von der Instrumentenreform Betroffenen nicht.

Damit werden Menschen aus der Gesellschaft herausgedrängt. Das ist nicht das Ziel dessen, was Sie verfolgen. Das unterstelle ich nicht. Ich glaube, die grundlegende Schwäche des Vorgehens ist, dass man in einem Schritt spart und im gleichen Schritt die Instrumente umstellt. Das ist ein schlechtes Rezept. Es wird sich rächen. Wir haben gute Daten auf dem Arbeitsmarkt bei den Menschen, die gut vermittelbar sind. Die Menschen, die Vermittlungshemmnisse haben, werden am Schluss übrigbleiben. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Rest bildet, der aus der Gesellschaft herausgedrängt wird. Das kann nicht unser Ziel sein. Sehen wir, was nachts in Europa auf manchen Straßen passiert. Es kann nicht das Ziel sein, Menschen aus der Gesellschaft herauszudrängen.

(Glocke des Präsidenten)

Deshalb sollte die Bundesregierung und sollten Sie mit Ihrem Einfluss in Ihrer Partei dahin gehend wirken, diese Dinge zu trennen. Wir sollten nicht gleichzeitig unter einem Sparaspekt den Mitteleinsatz für die Menschen zurückfahren. Wir sollten das vielmehr in zwei Schritten tun. Erst sollte die Instrumentenreform kommen, und dann sollte man schauen, was das Ganze kostet.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsminister Malu Dreyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete! Es geht nicht um Schwarzmalerei. Es geht darum, die Lage ganz objektiv zu betrachten.

Ich sage ein bisschen zynisch, das gebe ich zu, dass wir die schönen Bilder von Frau von der Leyen mit Kindern, mit Familie und mit guten Arbeitslosenzahlen kennen. Wir sehen keine Bilder, auf denen ein bisschen Empathie für das Thema „Langzeitarbeitslosigkeit“ und die Problematik im sozialen Bereich zu erkennen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Weiland, CDU: In ihren Broschüren tauchen Langzeitarbeitslose auf, das ist ja lächerlich!)

Das tut mir wirklich richtig leid für diese Gruppe.

Ich mache der Bundesregierung in keiner Weise einen Vorwurf, dass sie spart. Ich gebe ihr sogar recht, zurückgehende Arbeitslosenzahlen bedeuten, dass man an der Stelle nachdenken und handeln muss, an der man Geld einsparen kann. Das ist selbstverständlich.

Sowohl der Bund als auch das Land haben die Schuldenbremse. Insofern muss man an der Stelle rational handeln. Der Vorwurf, den ich mache, ist, dass die verbleibenden Mittel wirklich mit wenig Feingefühl verteilt werden. Es gibt eine ganz klare Klassifizierung der guten und der schlechten Arbeitslosen. Beim Konjunkturaufschwung haben wir im Augenblick den meisten bzw. größten Erfolg im Bereich des SGB III. Aber nicht dort werden die massiven Einschnitte vorgenommen, sondern an der Stelle, an der es viel weniger Rückgänge gibt. Das ist im Bereich des SGB II der Fall, zu dem die Langzeitarbeitslosen hinzuzählen. Dazu gehören nicht nur die Frauen und die Migranten und Migrantinnen, sondern auch die älteren Menschen, die seit vielen Jahren darin stecken und keine Perspektive haben.

Das ist mein Vorwurf an Frau von der Leyen und an die Bundesregierung. Es ist ihr Denken, das sage ich sehr deutlich, dass man den Akzent beim Sparzwang so setzt, dass man diejenigen, die die meiste Hilfe brauchen, vernachlässigt oder sie unter dem Sparzwang leiden lässt. In dem Bereich, in dem die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt eigentlich relativ gut läuft, werden nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Das werfe ich der Bundesregierung vor.

(Beifall der SPD)

Ich möchte auch noch einmal etwas ganz kurz zu den Fakten sagen. Sie haben gesagt, seit Frau Kanzlerin Merkel die Bundesregierung führt, haben sich die Arbeitslosenzahlen positiv entwickelt. Das kann man auch nur bestätigen. Ich möchte dann aber auch noch einmal ergänzen, dass sich in der ersten, zweiten und dritten Legislaturperiode, in der Kurt Beck Ministerpräsident dieses Landes war, die Arbeitslosenzahlen immer weiter positiv entwickelt haben und wir seit vielen Jahren in Rheinland-Pfalz die drittbeste Arbeitslosenquote haben.

Ich sage das nicht zynisch. Wir freuen uns darüber. Viele unterschiedliche Akteure haben dazu einen Beitrag geleistet.

Wir müssen aber auch erkennen, dass die Anzahl der Langzeitarbeitslosen nur langsam zurückgeht und wir dort vor allem das massive Problem der verfestigten Arbeitslosigkeit haben. Es sind über 60 % aller Arbeitslosen Langzeitarbeitslose, SGB-II-Empfänger, und davon wiederum 53 % diejenigen, die seit viel längerer Zeit verfestigt arbeitslos sind. Das sind Menschen, die in den meisten Fällen nicht aus eigenem Verschulden in eine Lage gekommen sind, die es ihnen schwerer als allen anderen machen, auf dem Arbeitsmarkt zu landen.

Deshalb nutzt es auch nichts, wenn sie zum Computerkurs oder Weiterbildungskurs in der BA geschickt werden – da gebe ich Ihnen recht –, sondern sie brauchen individuelle Programme, wie sie viele unserer Träger anbieten, damit man ihnen gerecht wird, sie unterstützt und ihnen ein Stück die Möglichkeit gibt, sich dem Arbeitsmarkt wieder zu nähern. Deshalb finde ich es fast ein bisschen schamlos, die Qualität der Maßnahmen jetzt dafür verantwortlich zu machen, dass die Mittel in diesem Bereich gestrichen werden; denn ich kann für viele Träger hier im Land sagen, dass diese Leute wirklich mit sehr viel Hingabe begleitet werden, seit vielen Jahren länger als das, was die BA zulässt, und wir auch hohe Erfolgsquoten bei diesen Trägern haben.