Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere meine Damen und Herren der CDU! Ja, am Ende Ihres Antrages wird dann doch deutlich, worum es Ihnen wirklich geht. Ihnen geht es nicht um die Sache.
Nein, Sie wollen die Sorgen und Ängste der Menschen nach den schrecklichen Ereignissen in Paris ausnutzen, um in Rheinland-Pfalz Stimmung zu machen, und Sie versuchen, in die gut funktionierende Koalition von SPD und GRÜNEN einen Keil hineinzutreiben. Ich sage Ihnen, das schaffen Sie bei diesem Thema nicht, und es wird Ihnen auch nicht bei anderen Themen gelingen. Die Absicht Ihres Antrages ist durchschaut. Er ist absolut nicht an der Wichtigkeit des Themas der Vorratsdatenspeicherung orientiert, und deswegen wird die SPDFraktion Ihren Antrag auch ablehnen.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Schellhammer das Wort und bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen, Zwiegespräche doch bitte draußen in der Lobby zu führen. Es wurde gerade sehr laut.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Über 200 Verkehrsdaten pro Tag – so viele Verkehrsdaten können beispielsweise bei einem Telekommunikationsunternehmen in einem halben Jahr pro Tag über jede Person in diesem Raum gespeichert werden. Sie geben einen genauen Anhaltspunkt darüber, wo ich mich aufgehalten habe, mit wem ich wie lange telefoniert habe, ob und an wen ich eine SMS oder eine E-Mail geschrieben habe oder welche Webseite ich
aufgerufen habe. Es ist also ein exaktes Aktivitätsverzeichnis, und dies rund um die Uhr; denn durch die Digitalisierung sind wir doch eigentlich rund um die Uhr online, ob wir nun aktiv unsere mobilen Endgeräte benutzen oder eben auch nicht. Alles wird dann gespeichert, ob man nun verdächtig ist oder auch nicht.
Deshalb entbehrt die Vorratsdatenspeicherung jedweder Verhältnismäßigkeit. Sie negiert die Unschuldsvermutung, die ein wesentlicher Teil unserer demokratischen Rechtsordnung ist. Sie stellt alle unter Generalverdacht, und deshalb lehnen wir GRÜNEN die massenhafte und anlasslose Datenspeicherung entschieden ab.
Es ist nicht in Ordnung, die emotionale Situation der Menschen, die wie auch wir von den Attentaten in Paris erschüttert sind, auszunutzen, um eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze zu fordern, die unsere Freiheitsrechte massiv einschränken werden. Sie wollen damit eine massenhafte und anlasslose Überwachung à la NSA salonfähig machen. – Und was ist, wenn die Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde und dann wieder ein Attentat passiert? Was fordern Sie dann? Etwa die Verwendung der Mautdaten?
Folgt man Ihrem konservativen Verständnis von totaler Sicherheit, wird man jedes Mal wieder neue Forderungen stellen müssen. Schritt für Schritt verschwindet damit unsere Freiheit im Dienste einer illusorischen Vorstellung absoluter Sicherheit, und das werden wir nicht akzeptieren.
Ja, wir haben eine Schutzpflicht für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Aber dann müssen wir uns doch auch Sicherheitskonzepte überlegen, die tatsächlich zu mehr Sicherheit führen; denn dass die Vorratsdatenspeicherung zu mehr Sicherheit beiträgt, ist nicht nachgewiesen.
Wie beispielsweise eine Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums ergab, können durch die Vorratsdatenspeicherung nicht mehr Straftaten aufgeklärt werden. Dies zeigt auch ein Vergleich zwischen den Ländern, die die Vorratsdatenspeicherung haben, und denen, die sie nicht haben. Auch ist bislang nicht nachweisbar, dass die anlasslose massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten tatsächlich ein Attentat hätte verhindern können.
Wenn Sie dies also als einen sinnvollen Baustein für Ihr Sicherheitskonzept ansehen, dann müssen diese Bausteine auch tragen, und die Vorratsdatenspeicherung trägt eben nicht. Dies zeigt nur, dass es reine Symbolpolitik ist und nichts weiter.
Auch wenn nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Vorratsdatenspeicherung irgendetwas bringt, wird sie von konservativen Innenpolitikern oder Polizeigewerkschaften immer wieder gefordert.
Schauen wir uns an, was uns die Urteile mit auf den Weg gegeben haben. Eben wurde gesagt, dass in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom letzten Jahr gerade der Markenkern der Vorratsdatenspeicherung, nämlich die Anlasslosigkeit, kritisiert wurde. Wie soll denn eine Vorratsdatenspeicherung ohne Anlasslosigkeit funktionieren? Das sollten Sie mir einmal erklären. Das kann ich mir nämlich nicht vorstellen. Also ist eine anlasslose Speicherung der Daten rechtlich nicht möglich und die Vorratsdatenspeicherung somit im Grunde auch nicht.
Ein weiteres Problem – auch das wurde in dem Urteil kritisiert – ist der Schutz von Geheimnisträgerinnen und Geheimnisträgern: Anwältinnen und Anwälte, Ärztinnen und Ärzte, Journalistinnen und Journalisten, Geistliche, Richterinnen und Richter usw. All diese müssten theoretisch herausgefiltert werden, damit ihre Berufsfreiheit garantiert wird. Das ist aber technisch nicht möglich und damit rechtlich nicht umsetzbar. Deswegen ist die Vorratsdatenspeicherung auch an diesem Punkt nicht möglich.
Schauen wir uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an. Dort wird gesagt – ich zitiere –: „Sie darf auch nicht im Zusammenspiel mit anderen vorhandenen Dateien zur Rekonstruierbarkeit praktisch aller Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger führen.“ Über die Nutzung unserer mobilen Endgeräte werden tatsächlich exakte Aktivitätsprofile erstellt. Auch an diesem Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung unserer Meinung nach rechtlich nicht möglich.
Deswegen sollten wir uns vielmehr in Ruhe und mit Bedacht effektiven Forderungen widmen, die tatsächlich zu mehr Sicherheit führen. Heute Morgen hat meine Kollegin Katharina Raue schon einige Punkte angesprochen. Es gibt eine effektive Terrorismusbekämpfung, und zwar auch ohne Einschränkung unserer Grundrechte. Darüber müssten wir diskutieren, statt uns mit der Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in irgendeiner Symbolpolitik zu ergehen.
Wir wollen effektive Präventionskonzepte umsetzen. Auch das hat meine Kollegin Frau Raue schon gesagt. Das wird morgen in der Diskussion über den Antrag den Terrorismus betreffend sicherlich noch einmal gesagt werden.
Herr Lammert, Sie haben eine klare Kante und eine klare Ansage gefordert. Von mir bekommen Sie das. Unserer Meinung ist es nach eine Bankrotterklärung, wenn die Vorratsdatenspeicherung nach Anschlägen immer wieder reflexartig aus der innenpolitischen Mottenkiste gezogen wird. Angst ist kein adäquater Sicherheitsberater. Den Anschlägen auf unsere Freiheit darf man nicht mit der Einschränkung unserer Freiheitsrechte begegnen. Deshalb lehnen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus voller Überzeugung die anlasslose massenhafte Speicherung von Daten ab und damit auch Ihren Antrag.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schlagwein, zunächst einmal möchte ich Sie vom Mikrofon aus ganz herzlich begrüßen. Ich konnte Ihnen eben nicht mehr antworten. Das war eine schnelle und gute Jungfernrede. Herzlich willkommen!
Um es auch zu Beginn dieser Debatte zu wiederholen und es ganz deutlich zu sagen: Es besteht kein Grund zur Panik und zu gesetzgeberischen Schnellschüssen. Das wäre vermutlich die schlechteste Antwort auf Terror. Trotzdem ist es für mich als Innenminister und Vorsitzender der Innenministerkonferenz selbstverständlich – ich glaube, das ist es eigentlich für uns alle –, angesichts der Bedrohungslagen, über die wir heute Morgen schon gesprochen haben, alles zu tun, um Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung so weit wie möglich auszuschließen. Aus diesem Grund müssen die Erkenntnisse, die wir aus den Anschlägen von Paris und aus den vereitelten Anschlägen in Belgien gewinnen konnten und können, genau und intensiv ausgewertet werden. Es muss geschaut werden, ob die Sicherheitsbehörden über das zur Gefahrenabwehr erforderliche rechtliche Instrumentarium verfügen.
Herr Lammert, das enttäuscht mich ein wenig bei Ihnen. Sie wollen an einer nicht verantwortbaren Stelle verunsichern. Das halte ich für falsch. So, wie Sie geredet haben, ist das eine Verunsicherung; denn Sie haben die Innenministerkonferenz in Anspruch genommen. Sie wissen, dass die Innenministerkonferenz ein Einstimmigkeitsgremium ist und dass dementsprechend die Beschlüsse der Innenministerkonferenz von Bayern bis zur Küste und vom Saarland bis zur Oder einstimmig gefasst wurden. Die decken sich mit den Aussagen des Bundesinnenministers. Wir haben eben nicht eine Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung – alt – beschlossen. Das können wir auch gar nicht. Es gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und es gibt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Was wäre denn die Innenministerkonferenz für eine Konferenz, wenn sie zwei Urteile dieser Art nicht berücksichtigen würde?
Wir haben uns – das habe ich ausdrücklich gesagt; ich will es Ihnen noch einmal erläutern – für eine offene Debatte über die Prüfung von eventuell notwendigen Elementen der ehemaligen Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Das bedeutet, wir müssen uns zum Beispiel die Erkenntnisse aus dem Attentat von Paris und dem Attentatsversuch von Belgien anschauen: Was geht in Zusammenhang mit den Dingen, die notwendig sind?
Frau Schellhammer, dass es da Möglichkeiten gibt, kann man nachlesen. Ich denke, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D., Herr Papier, hat das sehr genau aufgelistet. Aber es ist ein sehr schmaler Grat. Von daher will ich noch einmal Bundesinnenminister de Maizière in Anspruch nehmen; das kann ich Ihnen nicht
ersparen. Auch das zeigt, wenn wir in einer solchen Frage so miteinander umgehen, tun wir der gemeinsamen Überzeugung, die Innere Sicherheit zur Bewahrung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats stark zu halten, keinen Gefallen.
Sie haben Gabriel zitiert; ich zitiere die Bundeskanzlerin und de Maizière. Eines ist klar: Es ist die nationale Ebene, die hier gefragt ist. Noch eines ist klar: Sowohl Gabriel – er hat einen unserer Parteitagsbeschlüsse zitiert – als auch die Bundeskanzlerin und der Bundesinnenminister sagen, wir müssten versuchen, eine einvernehmliche Regelung auf der europäischen Ebene herbeizuführen. Die Bundesregierung ist – da erzähle ich Ihnen kein Geheimnis – dafür zuständig, das auf der europäischen Ebene auf den Weg zu bringen.
Herr Bracht, was Sie hier wollen, ist einfach. Das ist so einfach, dass dort oben kein Pressevertreter mehr sitzt. Es ist durchschaut worden. Sie haben gedacht, Sie könnten hier die Koalition in einer Frage vorführen, bei der die Bedrohung so nah an Deutschland, so nah an Rheinland-Pfalz herangerückt ist, wie wir das noch nie hatten. Das ist doch Kokolores.
(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Weiland, CDU: Wir haben nur geglaubt, wir könnten Sie beim Wort nehmen!)
Adi, da blökst du dazwischen, wenn wir über ein solches Thema reden. – Wir haben heute Morgen viele Tote in unseren Nachbarländern beklagt und gemeinsam festgestellt, so etwas können wir für Deutschland nicht ausschließen.
Das sagen 17 Innenminister: von der CSU, der CDU und der SPD. Wir können das nicht ausschließen. Wir müssen zusammenstehen. Das ist eine nationale Bedrohung. Sie mögen das um 18:20 Uhr nicht mehr hören wollen, weil Sie hier etwas anderes erreichen möchten.
Aber wir haben hier die Aufgabe, die Sicherheit unserer Bevölkerung zu gewährleisten unter den Gegebenheiten, die wir alle heute Mittag beschrieben haben: freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit – all die Dinge, die wir besprochen haben.
Unter diesen Überschriften, begleitet von zwei Gerichtsurteilen, haben wir Innere Sicherheit zu organisieren. Das ist der andere Pol. Das wollen wir. Wir wollen unsere Bevölkerung vor solchen Attentaten bewahren. Deswegen finde ich die Herangehensweise, die ich von Ihnen, Herr Lammert, überhaupt nicht erwartet hätte, völlig falsch.
Es ist kein parteipolitisches Süppchen, das wir in rheinland-pfälzischen Landtag zu kochen haben, sondern das ist eine Entscheidung auf der nationalen Ebene: Innenministerkonferenz, Bundesinnenminister, Bundeskabinett. Dorthin gehört es. Von daher habe ich Ihnen erläutert, was meine Aussagen beinhalteten, wie die Innenministerkonferenz aufgestellt ist und dass ich es für falsch und unverantwortlich erachte, dass Sie das tun, was Sie hier eben versucht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. – Kollege Bracht, zur Geschäftsordnung.
Wer für die Ausschussüberweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist gegen eine Ausschussüberweisung? – Das ist die Mehrheit. Damit ist die Ausschussüberweisung mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU abgelehnt.