Protokoll der Sitzung vom 11.11.2020

noch einmal eine Kampagne für die berufliche Ausbildung zu starten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns mitten in den Haushaltsberatungen. Für uns ist es daher ganz besonders wichtig, dass diese Maßnahmen wirklich Einzug finden, durchfinanziert und damit in praktische Politik umgesetzt werden. Der Haushalt, in dem sich diese Maßnahmen befinden, ist natürlich der des Wirtschaftsministeriums. Hier passiert wirklich sehr, sehr viel. Die Mittel für die berufliche Bildung steigen von 27,2 auf 42,4 Millionen Euro. Diese Mittel dienen unter anderem dem bereits genannten Programm „Coach für betriebliche Ausbildung“ für Handwerksberufe und DEHOGA-Berufe.

Kollege Steven Wink hat es bereits gesagt, aber weil es so bedeutsam ist, will ich das noch einmal wiederholen: Allein im Jahr 2019 konnten dadurch 1.000 junge Menschen zusätzlich in eine Ausbildung vermittelt werden. Da ist es nur richtig, dass dieses Projekt verlängert wird und sich in Zukunft 22 Ausbildungscoaches um die jungen Menschen kümmern werden.

Des Weiteren gibt es das Programm „Ausbildung JETZT!“. Mit dieser Ausbildungsoffensive hat die Landesregierung schnell gehandelt, um die Auswirkungen der CoronaPandemie auf den Ausbildungsmarkt abzufedern. Hier werden Industrie-, Handels- und Dienstleistungsberufe auf einer Plattform zusammengefasst, um auch im Netz ein attraktives Angebot für die jungen Menschen zu schaffen.

Es gibt noch viele andere Projekte und Programme, die ich aus Zeitgründen nicht nennen kann, aber ich möchte noch einmal zusammenfassen: Das Thema „Fachkräftesicherung“ ist in Rheinland-Pfalz Chefsache, und zwar schon seit dem Jahr 2014. Im Haushalt des Wirtschaftsministeriums für das Jahr 2021 finden sich umfangreiche Gelder für gute, zielgerichtete und erprobte Programme. Wir sind in CoronaZeiten auch deshalb auf dem richtigen Weg, weil wir ein langjährig erprobtes, zielgerichtetes Instrumentarium zur Verfügung haben, bei dem alle Menschen, die etwas dazu beitragen können, zusammen am Tisch sitzen und damit ihre Anstrengungen verstärken.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Brandl.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heute wieder einmal zu meinem Leib- und Magenthema „Fachkräftemangel“ sprechen zu dürfen. Ich habe das über lange Jahre hinweg als wirtschaftspolitischer Sprecher für meine Fraktion tun dürfen. Es liegt sehr nahe, weil an der Stelle der Schnittpunkt

zwischen Bildung und Wirtschaft genau getroffen wird. Das kam mir eben in den Beiträgen vom Kollegen Wink und von Kollegin Köbberling einfach zu kurz; denn dieses Thema ist natürlich fachlich dem Wirtschaftsministerium zugeordnet, aber Fachkräftemangel bekämpft man mit einer Vielzahl von Maßnahmen. Da geht es nicht nur um die Maßnahmen im Wirtschaftsbereich, sondern es geht auch darum, den Bildungsbereich an der Stelle einzubeziehen.

(Beifall der CDU)

Ich habe mir gestern Abend noch einmal die eine oder andere Rede angeschaut, die ich damals gehalten habe. Das war damals schon ein absolutes Top-Thema. Fachkräftemangel ist schon in den Jahren 2012/2013 ein Top-Thema für die Wirtschaft gewesen. Wie geht es mit der Wirtschaft weiter? Wie gewinnen wir Fachkräfte? Wie halten wir Fachkräfte? Wie bilden wir Fachkräfte aus? Dieses Thema hat an Aktualität nichts verloren. Es ist nach wie vor die Wachstumsbremse gerade für das Handwerk in Rheinland-Pfalz, meine Damen und Herren.

(Beifall der CDU)

Ich habe am Montag ein sehr spannendes Gespräch mit einem Handwerker geführt, der zu mir gesagt hat: Im Moment wird es immer kritischer. – Er ist selbstständig im Heizungsgewerbe tätig, hat drei Gesellen und drei Azubis und hängt sich da richtig rein. Er sagt aber: Ich kann trotz exzellenter Bezahlung insbesondere die Gesellen nicht davon abhalten, dass sie die Unternehmen wechseln. – Es werden Handprämien, Handgelder bezahlt, wenn an der Stelle die Männer tatsächlich die Firma wechseln. Das ist tatsächlich existenzbedrohend. Er sagte: Wenn es so weitergeht, wenn dieser Fachkräftemangel weiter um sich greift, dann weiß ich nicht, wie lange ich noch als Selbstständiger, als Handwerker durchhalten kann. – Deshalb ist es wichtig, hier intensiv gegenzusteuern.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, das Handwerk hat goldenen Boden. Herr Wissing, Gold ist die Farbe, die Sie prägen wollen. Das Handwerk hat goldenen Boden, aber irgendwann keine Fachkräfte mehr. Genau deshalb müssen wir schauen, dass wir die Initiativen in dem Bereich verstärken.

Einen Kronzeugen von der anderen Seite will ich an der Stelle noch kurz zitieren. Dietmar Muscheid, seines Zeichens DGB-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz, kritisiert, dass in den vergangenen Jahren jährlich Tausende junge Menschen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben – Zitat – „auf der Strecke“ geblieben sind.

(Präsident Hendrik Hering übernimmt den Vorsitz)

Fast 80.000 junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Da ist genau der Schnittpunkt zwischen Bildung und Wirtschaft; denn da liegen die großen Versäumnisse dieser Landesregierung. Nicht in Ihrem Ressort, aber unter der Gesamtverantwor

tung für diese Koalition, Herr Wissing.

(Beifall der CDU)

Wenn die Kinder nicht mehr richtig lesen und schreiben können, wenn die Qualifikationen zurückgehen, wenn 80.000 junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung in Rheinland-Pfalz leben und nach Arbeit suchen, dann müssen wir die qualifizieren; dann müssen wir genau dieses Fachkräftepotenzial nutzen. Das tut diese Landesregierung nicht!

(Beifall der CDU)

Ich will jetzt auch noch einmal auf die Aufzählungen eingehen, die die beiden Vorredner gemacht haben. An der Stelle habe ich gar nichts zu kritisieren. Herr Wissing, das, was in Ihrem Ressort ist, halte ich für richtig. Auch die verschiedenen Programme, die die Kollegin Köbberling jetzt noch einmal für den Haushalt angekündigt hat, sind richtige Programme. Das sind zum Teil auch richtig gute Programme: die Ausbildungsbotschafter, Ihre Aktivitäten zum AufstiegsBAföG, die Coaches für betriebliche Bildung.

Es ist richtig, die Betriebe selbst tun noch sehr, sehr viel mehr. Das sind punktuelle, gute Projekte. Wir brauchen aber strukturell eine verbesserte Strategie. Wir brauchen strukturelle übergreifende Strategien, die Wirtschaft und Bildung zusammenbringen. Für Fachkräfte brauchen wir einen neuen Ansatz und neuen Wind. Was Sie bisher aufstellen, reicht nicht aus.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deshalb will ich mich beispielsweise auf die Empfehlungen der IHK zur Landtagswahl konzentrieren. Diese sagen nämlich, dass es an der Stelle wichtig ist, auch die Bildungsthemen in den Vordergrund zu stellen. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie beim FDP-Parteitag noch einmal die Forderung von 105 % gebracht haben. Dafür ist die Kollegin Lerch aus der Fraktion geflogen. Die 105 % sind aber richtig.

(Beifall bei der CDU)

Nur so können wir die Qualität in unseren Schulen weiter steigern. Ich will etwas aus dem IHK-Papier aufzählen und komme dann zum Schluss, Herr Präsident: digitale und ökonomische Grundkompetenzen früh vermitteln. – Das liegt nicht in Ihrem Ressort. Macht das diese Landesregierung? Nein, ich sehe dort keine Initiativen.

Lehrerstellen an berufsbildenden Schulen schaffen: Den höchsten Unterrichtsausfall gibt es an den berufsbildenden Schulen.

(Staatsministerin Dr. Stefanie Hubig: Stimmt doch gar nicht!)

Dort ist der höchste Unterrichtsausfall unter allen Schulformen in Rheinland-Pfalz. Die BBS ist das Stiefkind dieser Landesregierung, und das wirkt sich auch auf den Fachkräftemangel aus.

(Glocke des Präsidenten)

Weitere Forderungen gibt es gerne in der zweiten Runde.

(Beifall bei CDU und AfD)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Bollinger das Wort.

Sehr geehrter Präsident, meine Damen und Herren! Natürlich bewirbt die Landesregierung gerne ihre Aktivitäten zur Fachkräftesicherung, wie die Ausbildungscoaches, die Ausbildungsbotschafter oder die neuen Mittel für überbetriebliche Ausbildungsstätten. Das ist legitim.

Wir sind es inzwischen allerdings gewohnt, dass die FDPLandtagsfraktion dem Wirtschaftsministerium hierbei gerne assistiert und dazu bevorzugt das parlamentarische Mittel der Aktuellen Debatte nutzt. Das halte ich wiederum für fragwürdig.

Meine Damen und Herren, was wir beim Thema der Fachkräftesicherung brauchen, ist weniger eine Aktuelle Debatte als eine Grundsatzdebatte. Herr Kollege Brandl, ich stimme Ihnen zu, diese betrifft mehr den Bildungsbereich als den Wirtschaftsbereich im engeren Sinne. Allerdings haben Sie einen – aus unserer Sicht den wesentlichen – Aspekt eben nicht angesprochen.

Meine Damen und Herren, seit Jahrzehnten verschieben sich die Gewichte weg von der dualen hin zur akademischen Ausbildung an Hochschulen. Auch im Jahr 2019 gab es deutschlandweit wieder einmal weniger neue Ausbildungsverträge als im Vorjahr. So lag die Gesamtzahl der Auszubildenden am Ende des Jahres bei 1.329.000 gegenüber noch 1.508.000 am Ende des Jahres 2010. Das sind 11,9 % weniger. Besonders stark war der Rückgang bei den Frauen mit 21,6 % und im Handwerk mit 15,5 %. Im selben Zeitraum vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2019 stieg allerdings die Zahl der Studenten von 2.200.000 auf fast 2.900.000, also um 28 %. Besonders stark war der Zuwachs der weiblichen Studenten, nämlich um 34,6 %.

(Abg. Martin Haller, SPD: Lesen Sie wieder auf Wikipedia?)

Herr Kollege Haller, dass Ihnen das wehtut, kann ich verstehen. Das müssen Sie sich anhören; denn man sieht an den Zahlen sehr schnell, dass der Rückgang bei den Ausbildungsplätzen und der Aufwuchs bei den Studienplätzen korrespondieren.

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Der Fachkräftemangel hat also gar nicht so viel mit Demografie zu tun, sondern vielmehr mit den grundsätzlichen Weichenstellungen unseres Bildungs- und Ausbildungssys

Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und Staatsminister a. D., prägt in diesem Zusammenhang das Wort „Akademisierungswahn“. Herr Haller, es gab einmal kompetente SPD-Politiker.

(Abg. Martin Haller, SPD: Oh! – Zuruf des Abg. Michael Hüttner, SPD)

Meine Damen und Herren, nun kam noch die Corona-Krise. Nach allem, was wir bisher wissen, hat die Corona-Krise den bestehenden Trend stark beschleunigt. In den zwölf Monaten bis September 2020 haben sich laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nur 473.000 AzubiBewerber bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Das ist ein Rückgang um 8 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Allerdings ist auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen stark zurückgegangen, nämlich um 7 %. Das heißt aber in der Konsequenz keineswegs, dass sich die Zahlen von Angebot und Nachfrage wieder ausgleichen. Der Mangel an Bewerbern bleibt nun mit knapp 60.000 auf dem Vorjahresniveau. Langfristig verstärkt die Corona-Krise damit den Fachkräftemangel weiter.

Die Hoffnungen lagen bisher auf Nachmeldungen im vierten Quartal. Der erneute Lockdown hat diese Hoffnungen aber wahrscheinlich in weiten Teilen der Wirtschaft zunichtegemacht.

Meine Damen und Herren, an den grundsätzlich falschen Weichenstellungen – Stichwort „Akademisierungswahn“ – ändern leider auch die gut gemeinten Initiativen der Landesregierung nichts, die die FDP gerne in den Mittelpunkt stellen möchte, zumal die Landesregierung nicht konsistent handelt.