CETA und TTIP verpflichten die Parlamente auf Abstimmung für bestehende und neue Gesetze und Regeln auf allen Ebenen bis in die Kommunalparlamente. Das Ziel dabei ist, bei der Abwägung, die wir natürlich alle treffen – Sie und auch die Regierung –, die Einbeziehung von Investoreninteressen zum Prinzip zu machen. Das heißt, abgewägt werden nicht die gesundheitlichen Auswirkungen, die Situation der Bürger und Bürgerinnen, die Verbesserung im Bereich der Umwelt, nein, mindestens gleichberechtigt, so die Stellungnahme, sind dann ökonomische Interessen zu sehen. Man muss auch ganz klar sagen, die Europäische Union, aber auch Deutschland sehen bei unseren Rechtsprinzipien ausdrücklich die Abwägung im ökonomischen Interesse, das heißt, eine Kosten-Nutzen-Analyse, nicht als Grundlage von Entscheidungen.
Zum Thema chemische Rückstände, Pestizidrückstände, so wird es dort auch genannt, und hormonelle Disruptoren nur als Beispiel: Ich finde die Vorgehensweise der Europäischen Kommission sehr fragwürdig; denn sie hat der kanadischen Regierung schon angeboten, dass man die europäischen Zulassungs- und Bewertungsprinzipien durch das WTO-System bzw. durch den Codex Alimentarius ersetzt. Diese sind wesentlich lascher als die europäischen und deutschen Prinzipien und eröffnen natürlich enorme Wettbewerbsverzerrung auch in diesem Bereich.
Zum Thema hormonelle Wirkstoffe: Das ist ein durchaus ernstes Thema. Denken Sie allein an das Thema Verweiblichung der Fischwelt und der Wasserlebewesen, das wirklich ein ernstes ist. Bei diesem Thema hat die Europäische Kommission jetzt auch quasi eine Rüge des Europäischen Gerichtshofs bekommen, weil sie schon im Vorgriff auf diese Freihandelsabkommen davon abgesehen hat, seit 2009 bestehende Rechtsverpflichtungen in der EU umzusetzen.
Das heißt, auch hier sehen wir wirklich sehr besorgt, dass es zu einer Abschwächung unserer geltenden Regelungen und unserer Rechtsprinzipien kommen kann.
Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt, dass in Kanada – wir reden über Kanada – Produkte, zum Beispiel auch gentechnisch optimierte Produkte, ohne Prüfung zugelassen werden. Wie beurteilen Sie dann die Rolle der entsprechenden Ministerien, Zulassungsbehörden oder des Prinzips der Plants With Novel Traits in Kanada?
Vor allen Dingen, selbst wenn man diese abwegige Behauptung akzeptieren würde, die Sie aufgestellt haben, wie beurteilen Sie dann die Rolle europäischen Zulassungsbehörden, zum Beispiel der EFSA, die alles, was
nach Europa exportiert wird, erst einmal vorab genehmigen müssen und in einem sehr aufwändigen, langwierigen, umfangreichen und sehr teuren Verfahren prüfen und zulassen?
Ich kann vereinfachend sagen, dass es in Kanada – und erst recht nicht in den USA, ich war übrigens mit dem Agrarausschuss mehrmals dort, um genau diese Vergleiche über die Zulassungsverfahren anzustellen, übrigens auch mit dem späteren Ministerpräsidenten Carstensen – vergleichbare Zulassungsverfahren tatsächlich so nicht gibt.
Wir haben auch mit den Kanadiern intensive Diskussionen geführt, beispielsweise über die Situation der Leinsaat. Sie sehen, dass hier völlig unterschiedliche Rechtssysteme aufeinanderprallen, wie übrigens auch bei REACH – das müssten Sie ganz genau wissen; denn damit haben Sie sich wahrscheinlich in Ihrem Berufsleben auch beschäftigt –, so weit, dass selbst die EU-Parlamentarier sagen, dort gibt es wohl keine Kompatibilität.
Natürlich müssen heute die europäischen Behörden wie die EFSA die kanadischen Produkte nach den geltenden Prinzipien der EU entsprechend überprüfen, was schon einige Probleme macht. Bei den Freihandelsverträgen geht es aber genau darum, die Rechtsstandards „anzugleichen“. Laut den Interessen von Kanada – so ist es auch im Kapitel über die regulatorische Zusammenarbeit formuliert – geht es darum, diese aneinander anzupassen und stärker ökonomischen Interessen zu unterwerfen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Frau Ministerin, danke auch für die Ausführungen, denen wir in Bezug auf die Schwächung des Vorsorgeprinzips zustimmen. Meine Frage dazu: Ist das eine gemeinsame Position der Landesregierung? Es sind von den verschiedenen Parteien der Ampelkoalition unterschiedliche Positionen zumindest zum Thema TTIP bekannt. Wie wir wissen, wird CETA als Blaupause für TTIP gesehen. Ist es also eine gemeinsame Position der Landesregierung, die Sie vorgetragen haben?
Es geht um die Analysen, die inzwischen auch von renommierten Gutachtern vorliegen. Ich habe die Diskussion im Deutschen Bundestag beispielsweise verfolgt. Wir sind erst im zweiten Schritt Ansprechpartner. Mitgliedstaat und auch verantwortlich ist die Bundesregierung. Hier haben gerade in der letzten Woche die Anhörungen im Wirtschaftsausschuss und im Europaausschuss stattgefunden. Diese geben sehr wohl eine sehr differenzierte Betrachtungsweise wieder.
Frau Ministerin, wie beurteilen Sie das Eintreten von Herrn Bundesminister Gabriel zum Abschluss dieses Abkommens?
Nun ist gerade der Wirtschaftsminister in Kanada und diskutiert mit Herrn Trudeau über die weitere Ausgestaltung. Was dabei herauskommt, kann ich Ihnen natürlich noch nicht sagen.
Was ich allerdings heute Morgen gehört habe, ist, dass man nur noch Details verhandeln will und ansonsten anerkennt, dass das Verfahren CETA ausverhandelt sein soll. Ich kann nur meine persönliche Meinung an diesem Punkt wiedergeben: Für mich ist ein solches Abkommen nach Beurteilung dieser mir vorliegenden Gutachten nicht zustimmungspflichtig.
Vielen Dank, Herr Präsident. Frau Ministerin, ich würde gerne noch einmal nachfragen. Das Stichwort EFSA ist schon gefallen. Im Kern aller Überlegungen steht in der Tat das Vorsorgeprinzip.
Könnten Sie noch einmal darlegen, gerade bei den zu erwartenden schiedsgerichtlichen Auseinandersetzungen, welche Rolle dann Rechtsgüter wie die Umweltvorsorge oder der Verbraucherschutz bei der Abwägung zwischen Investoreninteressen auf der einen und den rechtsstaatlichen Gütern auf der anderen Seite genießen werden?
Diese Frage betrifft verschiedene Aspekte des CETAAbkommens, einerseits das Vorsorgeprinzip, das inzwischen ziemlich ausführlich untersucht wird und untersucht ist. Für mich ergibt die Bewertung, dass mit dem Fehlen des Vorsorgeprinzips und der mangelhaften rechtlichen Verankerung im CETA-Vertrag auch die Fragen des nachfolgenden Rechtes infrage gestellt sind – das heißt also, die Prinzipien des Umwelt-, Verbraucher- oder Chemikalienrechtes – und sich damit eine Auswirkung ergibt, die
vielleicht von den Handelnden nicht immer beabsichtigt war, letztendlich aber wesentliche Rechtsprinzipien der Europäischen Union infrage stellt und entsprechende Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben wird.
Besonders relevant sind die Formulierungen im Bereich der regulatorischen Kohärenz, weil diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit einen neuen Abwägungsmaßstab installiert, der bisher in den nationalen Parlamenten und in Deutschland und Europa nicht der Maßstab war, das heißt, die Interessen von Investoren entsprechend in den Entscheidungsgrundlagen mit zu berücksichtigen und auch bestehende Regularien kurz-, mittel- oder langfristig anzupassen.
Plötzlich werden dann die Standards, die eigentlich nicht abgesenkt werden sollen, zu Handelshemmnissen. Ich glaube, es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch und den politischen Aussagen, die auch unsere Bundesregierung trifft. Sie wollen keine Standards absenken, aber die Defizite, die in den Verträgen formuliert sind.
Mir liegen jetzt noch sechs weitere Wortmeldungen vor. Danach betrachte ich die Anfrage als beantwortet. Als Nächstes hat Herr Dr. Böhme das Wort.
Frau Ministerin, in Kanada gibt es bei der Einführung von Produkten, gerade auch von landwirtschaftlichen Produkten in den Markt das Prinzip der Plants With Novel Traits. Damit ist Kanada ein Vorreiter in diesem Bereich, und die Europäische Union hat das später sogar in ihre Gesetzgebung übernommen. Das heißt, dass bei Weitem nicht nur gentechnisch optimierte Produkte ausreichend und umfassend geprüft werden müssen, bevor sie in den Markt zugelassen werden, sondern sogar Mutationen oder andere Stoffe, die bisher noch nicht vermarktet worden sind, fallen unter diesen Bereich der Plants With Novel Traits.
Wie kommen Sie auf die Aussage, dass dort in Kanada kein Vorsorgeprinzip gilt und Produkte, die dort in den Markt gehen, nicht geprüft werden?
Noch mal meine Frage oben drauf: Jedes Produkt, das dort geprüft wird, wird in der EU noch mal geprüft. Also ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie Sie zu der Aussage kommen, dass hier kein Vorsorgeprinzip gilt.
Ich habe nicht gesagt, dass ein solcher Vertrag immer im Sinne der kanadischen Bürger und Bürgerinnen sein wird. Wenn wir uns zum Beispiel einmal das betrachten, was die Milchbauern in Kanada angeht, die bisher noch durch ein sehr weitgehendes Regulierungsprinzip geschützt sind, dann kann es durchaus sein, dass ein solcher Vertrag zum Nachteil von kanadischen Produzenten ist. Das ist keine Einbahnstraße.
Selbst in Teilen, wo das möglicherweise im kanadischen Recht verankert ist, würde das dann zum Nachteil der Kanadier ebenfalls nicht verankert sein. Also müsste es im Sinne der europäischen und kanadischen Verbraucher und Verbraucherinnen, aber auch Produzenten und Arbeitnehmer sein, in diesem CETA-Vertrag das Vorsorgeprinzip zu verankern. Das wäre eine wichtige Forderung der Nachverhandlungen, die meines Erachtens – so kann ich das den Aussagen bisher nur entnehmen – im Moment überhaupt nicht vorgesehen ist. Auf diese Art und Weise könnte man den Vertrag sicher entscheidend verbessern und zu einem fairen Vertrag machen.
Frau Ministerin, im Verhandlungsprozess zu CETA wurden insbesondere im Lebensmittel- und Umweltrecht einige Standards ausgehandelt. Wie sehen Sie die weitere Rolle der Landesregierung im Beteiligungsprozess bzw. in der Beteiligung, um unsere Standards, unsere Vorsorgestandards entsprechend zu kommunizieren?
Man muss sagen, die Diskussion hat auf der Ebene der Länder erst begonnen. Es gibt noch die Diskussionen über die rechtliche Rolle von Mitgliedsstaaten und Landesregierungen. Ich bin sicher, dass auch diese Landesregierung sich damit befassen wird. Ob sie zu einer Meinung kommt, kann ich nicht sagen. Aber es ist auf jeden Fall der erklärte Wille aller Beteiligten, die Standards für unsere Rechtsbereiche zu erhalten.
Es gibt noch die Frage zu klären – auch dazu gibt es rechtliche Gutachten –, inwieweit es berechtigt ist, dass die EU-Kommission bereits Teile des Vertrages in Kraft setzen möchte, wenn die Unterschrift unter dem Vertrag erfolgt ist. Das ist noch außerordentlich zweifelhaft, ob die Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens durch die Europäischen Verträge gegeben ist.
Aber ich glaube, es ist unser aller Aufgabe, unsere Errungenschaften im Bereich Soziales, Umwelt, aber auch im Bereich Datenschutz, Kultur oder Bildung zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass das ein Stück guten Handels ergibt und dieser Vertrag irgendwann so verändert wird, dass er diese Prinzipien realisiert.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe eine grundsätzliche Frage. Wie bewertet die Landesregierung die mehr als 100 Freihandelsabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit eingegangen ist, auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes? Stimmen Sie mir zu, dass sie die Grundlage bei allen Risiken unseres Wohlstandes sind und waren?
Ich weiß nicht, ob Sie aus der Debatte den Schluss ziehen, dass es irgendeine Argumentation gegen Handel gibt. Im Gegenteil, Handel ist etwas sehr Gutes, wenn die Bedingungen so sind, dass daraus eine Wertschöpfung für uns, aber auch in anderen Teilen der Welt entsteht.
Herr Zehfuß, ich darf vorsichtig sagen, die weltwirtschaftliche Situation ist nicht so, dass wir die Armuts- und die globalen Umweltprobleme gelöst hätten und herausgekommen wäre, dass die Armut für die größten Teile der Weltbevölkerung sich positiv entwickelt hat. Ganz im Gegenteil, man muss sagen, so wie es die Sozialdemokraten immer tun, die Schere geht immer weiter auseinander.
Ich glaube, es gibt nichts Notwendigeres, als den Welthandel auf neue Grundsätze fairen Handelns zu stellen und dafür zu sorgen, dass wir unsere gemeinsamen Probleme zum Wohle aller lösen. Da ist es außerordentlich problematisch – so sehe ich das –, wenn Welthandelsverträge zwischen den reichsten Industrieländern geschlossen werden, die ausdrücklich zum Nachteil anderer sind. Das ist das Ziel des Ganzen.
Wenn man sieht, dass die Verliererliste von Ghana und der Elfenbeinküste angeführt wird, aber auch Algerien – die Bertelsmann Stiftung hat das untersucht – und viele andere Länder, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen, enthält, dann sollte man überlegen, ob das wirklich der gute Ansatz ist.
Ich denke, es ist wichtig für uns, den Export und den Welthandel zu stärken. Es ist genauso wichtig, dabei das Thema Konfliktlösungen mit im Blick zu haben.