Protokoll der Sitzung vom 05.10.2016

nach dem Verbot der Rheinischen Zeitung 1843 radikalisierte, wie es Walter Euchner formulierte.

Das ist übrigens ein bemerkenswertes Beispiel einer Radikalisierung im politischen Denken nach einer von ihm erfahrenen Zensur. Ich glaube, der erste Wortbeitrag ist allein mit diesem Beispiel auf einen Schlag ad absurdum geführt.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seine Analysen, seine Kommentare, seine Reaktionen, seine – bekanntlich häufig falschen – Erwartungen an die Zukunft können nur dann richtig verstanden werden, wenn man sie als Antworten auf die Fragen seiner Zeit sieht und nicht auf die des 20. und des 21. Jahrhunderts.

Zu seinem 200. Geburtstag wird daher vor allem noch einmal gefragt werden: Wer war eigentlich dieser Karl Marx, und was hat er selbst gedacht und geschrieben?

„Um Marxens Ideen zu verstehen, genügt es nicht, ihren intellektuellen Inhalt zu kennen, man muss sie im größeren Zusammenhang seines Lebens sehen.“ – Das schreibt Jonathan Sperber in einer jüngst veröffentlichten Biografie.

Deshalb ist eine Ausstellung über das Leben und das Werk von Karl Marx in seiner Zeit so wichtig. Die Aufgabe der Kuratoren ist es nun, die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung in der Ausstellung auf anschauliche Weise zu transportieren. Die in Artikel 5 unseres Grundgesetzes verankerte Freiheit von Forschung und Lehre gebietet es, diese wissenschaftlich-künstlerische Arbeit frei von politischer Einflussnahme wirken zu lassen. Die Öffentlichkeit wird dann das, was man zu sehen und hören bekommt, beurteilen.

Es ist aber gerade nicht die Aufgabe von Politik, zensierend Einfluss auf die Arbeit von Wissenschaftlern und Künstlern zu nehmen oder im Vorfeld nehmen zu wollen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gesamtprogramm des Jahres 2018 dient der kritischen Auseinandersetzung mit Marx durch Kunst, Wissenschaft und auch politische Diskussion. Die Ausstellung will Karl Marx weder bejubeln noch verdammen, sondern den Besucherinnen und Besuchern ermöglichen, sich ein forschungsnahes Bild von Marx und seiner Zeit auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse zu machen. Nicht umsonst erschienen in den letzten Jahren einige neue Marx-Biografien.

Die Biografie und damit das Leben von Karl Marx mit all seinen Facetten ist höchst spannend, widersprüchlich, interessant und aufschlussreich. Die Ausstellung von Stadt und Land konzentriert sich darauf und steht damit in der Tradition der sehr erfolgreichen biografischen Ausstellungen in Trier, die mit Konstantin 2007 begonnen und mit Nero in diesem Jahr eine Fortsetzung gefunden haben.

Das Ausstellungskonzept, wie es uns derzeit bekannt ist, sieht übrigens durchaus vor, Marx zunächst mit den Vorwürfen zu konfrontieren, die man ihm gemacht hat, und

mit Vorurteilen zu arbeiten, die zum gängigen Marx-Bild gehören.

Die Ausstellung selbst soll dann den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit eröffnen, diese Urteile anhand der Fakten zu überprüfen. Ich betone ausdrücklich, dass es eine gute Gelegenheit ist, die Beurteilung nach Vorlage einer Ausstellung vorzunehmen, und nicht zwei Jahre vorher.

Diese Ausstellung 2018 an zwei Standorten über das Leben und Werk des berühmtesten Trierers soll informieren, soll bilden, soll Zusammenhänge begreifbar machen. Sie soll auch interessant und spannend sein. Urteilen über Marx sollen dann aber die Besucherinnen und Besucher selbst.

Die Rezeptionsgeschichte, die Genese des Marxismus, die Inanspruchnahme und Instrumentalisierung von Marx wird nicht ausgeklammert, sondern natürlich ebenfalls ein wichtiges Thema in diesem Jubiläumsjahr in Trier sein, und zwar zunächst einmal in der Erweiterung der Dauerausstellung im Karl-Marx-Haus, in der es um die Rezeption und die Wirkungsgeschichte von Karl Marx geht, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten im Jahr 2018 in Trier und darüber hinaus.

Zudem wirft die Sonderausstellung „Lebenswert Arbeit“ im Museum am Dom des Bistums Trier sowohl aktuelle gesellschaftliche Fragen auf und beleuchtet auch andere Ansätze zum Umgang mit den sozialen Herausforderungen des 19. Jahrhunderts. Ich nenne Raiffeisen, und ich nenne die Katholische Soziallehre.

Die insgesamt also vier Trierer Ausstellungen in seiner Heimatstadt sowie das gesamte Programm zum 200. Geburtstag sind nach unserer Ansicht eine angemessene und überzeugende Form der kritischen Auseinandersetzung mit Leben und Werk von Karl Marx und seine Folgen. Es werden anspruchsvolle und beachtete Ausstellungen werden, wenn sie in wissenschaftlicher Freiheit konzipiert werden.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Frisch das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Teuber aus Trier, es ist lobenswert, dass Sie spontan versucht haben, auf die Ausführungen von Herrn Paul einzugehen. Es wäre aber schön gewesen, Sie hätten auch verstanden, was er tatsächlich gesagt hat.

(Beifall der AfD)

Es geht nämlich in keiner Weise darum, die Karl MarxAusstellung in Gänze abzulehnen. Aber wenn man histo

rische Persönlichkeiten würdigen möchte, dann versteht es sich von selbst, dass man auch die Wirkungen ihres Redens und ihres Handelns auf die Nachwelt in den Blick nimmt. Kein Mensch – Sie haben das angesprochen – käme auf die Idee, Jesus Christus lediglich als aramäischen Wanderprediger in seiner Zeit zu beschreiben, aber 2000 Jahre Christentum mit all seinen Licht- und Schattenseiten zu vergessen.

Gerade bei Menschen, die wie Marx durch die Kraft ihrer Ideen Neues angestoßen haben, sind die Folgen dieser Ideen als wesentlicher Aspekt ihrer historischen Bedeutung zu betrachten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es absolut unverständlich, ja befremdlich, dass die geplante Karl MarxAusstellung die katastrophale Wirkungsgeschichte des Marxismus im 20. Jahrhundert vollkommen ausblenden will.

(Beifall der AfD)

Dabei geht es eben nicht darum, Karl Marx grundsätzlich und undifferenziert für alle Verbrechen verantwortlich zu machen, die in seinem Namen begangen worden sind. Aber ihn von jeder Mitverantwortung für die Wirkungsgeschichte seiner Philosophie quasi dadurch freizusprechen, dass man diese Verbrechen nicht einmal thematisiert, ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern nährt den Verdacht einer bewussten Ignoranz.

(Beifall der AfD)

Will man vielleicht die Botschaft vermitteln, Gewaltverbrechen seien dann weniger schlimm oder jedenfalls nicht der falschen Ideologie geschuldet, wenn sie im Namen linker Gesellschaftsveränderer begangen wurden und werden?

(Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer hat das denn gesagt?)

Wir als AfD lehnen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung, aber auch als Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft – Zitat Marx – kategorisch ab. Genau deshalb können wir diese historisch wie moralisch nicht zu rechtfertigende Teilnahmslosigkeit und Indifferenz gegenüber den Auswirkungen und den Opfern von Marxismus, Leninismus und Stalinismus nicht akzeptieren. Ein unkritischer öffentlicher Umgang mit dem 200. Todestag von Karl Marx wäre mit Blick auf die vielen Millionen betroffenen Menschen unerträglich.

(Glocke des Präsidenten)

Karl Marx eignet sich nicht zum Heiligen und Trier nicht zum Wallfahrtsort einer undifferenzierten und selektiven Marx-Verehrung.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Teuber das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Frisch, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich noch einmal nach vorne kommen darf.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Bitte! Bitte!)

Ich kenne die Ausstellung noch gar nicht so genau wie Sie. Sie wissen offensichtlich viel mehr in den Bereichen. Sie haben offensichtlich als Lehrer und Kollege in dem Bereich sozusagen von der Freiheit der Wissenschaft und Kultur kein Vertrauen in unsere gut ausgebildeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auch diese kritischen Punkte – dazu hat Herr Barbaro eben auch ausführlich Stellung genommen – ebenfalls unter anderem im Karl Marx-Haus darstellen.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Das 20. Jahrhundert wird ausgeblendet!)

In dem Bereich vertraue ich vollkommen auf die Wissenschaft und habe auch deutlich dieser Debatte entnommen – da bin ich dem Herrn Kollegen Schreiner für seinen Beitrag sehr dankbar –, dass es sehr wohl eine kritische Auseinandersetzung in diesem Hause, aber auch darüber hinaus geben wird und geben muss.

Aber jetzt alles von vornherein in Bausch und Bogen zu verdammen,

(Abg. Michael Frisch, AfD: Haben wir doch nicht!)

ist wieder einmal nichts anderes als sozusagen der Versuch des Wadenbeißens und irgendwo alte Ideologiegräben aufzureißen, wo dies gar nicht angebracht ist.

(Abg. Martin Haller, SPD: Sehr gut! Genauso ist es!)

In diesem Bereich ist es nicht angebracht.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN!)

Es wird auch nicht dadurch richtiger und inhaltlich gehaltvoller, dass Sie es noch einmal wiederholen.

(Abg. Martin Haller, SPD: Richtig!)