Protokoll der Sitzung vom 14.06.2019

Wir setzen uns auch deshalb für diese Nährwertkennzeichnung ein, weil sie den Vorteil hat, dass sie zum einen für die Verbraucher transparent und einfach und sehr schnell zu erkennen ist, und weil es zum anderen natürlich auch Auswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft hat; denn die Lebensmittelwirtschaft wird natürlich, wenn ein solches System greift, darum bemüht sein, mit ihren Produkten nicht überall bei E zu landen, also in der schlechtesten Stufe, sondern sie wird sich dafür einsetzen, die eigenen Produkte so zu verbessern, dass ein für sie besseres Kennzeichnungsergebnis dabei herauskommt.

Damit komme ich zu Frage 2: Welche Erfahrungen wurden in anderen Ländern bereits mit der Einführung eines Kennzeichnungssystems für Lebensmittel gemacht?

Das Nutri-Score-System, das ich Ihnen eben gezeigt habe und gern noch einmal hochhalte, ist seit 2017 in Frankreich eingeführt, in Belgien und Spanien seit 2018, und andere EU-Staaten wie zum Beispiel Luxemburg und Portugal wollen folgen. Das Nutri-Score-System ist wissenschaftlich basiert erarbeitet und in der Vergangenheit bereits umfangreich untersucht worden, auch in Studien, die in Frankreich angefertigt worden sind, vor der dortigen Einführung im Jahr 2017 und danach.

Es hat sich gezeigt, dass die Einführung dieses Systems – das ist vor allem aus den französischen Untersuchungen ersichtlich – zu einem erheblich veränderten Einkaufsverhalten geführt hat. Die Menschen sind mit diesem einfachen System in Frankreich sehr viel leichter in der Lage gewesen, nährwertbezogen einzukaufen und damit auch auf die Frage zu viel Zucker, zu viel Salz, zu viel Fett in Lebensmitteln zu reagieren. Die Untersuchungen in Frankreich haben des Weiteren ergeben, auch die Wahrscheinlichkeit, dass die zutreffende Einordnung der Lebensmittel erkannt wird, wird durch dieses Nutri-Score-System ganz erheblich erhöht.

In Frankreich ist noch eine weitere Auswirkung beobachtet worden, nämlich dass die Lebensmittelwirtschaft genau das gemacht hat, was wir auch erwartet haben: Sie hat bei der Zusammensetzung ihrer Lebensmittel sehr viel mehr darauf geachtet, was darin ist, weil – wie ich soeben ausgeführt habe – kein Lebensmittelunternehmen gern mit der Kennzeichnung E, also der schlechtesten Kennzeichnung, im Laden stehen möchte.

Vor diesem Hintergrund komme ich zu Frage 3, wie die Lan

desregierung andere Vorschläge bewertet, insbesondere die neuesten Vorschläge von Frau Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner.

Frau Klöckner hat kurz vor der Verbraucherschutzministerkonferenz im Mai in Mainz ein neues, ein abweichendes Kennzeichnungssystem als Modell vorgelegt. Dieses Modell ist – das muss man zunächst einmal festhalten – nicht transparent, es ist erklärungsbedürftig. Eigentlich muss man sagen, man muss zuerst einmal einen Kurs mitmachen, um das überhaupt zu verstehen.

Es ist aber nicht nur dieser Mangel. Es ist auch der Mangel, dass damit herkömmliche Kennzeichnungsverfahren, die wir in anderen Bereichen schon haben, nicht aufgenommen werden; denn das Nutri-Score-System, welches wir befürworten, hat seine Vorbilder und ist sozusagen von den Verbraucherinnen und Verbrauchern schon gelernt.

Das gibt es zum Beispiel auch bei der Energieverbrauchskennzeichnung für elektrische Geräte. Auch dort haben wir dasselbe System: A, B, C, D, E. A ist am besten – am wenigsten Energieverbrauch, am effizientesten – und E am schlechtesten,

(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

ob es nun um Kühlschränke, Fernseher oder sonst irgendetwas geht.

Diese Abfolge A, B, C, D, E kennen wir auch aus anderen Bereichen, zum Beispiel von Finanzanlagen. Jeder weiß oder sollte wissen, dass Finanzanlageprodukte mit der Einstufung E Ramschpapiere sind, und A ist eben das Beste, das Zuverlässigste. – Ja, so ist das. Deswegen spricht alles für dieses Nutri-Score-System, und es spricht nichts für das System, das Frau Klöckner jetzt vorgestellt hat.

Das System von Frau Klöckner – das möchte ich hier des Weiteren sagen, und man muss es so sagen – ist europafeindlich; denn es führt dazu, dass Deutschland am Ende einen Sonderweg gehen würde und Verbraucher, die zum Beispiel in Rheinland-Pfalz an der Grenze wohnen und von Trier aus in Luxemburg einkaufen oder nach Frankreich hinüber fahren, sich mit zwei verschiedenen Nährwertkennzeichnungssystemen auseinandersetzen müssen. Dann muss man wirklich zuerst einen Kurs mitmachen, was was bedeutet. Es wäre im Sinne einer europaweit einheitlichen Lösung viel besser, auf das System zu setzen, auf das eine Vielzahl europäischer Länder bereits setzt.

Des Weiteren setzen auch in Deutschland Unternehmen auf freiwilliger Basis auf das Nutri-Score-System. Die Firma Danone zum Beispiel oder auch Iglo sind solche Beispiele. Danone hat alle Verbraucherschutzministerinnen und -minister vor der Verbraucherschutzministerkonferenz im Mai in Mainz noch einmal angeschrieben und auf die Vorteile des Nutri-Score-Systems aufmerksam gemacht. Sie sagen in ihrem Schreiben zum Beispiel, es ist wissenschaftlich fundiert, es ist vergleichbar auf europäischer Ebene, es ist eine neutrale Bewertung und diskriminiert nicht. Es ist auf den ersten Blick für Verbraucherinnen und Verbraucher leicht verständlich und gibt gute Orientierung. – Ja, all das ist richtig.

Deswegen ist es verbraucherfeindlich, aber eben auch europafeindlich und wirtschaftsfeindlich, jetzt auf ein anderes Kennzeichnungssystem setzen zu wollen, wie Frau Klöckner das tut; denn das missachtet alle Anstrengungen, die in der Wirtschaft für dieses VerbraucherschutzNährwertsystem, nämlich das Nutri-Score-System, schon gemacht worden sind.

Nun hat Frau Klöckner auf der Verbraucherschutzministerkonferenz gesagt, sie wolle auch mit ihrem System den Markt erkunden und Gespräche mit Unternehmen führen. – Das ist sicher sehr vernünftig. Ich frage mich nur, warum Frau Klöckner als Erstes mit einem Unternehmen wie Nestlé Gespräche führt und dazu auch ein Video aufnehmen lässt, das bisher alle Anstrengungen für ein Kennzeichnungssystem verweigert hat.

(Abg. Jens Guth, SPD: Nicht zu fassen!)

Naheliegend wäre doch gewesen, als Erstes zu den Unternehmen zu fahren, die schon Aktivitäten entwickelt haben, wie Danone, wie Iglo und viele andere.

Dies zeigt am Ende, das, was das Bundeslandwirtschaftsministerium da macht – ich fasse es zusammen –, ist europafeindlich, es ist verbraucherfeindlich, und es ist wirtschaftsfeindlich.

Damit komme ich zu Frage 4, die ich auch noch einmal beleuchten möchte. Der Umstand, dass inzwischen viele europäische Länder auf dieses System setzen – und auch Deutschland aus unserer Sicht und übrigens auch aus Sicht der großen Mehrheit der Verbraucherschutzministerinnen und -minister –, soll am Ende dazu führen, dass es ein europaweit einheitliches obligatorisches System geben wird, und das soll dieses System sein.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hartenfels.

Vielen Dank für die Ausführungen. Es ist ein ernstes Thema, das wir vor dem Hintergrund besprechen, dass in vielen Teilen der Welt Menschen verhungern oder an den Folgen von Unterernährung leiden und wir die gegensätzliche Situation haben, nicht nur dass wir einen Teil unserer Lebensmittel wegwerfen, sondern auch in die Übergewichtigkeit gehen. Vor dem Hintergrund frage ich: Welche Hoffnung haben Sie, dass durch dieses Nutri-Score-System die Verbraucherinnen und Verbraucher, was die Übergewichtigkeit betrifft, vielleicht neue Wege oder eine neue Art der Sensibilisierung erfahren?

Ich glaube, dass das in der Tat der Fall sein wird. Die französischen Erfahrungen, die dort seit 2017 gemacht worden sind, bestätigen das von zwei Seiten. Die Verbraucher sind höher sensibilisiert und greifen natürlich eher zu den Produkten mit A und B, statt mit D und E. Zweitens stellen die Unternehmen – nicht weniger wichtig – die Zusammensetzung ihrer Lebensmittel um, weil sie nicht in D

oder E landen wollen.

Beides zusammen genommen führt dazu, dass die Lebensmittel weniger zuckerhaltig sind bzw. die Zuckeranteile reduziert werden. Damit wird die Fehlernährung reduziert.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt.

Herr Staatssekretär, das Nutri-Score-System klingt sehr interessant. Es bietet sich an, europäische Vereinheitlichungen gerade in solchen Bereichen zu machen. Mich würde das sehr interessieren. In Frankreich hat man die längsten Erfahrungen gemacht. Der Erfolg hängt wesentlich davon ab, dass der breiten Bevölkerung bewusst ist, dass es das gibt. Wie haben die das gemacht? Können Sie ein paar Worte zu der Marketingkampagne dazu sagen? Welchen Aufwand haben sie betrieben, um das sozusagen im breiten Bewusstsein zu verankern?

Vielen Dank für die Frage. Ich kann leider keine Einzelheiten zu der Marketingstrategie in Frankreich nennen.

Auch zu beobachten – das ist ein guter Effekt – ist, dass die Unternehmen selbst, die es schon gemacht hatten, es von sich aus beworben haben. Es ist sozusagen ein selbstlaufender Effekt, weil die Wirtschaft ein Interesse daran hat, das System, was sie eingeführt und wofür sie vorgearbeitet hat, ins Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher zu rücken.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hartloff.

Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie die Chance ein, dass die Bundesregierung, sprich die Agrarministerin, ihren Widerstand gegen ein solches System bis zum Jahresende aufgibt und diesen Weg einschlägt? Die Bestrebungen, so etwas einzuführen, gibt es – ich bin versucht zu sagen – seit Jahrzehnten. Die CDU hat dem aber nicht zugestimmt.

(Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU: Es waren auch schon andere an der Regierung!)

Was für mich vielversprechend war, ist, dass in Aussicht gestellt wurde, zum Jahresende so etwas zu machen. Wie groß sind die Chancen?

Frau Klöckner hat auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Mainz diese Aussage unter dem Druck der Bundesländer getätigt, die das schnellstmöglich gefordert haben. Sie hat vor dem Hintergrund zugestehen müssen, dass

sie im nächsten halben Jahr eine entsprechende Entscheidung herbeiführen will.

Ich nehme das Verhalten im Moment als hinhaltenden Widerstand wahr. Ich hoffe, dass er überwunden werden kann.

(Abg. Simone Huth-Haage, CDU: Jetzt reicht’s aber!)

Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Groß.

Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Sie haben den kausalen Zusammenhang hergestellt, dass Nutri-Score wichtig sei, weil zu viel Übergewichtigkeit etc. bei Jugendlichen und Erwachsenen vorhanden sei. Hat man vielleicht etwas in Anlehnung an die Zigarettenpackungen festgestellt? Dort sind drastische Bilder aufgeführt. Hat sich das Raucherverhalten verändert? Ist es weniger geworden? Greift diese Maßnahmenkampagne? Kann man das auf Lebensmittel übertragen in der Hoffnung, dass es dort seine Wirkung entfaltet?

Frau Abgeordnete, das Nutri-Score-System hat einen etwas anderen Ansatz als die Gestaltung der Raucherpackungen. Es geht nicht darum, mit diesem System irgendwelche Ängste zu verbreiten, übergewichtige Personen zu zeigen oder bloßzustellen. Es geht einfach darum, mit diesem System zu sagen, was gut, was besser, was am besten und was nicht so gut ist.

Die Erfahrungen aus Frankreich zeigen, dieses System kommt bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern an. Ich würde es nicht für vernünftig halten, wenn wir in diesem Bereich mit irgendwelchen Schockbildern arbeiten müssten, wie das im Bereich der Zigarettenindustrie üblich ist.

Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Huth-Haage.

Herr Staatssekretär, ich glaube, wir sind uns einig, dass eine europäisch abgestimmte vereinfachte Nährwertkennzeichnung der beste Weg wäre. Es ist ganz klar, dass wir eine Vereinfachung brauchen, damit die Verbraucher es klar erkennen.

Sie haben das Nutri-Score-System sehr positiv dargestellt. Ich will sagen, es gibt wissenschaftliche Begleitungen, die sagen, es gibt dort kritische Dinge zu sehen, beispielsweise die Bewertung eines Menüs aus Pommes Frites, Schnitzel und einem Light-Softgetränk. Der dahinterstehende Nutri-Score-Algorithmus gibt diesem Menü eine grüne, eine positive Bewertung, also die zweitbeste Bewertung.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Schnitzel ist immer gut!)

Wie würden Sie das bewerten?

Frau Huth-Haage, ich kann nicht jede Einzelheit dieses Systems bewerten. Es geht darum, ob in den relevanten Fällen, also nicht bei dem Einkauf eines Menüs, sondern bei dem Einkauf der Produkte im Supermarkt, Klarheit herrscht.

Ich will sagen, dieses Nutri-Score-System ist in Frankreich intensiv wissenschaftlich untersucht worden. Es sind keine relevanten negativen Feststellungen getroffen worden, die Zweifel an diesem System hätten aufkommen lassen.

Mir liegen noch sechs Fragen vor. Danach betrachte ich die Frage als beantwortet.

Zunächst hat Frau Kollegin Lerch das Wort.