Protokoll der Sitzung vom 13.11.2019

Diese Kinder müssen nicht nur einen frühen Bindungsabbruch und den Verlust von Vertrauenspersonen erleben, diese Kinder haben nicht selten auch schwere körperliche und emotionale Vernachlässigungen bis hin zu Missbrauch und zu Misshandlungen erlebt. Die derzeitige Regelung zum Kostenbeitrag gefährdet aus meiner Sicht eine gerechte Chance auf ein selbstständiges und verantwortungsvolles Leben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei SPD und FDP und der Abg. Simone Huth-Haage, CDU)

Sie widerspricht damit auch eindeutig dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe. In der Anhörung wurde geäußert, die jungen Menschen würden bei der Streichung des Kostenbeitrags zu einem unangemessenen Lebensstil und unrealistischen Wünschen verleitet. Das sind meines Erachtens Vorurteile und Vorverurteilungen in Reinstform, wenn man diesen Jugendlichen unterstellt, dass sie mit Geld nicht umgehen können.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Das ist aber leider so!)

Bei Kindern, deren Eltern genug Geld haben, um sie auch finanziell in vielerlei Hinsicht zu unterstützen, macht sich auch niemand Sorgen, dass dies den Kindern schade und hierdurch unrealistische Erwartungen an die Zukunft entstehen könnten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP – Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP: Richtig!)

Ich halte es ganz im Gegenteil wichtig dafür, um mit Geld umgehen zu lernen, dass die junge Menschen selbst über ihr Einkommen verfügen und sich dies dann auch einteilen können. Vor diesem Hintergrund lehne ich auch die Einrichtung eines Treuhandkontos ab.

Wir haben in der Anhörung erfahren, dass die Kostenerstattung für die kommunalen Finanzen nur eine marginale Bedeutung hat und der bürokratische Aufwand schon jetzt im Vergleich zu den Einnahmen hoch ist. Würde man einen Kostenbeitrag von 50 bzw. 25 % einbehalten, dann wäre der Kostenaufwand für die Bürokratie höher als die damit verbundenen Einnahmen.

Deshalb wäre dieses Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag wirklich nicht gerechtfertigt, und die Frustration der jungen Menschen über die Bevormundung würde fortbestehen. Die Chance auf ein eigenverantwortliches Leben gibt man jungen Menschen nur, indem man ihnen

ermöglicht, selbst ihre finanziellen Möglichkeiten einzuschätzen und verantwortungsvoll damit zu planen.

Aber nicht nur der Umgang mit materiellen Dingen ist dafür wichtig, sie brauchen auch die Möglichkeit zur Mitsprache, zur Beschwerde und zur Beteiligung. Deshalb bin ich froh über die Ombudsstelle bei der Bürgerbeauftragten und darüber, dass im nächsten Jahr erstmals ein Landesheimrat als Interessenvertretung für junge Menschen aus den stationären Jugendhilfeeinrichtungen gewählt wird.

Als Familienministerin ist es mir ein großes Anliegen, allen jungen Menschen die gleichen Chancen zu geben und sie auch mitbestimmen und teilhaben zu lassen. Diejenigen, die es ohnehin schon schwer haben, sollen es nicht noch schwerer haben. Daher werde ich mich bei der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes unter anderem für eine Abschaffung des Kostenbeitrags einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und FDP sowie der Abg. Simone Huth-Haage, CDU)

Zu einer Kurzintervention hat sich der Abgeordnete Frisch gemeldet.

Frau Ministerin, ich möchte einige Sätze zu dem sagen, was Sie als Begründung für die Ablehnung unseres Antrags angeführt haben. Zum einen waren sich bei der Anhörung eigentlich alle einig, dass es nicht eine Frage des Geldes sein kann. Die Kommunen nehmen damit ohnehin wenig Geld ein. Jetzt sagen Sie, wenn man 25 % Eigenanteil einbehält, wird das Verhältnis noch einmal schlechter, aber die Kosten würden gedeckt. Genau darum geht es eben nicht. Es soll nicht eine Einnahmequelle der Kommune darstellen. Das haben die kommunalen Vertreter selbst ausdrücklich so gesagt.

Es geht auch nicht darum, die jungen Menschen in irgendeiner Form zu bestrafen, indem man sagt, sie müssen jetzt einen großen Teil des von ihnen verdienten Geldes abgeben.

Aber gerade wenn Sie sagen, es geht um Eigenverantwortung, es geht um Selbstständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung, dann würde es doch absolut Sinn machen, unserem Vorschlag zu folgen, der eine klare Aufstellung hat. Es gibt einen hohen Selbstbehalt, der zur freien Verfügung steht, es gibt einen Solidarbeitrag, und das ist auch Ausdruck von Eigenverantwortung, dass man sagt, ich gebe von meinem verdienten Geld etwas für meinen Lebensunterhalt. Das ist mein Leben, das sind meine Kosten, die entstehen, und dazu leiste ich einen Beitrag.

Da steigt nicht nur das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein dieser jungen Menschen, sondern zeigt auch, ich kann mich nicht immer von anderen aushalten lassen, auch dann, wenn ich selbst Geld verdiene. Natürlich ist es

selbstverständlich, dass man solidarisch mit diesen jungen Menschen ist, wenn sie in Not sind und keine eigenen Mittel haben. Das ändert sich aber im Laufe der Zeit, und deshalb halten wir es für sinnvoll, dass sie eben dann

(Glocke des Präsidenten)

einen Beitrag dazu leisten als Ausdruck ihrer Eigenverantwortung.

Die können sie dann auch einüben, und die werden sie später im Leben brauchen.

Noch ein letzter Punkt.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Nein, es hat geklingelt!)

Es gibt in den Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften auch junge Menschen, die etwas abgeben müssen. Wenn diese jungen Menschen dann Geld verdienen, müssen sie dieses Geld auf ihr Hartz IV-Einkommen anrechnen lassen. Dann müssten wir konsequenterweise auch in diesem Punkt mit Ihrer Argumentation diese Regelung abschaffen und sagen, auch diese jungen Menschen dürfen alles, was sie verdienen, für sich behalten. Das wird aber wahrscheinlich niemand ernsthaft fordern, und darin sehen wir tatsächlich auch eine Gerechtigkeitslücke gegenüber diesen Jugendlichen, die in solchen Bedarfsgemeinschaften wohnen.

Ich werbe noch einmal für unseren Vorschlag. Ich halte ihn für vernünftig, ich halte ihn für ausgewogen und vor allem für geeignet, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Zur Erwiderung hat Frau Staatsministerin Spiegel das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Frisch, ich kann das hier so nicht stehenlassen, deshalb möchte ich zwei Punkte der Erwiderung dazu anführen.

Erstens: Ich hatte das mit dem Treuhandkonto aufgeführt, und dieser Punkt ist nicht unwichtig, weil es hier auch um unnötige Bürokratie geht. Es wird in diesem Hohen Hause gern – ich glaube, darin sind sich viele einig – darüber gesprochen, dass wir Bürokratie an Stellen abbauen sollten, wo sie einfach unnötig ist. Das wäre eine Stelle, wo wir ganz konkret Bürokratie abbauen könnten, um der Verwaltung unnötige Arbeit zu ersparen. Das wäre mein erster Punkt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei SPD und FDP)

Der zweite Punkt betrifft eben genau diese Ungerechtig

keit, die dankenswerterweise von den Vertreterinnen und Vertretern der Ampelfraktionen und der CDU-Fraktion angesprochen wurde. Auch mein Gerechtigkeitsempfinden ist berührt, wenn es darum geht, dass junge Menschen einen Teil ihrer Ausbildungsvergütung oder Ähnliches abgeben müssen, die nichts für ihr eigenes Schicksal können.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Aber für ihren eigenen Lebensunterhalt!)

Sie konnten nichts dafür, dass sie in einer Pflegefamilie oder in einem Heim aufwachsen, und hier sehe ich eine Gerechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss.

Im nächsten Jahr wird auf Bundesebene das Kinder- und Jugendhilfegesetz vorgelegt, und dann werden wir uns für Rheinland-Pfalz dafür einsetzen, dass wir diese Gerechtigkeitslücke schließen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Michael Frisch, AfD)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit kommen wir zur Abstimmung.

Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/10507 – ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD, CDU, FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Alternativantrag – Drucksache 17/10512 – der Fraktion der AfD. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD abgelehnt.

Wir kommen nun zu Punkt 9 der Tagesordnung:

6. Landesbericht „Hilfen zur Erziehung in Rheinland-Pfalz“ Besprechung des Berichts der Landesregierung (Vorlage 17/5604) auf Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/10466 –

Ich erteile der Abgeordneten Simon das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute den 6. Landesbericht zum Thema „Hilfen zur Erziehung in Rheinland-Pfalz“. Lassen Sie mich am Anfang einige Feststellungen treffen.

Erstens: Hilfe zur Erziehung ist eine originäre Aufgabe der

Kommunen.

Zweitens: Der Bericht bedeutet eine fortlaufende Evaluierung über die Entwicklung der Hilfe zur Erziehung, an der die Jugendämter, das heißt also die Kommunen, sich beteiligen und dadurch seit 2002 gemeinsam die Qualität weiterentwickelt haben. Somit kann man eigentlich davon ausgehen, dass dies auch einen großen Einfluss auf unser Landeskinderschutzgesetz aus dem Jahr 2008 und auch auf das Bundeskinderschutzgesetz aus dem Jahr 2011 hatte. Wir erinnern uns, dass damals einige Fälle von Kindestötungen in Deutschland stattfanden, sodass wir dadurch aufgefordert wurden zu handeln, wofür dieser Bericht eine gute Grundlage darstellt.

Drittens: Das Land unterstützt die Kommunen freiwillig jedes Jahr mit ca. 50 Millionen Euro sowie besonders sozial belastete Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich in der Säule C 3.