Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

Es gibt weitere Kurzbeiträge nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung. Zunächst Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Debatten, wie sie heute über konkrete aktuelle Geschichten geführt werden, gehören zum parlamentarischen Betrieb. Sie sind das Salz in der Suppe. Würden wir demnächst nur noch eine Einheitssoße machen, uns jeweils die Hände schütteln und uns wechselseitig sagen, wie toll wir sind, dann wäre das katastrophal. Die Leute sollen sich durchaus eine Meinung darüber bilden, welche Persönlichkeiten wie ihren jeweiligen Auftrag ausfüllen. Da kann man durchaus unterschiedlicher Auffassung sein.

Ich will nur, damit uns keine falsche Gemengelage entsteht, an Folgendes erinnern: Untersuchungsausschüsse, Anke, beschäftigen sich nicht nur mit Regie

(Wolfgang Kubicki)

rungstätigkeit. Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine ganze Reihe von SkandalEnqueten mit wirklich herausragenden Ergebnissen für die Demokratie: Neue-HeimatUntersuchungsausschuss

(Zuruf von der SPD)

- wir müssen gar nicht so weit zurückgehen -, Parteispenden-Untersuchungsausschuss, Flick-Affäre.

Es kommt, weil das Ziel beziehungsweise der Gegenstand völlig anders als der der Justiz ist, bei Untersuchungsausschüssen zur Untersuchung von Vorgängen, die überhaupt keinen strafrechtlich relevanten Kern haben. Das muss ja auch nicht so sein; denn die Frage politischer Legitimität muss - wenn nicht hier, wo denn sonst? - aufgrund von Sachverhaltsermittlungen im parlamentarischen Raum diskutiert werden, und zwar stellvertretend für das, was in der Bevölkerung vorgeht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Deshalb kann es dazu kommen - so soll es von der Gewaltenteilung her ja auch sein -, dass Justiz, Staatsanwaltschaft und auch Untersuchungsausschüsse den gleichen Sachverhalt mit völlig unterschiedlicher Ausrichtung untersuchen und interessanterweise auch zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.

Ich kann das an meinem eigenen Beispiel deutlich machen. Es hat drei Untersuchungsausschüsse zur Deponie Schönberg gegeben, die sich auch mit mir als Person beschäftigt haben. Sie kommen interessanterweise in der politischen Bewertung zu einer völlig anderen Auffassung als die Gerichte oder Staatsanwaltschaften, die sich anschließend mit dem Vorgang beschäftigen mussten. Gleichwohl stelle ich mich nicht hin und sage: Es ist eine Sauerei, was die in Meck-Pom dort gemacht haben! - Ich muss ertragen können, dass die politische Bewertung eines Vorgangs von den Beteiligten anders vorgenommen wird als die justizielle Aufarbeitung.

(Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das, was in Schleswig-Holstein mit dem Untersuchungsausschussgesetz ursprünglich hat erreicht werden sollen und was uns nur teilweise gelungen ist, war - dies ging auf Erfahrungen im BarschelUntersuchungsausschuss zurück -, die Rechte von Betroffenen in dem Verfahren zu stärken, weil der allgemeine Hinweis auf die Strafprozessordnung nicht ausreichend war. Wir haben ja schon beim Schubladen-Untersuchungsausschuss festgestellt, dass es da Nachbesserungsbedarf gibt, weil die Rege

lungen die ursprünglich beabsichtigte Intention in der Praxis nicht erfüllen können.

Selbstverständlich bin ich von ganzem Herzen ein Verteidiger der Rechte von Betroffenen, von Angeklagten gegen staatliche Eingriffe, auch gegen parlamentarische Eingriffe. Aber wir müssen uns unser Untersuchungsausschussgesetz einmal angucken. Das führt natürlich - ähnlich wie in Strafverfahren - auch dazu, dass die Vertreter von Betroffenen oder von Angeklagten alle rechtlichen Möglichkeiten zum Schutz ihrer Mandanten ausschöpfen, was eine Verfahrensverzögerung zur Folge hat. Ich kann sagen: Wenn ich Vertreter eines Betroffenen in diesem Untersuchungsausschuss wäre, dann würde ich es auch hinbekommen, dass man bis zum Ende der Legislaturperiode wegen der Wahrung der Rechte der Betroffenen nicht mehr zu einem Ergebnis kommen kann, wodurch alles dem Diskontinuitätsprinzip unterfiele.

Daher müssen wir uns über eine Verbesserung der Instrumente unterhalten, nicht aber über die Abschaffung der Untersuchungsausschüsse selbst.

(Beifall bei FDP, SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anke, konsequenterweise müsstet ihr mit der gleichen Begründung, mit der ihr die Abschaffung der Untersuchungsausschüsse und die Einsetzung von Sonderermittlern fordert, die Abschaffung des Parlaments, jedenfalls was Haushaltsberatungen angeht, fordern; denn der Bund der Steuerzahler hat am 5. Januar 2004 erklärt, das Parlament sei gar nicht in der Lage, die notwendigen Sparbemühungen vorzunehmen, weil man sich politisch streite. Es bedürfe hier einer unabhängigen Kommission zur Einsparung. Das ist die gleiche Argumentation wie bei euch. Da wir das Parlament in keiner seiner Funktionen entmachten, sondern die Rechte des Parlaments stärken wollen, werden wir eurem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei FDP, SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine bemerkenswerte Debatte, die wir hier erleben. Das gesamte Haus ist sich eigentlich darin einig, dass der Antrag des SSW nicht weiter verfolgt werden sollte. Bei dem bemerkenswerten Redebeitrag unseres Kollegen Geißler habe ich fest

(Dr. Johann Wadephul)

gestellt, Frau Spoorendonk, dass selbst Sie geklatscht haben, also eingesehen haben, dass Ihr Antrag falsch ist und in die falsche Richtung führt.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Oh nein!)

- So war es.

Dann hören wir aber von der linken Seite des Hauses Wortbeiträge - dazu zählt auch der Beitrag des Kollegen Puls -, die sich zu 80 % dem Zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss und dem Vorgehen der Minderheit in diesem Ausschuss widmen.

(Günter Neugebauer [SPD]: Es war alles richtig, was er gesagt hat!)

- Nein, es war nicht alles richtig. Wenn Sie uns hier vorwerfen, wir würden die Möglichkeiten, die die Verfassung beziehungsweise das Untersuchungsausschussgesetz uns einräumten, missbrauchen, dann kann ich nur sagen: Dieser Vorwurf fällt auf Sie zurück, wenn Sie eine solche Debatte in diesem Hause auf diese Art und Weise nutzen.

(Beifall bei der CDU)

Ich muss ganz offen sagen: Gerade in SchleswigHolstein, wo das Untersuchungsausschussrecht praktisch mit geboren wurde, wo wir vor gut zehn bis zwölf Jahren wesentliche Debatten dazu geführt und einen großen Beitrag dazu geleistet haben, dass das Untersuchungsausschussrecht in die bundesrepublikanische Parlamentsgeschichte Eingang gefunden hat, sollten wir Situationen, in denen ein Untersuchungsausschuss in einer Art und Weise agiert, dass es den Regierungsfraktionen möglicherweise nicht passt, nicht dazu nutzen, gleich wieder an die Grundfesten unseres parlamentarischen Systems, an die Grundfesten auch eines Konsenses der Demokraten heranzugehen und solche Instrumentarien infrage zu stellen.

Deshalb muss ich in aller Form zurückweisen, dass Sie eine solche Debatte dafür nutzen, sich überwiegend mit der Arbeit im 2. PUA auseinander zu setzen, und Sie auffordern: Kehren Sie zurück zu einer guten parlamentarischen Gemeinsamkeit und zu einer gemeinsamen Arbeit, die akzeptiert, dass wir derzeit in der Minderheit sind, aber jede Möglichkeit nutzen, Sie auf das härteste zu kontrollieren.

(Beifall bei der CDU - Ursula Kähler [SPD]: Das ist aber schade!)

Wortmeldungen bitte beim Präsidium anmelden! Dann wird das Wort erteilt. Sonst wird es unübersichtlich.

Nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal in aller Sachlichkeit darauf aufmerksam machen, dass uns der SSW hier ein Modell vorschlägt, das es anderenorts überhaupt nicht gibt. Der SSW schlägt nämlich vor: Die Sachverhaltsermittlung erfolgt durch unabhängige Richter und dann hat das Parlament die Aufgabe der Bewertung. Meine Damen und Herren, das geht nicht.

Eine Beweisaufnahme zu bewerten, auf deren Verlauf man keinen Einfluss gehabt hat, an der man bestenfalls als Beobachter teilgenommen hat, kann entweder nur in Kritik an der Beweisaufnahme oder in deren Übernahme münden. Dann verbietet sich eigentlich jegliche sachliche Kritik. Das ist auch nicht das Verfahren im angelsächsischen Raum. Es hat dort niemals eine parlamentarische Erörterung der Berichte der Tribunal of Enquiry gegeben. Die Richterkommission hat bewertet. Hat sie der Regierung Fehlverhalten bescheinigt, ist das betroffene Kabinettsmitglied unverzüglich zurückgetreten und hat sich beim Parlament und bei der Öffentlichkeit entschuldigt. Hat die unabhängige Kommission festgestellt, es gebe kein Fehlverhalten der Regierung, hat die parlamentarische Opposition den Fall für erledigt erklärt und nie wieder Stellung dazu genommen. Meine Damen und Herren, es geht nur das eine oder das andere.

Ich spreche mich nachdrücklich und nachhaltig dafür aus, dass wir am bewährten Instrument parlamentarische Untersuchungsausschüsse festhalten.

(Beifall bei der FDP)

Eines will ich sehr klar sagen. Der SSW ist bemüht, uns einen Vorschlag zu unterbreiten in dem Glauben, er würde uns einen Gefallen erweisen. An einer Stelle bin ich aber ein bisschen erschrocken. Frau Kollegin Spoorendonk, Sie formulieren: „lieber unabhängige Richter als parteiische Politiker“. Ich sage Ihnen, zu einer funktionierenden Demokratie gehört beides. Wir brauchen unabhängige Richter und wir brauchen parteiische Politiker. Es ist ein Irrglaube zu meinen, es gebe ein objektives Gemeinwohl, an dem sich alle gleichermaßen orientieren könnten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Es gibt keine par- teiischen Politiker!)

Nein, in der partikulären Gesellschaft wird es immer Meinungsverschiedenheiten geben. Sie müssen in aller Offenheit und Sachlichkeit ausgetragen werden.

(Thorsten Geißler)

Wenn es im Zusammenhang mit der Ermittlung politischer Sachverhalte, politischen Fehlverhaltens überhaupt eine objektive Wahrheit gibt, wird deren Ermittlung nur im Streit und niemals im Konsens zustande kommen können. Das sollten wir in Sachlichkeit, in Respekt voreinander austragen. Dann tun wir dem Parlament einen Gefallen. Wir haben Instrumente dafür. Wenn wir sie vernünftig ausfüllen, werden wir Parlamentarismus auch so praktizieren, dass er in der Öffentlichkeit Akzeptanz findet, und ein Regierungsmodell haben, wie ich noch kein besseres gefunden habe.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich ausdrücklich für die erste Runde der Beiträge zu unserem Antrag.

Ich möchte auch noch auf Folgendes hinweisen. Uns liegt an dieser Diskussion, auch an dem, was Sie hier noch ausgeführt haben, an der tatsächlichen richterlichen Unabhängigkeit und der Sachverhaltsaufklärung. Wir wollen mit unserem Antrag Folgendes erreichen: eine schnelle und zügige Sachverhaltsaufklärung. Die zwei Jahre, die wir zum Teil in Untersuchungsausschüssen verbringen, die wir allein für Sachverhaltsermittlungen brauchen, die zeitlich immer etwas sehr schwierig ist, hindert die Bevölkerung daran, die Ereignisse mitzuverfolgen, da nur noch ab und zu Einzelmeinungen aus dem Ausschuss veröffentlicht werden.

Der Einzelne kann häufig auch nicht mehr nachvollziehen, was dieses Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses soll, wenn man nach drei Jahren zu einem Ergebnis kommt, das kaum noch registriert wird.

Wir wünschen ausdrücklich eine unabhängige Richteruntersuchung, weil wir denken, dass das Verfahren wesentlich schneller liefe. Bei einigen der Argumente, die die Kollegen, insbesondere Herr Geißler und Herr Kubicki, aber auch Herr Puls, hier vorgetragen haben, gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht. Eine „objektive“ Tatsachenermittlung halte ich auch für schwierig. Bei der Sachverhaltsdarstellung halte ich eine Einbindung von Parlamentariern langfristig für sinnvoll, weil sich Veränderungen ergeben. Darüber wollen wir gern reden. Darüber wollen wir die Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss führen.

Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie sich inhaltlich und sachlich mit unserem Anliegen auseinander gesetzt haben. Wir möchten im Ausschuss gern noch einmal darüber reden, wie man bewerkstelligen kann, dass die Sachverhaltsfindung für die Bevölkerung nachvollziehbar wird. Gehen Sie doch einmal raus und fragen Sie, was der Zweite Parlamentarische Untersuchungsausschuss macht. Das weiß kein Mensch mehr.

Die Aufklärung und die Bewertung kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem das für jemanden draußen kaum noch nachvollziehbar ist. Es ist ein Beschäftigungsprogramm. Die Tatsache, dass der Ausschuss höchstens einmal wöchentlich tagt, trägt nicht dazu bei, dass man schnell vorankommt.