Protokoll der Sitzung vom 26.08.2004

(Martin Kayenburg)

erfolgt zum Beispiel die Zuteilung der vom Bund zugesagten jährlichen Mittel von 3,2 Milliarden € an die Länder? Wie werden diese an die Kommunen weitergeleitet? Wie wird den Kommen der Anteil am Wohngeld zugewiesen, damit diese den Auftrag der Kinderbetreuung erfüllen können? Alles das sind Fragen, auf die Sie bisher keine Antwort gegeben haben. Herr Minister, das frühzeitige Aussprechen für eine Methode ersetzt keineswegs die frühzeitige Planung und auch nicht die Umsetzung der Methode.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden es jedenfalls nicht hinnehmen, dass die Kommunen durch die alleinige Abwälzung der Probleme in Schwierigkeiten gebracht werden. Herr Minister, ich denke, das ist ein Punkt, den Sie aufgenommen haben. Ich glaube aber, Sie sollten auch aufnehmen, dass Unsicherheiten leider auch entstehen, weil bis zum heutigen Zeitpunkt keine hinreichende Aufklärung bei den Betroffenen erfolgt ist. Die zukünftigen ALG-II-Bezieher fühlen sich in weiten Teilen unverstanden und unaufgeklärt. Sie sehen der zu erwartenden unbekannten Zukunft oft angsterfüllt entgegen und reagieren auf Bürokratie - wie zum Beispiel auf den Fragebogen - häufig verschreckt. Bis heute gehört es zur Pflicht der Information, dass klargemacht wird, dass bei Nichtabgabe beziehungsweise nicht fristgerechter Abgabe des ausgefüllten Fragebogens eine Zahlung nicht zeitnah erfolgen kann. Das ist bei den Betroffenen ebenfalls noch nicht angekommen. Herr Minister, wer wie Sie auf Zeit spielt, der wird keine Chance haben, Hartz IV glaubwürdig zum Wohle der betroffenen Menschen zum 1. Januar 2005 umzusetzen.

Wir fordern eine zügige Umsetzung zu diesem Zeitpunkt. Wir hoffen, dass nicht erneut ein Chaos durch handwerkliche Fehler auf Bundes- oder Landesebene erfolgt. Wir jedenfalls werden Sie bei der Umsetzung - soweit das in unserer Macht steht - unterstützen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Abgeordneter Hentschel hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Menschen in Deutschland sind durch Hartz IV verunsichert. Das gilt insbesondere für die Menschen in den neuen Bundesländern, die zu Zehntausenden zu den Montagsdemonstrationen strömen. Ich bin der Auffassung, wir müssen das als Politike

rinnen und Politiker sehr ernst nehmen und uns die Fragen stellen: Sind die Ängste berechtigt? Ist das Vorhaben grundsätzlich richtig? Gibt es Fehler bei der Umsetzung? Sind Korrekturen erforderlich und welche?

Zu Frage eins: Betroffen sind Menschen mit guten Einkommen, die jetzt arbeitslos werden und nach einem bis anderthalb Jahren nur noch das Gleiche bekommen wie alle anderen auch. Betroffen sind Frauen, deren Männer ein gutes Einkommen haben, weil sie jetzt keinen eigenen Leistungsanspruch mehr haben. Das ist eine Maßnahme, die wir Grünen nicht wollten. Besonders betroffen sind dadurch die neuen Bundesländer, da es dort erheblich mehr Doppelverdienerfamilien gab, bei denen es nun zur Anrechnung kommt. Wenn man das nicht will, dann muss die Anrechung des Einkommens des Ehepartners deutlich eingeschränkt werden.

Eindeutig falsch ist die Behauptung, es würde bei den Ärmsten gekürzt, womit die PDS zurzeit Wahlkampf betreibt. Die Mehrzahl der ALG-II-Bezieherinnen und -bezieher mit Kindern und niedrigen Einkommen mussten schon bisher zusätzlich Sozialhilfe beantragten. Eine allein erziehende Frau mit einem Kind bekommt einschließlich Wohngeld etwa 1.000 € ALG II. Diese Frau hätte in ihrem letzten Job mehr als 1.750 € netto oder mehr als 2.600 € brutto verdient haben müssen, um von Kürzungen betroffen zu sein.

Die wirklich Armen, die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen, die Familien und die Alleinstehenden mit Kindern, die zu den unteren und mittleren Einkommensschichten gehören, und die Geringverdiener und Geringverdienerinnen sind nicht betroffen. Sie werden sogar in mehrfacher Hinsicht besser gestellt, wie der Kollege Baasch das vorhin dargestellt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich stehe zu Hartz IV, denn ich halte es für richtig, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengeführt werden, dass es nicht mehr zwei Klassen von Erwerbslosen gibt und dass die Verschiebebahnhöfe beendet werden. Ich halte es für richtig, dass in Zukunft alle Leistungen und individuelle Betreuung aus einer Hand bekommen. Anders als häufig behauptet, war die Arbeitslosenhilfe nie eine Versicherungsleistung, sondern eine aus Steuern bezahlte Sozialleistung. In Zukunft bekommen Menschen, die einmal höhere Einkommen bezogen haben, nach einiger Übergangszeit die gleichen Sozialleistungen wie die Erzieherin oder der Taxifahrer. Das ist hart, hat aber auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun.

(Karl-Martin Hentschel)

Meine Damen und Herren, auch ich sehe Fehler in der Umsetzung. Aber es ist ein absurdes Theater, dass die CDU Regelungen kritisiert, die sie selbst mit hineinverhandelt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

So kritisiert CDU-Ministerpräsident Böhmer, dass Arbeitslose bei Minijobs nur 51 € behalten dürfen. Auch ich halte das für falsch. In der rot-grünen Vorlage war vorgesehen, dass man jeden zweiten Euro behalten darf. Die Union hat dagegen gefordert, dass man unterhalb von 400 € überhaupt nichts behalten soll.

(Jutta Schümann [SPD]: Hört, hört!)

Herr Böhmer, das halte ich für verlogen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Auch kritisiert er, dass jeder Job zumutbar ist. Auch hier hatte die Union zuvor noch viel mehr gefordert.

(Jutta Schümann [SPD]: Sieh einmal an!)

Die CDU hielt sogar einen Umzuges für einen befristeten Teilzeitjob für zumutbar.

(Jutta Schümann [SPD]: Das muss man sich einmal vorstellen!)

Weiter wird behauptet, den Arbeitslosen wird ihr Erspartes genommen: Tatsächlich liegen die Freibeträge für alle ALG-II-Empfänger höher als bisher. Die Freibeträge für Kinder, über die eine verlogene Debatte inszeniert wurde, sind für Sozialhilfeempfänger dreimal so hoch wie bisher und durch die neue Regelung sogar achtmal so hoch wie bisher.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für Arbeitslose gab es bisher überhaupt kein Geld für Kinder.

Die CDU hat aber noch mehr gefordert: zum Beispiel, dass es keinerlei Kinderfreibeträge gibt - das stand in dem Papier, mit dem die CDU in die Verhandlungen gegangen ist -, dass ALG-II-Bezieher kein Auto besitzen dürfen, dass keine Rentenbeiträge gezahlt werden sollen, dass bei Regelverstößen das komplette ALG II und sogar das Wohngeld gestrichen werden kann.

Diese Härten konnten wir weitgehend verhindern und unter anderem erreichen, dass die Unterhaltsleistung bei mehrfachen Verstößen nur um maximal 30 % gekürzt werden kann.

Der Gipfel der Merkel-Vorschläge war die Forderung, die Einkommen von Eltern und Kindern sollten unbegrenzt gegenseitig angerechnet werden. Das heißt, eine junge Familie muss dann auch noch das ALG II für die Eltern zahlen, wenn diese arbeitslos werden, oder umgekehrt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Können Sie Ihre Wahlkampfrede nicht sein lassen?)

Wir haben durchgesetzt, dass die Eltern für ihre Kinder nur bis zum 25. Lebensjahr haften.

(Zurufe von der CDU - Zuruf von der FDP: Warum schreien Sie denn so?)

- Es wäre gut, wenn Sie zuhören würden. Denn Ihr Redebeitrag hat sehr deutlich gezeigt, dass Sie überhaupt nicht wissen, was Ihre eigene Partei in diesen Verhandlungen vertreten hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das finde ich erschreckend für einen Fraktionsvorsitzenden.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Ich bin empört über das, was Sie hier vorgetragen haben.

(Lachen bei CDU und FDP)

Ich möchte wirklich nicht wissen, was gewesen wäre, wenn diese Vorschläge der Union im Bundesrat durchgesetzt worden wären, ganz zu schweigen von der FDP; denn der war selbst das noch viel zu viel an Leistungen. Ich finde, Ihnen müsste geradezu die Schamröte ins Gesicht steigen, da Ihr Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein jetzt von Umsetzungsfehlern spricht.

(Martin Kayenburg [CDU]: Natürlich sind es Umsetzungsfehler!)

Letzte Woche hat die CDU in Schleswig-Holstein beschlossen, die Sozialhilfe in Schleswig-Holstein um 25 % zu kürzen. Hier geht es tatsächlich um die Ärmsten der Armen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Nun ist klar, wie das aussehen soll: volle Haftung von Kindern für Eltern und umgekehrt, volle Anrechnung aller Ersparnisse und vollständige Streichung aller Leistungen bei Verstößen. Das ist Ihr Plan, der dann 2006 mit der Mehrheit im Bundestag und Bundesrat - wie Sie es sich wünschen - umgesetzt werden soll.

(Karl-Martin Hentschel)

Das ist so zynisch, dass ich mich nicht wundere, dass Herr Carstensen für diesen Wahnsinn keine Sozialministerin gefunden hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dass sich die FDP, die immer noch härtere Einschnitte gefordert hat und während ihrer Regierungszeit in 16 Jahren die Lohnnebenkosten um insgesamt über 50 % in dieser Republik hochgetrieben hat, jetzt absetzt,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wo setzt sie sich denn ab, du Schreihals?)

obwohl sie im Bundestag allen Gesetzen zugestimmt hat