Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Auch wenn wir bis zum heutigen Tag keine konkreten Zahlen auf dem Tisch liegen haben, werden insbesondere die Bundestagsabgeordneten der CDU nicht müde, sich als Kaffeesatzleser zu betätigen. Dieser Begriff stammt nicht von mir, sondern ist bei der Verabschiedung der Kommandeure bei der WBK I gefallen.

Ich halte diese Aussagen, dass Sie - aus Ihrer Sicht schon wieder etwas Neues wissen, eigentlich für unverantwortlich. Es ist weder hilfreich noch förderlich. Es schafft Unsicherheit in Truppe und Bevölkerung und demotiviert alle Akteure, die sich für SchleswigHolstein einsetzen.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Oh!)

- Herr Austermann - um nur einmal einen Namen zu nennen - ist da ja Meister.

Vielleicht können wir heute gemeinsam zu Fakten zurückkehren.

Seit 1990 beschäftigt uns das Thema Truppenabbau am Anfang freudig begrüßt, weil es ein Zeichen der Entspannung und eine Möglichkeit der Friedensentwicklung war. Heute erkennen wir, dass die Ausschüttung der so genannten Friedensdividende im Wesentlichen an uns vorbeigegangen ist.

Woran das liegt, will ich im Einzelnen gar nicht analysieren. Vielleicht hätte man in dieser Anfangsphase bis

1998 grundlegend etwas bewegen können. Aber nachdem das Konversionsprogramm ausgeblieben ist, war das Kind in den Brunnen gefallen, die Lasten mussten allein von Land und Kommunen getragen werden und wir in Schleswig-Holstein hatten einen überproportionalen Anteil des Truppenabbaus zu tragen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das wird sich jetzt ändern!)

Wir gehen davon aus, dass es diesmal nicht so sein wird.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Schauen wir mal!)

Es geht diesmal - wie in den 90er-Jahren - auch nicht nur um den Truppenabbau, sondern es geht um eine zukunftssichere, eine aufgabengerechte Struktur der Bundeswehr. Das ist ein entscheidender Unterschied. Dazu gehören im Augenblick folgende Tatsachen.

Was bietet uns die Strukturreform denn heute an Aussagen?

Erstens. Veränderungen, die sich aus den Vorschlägen der Strukturkommission ergeben, werden erst am 1. Januar 2002 beginnen und voraussichtlich in einem Zeitraum bis 2004 umgesetzt werden - und nicht jetzt.

Zweitens. Der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts weist für 2001 im organisatorischen Umfang lediglich eine Minderung um 6.740 Soldaten bei einer Gesamtstärke - aufgemerkt! - von 339.356 Soldaten aus. Das ist die Stärke nach Artikel 87 a des Grundgesetzes. Die geheimen Erläuterungen ändern an dieser Zahl nichts, auch wenn sie noch nicht vorliegen.

Drittens. Die Grobplanungen für Stationierungsentscheidungen werden Ende Januar - es ist angedeutet worden -, also in wenigen Tagen, dem Verteidigungsausschuss vorliegen. Die Gespräche, wie sie sie die CDU in ihrem Antrag fordert, sind geführt worden und werden danach weiter geführt werden.

Viertens. Die endgültige Stationierungsentscheidung, das heißt der Abschluss der Feinplanung, soll nach dem 31. März fallen. Das ist die Frist für die Stellungnahme Schleswig-Holsteins. Danach wird im Detail über die Umsetzung zu beraten sein. Da sind wir auch gefordert.

Fünftens. Standortschließungen werden Einheiten mit weniger als 50 Planstellen treffen. Wie sich die Konzentration von Verwaltung und Truppe - ein Reformziel - auswirkt, bleibt abzuwarten.

Sechstens - das ist der entscheidende Punkt: Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Diesen Satz müssen wir den Menschen sagen. Wir dürfen

(Hermann Benker)

ihnen nicht immer wieder einen Standort nennen, der möglicherweise geschlossen wird, und vermuten, was möglicherweise passiert. Es wird keine „betriebsbedingten Kündigungen“ geben. Das heißt, den Menschen ist die Existenzangst zu nehmen, auch wenn sie von Schließungen betroffen werden.

Entscheidend ist in dieser Phase: Was können wir noch bewegen und worauf haben wir uns einzustellen?

Wenn wir von „der Bundeswehr“ sprechen, dann wird vordergründig immer von den Soldaten gesprochen. Das ist falsch.

(Werner Kalinka [CDU]: Ach?)

Wir müssen in Schleswig-Holstein immer die drei Säulen der Bundeswehr nennen, erstens die Streitkräfte mit ihren Soldaten, zweitens die Bundeswehrverwaltung mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und drittens die wehrtechnischen Dienststellen mit ihren Beschäftigten. Ich habe diesen dritten Bereich bewusst genannt, obwohl er der Bundeswehrverwaltung untersteht. Es handelt sich aber um einen eigenen Strang, der an das Bundeswehrbeschaffungsamt angehängt ist und der über eine eigene Finanzierung verfügt. Er ist für Schleswig-Holstein insbesondere deshalb wichtig, weil er an die maritime Wirtschaft hier in Schleswig-Holstein angebunden ist.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundeswehr ist vielfältiger, als manche von uns glauben. So werden sich die Auswirkungen der Wehrstrukturreform für jeden dieser Bereiche unterschiedlich darstellen. Für Schleswig-Holstein ist es daher wichtig, dass wir uns nicht nur auf die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten oder auf die Frage „Wehrpflicht - ja oder nein?“, sondern auch darauf spezialisieren, welche Auswirkungen Stationierungentscheidungen auf die Struktur Schleswig-Holsteins haben werden. Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein: Das ist der entscheidende Punkt, den wir zu berücksichtigen haben. Zudem wird bei dieser Reform der zivile Bereich stärker als 1990 betroffen sein.

Gehen wir davon aus, dass jedes Land beim Verteidigungsminister dafür werben wird, dass seine Garnisonen erhalten bleiben. Wir werden also über diese allgemeine Forderungen hinaus spezifische Faktoren in die Diskussion einbringen müssen, um die negativen Auswirkungen auf Schleswig-Holstein zu mindern. Das hatte diese Regierung bislang getan. Deshalb sind diese sachlichen Gespräche - auch wenn sie nicht deklamatorisch in der Presse veröffentlicht werden besonders wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört die Überzeugung, dass es nicht nur um betriebswirtschaftliche Reduzierungen im Sinne der Bundeswehr gehen kann, sondern auch um eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise bei eventuellen Schließungen. Auch das ist eins der Kriterien, die wir nennen müssen.

Gesunde Strukturen sollten nicht auf dem Altar der Konzentrationswünsche geopfert werden, sondern erhalten bleiben. Dazu gehört zum Beispiel das Wehrbereichskommando Küste mit seiner einmaligen Struktur. In diesem Kommando sind alte und neue Bundesländer vertreten. Es umfasst den gesamten Bereich der Teilstreitkraft Marine. Es hat Ausstrahlung, Verbindungen, Kontakte und Integrationsaufgaben in den Ostseeraum hinein - nicht nur nach Dänemark, sondern auch nach Polen und in einem zukünftigen Friedensprozess auch in die baltischen Staaten. Allein aus diesen sachlichen Argumenten ergibt sich die Notwendigkeit, den Kommandostandort Kiel sowie die dazugehörige Wehrbereichsverwaltung zu erhalten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Einmalig ist zum Beispiel die Struktur der wassergebundenen wehrtechnischen Dienststellen in SchleswigHolstein, weil sie unmittelbare Verbindungen zur maritimen Wirtschaft haben. In Schleswig-Holstein haben wir allein in diesem Bereich über 20.000 Beschäftigte.

Es macht Sinn, in der Diskussion mit dem Verteidigungsminister auf lebensfähige Strukturen in den Standorten zu achten. Dabei geht es nicht nur um die wirtschaftliche Bedeutung der Bundeswehr oder um Zulieferer beziehungsweise Dienstleister wie Bäcker oder Gaststätten; es geht auch um die gesellschaftliche Einbindung der Bundeswehrangehörigen und ihrer Familien. Bei allem Sinn für Zentralisierung darf man nicht übersehen, dass gerade die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft und die Integration der Familien von Soldaten und Mitarbeitern der Bundeswehr in die jeweiligen Garnisonstädte in einem Umfang gelungen ist, der es nötig macht, auch diese gewachsenen Strukturen bei der Entscheidung zu beachten. Es kann insofern weder um Willkür noch um Gefälligkeitsentscheidungen, wie wir sie bei der Reduzierung der Bundeswehr vor zehn Jahren erlebt haben, sondern um eine gerechte Verteilung der Belastungen gehen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zuruf der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Ich erinnere nur an Kronshagen. Es gab keinen einzigen sachlichen Grund, Kronshagen zu schließen und

(Hermann Benker)

stattdessen Hamburg zu nehmen. Fragen Sie bei Herrn Rühe nach, warum er das gemacht hat.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Strukturentscheidungen, wie sie uns auch in Schleswig-Holstein bevorstehen, eignen sich nicht für den parteipolitischen Streit. Vielmehr empfiehlt sich schleswig-holsteinische Geschlossenheit, um die Argumentation glaubwürdiger zu machen. In diesem Sinne fordere ich die Opposition auf, an dieser Argumentation für Schleswig-Holstein mitzuarbeiten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat der Herr Oppositionsführer, der Herr Abgeordnete Kayenburg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Benker, zunächst muss ich Ihnen einmal ein Kompliment für die Bemerkung machen, dass die Geheimhaltung wenigstens beim Verteidigungsminister noch funktioniere. Ich habe noch nie eine so nette Ohrfeige für die Regierungschefin gehört.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Zudem möchte ich Sie korrigieren: Zuhören und Wiederkommen ohne Botschaft - das ist für mich kein Handeln. Das ist genau der Kritikpunkt, den wir haben. Frau Simonis, es ist ja schön, wenn Sie mit Herrn Scharping gesprochen haben. Sie haben aber nichts erreicht; das ist das Problem.

(Holger Astrup [SPD]: Woher wissen Sie das eigentlich?)

- Sie haben doch zugehört, Herr Astrup. Spätestens ihr heutiger Bericht hat deutlich gemacht, dass der Einsatz der Ministerpräsidentin für unser Land mangelhaft ist.

(Holger Astrup [SPD]: Was hätte da nun pas- sieren müssen? So ein Quatsch!)

Frau Simonis, Sie haben nicht mehr die Kraft zu gestalten. Jetzt werden sogar bei der Verwaltung handwerkliche Fehler gemacht und so werden Mängel offenbar. Das ist unser Problem.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da erzählen!)

Deswegen ist es gut, dass wir heute als Parlament erneut über die Auswirkungen der Bundeswehrstrukturreform diskutieren, die Probleme öffentlich machen