Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Es müssen aktivierende und qualifizierende Angebote wie Ausbildung, Weiterbildung, Jobrotation und Jobtraining eingeführt und weiterentwickelt werden. Selbstverständlich muss die Arbeitsverwaltung personell so ausgestattet sein, dass die Erstellung und Begleitung individueller Hilfepläne wirklich realistisch und Erfolg versprechend ist.

Schließlich kann die Arbeitsmarktpolitik nicht an der Wirtschaft vorbeigehen. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik muss sehen, welche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht, und die Menschen hierfür qualifizieren - womit wir letztlich wieder beim Kanzlerwort wären. Wenn trotz der hohen Arbeitslosigkeit über eine halbe Million Arbeitsplätze freistehen, dann

(Silke Hinrichsen)

liegt das nicht daran, dass die faulen Arbeitslosen zumutbare Arbeit verweigern, lieber den Tag in der sozialen Hängematte verbringen und von der Sozialhilfe der Kinder leben, sondern vielfach daran, dass die staatliche Arbeitsmarktpolitik in diesen Fällen darin versagt hat, Arbeitgeber und Arbeitslose zusammenzuführen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen sich alle Parteien vorwerfen lassen, die im letzten Jahrzehnt Regierungsverantwortung getragen haben; auch sie haben kein Recht auf Untätigkeit.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Baasch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Debatte beteiligt sich der SchleswigHolsteinische Landtag an einer Diskussion, die schwierig einzuordnen ist, einer Diskussion, die ich unter der gegebenen Überschrift für völlig überflüssig halte.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Es ist eine Diskussion, bei der über die Rechte und Pflichten von Arbeitslosen diskutiert wird, in der aber leicht übersehen wird, dass wir in unserem Land noch nicht allen Arbeitslosen Erwerbsarbeit anbieten können. 3,8 Millionen registrierte Arbeitslose sind Menschen, die auf Arbeit warten und die erwarten, dass ihr Recht, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu bestreiten, umgesetzt wird.

Es ist weiter festzuhalten, dass sich unsere Arbeitsgesellschaft im Umbruch befindet und dass sich die herkömmlichen Strukturen unserer Arbeits- und Sozialpolitik an neue Gegebenheiten anpassen müssen. Diese tief greifenden Veränderungen beziehen sich zum Beispiel auf die sich ändernde Verteilung von Berufs- und Familienpflichten zwischen Männern und Frauen, die wachsende Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Veränderungen im Bereich des Familienzusammenlebens.

Weiter wird über den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft oder Dienstleistungswirtschaft diskutiert. Auch dies muss sich in unserer Arbeits- und Sozialpolitik widerspiegeln. Flexibilisierung, Globalisierung, Innovation sind Stichworte, die für eine weitere Veränderung in unserer Arbeitsgesell

schaft stehen. Die zunehmende Bedeutung von Qualifikation und Wissen wie auch die Individualisierung erfordern von dem Einzelnen eigene, individuelle Antworten.

All dies macht deutlich: Unsere Arbeits- und Sozialpolitik ist im Umbruch; die Zukunft von Erwerbsarbeit ist im Umbruch. Hier nun zu verlangen, dass die Arbeitslosen in der Lage sind, sich auf diese Bedingungen individuell einzustellen, heißt, viele Menschen zu überfordern. Die Arbeit suchenden Menschen brauchen Unterstützung, sie brauchen Beratung und sie brauchen Qualifikation. Für diese Maßnahmen steht im Wesentlichen die Bundesanstalt für Arbeit, für diesen Weg stehen viele kommunale Beschäftigungsgesellschaften sowie freie Träger, die den Menschen Hilfe und Unterstützung anbieten, die Hilfe in Form von Qualifikation geben.

Mit dem Programm „Arbeit für Schleswig-Holstein 2000“ hat die schleswig-holsteinische Landesregierung ein erfolgreiches Modell fortgeschrieben und der heute notwendigen Förderung von erwerbslosen Menschen und Sozialhilfeberechtigten angepasst. In der Mehrzahl der Förderprogramme wird die Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt groß geschrieben, aber Qualifikation und Heranführung an Arbeitsstrukturen, Stärkung von Selbstbewusstsein und Souveränität bleiben ebenso auf der Agenda, um die Einzelnen fit für den ersten Arbeitsmarkt beziehungsweise fit für den Wettbewerb mit anderen um Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu machen.

Der Antrag der Abgeordneten des SSW „Rechte und Pflichten von Arbeitslosen“ stellt - wie ich finde richtig fest, dass die überwiegende Mehrzahl der Arbeitslosen ihre Situation verändern will und gewillt ist, sich den neuen Herausforderungen der Arbeitsgesellschaft anzupassen.

(Beifall beim SSW)

Was ich natürlich auch richtig finde, ist der Hinweis darauf, dass der eingeschlagene Weg der Landesregierung der richtige Weg ist, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, die dazu führt, Arbeit Suchende zu qualifizieren und über Arbeitsmaßnahmen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zum zweiten Absatz des Antrages haben wir allerdings eine veränderte Formulierung vorgeschlagen, eine Formulierung, die darauf beruht, dass das Sozialgesetzbuch III, das Arbeitsförderungsrecht, sich

(Wolfgang Baasch)

ebenfalls den beschriebenen Veränderungen der Arbeitsgesellschaft anpassen muss.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Gut so!)

Mit unserer Änderung beziehungsweise Präzisierung werden wir dem Antrag der Abgeordneten des SSW zustimmen.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal in einigen Punkten festhalten, wohin sich die Diskussion um die Zukunft der Arbeit entwickeln muss, eine Diskussion, die ich für viel sinnvoller halte als das Gerede darüber, ob der einzelne Arbeit Suchende Rechte oder Pflichten vernachlässigt. Für mich bleibt festzuhalten: Auch in Zukunft werden wir in einer Erwerbsgesellschaft leben und die Einzelnen werden sich durch Erwerbsarbeit in dieser Gesellschaft wiederfinden. Die Erwerbsquote von Frauen wird steigen, ohne dass die Quote der Männer in Erwerbsarbeit abnehmen wird. Dies wird zu einer kontinuierlichen Umverteilung der Arbeit führen, zu einer Umverteilung der Arbeit von Männern zu Frauen, ein Trend, in dem Deutschland viele andere Industrienationen, gerade auch die skandinavischen, weit voraus sind.

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit wird sinken. Ohne jetzt über 35- oder 30-Stunden-Woche diskutieren zu wollen, ist eins deutlich: Teilzeitarbeit wird zunehmen und damit wird in der Zukunft die durchschnittliche Arbeitszeit der Erwerbstätigen zwangsläufig sinken. Das normale Erwerbsarbeitsverhältnis wird auch weiterhin bestehen, aber Selbstständigkeit und Teilzeitbeschäftigung werden zunehmen und in einem weitaus größeren Umfang als bisher auch ihren Platz in unseren sozialen Sicherungssystemen finden müssen.

Allerdings werden auch neue Risiken die Zukunft der Erwerbsarbeit mitbestimmen, zum Beispiel eine hohe Abhängigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Entscheidungen der Wirtschaft oder von Arbeitgebern, zum Beispiel gewerkschafts- oder mitbestimmungsfreie Zonen. Umso wichtiger ist in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Diskussion und Entwicklung hin zu einem neuen Betriebsverfassungsgesetz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Kurz zusammengefasst bedeutet das für mich: Rechte und Pflichten von Arbeit Suchenden einzufordern heißt, auch als Staat und Gesetzgeber Verantwortung zu übernehmen und natürlich auch von der Wirtschaft Verantwortung einzufordern, damit Arbeitslosigkeit abgebaut wird, damit ein Bündnis für Arbeit, für die Entwicklung neuer Arbeit, neuer Tarifstrukturen erfolgreich arbeiten kann. Solche Erfolge sind das So

fortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit Programme, mit denen bestimmten gesellschaftlichen Gruppen geholfen und Unterstützung zugesagt wird.

Der Kündigungsschutz muss auch in kleinen Betrieben erhalten bleiben, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall muss erhalten bleiben, das Schlechtwettergeld für Bauarbeiter muss weiter bestehen, illegale Beschäftigung muss weiter schärfer kontrolliert werden,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

der Missbrauch von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen muss ausgeschlossen werden und auch Schwerbehinderte müssen, zum Beispiel durch das neue SGB IX, die Möglichkeit haben, ihren Platz in der Arbeitsgesellschaft zu finden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

All dies macht deutlich: Es gibt nicht nur Rechte und Pflichten von Arbeit Suchenden, sondern es geht um einen gesellschaftlichen Prozess, der Erwerbsarbeit auf möglichst viele Schultern verteilt. Die Bundesregierung wie auch die schleswig-holsteinische Landesregierung leisten dazu einen hervorragenden Beitrag und insofern empfinden wir die heutige Diskussion als Unterstützung der bisherigen erfolgreichen Politik.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile jetzt Herrn Abgeordneten Geerdts das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundeskanzler Schröder wollte sich am Ende der laufenden Wahlperiode an der Höhe der Arbeitslosigkeit messen lassen. Sein Ziel war es, die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen im Herbst 2002 zu senken. Der Bundeskanzler weiß, dass er das von ihm selbst gesteckte Ziel nicht erreichen wird.

Um von dieser Tatsache abzulenken, haut der Kanzler mit seiner Äußerung „Kein Recht auf Faulheit“ völlig undifferenziert auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ein.

(Beifall bei der CDU)

Wäre eine solche Äußerung von einem Christdemokraten oder einem Liberalen gekommen, würde es

(Torsten Geerdts)

einen Volksaufstand von Gewerkschaftsfunktionären und Sozialverbänden geben.

(Beifall bei der CDU - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das stimmt!)

Beim „Kanzler der Beliebigkeit“ ist man da großzügiger. Genauso wie über seine Äußerung „Lehrer sind faule Säcke“ sieht man auch über diese Entgleisung hinweg. Kann man das Problem der Arbeitslosigkeit von 4 Millionen Menschen und deren jeweiligen Angehörigen dadurch mindern, dass man alle zu Faulenzern abstempelt?

In Ostdeutschland gibt es Landstriche mit einer Arbeitslosenquote von über 20 %. Sind die dort Lebenden alle faul und unflexibel?

(Silke Hinrichsen [SSW]: Das hat niemand behauptet!)

Die CDU-Landtagsfraktion will darauf eine sehr differenzierte Antwort geben. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit gab es im März 2001 in ganz Deutschland rund 1,6 Millionen offene Stellen. Hiervon ist jede zweite für Nichtfacharbeiter oder einfache Angestellte geeignet.

Im Jahr 2000 wurden 1,1 Millionen Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer erteilt. Hinzu kommt die Zahl von 243.000 nicht besetzten Ausbildungsstellen in ganz Deutschland. Angesichts dieser Zahlen wäre es also grundsätzlich möglich, jedem Hilfeempfänger ein Arbeitsangebot zu unterbreiten.