Protokoll der Sitzung vom 31.05.2001

Wer ein genetisches Profil von einem Menschen hat, kann wesentlich mehr damit anstellen, als die Identität festzustellen.

(Thorsten Geißler [CDU]: Es geht nur um die Identitätsfeststellung!)

Deshalb kann niemand ein Interesse daran haben, dass Genprofile massenhaft gespeichert werden

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

zum einen nicht, weil diese Daten auch für eine Menge anderer Dinge missbraucht werden können. Deshalb ist es besser, sie erst gar nicht zu sammeln.

(Beifall bei SSW und SPD)

Zum anderen droht die neue Technologie eine der Grundfesten unseres Rechtssystems zu sprengen, nämlich die Unschuldsvermutung. Wenn wir nicht gut aufpassen, droht mit der Gentechnik eine Verkehrung der Beweislast, die wir unbedingt verhindern müssen. Hier ist ein grundlegender Wert des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland gefährdet, wie die CDU sagen würde. Daher haben wir auch bisher entschieden, dass ein Genprofil nur jenen Straftätern abgenommen werden kann, die schwere Straftaten

begangen haben und bei denen eine individuelle Begutachtung ergibt, dass eine Rückfallgefahr besteht. Schon diese Regelung ist sehr umstritten gewesen. Gerade deshalb liegen jetzt Bundesverfassungsgerichtsurteile vor.

Die heutige Regelung wurde vom Gericht nur mit der Maßgabe als verfassungskonform anerkannt, dass es die Bedingung der individuellen Prognose gibt. Wenn die Konferenz der Innenminister - ebenso wie der Generalstaatsanwalt oder die CDU-Landtagsfraktion über zusätzliche Möglichkeiten berät, bei bestimmten Delikten den genetischen Fingerabdruck der Straftäter obligatorisch zu speichern, dann werden nach unserer Ansicht die verfassungsmäßigen Grenzen infrage gestellt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Wir meinen, dass man sich nicht weiter an die absolut äußersten Grenzen unserer Verfassung herantasten sollte, sondern sich einfach mit den heutigen Möglichkeiten zufrieden geben muss.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Der SSW hat bereits vor drei Jahren gesagt: Wir brauchen glasklare Regelungen, Transparenz für den Bürger und nicht die transparenten Bürgerinnen und Bürger! Deshalb sind wir ohne Wenn und Aber gegen eine weitere Ausweitung der Speicherung von Gendaten für den kriminologischen Abgleich.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich hoffe, wir können uns dann im Innen- und Rechtsausschuss erneut mit der Kritik des Datenschutzbeauftragten an den Richtlinien zur Erfassung der so genannten Altfälle nach dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz auseinander setzen.

(Beifall bei SSW und SPD sowie der Abge- ordneten Günther Hildebrand [FDP] und Ire- ne Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debattenbeiträge machen teilweise deutlich, dass offensichtlich keine Klarheit darüber besteht, wie weit die Eingriffsermächtigung des § 81 g der Strafprozessordnung überhaupt reicht. All die Befürchtungen, die angeklungen sind, es könnten anhand des entnommenen Probematerials - das schon unter den jetzigen Voraussetzungen entnommen werden kann Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften und Krankheiten des Betroffenen gezogen werden und ein Persönlichkeitsprofil ermittelt werden, ist von der Eingriffsermächtigung des § 81 g nicht gedeckt und das wollen wir auch nicht ändern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Bisher!)

- Nein, Herr Kollege Kubicki, das wollen wir nicht ändern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist der näch- ste Schritt, das sage ich Ihnen voraus!)

- Das ist nicht der nächste Schritt. Das wäre verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, dass das ein Eingriff in den absoluten Persönlichkeitskern wäre.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stört Sie doch nicht!)

Den wollen wir unangetastet lassen. Die Eingriffsermächtigung bezieht sich auf den zu 30 % aus Wiederholungseinheiten bestehenden nicht codierenden Anteil der DNA. Das ist ein Identifizierungsmuster, ein genetischer Fingerabdruck, der allein der Erzielung eines höheren Beweiswertes dient, als ihn der herkömmliche Fingerabdruck liefert. Wenn man all die von Ihnen geäußerten Befürchtungen auf die bisher bestehenden Instrumentarien übertragen würde, dann müsste eigentlich jede erkennungsdienstliche Behandlung so gut wie ausgeschlossen werden.

(Klaus Schlie [CDU]: So ist das!)

Kollege Puls, dann müssten Sie das Abnehmen von Lichtbildern und von Fingerabdrücken auch noch weiter einschränken. Wenn Sie das fordern, dann müssen Sie das hier auch klar sagen. Dann bekommen wir noch eine ganz andere spannende Debatte. Ob dafür nicht nur bei Juristen, sondern auch bei Polizei und Strafverfolgungsbehörden sowie bei der Bevölkerung Verständnis besteht, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der CDU)

Nehmen Sie es zur Kenntnis: Es geht nicht um Persönlichkeitsbilder. Es geht darum, Daten zu speichern, die einen höheren Beweiswert haben als andere Iden

tifizierungsmuster, deren Speicherung bereits heute zulässig ist.

(Beifall bei der CDU)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wende mich ausdrücklich mit Dank an die Ministerin für die klare Haltung, die nicht nur dadurch begründet wird, dass man sich auf Gerichtsurteile bezieht, sondern dass man eine innere Überzeugung hat, Kollege Geißler! Ich habe eine bestimmte innere Überzeugung davon, wie das Gemeinwesen organisiert werden soll und ein gewisses Maß an rechtsstaatlichem Grundverständnis habe ich bei vielen Abgeordneten der Unionsfraktionen bisher auch immer feststellen können.

Ich will Sie auf eine Gefahr hinweisen, die darin besteht, dass wir zu immer weiteren Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen kommen, ohne dass im Ergebnis eine Effektivitätssteigerung bei der Kriminalitätsbekämpfung festgestellt werden kann. Ich komme darauf zurück, was Herr Herold Anfang der 70-er Jahre darüber gesagt hat, wie er sich eine effektive Strafverfolgung vorstellt. Er würde sich freuen und nach heutigen Methoden sagen: Jeder, der geboren wird, gibt gleich seinen genetischen Fingerabdruck ab, den wir speichern können. Dann haben wir - wann immer etwas passiert - überhaupt keine Probleme damit, festzustellen, wer es denn gewesen ist. Ich sage Ihnen voraus: Sie müssen diesen Schritt konsequenterweise weitergehen. Wir haben - wie kein anderes Land in der Welt - die Telefonüberwachung ausgeweitet. Was ist heute das Ergebnis? Wir haben - wie kein anderes Land in der Welt - den großen Lauschangriff zugelassen. Welches Ergebnis haben wir heute? Gehen Sie nicht darüber weg, Sie sind doch immer die treibende Kraft.

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

- Herr Kollege, ich ärgere mich, dass ich bisher immer bereit war, den kleinen Finger zu geben. Alle Leute wollten immer die ganze Hand haben und haben sich nie mit dem kleinen Finger begnügt. Anschließend sind sie immer gekommen und haben gesagt: Wir wollen die Hand haben.

(Beifall bei FDP und SSW)

Herr Kollege Geißler, wenn Sie sich darauf beziehen, dass die Bevölkerung - wer immer das sein mag - für

(Wolfgang Kubicki)

bestimmte Dinge kein Verständnis haben würde, dann will ich Ihnen die Gefährlichkeit dieser Argumentation vorführen:

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nach jedem Kindesmord und nach jedem Taximord werden 60 oder 70 % der Bevölkerung dazu übergehen, zu sagen: Wir brauchen die Todesstrafe.

(Klaus Schlie [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

- Das stimmt nicht? Meinungsumfragen sagen, dass es eine sinnvolle Idee wäre, die Täter ins Jenseits zu befördern. Das wird auch anschließend in den öffentlichen Darstellungen der Medien geäußert. Herr Kollege Geißler, es gibt politische Kräfte, mit denen Ihre Partei in Hamburg zusammenarbeiten will, nämlich der Kollege von Beust mit Herrn Schill, der genau dies zu einem Teil seines Programms macht.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Ich führe gern eine rechtsstaatliche Debatte. Ich führe keine Debatte, die auf Effektivitätssteigerung ausgerichtet ist, solange Sie mir nicht belegen, dass die bisherigen Maßnahmen - so schwerwiegend die bisherigen Eingriffe bereits sind - zu einer wirklichen Effektivitätssteigerung geführt haben. Das können Sie nicht. Darum fordern Sie - und andere - dauernd mehr, bis wir zu dem Polizeistaat kommen, den wir nicht wollen.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW - Klaus Schlie [CDU]: Blödsinn!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht dem Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so verfahren will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Überweisung dieses Berichts mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses beschlossen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 und 13 auf:

Gemeinsame Beratung