Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Ja, eben!)

Jeder Mensch ist einzigartig. Besonders beeindruckt hat mich vor einiger Zeit der Dokumentarfilm über ein junges Mädchen, das mit der Krankheit Mukoviszidose auf die Welt kam und ihre Krankheit so gemeistert hat, dass sie mehr Lebensfreude auf mich ausgestrahlt hat als so manch anderer gesunde Mensch.

Die PID hat zum Ziel, dass Menschen mit dieser Krankheit nicht mehr geboren werden sollen. Weit schlimmer ist, dass allein die potenziellen Eltern die Verantwortung hierfür zu tragen haben und niemand, auch die Laborkräfte nicht, ihnen die Frage nach Schuld oder Unschuld abnehmen kann.

(Andreas Beran)

Auch die katholischen Bischöfe in Deutschland haben sich in ihrer Erklärung vom 8. März dieses Jahres in Augsburg in Fragen der Gentechnik besonders kritisch zu PID geäußert. Sie lehnen die Selektion menschlichen Lebens ab und fordern, dass die umstrittene Präimplantationsdiagnostik weiterhin verboten bleibt. Die gleiche Aussage machte auch der Deutsche Behindertenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V., im März dieses Jahres.

Dieses Thema muss in unserer Gesellschaft auf breiter Basis diskutiert werden. Dies wird auch bereits intensiv getan - ob im Rundfunk, in Verbänden, in den Universitäten, in den Kirchen oder in den Parlamenten. Wir brauchen diese breite Debatte über dieses Thema in der Zivilgesellschaft. Erst wenn sie abgeschlossen ist, sollten wir als Politiker unsere Schlussfolgerungen daraus ziehen. Da ist es wenig hilfreich, wenn die FDP-Landtagsfraktion in Form dieses Antrages solch einen Schnellschuss abgibt.

Auch wenn dieser Antrag abgelehnt gehörte, beantrage ich für die SPD-Fraktion Ausschussüberweisung, um der FDP die Chance zu geben, ihre Vorstellungen in die inhaltliche Debatte einzubringen. Ebenso beantrage ich, den CDU-Antrag in den Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Wadephul.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Beran, ich möchte vorweg sagen, dass wir mit der Überweisung unseres Antrages in den Ausschuss selbstverständlich einverstanden sind. Was die vorangegangene Debatte angeht, so bin ich der Auffassung, dass wir eine Abstimmung in der Sache durchführen sollten.

In der Frage PID gibt es aus meiner Sicht keine einfaches Richtig oder Falsch. Hier sind wir gefordert, zu einer Entscheidung für uns selbst zu kommen, die wir vor unserem Gewissen verantworten können.

Voraussetzung für eine verantwortliche Entscheidung ist eine eingehende Beschäftigung mit der PID und den zahlreichen sensiblen Fragen, die von ihr berührt werden. Deshalb halte ich es für richtig und wichtig, dass sich die Parlamente und auch die Öffentlichkeit in einen ernsthaften Diskussionsprozess begeben haben. Wir dürfen an dieser Stelle nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und ohne hinreichende Information und Diskussion zu einer Regelung kommen,

wie es schon einmal bei der künstlichen Befruchtung geschehen ist.

Wie ist die aktuelle Situation? Der internationale und nationale Dialog über die Frage nach der Bemessung der Schutzwürdigkeit menschlicher Embryonen lässt zwei grundlegende Positionen erkennen. Die eine Position erkennt das Lebensrecht und den Schutz menschlichen Lebens kategorisch an und schließt somit jede Güterabwägung - auch bei medizinisch noch so ehrenwerten Absichten - aus. Aus dem christlichen Menschenbild, das der Politik meiner Partei zugrunde liegt, und der hohen Achtung vor der Unantastbarkeit der Würde des Menschen in jedem Stadium seiner Entwicklung, liegt mir diese Position sehr am Herzen.

Ich verkenne dabei aber auch nicht die Realitäten. Das Embryonenschutzgesetz in seiner heutigen Form und die Regelungen des § 218 ermöglichen die Abtreibung eines Fötus auch in einem sehr späten Stadium der Schwangerschaft, bei dem mithilfe der Pränataldiagnostik schwerste Behinderungen nachgewiesen werden. Es gibt also einen offensichtlichen Widerspruch, wenn wir einerseits eine Abtreibung auch in einem späten Stadium der Schwangerschaft zulassen, auf der anderen Seite die PID kategorisch verbieten wollen. Das ist ein Widerspruch, mit dem wir uns auseinander setzen müssen. Wir müssen die Frage klären, ob es zu verantworten ist, einer Mutter künstlich etwas einzusetzen, was dann später abgetrieben wird. Das ist in der Tat eine Belastung für die Frau, die ich als Mann an der Stelle einfach nicht verantworten kann.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Insofern habe ich großes Verständnis für die Zielrichtung, die der FDP-Antrag an dieser Stelle aufweist. Dennoch glaube ich, dass eine weitere Diskussion notwendig ist.

Ich bitte aber auch darum, dass wir uns darüber klar werden, welche Gefahren mit den Möglichkeiten der PID, sozusagen einer Vorweganalyse, verbunden sind. Ich möchte auf keinen Fall, dass Eltern von behinderten Kindern in der Weise in eine Rechtfertigungssituation kommen, dass man ihnen sagt: „O Gott, jetzt hast du ein behindertes Kind; es hat möglicherweise Mukoviszidose. Das hättest du doch vorher alles erkennen können. Warum hast du nicht dafür gesorgt, dass es dieses Kind nicht gibt?“ - Eine solche Relativierung von Leben und eine solche Behandlung von Behinderten dürfen wir in unserer Gesellschaft niemals zulassen.

(Beifall im ganzen Haus)

Deswegen müssen wir auch offen darüber reden, dass es natürlich kein Recht auf ein gesundes Kind von Eltern gibt, die die Gefahr von schweren Erbkrank

(Dr. Johann Wadephul)

heiten sozusagen genetisch mit sich herumtragen. Deshalb müssen wir auch mit ihnen darüber reden, welche Verantwortung sie tragen, wenn sie sich für ein Kind entscheiden wollen. Zu dieser Verantwortung müssen sie dann miteinander stehen.

Angesichts dessen sollte unserer Auffassung nach im Ausschuss eine umfangreiche Beratung stattfinden. Wir regen aber auch an, dass der Herr Landtagspräsident diese Fragen mit Wissenschaftlern, mit der Öffentlichkeit diskutiert, sodass wir als Landtag nicht nur intern miteinander reden, sondern in einen konstruktiven Dialog mit der Öffentlichkeit in SchleswigHolstein eintreten. Das heißt nicht, dass dies auf Warteposition geschoben werden soll, sondern wir wollen an dieser Stelle eine offene Debatte mit den Menschen im Land und den verantwortlich handelnden Wissenschaftlern führen. Ich glaube, die Diskussion lohnt; sie wird fruchtbar. Meiner Ansicht nach werden wir in diesem Haus in absehbarer Zeit zu einer verantwortbaren Meinungsbildung kommen.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen steht für ein ganzheitliches Bild des Menschen, dem durch eine an den Patientinnen und Patienten orientierte Gesundheitspolitik Rechnung getragen wird. Auftrag der Ärzte und der medizinischen Forschung ist es, Menschen zu behandeln, zu heilen und Behinderungen abzuwenden oder zu lindern, Menschen im Individualfall vor unabdingbaren Schäden zu schützen.

Aufgabe der Ärzte und damit der medizinischen Forschung ist es nicht, die Existenz eines kranken oder behinderten Menschen zu verhindern. Aber genau das ist die zentrale Aufgabe der Präimplantationsdiagnostik.

Der Staat darf nicht in die Sexualität oder Fortpflanzung von Menschen hinein regieren, nicht im negativen und nicht im positiven Sinn. Er darf nicht vorschreiben, Kinder zu bekommen oder keine zu bekommen.

Er darf die Entscheidung für Kinder durch stützende Maßnahmen erleichtern - auch und gerade im Schwangerschaftskonflikt. Der Staat ist nicht in die Pflicht genommen, Menschen, die es sich wünschen, zu Eltern

zu machen; denn es gibt kein Anrecht auf ein Kind, nicht auf ein leibliches, auch nicht auf ein gesundes Kind - weder gegenüber dem Staat, der Krankenkasse oder dem Arzt. Das ist für manche ungewollt kinderlose Ehepaare sicherlich eine bittere Wahrheit. Aber ich glaube, dass man den Mut haben muss, diese Wahrheit auszusprechen.

Die Entscheidung über Elternschaft bleibt individuell mit allen ihren Nöten, Wünschen und Hoffnungen. Der Staat hat aber sehr wohl die Pflicht der Wahrung der Menschenwürde als verfassungsgemäß verbrieftes Grundrecht, als unteilbares und generelles Recht eines jeden einzelnen Menschen. Sie gilt für jeden Menschen, für den Menschen an sich und bezieht sich in letzter Konsequenz auch auf Embryonen.

Bei der Präimplantationsdiagnostik stehen wir vor der Frage, ob wir zulassen wollen, dass sich menschliche Embryonen nur dann zu Menschen entwickeln sollen, wenn sie nicht Träger einer bestimmten genetischen Krankheit sind. Die Angst der Eltern vor den Belastungen für sich und das Kind, die von diesen Krankheiten ausgehen, ist nur zu verständlich. Trotzdem wollen wir dieses Verfahren nicht zulassen.

Wir wollen nicht zulassen, dass Kinder nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften ausgewählt werden; denn dies ist nicht nur diskriminierend für alle mit einer solchen Krankheit lebenden Menschen, sondern es gibt auch keine eindeutig plausible Grenzziehung für medizinische Indikationen, die über eine gerechtfertigte Anwendung von PID entscheiden können. Gar nicht von der Tendenz zu sprechen, dass sich Indikationen eigendynamisch auszuweiten neigen! Auch hier geht es im Grunde genommen um ein Ganzoder-gar-nicht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann müssen Sie die Präimplantationsdiagnostik verbieten!)

Die Befürworter der Präimplantationsdiagnostik verweisen darauf, dass es heute vielfach zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt, wenn im Verlauf der Schwangerschaft bekannt wird, dass das Kind behindert sein wird. In solchen Fällen sei es schonender, den Schwangerschaftskonflikt von vornherein zu vermeiden - wobei der Konflikt nicht wirklich zu vermeiden ist. Aber es ist falsch zu glauben, dass eine PID für die betroffene Mutter in spe schonender und zumutbarer sei als ein möglicher Schwangerschaftsabbruch.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das entscheidet doch die Mutter! Das entscheiden doch nicht wir!)

- Herr Kubicki, ich habe jetzt das Rederecht. Es hilft nichts.

(Irene Fröhlich)

Die In-vitro-Fertilisation ist für die Frau, die sie an sich durchführen lässt, mit unendlichen Belastungen und manchmal auch Qualen verbunden, weil sie eine hormonelle Behandlung voraussetzt. Das heißt, es ist ohnehin ein sehr belastendes Verfahren.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Sie tut es doch erst, wenn es keine andere Diagnostik gibt! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie zwingt doch niemand!)

Unsere Haltung zur PID - Frau Schmitz-Hübsch, ich möchte jetzt reden und ich bitte Sie zuzuhören - steht nicht im Widerspruch zu unserer Position zur Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch. Dabei wird bei bestehenden Schwangerschaftskonflikten nämlich darauf verzichtet, das Grundrecht des Kindes gegen den Willen seiner Mutter strafrechtlich durchzusetzen. Die Frau hat das Recht, selbstbestimmt eine Entscheidung zu treffen. Bei der PID aber gibt es keine Schwangerschaft, die eine Notlage begründen könnte, in der die Lebensansprüche gegeneinander abgewogen werden.

Den Paaren, die ungewollt kinderlos sind, stehen andere Handlungswege offen, wie beispielsweise auf Kinder zu verzichten, ein nicht leibliches Kind zu adoptieren oder sich mit allem Wenn und Aber für eine Schwangerschaft zu entscheiden.

Eine kritische Überprüfung der bestehenden Praxis bei der Diagnose von behinderten Föten sollte uns alle zum Nachdenken darüber anregen, ob das unsere Haltung zu behinderten Menschen zum Schlechten verändert und ob wir hier nicht zur Umkehr aufgefordert sind. Keinesfalls kann es dabei um eine Gesetzesänderung gehen. Im Gegenteil! Es entspricht dem Geist des 1995 reformierten § 218, der die eugenische Indikation ausdrücklich abgeschafft hat.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Was? - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer hat Ihnen das denn erzählt?)

Niemand hat etwas zu gewinnen, wenn er die Entscheidungen, die in der Biopolitik anstehen, mit einer Neuauflage der Diskussion um den § 218 verbindet.

Ich muss zum Schluss kommen. Ich plädiere dafür, die Praxis der pränatalen Diagnostik und die daraus oft folgenden Schwangerschaftskonflikte in den Mittelpunkt unserer Überlegungen zu stellen.

Die Biowissenschaften haben uns neue Freiheiten geschenkt; sie haben uns damit auch neue Fragen aufgegeben. Der Mensch hat immer die Freiheit und manches Mal auch die moralische Pflicht, sich für Selbstbeschränkung zu entscheiden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder rühren die Perspektiven der neuen Technologien an menschliche Empfindungen. Es geht um die Eltern, die beide die genetischen Anlagen für Erkrankungen schwerster Art in sich tragen und den verständlichen Wunsch nach einem eigenen gesunden Kind hegen. Jedes Wesen, das zu Mitgefühl fähig ist, kann das Leid sehen, das diese Menschen haben. Es ist nachvollziehbar, dass diese Menschen auf die PID hoffen. Es geht auch um jene Eltern, die auf jeden Fall auf eine künstliche Befruchtung angewiesen sind, um ein Kind zu bekommen. Wenn sie zum Beispiel aufgrund fortgeschrittenen Alters ohnehin ein erhöhtes Risiko haben, ein behindertes Kind zu bekommen: Wieso ihnen nicht eine PID anbieten, statt auf eine spätere Fruchtwasseruntersuchung zu warten? Lieber den Tod im Reagenzglasstadium als die Abtreibung nach mehreren Monaten! - Oder?

Die Perspektive ist wieder verlockend; aber es drängen sich abermals Fragen der Ethik auf, die für viele schwerer wiegen als der Gewinn durch die PID. Auch bei der Präimplantationsdiagnostik geht es um eine Abwägung. Schwarzweißmalerei zählt nicht. Die Argumente beider Seiten sind plausibel, aber nicht miteinander vereinbar.