Protokoll der Sitzung vom 28.09.2001

Wenn ich von einem Ersatzkassenverband höre, das Geld müsse aber immerhin für eine Satt- und SauberPflege reichen, dann muss ich Ihnen ganz offen gestehen, dass ich genau dahin nicht will. Ich will eben nicht, dass wir in Zukunft mit fast einem Fünftel der Bevölkerung so umgehen, dass man sagt, die werden schon satt und sauber gepflegt und dafür reicht das Geld aus der Pflegeversicherung. Auf dieser Diskussionsbasis will ich in Zukunft nicht über die Weiterentwicklung in diesem Bereich reden.

(Beifall der Abgeordneten Christel Aschmo- neit-Lücke [FDP] - Anke Spoorendonk [SSW]: Das habe ich auch nicht gefordert!)

- Genau. Deswegen wollte ich genau den Satz, den ich unterstreiche, Frau Spoorendonk, zum Anlass nehmen, zu Frau Birk zu sagen, dass wir hier völlig einer Meinung sind, wenn Sie sagen, dass das Pflegeheim traditioneller Herkunft nicht mehr das Modell der Zukunft ist. Ich habe das entsetzte oder erschreckte Gesicht der Sozialministerin gesehen, als ich Ihnen an der Stelle auch noch Beifall gespendet habe. Wir sind hier völlig einer Meinung.

Ich kann es mir schlicht und ergreifend nicht vorstellen, dass wir bei diesem demographischen Umbruch, über den wir vorhin geredet haben, ernsthaft in 20, 30 Jahren fast ein Fünftel der Bevölkerung in irgendwelche Heime stecken wollen - am besten am Stadtrand, sodass es niemand mitbekommt. Das kann tatsächlich nicht die Zukunft sein.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD sowie (Dr. Heiner Garg)

Beifall der Abgeordneten Torsten Geerdts [CDU] und Lars Harms [SSW])

Dann aber bitte ich alle, uns alle, auch eine ehrliche Diskussion darüber zu führen, wie wir neue Formen finanzieren wollen. Das wird neue Anforderungen an die Städteplanung, an die Wohnungsbaupolitik mit sich bringen. Das ist gar keine Frage. Aber dann müssen wir uns ehrlich miteinander darüber unterhalten, wie wir solche Modelle finanzieren wollen.

Ich bin deswegen ein wenig skeptisch, was diese Ehrlichkeit angeht, weil ich noch in guter Erinnerung habe, wie der gesellschaftliche Zuspruch zur umlagefinanzierten Pflegeversicherung erkauft wurde. Herr Kollege Geerdts - Sie grinsen -, Sie wissen, dass ich zu diesem Finanzierungsverfahren meine ganz eigene Meinung habe. Tatsache war damals, Norbert Blüm und Rudolf Dreßler haben sich, um es ausgewogen zu machen, den gesellschaftlichen Zuspruch, der sehr groß war, damit erkauft, dass sie gesagt haben, es kann nicht sein, dass pflegebedürftige Menschen, die in Heimen untergebracht werden, weiterhin abhängig von Sozialhilfe sein sollen. Mit dieser Stigmatisierung des Sozialhilfebezugs hat man also versucht, ein Modell durchzubringen, von dem man schon damals wusste, dass genau dieses Versprechen nicht einzuhalten war.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn selbstverständlich ist es heute so, dass gerade Pflegebedürftige der Pflegestufe 3, also Schwerstpflegebedürftige, auch weiterhin Sozialhilfe beanspruchen.

Ich warne davor, gerade diesen Sozialhilfebezug, auf den es einen Rechtsanspruch gibt, weiterhin zu stigmatisieren.

Wenn wir uns - das ist der letzte Satz, Frau Präsidentin - wirklich ganz neuen Formen auch des Umgangs mit alten Menschen stellen wollen, dann haben wir uns gleichzeitig auch die Finanzierungsfragen zu stellen; das heißt, dann sind wir wieder bei der Frage, wie wir das Bruttoinlandsprodukt in unserer älter werdenden Generation verteilen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie vereinzelt bei SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt noch einmal Frau Ministerin Moser.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Garg, meine Mimik ist zwar allzu sprechend, aber nicht so differenziert wie Sprache.

(Heiterkeit)

Deshalb habe ich ernst geguckt und für mich gedacht, dass natürlich die Forderung, die Heime zu überwinden, eine richtige ist, aber in der Pauschalität und in der Unbedingtheit, wie sie vorgetragen wurde, Frau Kollegin Birk, etwas bedenklich ist. Das hat mein Gesicht nicht ausreichend differenziert ausdrücken können.

(Heiterkeit)

Im Übrigen würde ich sehr gern Ihren Vorschlag, über die künftigen Fragen, die Perspektiven, die mit dem Thema der Pflege und ihrer Finanzierung verbunden sind, zu sprechen, aufgreifen und anregen - wenn ich mir das erlauben darf -, dass wir statt der Einsetzung einer Arbeitsgruppe des Landtages, die sich mit den wirklich fachlichen Fragen von Pflegedokumentationen befassen soll - ich will niemandem zu nahe treten, aber hier in diesem Hause hat niemand den Sach- und Fachverstand, um das zu tun -,

(Beifall bei der FDP)

uns hier im Parlament außerhalb des Sozialausschusses mit Interessierten zusammensetzen, um genau diese Fragen, wie Gesellschaft zukünftig mit dieser Herausforderung umgeht, zu diskutieren und vielleicht auch ein Stück Zuarbeit oder Ersatz für eine PflegeEnquete auf Bundesebene, wenn wir sie denn nicht kriegen, zu leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Das würde ich sehr begrüßen. Darüber würde ich mich freuen.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/1187, und den Ergänzungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/1237, abstimmen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ausschussüberwei- sung!)

- Hier ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer dem zustimmen will, die beiden Anträge an den Ausschuss zu überweisen, den bitte ich um das Hand

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Ich lasse jetzt über den Bericht der Landesregierung abstimmen. Es ist Überweisung des Berichtes an den Sozialausschuss beantragt worden. Soll der Bericht zur abschließenden Beratung überweisen werden?

(Holger Astrup [SPD]: Ja!)

- Also Überweisung des Berichts zur abschließenden Beratung an den Sozialausschuss. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so angenommen.

Jetzt haben wir noch über den Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/1231 zu beschließen.

(Holger Astrup [SPD]: Ausschussüberwei- sung!)

- Ebenfalls Ausschussüberweisung! Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist ebenso einstimmig angenommen.

Ich möchte jetzt auf der Besuchertribüne zunächst die Besuchergruppen des Stenografenvereins Schleswig und der Heinrich-Harms-Schule, Hutzfeld, begrüßen.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erhalt der Abendschulen in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1191

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/1235

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete de Jager.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Abendschulen hat uns bereits am Mittwoch im Zusammenhang mit der ersten Lesung des Haushalts beschäftigt. Lassen Sie mich deshalb bei dieser Gelegenheit mit einer Legende aufräumen, nämlich damit, dass die Abschaffung der Abendrealschulen zur Sanierung des Haushalts beitragen soll. Das ist nicht so, weil die Einsparsumme viel zu klein ist und weil das, was vorgeschlagen worden ist, mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2002 sowieso nichts zu tun hat. Wer das dennoch behauptet, Herr Möller, der will nur ein haushaltspolitisches Placebo verabreichen, mehr nicht.

Der Vorsitzende des Realschullehrerverbandes, Herr Möller, hat Recht, wenn er sagt: Die billigsten Schulen sind die, die abgeschafft sind oder die gar nicht existieren. Insofern lautet die wirkliche Frage: Kann man auf Abendschulen verzichten beziehungsweise haben sie eine nicht ersetzbare Funktion? - Ja, diese Funktion haben sie.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Abendschulen sind aus folgendem Grund unverzichtbar: Sie sind die Garanten für die Durchlässigkeit unseres Schulwesens. Diese Durchlässigkeit ist bisher der übereinstimmende bildungspolitische Anspruch aller Fraktionen im Landtag gewesen. Doch wenn das so ist, dürfen wir nicht zulassen, dass die Wirklichkeit hinter diesem Anspruch zurückbleibt. Es gibt eine Verantwortung des Staates, den zweiten Bildungsweg auch in Form von Abendangeboten zu garantieren.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Übrigen ist es auch eine sozialpolitische Pflicht. Die zweite Chance durch den zweiten Bildungsweg ist in erheblichem Maße auch eine sozialdemokratische Tradition. Dafür gibt es im Übrigen prominente Kronzeugen.

„Ihre Bedenken gegen die Schließung der Abendschulen teile ich. Als ehemaliger Zweitbildungswegler bin ich mir des Wertes solcher Einrichtungen bewusst.“

So nahm der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm auf eine Anfrage von Schülerinnen und Schülern der Abendrealschule Lübeck Stellung. Solche Erfahrungen sind aber offenbar den regierenden Sozialdemokraten entweder fremd oder sie haben sie erfolgreich verdrängt.

Meine Damen und Herren, besonders bedroht durch das am 29. August vorgestellte Konzept des Bildungsministeriums sind die Abendrealschulen. Besagtes Konzept sieht einen Aufnahmestopp für Februar 2002 vor und ein Auslaufen - auf Deutsch gesagt: eine Schließung - im Jahr 2005. Vor allem die Abendrealschüler selbst haben sich dagegen gewehrt. Wer in den vergangenen Wochen und Monaten Gelegenheit hatte, mit ihnen darüber zu diskutieren, muss beeindruckt sein von dem Engagement und von der Ernsthaftigkeit, mit der sich diese überwiegend jungen Erwachsenen für den Erhalt ihrer Schulen eingesetzt haben, nicht - wie man meinen könnte -, um selber ihre Abschlüsse noch zu machen - das stand von vornherein gar nicht zur Debatte -, sondern um nachfolgenden Generationen von Abendschülern die gleiche Chance zu eröffnen. Wer mit ihnen diskutiert hat, konnte er